"Gibs auf!" ist eine Botschaft, die Schülerinnen und Schüler bei der
Rezeption
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Franz Kafkas
•
Parabel " "Gibs
auf!" nicht selten gegen den Strich geht.
Letzten Endes ist es
gerade auch diese Botschaft, die ihnen den Text
•
fremd und schwer zugänglich macht und kognitive Dissonanzen erzeugt. Und
diese Rezeptionserfahrungen stehen häufig in diametralem Gegensatz zu den
literardidaktischen Begründungen, die den Text zu dem "beliebte(n) Anthologiestück für Schulbücher" (Engel
2010a, S.361) gemacht haben, der er heute im Literaturunterricht
ist.
Der • existenzialistische Deutungsansatz dürfte,
so schlüssig er auch immer wieder erscheinen mag, dem Lebensgefühl der
jungen Menschen ebenso wenig entsprechen wie die Aufforderung "Gib auf" als
Maxime des Handelns.
Die Botschaften, die Jugendliche aus ihrer Medienwelt hören, lauten oft
nämlich grundlegend anders und sind an den Verheißungen eines •
singularisierten Lebens orientiert. Singularität beschreibt dabei das
Streben nach dem Besonderen, dem Einzigartigen, dem "was als nicht
austauschbar und nichtvergleichbar erscheint" (Reckwitz
2017/2019, S.11), aber nicht quasi naturgegeben ist, sondern "sozial
fabriziert" (ebd.)
Dabei streben die postmodernen Subjekte "nach Einzigartigkeit und
Außergewöhnlichkeit" (Reckwitz
2017/2019, S.9); an alles wird damit der "Maßstab der Besonderung"
angelegt: "wie man wohnt, wie man isst, wohin und wie man reist, wie man
den eigenen Freundeskreis gestaltet. Im Modus der Singularisierung wird
das Leben nicht einfach gelebt, es wird kuratiert. Das
spätmoderne Subjekt performed sein (dem Anspruch nach) besonderes
Selbst vor den Anderen, die zum Publikum werden. Nur wenn es authentisch
wirkt, ist es attraktiv." (ebd.);
in dieser "Kultur des Authentischen" und "Kultur des
Attraktiven" (ebd.,
S.10) spielen die "allgegenwärtigen sozialen Medien mit ihren
Profilen" die Rolle von "zentralen Arenen dieser Arbeit an der
Besonderheit" (ebd.,
S.9), weil auf diesem "umfassenden sozialen Attraktivitätsmarkt" (ebd.)
der "Kampf um Sichtbarkeit" (ebd.)
besonders intensiv ausgetragen wird.
In der Werbung werden Schülerinnen und Schüler mit Botschaften überschüttet,
die sie auffordern, "ihr Ding zu machen", ihren und nur ihren Weg nach
eigenen Vorstellungen zu gehen, ja nie aufzugeben, sondern immer wieder
aufzustehen. Natürlich können dem nicht alle entsprechen, das signalisiert
auch die Zunahme psychischer Erkrankungen unter Jugendlichen und doch
lautet, von solchen Gefühlslagen, depressiven Verstimmungen und Erkrankungen
abgesehen, die allgemeine "Botschaft des Lebens" nicht "Gibs auf", sondern
"Halte durch" und oder euphemistisch "(Ver-)folge deinen Traum", "performe"
dein Selbst vor den anderen.
Angesichts solcher Tatsachen gehört es auch zur Freiheit der Schülerinnen
und Schüler, ihr ureigenes Verständnis des Parabel-Textes zu entwickeln, das
sich aus den Diskurszusammenhängen orientiert, die ihr Leben, ihre
Lebensweisen und das zeitgenössische
Dispositivs von einem
guten Leben bestimmen.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
25.03.2025