Wenn man die allgemeinen Merkmale ▪
moderner Parabeln in einer für
möglichst alle ihre Erscheinungsformen "bestimmen" will, kommt man
noch schneller als bei den ▪
traditionellen Parabeln an seine Grenzen.
Zuallererst muss man sich aber klarmachen, dass man von zweierlei
Dingen spricht, wenn man die Parabel als
Genre oder
die Parabel als
literarische Textsorte meint.
-
Mit dem Begriff
der literarischen Textsorte
sollten auch bei der (modernen) Parabel notwendige
Merkmale und Merkmalskonfigurationen systematisch
"intersubjektiv und zeitunabhängig" (Fricke
2010a)
erfasst und definitorisch festgelegt werden.
-
Der Begriff des
Genre geht dagegen davon aus, dass Gattungsbegriffe wie
der Begriff der (modernen) Parabel historisch bestimmt
sind und sich aufgrund verschiedener gesellschaftlicher Gründe
zu einer Vorstellung entwickelt haben, die bestimmte Texte in
bestimmte Gruppen einteilt. Sieht man in der Parabel ein Genre,
dann meint man die Gruppe von literarischen Texten und auch
nicht-literarischen "Begleittexten", die in einer bestimmten
Zeit die Vorstellungen über die Parabel, ihre
Textsortenzugehörigkeit und die Art ihrer Rezeption geprägt
haben.
Beides kann und will
die hier aus didaktischen Gründen vorgenommene Unterscheidung von
traditionellen und modernen Parabeln nicht leisten. Im Übrigen
bringt dies auch die Literaturwissenschaft nicht gerade überzeugend
zustande.
Grundlage der
Unterscheidung zwischen traditionellen und ▪
modernen Parabeln ist vor
allem die didaktische Funktion, die auf einer
geschlossenen Weltsicht beruht.
Von Sonderfällen einmal
abgesehen, weisen alle traditionellen Parabeln von der griechischen
Antike (Äsop
ca. 600 v. Chr.), über ihre religiös fundierten Vertreter in der
jüdisch-christlichen Tradition, von der Aufklärung
▪
Lessing (1729-1781) bis hin zu ideologisch am Marxismus bzw.
Materialismus ausgerichteten Beispielen (z. B. Parabeln von
»Bertolt Brecht (1898-1956) oder
»Günter Kunert (geb. 1926) zwei grundlegende Gemeinsamkeiten
auf:
-
Ihre Autoren
verfügen über ein religiöses oder sonst wie ideologisches,
zumindest weitgehend geschlossenes Weltbild, mit der sie Welt
erklären.
-
Sie verfolgen mit
ihren Texten die didaktische Absicht, demjenigen, der diese
Weltsicht teilt, die "richtigen" Lehren zu vermitteln.
Beides geht, salopp
gesagt, den modernen Vertretern und Beispielen der Gattung ab.
- Moderne Parabeln
hinterfragen die Wirklichkeit und rücken die Lage des "modernen"
Menschen ins Licht und zeigen seine "kosmologische Obdachlosigkeit" (Yun
Mi Kim 2012, S.22)
-
der Totalitäts- und
Wahrheitsanspruch der traditionellen Parabel hat sich bei ihnen
verflüchtigt
-
liefern kein in sich geschlossenes, konsistentes Weltbild,
sondern eine von Tradition und Ideologie geprägte Welt in Auslösung
und Widersprüchen. (Mehr...)
Trotz alledem ist klar, dass die
hier zugrunde gelegte Zweiteilung der Gattungsentwicklung nicht als
ein klar geschiedenes historisches Nacheinander aufgefasst werden
kann und die Unterteilung in traditionelle und moderne
Parabeln der Vielfalt der literarhistorischen Genres nicht gerecht
werden kann.
Moderne Parabeln
weisen eine Reihe von allgemeinen Merkmalen auf, die sie zum Teil
mit ihren traditionellen Verwandten teilen oder auch von diesen
unterscheiden. (Die hier aufgeführten Merkmale sind aber nicht im
Sinne der ▪ klassischen
Gattungsdidaktik zu verstehen, sondern dienen lediglich zur
Orientierung.
Sie beruhen auf
lokalen, d. h. auf der Textebene in Mehr-oder-Weniger-Relationen als
skalierbar verstandenen Merkmalen, die sich auch an ▪
Prototypen messen
lassen, als auch auf globalen Merkmalen (z.B. thematischen
Zuordnungen), d. h. über den Text hinausgehenden Aspekten.
Dass sie individuelle
Verstehenshorizonte mit ihren Ähnlichkeitsvergleichen nicht abbilden
können, versteht sich daher von selbst. (vgl. ▪
Allgemeine Merkmale traditioneller Parabeln)
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