"Deute mich!"
spreche jedes Wort in ▪
Franz Kafkas ▪
Parabeln, allerdings wolle kein Wort dies
wirklich dulden, so hat der deutscher Philosoph, Soziologe,
Musikphilosoph, Komponist und Pädagoge »Theodor
W. Adorno (1903-1969) in einen Aufzeichnungen zu Kafka (1977,
S.255, zit. n.
Zymner 2010,
S.456) die ambivalente Appellsstruktur von Kafkas Parabeln
beschrieben.
Auch wenn es in der Forschung keinen Konsens darüber gibt,
welche Texte Kafkas genau zur Gattung der
Parabel
zu zählen sind: Vierzehn Texte gibt es, über die offenbar nicht mehr
wegen ihrer Gattungszugehörigkeit gestritten wird.
Von den hier im
Arbeitsbereich aufgeführten Texten zählen dazu nach der Auflistung
von Zymner
(2010, S.456): •
Der neue Advokat,
▪
Der
Schlag ans Hoftor
▪ Der Aufbruch,
•
Der Geier,
▪
Der Schlag ans Hoftor,•
Die
Prüfung, •
Ein altes Blatt, •
Eine kaiserliche Botschaft,
•
Ein Hungerkünstler, •
Ein
Landarzt, •
Der Steuermann,
• Die Brücke,
•
Gibs auf
und ▪
Vor dem Gesetz.
Das bedeutet allerdings nicht, dass etliche andere kurze Prosastücke
Kafkas nicht als Parabeln aufgefasst werden können und sich einer
parabolischen Deutung entziehen.
Kafkas
Parabeln sind •
moderne
Parabeln. Sie können
im Gegensatz zu dem
traditionellen Typus der so genannten "Erbauungsparabel" (Prototyp:•
Gotthold Ephraim Lessings
(1729-1781)
" Ringparabel"),
die sich durch eine eng umgrenzte, meist religiös fundierte
Richtungsbestimmung des Parabeltransfers (vgl.
ebd.)
auszeichnet, als "Entdeckungsparabel" (Zymner
1991, S.272) bezeichnet werden, die darauf zielt, "eine selbständige
Deutung herauszufordern, ohne jedoch den Transfer auf einen Bereich zu
lenken, der einem bestimmten religiösen Traditionszusammenhang
angehört." (Zymner 2010, S.456)
Sie
wirken oft in besonderer Weise verrätselt und lösen bei ihren
Rezipientinnen und Rezipienten damit •
unterschiedliche Erfahrungen von Fremdheit aus.
Kafkas
Parabeln sprechen nicht ausdrücklich davon, dass ihr eigentlicher Sinn
außerhalb der Textebene zu suchen ist. Sie weisen damit also keine •
expliziten
Transfersignale auf, die den Leser ausdrücklich auffordern, einen
bestimmten Vergleich zu ziehen oder den Sinn des Textes in einem
bestimmten außertextlichen Bereich zu konstruieren.
Kafkas
Parabeln signalisieren aber dennoch, dass das Dargestellte nicht das
Gemeinte ist. An irgendeiner oder an mehreren Stellen gibt es im Text,
wie man bildlich sagt, "Stolpersteine",
deren Sinn sich auf der Textebene allein nicht erschließt. Trifft
man beim Lesen auf sie, dann lösen sie - •
vorausgesetzt man nimmt sie
überhaupt als solche wahr - eine gedankliche Suchbewegung aus, die
z. B. in der Frage münden kann: Was könnte mit dem "Stolperstein" in
einem übertragenen Bedeutungszusammenhang gemeint sein?
Stolpersteine
dieser Art werden als Transfersignale bezeichnet. Dies sind Wörter
oder Formulierungen, denen ein kompetenter Leser eine Suchanweisung
entnimmt. In Kafkas Parabel handelt es sich um ▪
implizite Transfersignale.
Transfersignale veranlassen
den Leser,
den eigentlichen
Sinn des Textes außerhalb des Textes zu konstruieren und damit
dem Text eine neue Bedeutungsrichtung zu geben. Allerdings kann dies
in der Regel nicht ein Textelement allein, sondern ein Mehrzahl von
Textstrukturen, die allesamt in ihrer Funktion in die gleiche
Bedeutungsrichtung weisen. (Zymner 1991,
S.93 f.)
Bei Kafkas Parabeln
zählen z. B. bei der von ihm oft besonders stark ausgeprägten personalen
Erzählsituation, "die systematische Inkohärenz in der Raum-, Zeit-,
Figuren- und Handlungsgestaltung sowie die parabeltypische Kürze"
(Zymner 2010, S.457):dazu.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
11.10.2024