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Moderne Parabel

Implizite Transfersignale

Typen der Parabel

 
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Explizite Transfersignale

Inferenzbildung beim Lesen kürzerer erzählender Texte

Die prinzipielle Deutungsoffenheit und Bedeutungsoptionen einer Parabel

Die ▪ moderne Parabel gewährt dem Leser einen großen Freiraum, um zu eigenen Deutungen und Textkonkretisierungen zu gelangen, da sie ihm im Gegensatz zu den ▪ traditionellen Parabeln mit ihrer didaktischen Funktion keinen Sinn anbietet.

Auf der anderen Seite versucht sie, ihn aber auch ohne jedes Sinnversprechen dahin zu bewegen, das Erzählte, so irritierend, sperrig oder verstörend es auch sein mag, für sich selbst in einem konstruktiven Akt der Sinnfindung aufzulösen.

Wie das geschieht, ist damit auch individuell sehr verschieden und von textseitigen aber auch textexternen Faktoren abhängig. Im Grunde genommen muss diese Sinnkonstruktion ihre Plausibilität ja nur in der Verständigung mit anderen Lesern über den Text erweisen, und auch die, das sei an dieser Stelle gesagt, ist wiederum Ergebnis unterschiedlichster Faktoren.

Dabei ist durchaus weiterhin strittig, wie sehr und auf welche Weise der Parabeltext die Anzahl und Richtung möglicher Interpretationen einschränkt.

Transfersignale und Kontext als Eingrenzung der Deutungsvielfalt

Die prinzipielle Deutungsoffenheit literarischer Texte hat im Falle von Parabeln aufgrund ihrer Sinnverweigerung, die oft auf lokaler Textebene ebenso wie auf der globalen außertextlichen Ebene zutage tritt, eine besondere Qualität.

Dementsprechend wird auch immer wieder untersucht, ob moderne Parabeln nicht doch mit Hilfe ihres Wortlauts, besonderer "Stolpersteine", expliziter oder impliziter Transfersignale und des Kontextes einen gewissen "Bedeutungsspielraum festlegen, der die die Anzahl möglicher Deutungen einschränkt. (Zymner 1991, vgl. Yun Mi Kim 2012, S.29). Dabei gehen solche Gedanken aber nie so weit, dass sich dadurch Parabeln auf einen einzigen Sinn festlegen lassen.

Stolpersteine des Textverstehens: Semantische Inkohärenzen als Suchaufforderung

Moderne Parabeln verfügen in der Regel im Vergleich zu vielen ▪ traditionellen Parabeln über keine • expliziten Transfersignale, die direkt ausdrücken, dass das Dargestellte im Analogieschluss auf einen anderen Bereich bezogen werden soll. Sie geben auch nicht an, auf welchen Bereich das, was im Text steht, übertragen werden soll.

Dass ein Rezipient beim Lesen überhaupt den Eindruck gewinnt, "dass der Text eine 'andere' Bedeutung hat" (Zymner 1991, S.88) ist weder text- noch leserseitig garantiert.

Oft zeigt sich die "globale Uneigentlichkeit" (vgl. Zymner 1991, S.87-96) von Parabeln nur dadurch, dass die eigene Sinnfindung auf lokaler und globaler Textebene einfach nicht funktioniert oder anders ausgedrückt, das die konkrete Leseerfahrung nicht in die schon erworbenen Schemata des Textverstehens integriert werden können und damit die Herstellung eines Bedeutungszusammenhangs empfindlich "gestört" ist.

Dass dabei auch das individuelle Management von Fremdheitserfahrungen mit solchen Texten, die einem alltäglich und strukturell, in manchen Fällen auch radikal fremd vorkommen können, eine Rolle spielt, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. 

Gerade ▪ moderne Parabeln verweigern sich häufig allen Formen von Sinngebung und sorgen damit dafür, dass "sich strukturell Fremdes" aller möglichen Kontextualisierungsbemühungen zum Trotz "nur bedingt auflösen lässt." (Šlibar 2005, S.82, zit. n. Leskovec (2010)

Andererseits kann auch nicht übersehen werden, dass es immer wieder vorkommt, dass das gedankliche Konzept, mit dem ein Text zunächst einmal verstanden wird, genau so gut auch bewirken kann, dass bestimmte "Stolpersteine" einfach überlesen und semantische Inkohärenzen auf der lokalen Textebene einebnen und glätten können.

Was also vielleicht als "Stolperstein" gedacht war, wird dann einfach assimlierend in vorhandene Wissensschemata "eingelesen", ohne dass es zu einer Anpassung des Schemas kommt. In jedem Fall ist das Erkennen einer über den über den Buchstabensinn hinausgehenden Bedeutung nicht einfach ein ein Problem, das ausschlich über eine möglichst genaue Erfassung eines Parabeltextes beantwortet werden kann.

Das schließt in der Konsequenz auch ein, dass einem Leser, insbesondere wenn ein Text kein • explizites Transfersignal aufweist, das ihn auffordert, das Erzählte auf einen Bereich außerhalb des erzählten Geschehens zu übertragen, sich bei seiner Rezeption mit dem "vordergründigen" Handlungssinn begnügt und damit, zumindest bei der Rezeption von Parabeln, Mustern folgt, die eher bei der Interpretation von Kurzgeschichten angebracht sind.

Damit ein Text überhaupt als Parabel verstanden werden kann, muss er selbst irgendwie darauf aufmerksam machen, dass es dabei nicht allein um das geht, was auf der Textebene dargestellt ist. An irgendeiner oder an mehreren Stellen gibt es im Text, wie man bildlich sagt, "Stolpersteine", deren Sinn sich auf der Textebene allein nicht erschließt. Trifft man beim Lesen auf sie, dann lösen sie - vorausgesetzt man nimmt sie überhaupt als solche wahr - eine gedankliche Suchbewegung aus, die z. B. in der Frage münden kann: Was könnte mit dem "Stolperstein" in einem übertragenen Bedeutungszusammenhang gemeint sein?

Aber auch das "Stolpern" ist keineswegs voraussetzungslos, so dass Freudenberg (2014, S.60) sogar von einer "Stolperkompetenz" gesprochen hat, die "mit dem Erwerb flexibler statt statischer oder träger Wissensbestände (einhergeht)." (Freudenberg 2016, S.37)  Schließlich beruhe auch das Innehalten und Fragen, also die Irritation in der Textbegegnung, auf Vorannahmen, Erwartungen, Vorwissen. Denn nur unter dieser Voraussetzung verstünden Leser*innen den literarischen Text als erwartungswidrig und könnten das Spiel mit bzw. die Überschreitung von poetologischen Regeln, Abweichungen und Variationen erkennen. Anders gesagt: Nur wer "kompetent stolpern" kann, kann auch die ästhetische Qualität eines literarischen Textes schätzen lernen. Während aber weniger kompetente Leserinnen und Leser nach häufigem und nachhaltigem "Stolpern" u. U. die Lust verlieren, sich auf einen literarischen Text näher einzulassen, neigen kompetentere Leser*innen, wenn sie im "literarischen Lesemodus" (Zwaan 1993) sind, zu "einem relativ toleranten Umgang mit semantischen Widersprüchen" (Scherf 2016, S.99). Ob sich dies auch auf die Wahrnehmung der "Stolpersteine" auswirkt, die in einem literarischen Text enthalten sind, kann hier nicht gesagt werden.

Stolpersteine in Parabeln, deren Sinn sich sich, wie gesagt, auf der Textebene allein nicht erschließt, werden als Transfersignale bezeichnet. Dies sind Wörter oder Formulierungen, denen ein kompetenter Leser eine Suchanweisung entnimmt. Sie und die durch sie konstituierten Handlungszüge sind die sprachlichen Elemente, an denen sich die so genannte Uneigentlichkeit parabolischer Texte zeigt und zugleich die ihnen eigene Appellstruktur entfaltet.

Transfersignale veranlassen den Leser, den eigentlichen Sinn des Textes außerhalb des Textes zu konstruieren und dabei "im Rahmen des Bedeutungsspielraums des Erzähltextes" und des Bedeutungsspielraums seiner Worte "eine oder mehrere (aber keineswegs fixierte) neue globale Kohärenzbeziehungen zwischen den Elementen der Erzählung" im Zuge der "geforderten Richtungsänderung des Bedeutens" herzustellen. (Zymner 1991, S.100)

Bei ▪ traditionellen Parabeln sind solche Transfersignale explizit vorhanden und lassen "eine klare Unterscheidung zwischen der parabolischen Erzählung und dem ausdrücklichen Transfersignal" (ebd., S.89) zu.

Implizite Transfersignale sind hingegen "Merkmale der Binnenebene des Erzähltextes" und keine Merkmale der "Rahmenebene" (ebd., S.93 f.) wie die expliziten Transfersignale, die " klar unterscheidbar und abgegrenzt sind von der Parabel-Erzählung" sind. (ebd.)

Solche Transfersignale dienen quasi als "Stolpersteine" beim Textverstehen und sorgen im Idealfall dafür, dass wir unser bis dahin gewonnenes Textverständnis korrigieren und ihm eine andere Richtung geben. Dabei "(hängt) die Wahrnehmung entsprechender Transfersignale (...) also entschieden davon ab, in welcher Weise. d. h. auf der Basis welcher gedanklichen Konzepte bis zum Auftreten der in der Textstruktur angelegten semantischen Inkohärenz Bedeutung konstruiert wurde." (ebd.)

Und so funktioniert es: Im Verlauf eines fortschreitenden Textverstehens werden dadurch semantische Inkohärenzen des Textes erfahrbar, "wenn neu hinzukommende Informationen in Widerspruch zum bisher generierten mentalen Modell treten und deren Integration 'nicht auf der Basis eines wörtlichen Textverständnisses" (Nickel-Bacon 2012, S.92) bzw. nur in Anwendung massiver Assimilationshandlungen möglich ist." (Heins 2017, S.211)

Die neue Bedeutungsrichtung bzw. ein neuer Sinn kann sich aber gewöhnlich erst dann ergeben, wenn die vorhandenen Transfersignale gemeinsam in die gleiche Bedeutungsrichtung weisen.

Dementsprechend steht für Zymner (1991, S.93 f.) fest, dass ein implizites Transfermerkmal "nicht ein singuläres Element (wie etwa die expliziten Vergleichsaufforderungen) (ist), sondern ein Komplex gleichgerichteter und Impliziter Textmerkmale eines episch-fiktionalen Textes."

Dabei müssen seiner Ansicht nach diese Textmerkmale deshalb gleichgerichtet sein, weil sie im Zusammenhang und zusammengenommen die Mehrsinnigkeit des Erzähltextes indizieren und dadurch zum Transfer auffordern." (ebd.) Zugleich "(wird) der  Zusammenhang und die Funktion der gleichgerichteten Textelemente (...) durch die fiktionale Triftigkeit und durch gewisse narrative Formationsprinzipien gewährleistet." (ebd.)

Auch wenn die "Entdeckung" der impliziten Transfersignale einer modernen Parabel ermöglicht, "weitgehend vom Text her und ohne inhaltliche und funktionale Festlegungen, die Erzählgattung 'Parabel' schlüssig" (von Heyderbrand 2007, S. 11) von anderen mit expliziten Transfersignalen aufwartenden Kurzformen vergleichenden Erzählens abzugrenzen, gibt es aber gewiss auch Texte, die auch ohne solche expliziten Hinweise auf die Uneigentlichkeit des Dargestellten auskommen. In solchen Fällen werden die Texte in einem allegorischen Verfahren (Allegorese) unter dem Blickwinkel eines neu herangetragenen Kontextes "uneigentlich verstanden und in einem hermeneutischen Akt als Parabel gedeutet" (ebd.), ohne dass sie das Vorhandensein impliziter Transfersignale dazu qualifiziert. 

Das analytische Identifizieren von Stolpersteinen sagt nur wenig über die Sinnkonstruktion in einem anderen Bedeutungszusammenhang aus

Das Stolpern allein, das Registrieren des Stolperns bei der Textverarbeitung und das Identifizieren solcher Transfersignale, sagt natürlich oft recht wenig darüber aus, welche Analogien zwischen dem Bildbereich auf Textebene und dem Sachbereich in einem neuen Bedeutungszusammenhang bestehen.

Sie sind zunächst nicht mehr als Aufforderungen, den Sinn des Textes jenseits der Textebene zu konstruieren, legen aber damit keineswegs fest, dass ein bestimmter Text nur eine, ihm beim jeweiligen Transfer zugewiesene Bedeutung haben kann. Angesichts der prinzipielle Deutungsoffenheit von Parabeln lässt sich mit Transfersignalen also die normative Zuschreibung eines bestimmten Spielraums der Sinnkonstruktion oder zulässiger Lesarten von Parabeln wohl kaum begründen.

"Uneigentlichkeit" ist Texten, die man als Parabeln bezeichnet, nämlich nur in geringem Maße "eingeschrieben". Worauf eine Parabel verweist oder anders ausgedrückt: welche Bedeutung ihr zugesprochen wird, ist also nicht einfach in die Reihenfolge der sprachlichen Zeichen "eingraviert". Und dementsprechend ist die Tatsache, ob man auch erkennt, dass ein solcher Text über sich hinausweist, nicht einfach davon abhängig, wie genau man einen solchen Text liest.

Allerdings macht es aber schon einen Unterschied, ob man einen solchen Text nur überfliegt z. B. ▪ orientierend bzw. ▪ diagonal statt ▪ intensiv, also auch mehrfach liest, weil man beim Überfliegen einfach auch manches überliest.

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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 28.09.2024

 
 

 
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