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Aspekte der Erzähltextanalyse

Halbschlafbilder und traumanaloges Dichten

Franz Kafka, Parabeln

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur
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Dass einem diese Texte "schräg" vorkommen, ist ganz normal ...

Die Bedeutung des Schreibens für Franz Kafka
Kafka als Erzähler

Immer wieder wurde in der Forschung die Nähe der Werke Kafkas zu Träumen betont und seine Dichtung als eine Art Traumdichtung bezeichnet. Dass seine Texte bei zahlreichen Leserinnen und Lesern eine Sogwirkung entfalten, der man sich kaum entziehen kann, wird dabei auf das "nach der Logik des Traumes verfahrendes Komponieren" (Hiebel 2008, S. 457) seiner Texte zurückgeführt, das man als "traumanaloges Dichten" (ebd,) bezeichnen kann, Die Traumlogik seiner Dichtung beruht, knapp pointiert, "wesentlich auf der unbewussten Wirkung bildhafter Verdichtungen". (Stach 2004/42015, S.152)

"Im Leben Kafkas" schreibt Peter-André Alt (2005/22008, S.312), "ist der Schlaf eine unbeherrschbare Macht." In Tagebüchern und Briefen hat Kafka etwa sechzig seiner Träume festgehalten. Ständig quälten ihn Wachzustände zwischen Dämmern und Träumen, die ihm die Kräfte raubten, worüber er sich immer wieder beklagt.. Immer wieder versucht er erfolglos, sein Schreiben und Schlafen eine Balance zueinander zu bringen, und litt unter seiner Schlaflosigkeit. Zugleich war sie aber auch "die Bedingung seiner literarischen Arbeit". Vor allem während seiner auf dem Bett oder Kanapee verbrachten Nachmittage, er arbeitete nur vormittags im Büro, befand er sich oft in einer Art "Trancezustand", in dem sich Wachstadium und Schlaf, Phantasie und Traum in befremdlicher Weise miteinander vermischt hätten. Seine immer wiederkehrende Klageformel dafür: Träumen, ohne zu schlafen. Irgendwie scheint Kafka körperlich ständig unter Spannung zu leben und nicht zur Ruhe zu kommen. (vgl. ebd., S.312f.)

Was er in seinen Tagebüchern über seine Träume festhält, ist ohne Deutung und Kommentar in der Rolle als "Protokollant seines Unbewußten" (ebd., S.314) notiert. Dabei sind, wie Alt betont, "die Grenzen zwischen Erzählversuch, Halbschlafphantasie, «zeichnerische(r) Vorstellung» (T I 230), Tagträumerei und nächtlichem Traum" (ebd.) in diesen Traumnotaten so fließend, dass man sie weder dem einen noch dem anderen zwingend zuordnen kann.

Das Niederschreiben seiner Träume diente Kafka aber auch als eine Übung, die seine kreativen literarischen Ambitionen stützte, denn das Traummaterial zeigte ihm "Möglichkeiten der erzählerischen Bildphantasie und des poetischen Entwurfs im Vorfeld der freien literarischen Erfindung" auf. So konnte Kafka sich beim Niederschreiben seiner Träume in einem quasi geschützten, intimen Bereich mit ihrem Stoff beschäftigen. Was er aus der Niederschrift seiner ‹Halbschlafphantasie› lernte, war, eine Verbindung herzustellen zwischen bewussten und unbewussten Vorstellungsinhalten. Das Einüben des Schreibens auf einem quasi experimentellen Feld konnte damit zu einer direkten Begegnung mit dem Unbewussten erfolgen. Dies wiederum hat ene Bilderserien und Erzählfragmente angestoßen, die in Kafkas Kopf wuchern mussten, ehe er überhaupt mit seiner literarischen Produktion beginnen konnten. Aus ihrer Dynamik entstand die Energie für seine literarische Arbeit, sie wurde quasi zur "Geburtshelferin des Schreibvorgangs" (ebd., S.314) und produzierte mit den Traumnotaten das in zahlreichen Bruchstücken und Entwürfen vorliegende Material, das er später, oft sogar erst Jahre später, poetisch genutzt oder eben für immer verworfen hat. Was bei seiner literarischen Arbeit am Traummaterial herauskam, wenn Kafka fantastische und realistische Elemente miteinander verlüpfte, wurde aber nicht zu einer "Manifestation des Unheimlichen oder Bedrohlichen" (Oschmann 2010, S.438), sondern wurde von ihm "geradezu beiläufig erzählt." (ebd.)

Längst nicht alle der "Halbschlafbilder", die sich Kafka machte, konnte er auch literarisch transkribieren. Und weil dies nicht selten so war, litt er auch immer wieder darunter, als Autor zu versagen, wenn er es wieder einmal nicht schaffte, eine scheinbar noch so starke Imagination literarisch zu verarbeiten. Als Reaktion darauf versuchte er seine Halbschlafbilder noch genauer zu protokollieren, als seien es nächtliche Träume. Dies führte immerhin dazu, dass er so mache Schreibblockade überwinden konnte. (vgl. Alt 2005/22008, S.316)

Immer wieder registriert Kafka, was "sein Gehirn an der Grenze zwischen Schlaf- und Wachzustand hervorbringt".(ebd., S.314) Solche «Halbschlafphantasien», wie sie Kafka am 26. Februar 1922 selbst genannt hat, können, so Alt, einen allerdings durchaus verschlungenen Zugang zu seinen Texten schaffen. (vgl. ebd.)

Wenn man •über das Schreiben Franz Kafkas einen Zugang zu seinem Werk sucht, kann man dies neben der besonderen biografischen Bedeutung des Schreibens  als Quelle seiner "Lebenskraft" (Safranski 2024, S.13) auch über sein "traumanaloges Dichten" tun und einen Text auf dem Hintergrund seines Wissens darüber kontextualisieren. "Uneigentliches Erzählen vorausgesetzt werden seine Parabeln dann zu einer "Darstellung seines 'traumhaften inneren Lebens' (Kafka 1951, 420)" und bringen damit "prärationale und damit auch präverbale Erzählinhalte zum Ausdruck" (Nickel-Bacon 2014, S.94). Was intensive Träume auszeichnet, kennzeichnet auch die Werke Kafkas: "die überscharf gesehenen Details, erschreckende Verschiebungen von Raum und Zeit, unerklärliche Widerstände, vor allem aber das Fehlen von Motiven, Erklärungen, Ursachen. Man erkennt vieles wieder, aber gebrochen, wie durch ein Prisma." (Stach 2004/42015, S.548)

Michael Müller (1993) folgen, wie er in seiner "Vorbemerkung" zu "Franz Kafka.Träume (1993)" betont, Kafkas Texte  einer "Traumlogik" folgen, die auf Bildern beruht, die als "Halbschafphantasien", ehe sie in Vergessenheit geraten, in literarische Formen einer realistischen Darstellungsweise übersetzt werden. Dabei verstehe es Kafka Traumhaftes mit realistischen Mitteln zu erzählen, bei der "seelische Instanzen als die Kristallisation einer psychischen Dynamik eine visuelle Dichte der Darstellung (gewinnen), die nicht über sich hinausweist, sondern ist, was sie repräsentiert." (S.167)

Und doch steht Kafkas private Traumlogik auch für den "Albtraum der Moderne: der gleichsam hinter dem Rücken jedes Einzelnen sich vollziehenden Enteignung seines Lebens. Jeder ist frei. Doch wofür auch immer er sich entscheidet: Er bleibt ein ›Fall‹, für den die passenden Regeln, Maßnahmen, Institutionen längst existieren, und noch seine spontanste, glücklichste Regung verbleibt innerhalb des geschlossenen Horizonts einer durch und durch verwalteten, verplanten Welt." (Stach 2004/42015, S.553)

Rhizom-artige Traumlogik

Das traumanaloge Komponieren, von dem Hiebel (2008, S. 457) spricht, beruhe dabei auf einem spezifischen poetologischen Verfahren, bei dem  sich Bewusst-Denotatives  und Unbewusst-Konnotativesm ständig überlagern, so dass es zu einer "Doppelung von bewusstem und unbewusstem Diskurs" führe.

  • Dabei würden in einem primär assoziativen Verfahren wie im Traum (private wie öffentliche) Ereignisse in Metaphern übersetzt, diese miteinander verschaltet oder verdichtet.

  • Immer wieder würden räumliche und zeitliche Ordnungen umgestellt oder aufgehoben.

  • Zudem würden metonymische Verschiebungen und Entstellungen zum Zweck der Chiffrierung vorgenommen, wenn ihnen Analoges zu Grunde liege.

  • Und am Ende "purzeln die Einzelheiten - freilich nach einer bestimmten Gesetzmäßigkeit, einer Traum-Logik - »rhizom«-artig durcheinander. Semantische und metaphorische Indizien verändern den Sinn der Phänomene von Punkt zu Punkt, so dass wir von einer gleitenden und zugleich paradoxen Metaphorik  sprechen können." (ebd.)

Der Begriff des Rhizoms (griech. ῥίζωμα [rhizoma] = Wurzel) bezeichnet in der Botanik Wurzelgeflechte (Rhizome) von Pflanzen. Davon abgeleitet stellt der Begriff in der Philosophie und Wissenschaftstheorie von »Gilles Deleuze (19925-1995) und »Félix Guattari (1930-1992) eine Metapher für ein »postmodernes beziehungsweise »poststrukturalistisches Modell der »Wissensorganisation und Weltbeschreibung dar, das ältere, durch eine Baum-Metapher dargestellte, »hierarchische Strukturen ersetzt.

Was das bedeutet, kann man sich am leichtesten durch den Vergleich mit dem älteren, herkömmlichen Baum-Modell der Wissensorganisationen verdeutlichen. Darin hat alles seinen festen Platz in Über- und Unterordnungsbeziehungen und diese lassen sich als binäre Verzweigungen abbilden. Zu Ende gedacht steht, wenn sich alles nach dem binären Schema fügt, eins in zwei geteilt und in Dichotomien geordnet ist, ganz oben ein Konzept vom Einen, für manche Gott, für andere eine Art absoluter Geist. Setzt man diesem Konzept das Bild des dicht unter der Erdoberfläche wuchernden Wurzelgeflechts vielfältiger Pflanzen entgehen und überträgt diese Vorstellung auf die Organisation des Wissens, dann wird das Rhizom zu einer Metapher für ein anderes Denken, "das nicht hierarchisch ist, nicht tiefsinnig, nicht dialektisch, sondern schnell, vernetzt, heterogen, aparallel, asymmetrisch, mannigfaltig, vielschichtig - und das 'nicht* schnell hinter sich lässt" (»noolog-Rezension von Deleuze/Guatarri, Rhizom 1973, 6.12.09)

In diesem vielwurzelig angelegten, traumanalogen Dichten Kafkas stehen die unterschiedlichsten Dinge wie bei einem Rhizom miteinander in Verbindung, gehen einmal festere Verbindungen ein, dann nur für eine Weile, oder weichen einander aus, so wie eben ein Rhizom, das "an jeder beliebigen Stelle gebrochen und zerstört werden (kann)" um dann doch "entlang seiner eigen oder anderen Linien" weiterzuwuchern. (Deleuze/Guattari 1977, S. 16)

In der "Traumdichtung" Franz Kafkas "(stehen) Figuren oder Gegenstände (...) nicht mehr stellvertretend für soziale Gruppen oder Phänomene, sondern für innerpsychische Instanzen; Ereignisse und Handlungsabfolgen repräsentieren innere Konflikte. Strukturbildend ist dabei die Konfrontation einer erlebenden Figur mit einer verstören undurchschaubaren Umwelt, die sich als entmutigend bis indifferent, häufig auch strafend erweist." (Nickel-Bacon 2014, S.94f.)

Daraus ergibt sich geradezu zwangsläufig, dass Kafka völlig "unabhängig von der gewählten grammatischen Form" seinen Erzähler das Geschehen nicht in der Außensicht darbieten lässt, sondern "konsequent aus dem Blickwinkel der erlebenden Figur". (ebd., S.95) Wenn man so will, handelt es sich, wenn sie als solche gestaltet ist, nur um eine Art fingierter Außensicht.

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Die Bedeutung des Schreibens für Franz Kafka
Kafka als Erzähler

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 11.10.2024

 
 

 
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