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Aspekte der Erzähltextanalyse

Stereotype Deutungsansätze vs. Analyse von Codes

Franz KafkaParabeln

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur
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Kafka als Erzähler
Überblick
Wissenschaftliche Interpretationsansätze und Lesarten
Überblick
Biografische Deutungen
Psychoanalytische Deutungen
Religiöse und existenzialistische Deutungen
Jüdische Deutungen
Sozialgeschichtliche Deutungen
Poststrukturalistische und dekonstruktivistische Deutungen
Textorientierte und rezeptionsbezogene Deutungen Andere Deutungsansätze
Halbschlafbilder und traumanaloges Dichten

Poetik der Reduktion von Sprache, Erzählhaltung und erzähltechnischen Mitteln
Innovative Erzählweise
Die Figuren Kafkas und ihr Störpotential
Kafkas Tierfiguren

Merkmale von Kafkas Parabeln 
Ausgewählte Zugänge zu Kafkas Parabeln im Literaturunterricht
Überblick
Kognitiv-analytische Zugänge
Überblick
Zugänge über die Person Franz Kafkas
Zugänge über das Schreiben Franz Kafkas
Zugänge über das Gattungswissen
Zugänge über gesellschaftshistorische, rezeptionsgeschichtliche und literaturgeschichtliche Kontexte
Zugänge über das Thema
Zugänge über die Intertextualität
Handlungsorientierte Zugänge
Sonstige Zugänge

Überblick
• Fremdheitserfahrungen thematisieren

Baustein: Einen Zugang zu Kafkas Parabeln finden

Franz Kafkas Texte sind im Allgemeinen schwer zugänglich und bereiten ihren Leser*innen Probleme, sich einen Reim darauf zu machen. Das aber macht einen großen Teil der Faszination aus, die sie auf ihre Leser*innen entfalten können. Dies gilt im Grunde für das gesamte Werk des Autors, aber auch in besonderer Weise für seine Kurzprosa, namentlich seine ▪ Parabeln.

An ihrer Deutung haben sich • zahlreiche literaturwissenschaftliche Schulen immer wieder versucht, und auch wenn, die heute weitgehend unbestritten sein dürfte, dass sie sich in besonderer Weise einer vereindeutigenden Interpretation entziehen, ringen die unterschiedlichen Richtungen der Kafka-Forschung immer wieder um die Deutungshoheit, der sich alle anderen, oft mit dem Hinweis auf die Legitimität vieler unterschiedlicher Lesarten den "neuen Moden", unisono widersetzen.

Trotzdem: Unzählige Literaturwissenschaftler machen sich bis heute immer wieder daran, Kafkas Texten durch Heranziehung unterschiedlicher Kotexte, Kontexte oder Metatexte bislang unbekannte oder vernachlässigte Geheimnisse zu entlocken. Sie suchen letzten Endes nach dem einen "Schlüssel, der als Passepartout alle Einzeltexte erschließen" (Engel 2010, S.419) kann. Und genau das ist das Problem.

Über die Jahre hinweg haben sich eine Reihe von Werkzugängen zu Kafkas Texten im Allgemeinen und zu seinen Parabeln etabliert, die in einer Art friedlicher Koexistenz nebeneinander stehen und jedem, der sich auf die Vielfalt von Interpretationen einlässt, aufzeigt, dass man seine Texte in sehr unterschiedlicher Art und Weise verstehen kann. Wer mit ihnen und ihren jeweiligen Prämissen vertraut ist, wird sie, nachdem sie für etliche Texte auch von namhaften Literaturwissenschaftlern an Beispielen vorexerziert worden sind, entsprechendes Wissen über die sie stützenden Kontexte vorausgesetzt, ohne allzu große Probleme auf einen bestimmten Text anwenden können, zumal sie ja stets "an Aspekte anknüpfen, die in Kafkas Texten nachweisbar eine Rolle spielen." (ebd., S.425)

Das Problem solcher Deutungsansätze bei der Interpretation ist, • kognitionspsychologisch gesprochen, die wissensgeleitete Top-Down-Verarbeitung bei der jeweiligen • Sinnkonstruktion. So weiß im Grunde jeder, der einem bestimmten Deutungsansatz folgt, vor jeder Interpretation, "worauf der Text hinausläuft, hinauslaufen muss – und der Interpretationsakt besteht hauptsächlich darin, einen (mehr oder weniger) plausiblen Bezug zwischen der Textoberfläche und dieser ›Bedeutung‹ herzustellen." (ebd., S.424) So finden die jeweiligen "Parteigänger" in der Regel, was sie suchen und lassen außen vor, was sich ihrem Ansatz nicht fügt. Mitunter feilt man auch so lange an dem Schloss herum, bis der eigene vermeintliche Universalschlüssel letzten Endes passt. (vgl. )

Dies gilt für eine ganze Reihe "stereotype(r) Deutungsvarianten" (ebd., S.361).) wie z. B. den biografischen, psychoanalytischen, sozialgeschichtlichen, religiösen und existenzialistischen, jüdischen oder auch postrukturalistischen Ansatz.

Sie werden heute auch von Künstlicher Intelligenz (KI) auf entsprechende Anfragen (Prompts) hin immer wieder heruntergebetet und sollen wohl dem Verständnis von Kafkas Parabeln auf die Sprünge helfen. Beispiele lassen sich leicht selbst generieren, sind aber auch in den entsprechenden teachSam-Arbeitsbereichen zu verschiedenen ▪ Parabeln Franz Kafkas dokumentiert (z. B. • "Gibs auf!", • "Der neue Advokat".

Hier kann und soll dabei der Erkenntniswert dieser Interpretationsansätze nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden, wohl aber für einen flexiblen Umgang mit ihnen plädiert werden. Es geht in der Praxis der Interpretation ohnehin darum, die Gräben zu überbrücken, die die literaturwissenschaftliche Kafka-Forschung und ihre "Theorieavantgarde" (Engel 2010, S.424) ausgehoben hat, um mehr oder wenige klare Trennlinien zwischen dem eigenen und den "anderen" zu schaffen und sich eine bestimmte Position im Wissenschaftsbetrieb zu erobern und/oder diese zu verteidigen.

Der "Mainstream literaturwissenschaftlicher Interpretationspraxis" (ebd.), wie sie Engel auch in den Kafka-Monographien von Alt (2005/22008) und Jahraus (2006) repräsentiert sieht, habe mit ihrer Deutungspraxis "die Verfahren und Theoreme der Theorieavantgarde (in deutlich abgeschwächter, ›verwässerter‹ Form) in buntem Eklektizismus" (ebd.) immer wieder aufs Neue zu assimilieren, dazu beigetragen, dass Mischformen verschiedener Ansätze m Verhältnis zu lupenreinen Ausprägungen bestimmter Interpretationsschulen heute deutlich überwiegen.

Als einen Ausweg aus der Abgrenzungsproblematik und dem ständig Dissens produzierenden Geltungsanspruch, den die jeweiligen Ansätze erheben, bietet sich allen jenen, die an deren Überwindung interessiert sind, nach Engel (2010, S.414, 434f.) zunächst einmal ein • Lektüremodell an, das "die auf der Textoberfläche dargestellten Konstellationen als eine abstrakte Modellsituation (also quasi ‹wörtlich‹)" nimmt und "(...) sich bei der Deutung darauf (beschränkt), diese mit Hilfe der im Text vorgegebenen Leitbegriffe zu verallgemeinern." (ebd., S.414) Dieses Lesemodell des "absoluten Bildes"  zielt darauf, "einen Mittelweg zwischen ›absoluter Metaphorik‹ und ›Parabolik‹ zu gehen" (ebd.). Ihm geht es nicht primär darum, die absoluten Bilder (bzw. absoluten Metaphern) in Franz Kafkas Texten irgendwie zu transformieren bzw. zu übersetzen, sondern es lässt sie in gewisser Weise als zu verallgemeinernde absolute Metonymien stehen, die nicht mehr von Analogierelationen zwischen Gesagtem und Gemeinten bestimmt werden, sondern durch Kontiguitätsbeziehungen. Das sind "Nachbarschaften" innerhalb eines Bedeutungsfeldes bzw. Sachbereichs als Relation zwischen einem Teil und einem Ganzen, einem Teil und einem anderen Teil, einem Behälter für den Inhalt, einem Ort für eine Person oder ein Ereignis, einer Institution für Angehörige der Institution etc.

Das Lektüremodell des ›absoluten Bildes‹ hat gegenüber dem mit ihm konkurrieren Modell der parabolischen Lektüre für Engel den Vorteil, dass sie nicht zwanghaft "auf eindeutige Auflösbarkeit" bildlicher Rede angelegt ist und sich damit auch von der "Suche nach einer eindeutigen, vom Bild ablösbaren ›Botschaft‹ oder ›Lehre‹" (ebd.) entlastet. Indem das Modell die Textoberfläche, wo wie sie ist, ernst nehme, begreife es auch moderne Literarizität als "Sprechen in Bildern und Geschichten" (ebd.).

Nicht nur aus diesem Grunde werden damit die Vorstellungen der älteren Parabelinterpretation mit ihren metaphorisch, allegorischen Analogieschlüssen bei der Übertragung von einem Bild- in einen Sachbereich hinwegeskamotiert, zumal der • Verweisungszusammenhang von Bild- und Sachbereich bei modernen Parabeln ohnehin in Auflösung begriffen ist oder gar nicht mehr existiert.

Das "Wörtlich-Nehmen" bedeutete hingegen nicht, den Verstehensprozess auf die Inhalte und Strukturen der Textoberfläche zu beschränken, was zu einer trivialisierenden Lektüre mit allzu einfachen handwerklichen Deutungen führen könne (ebd., S.426), sondern den Text als absolute Metonymie zu behandeln, d. h. "als ein Bild-Modell, dessen Deutung sich über eine Verallgemeinerung des Bild-Einfalls ergibt." (ebd.) Bei Kafka ist es, so Engel, hingegen im Allgemeinen ein einzelnes, den Text durchziehendes "zentrales Bild bzw. ein Bildkomplex" (ebd.), das/der den gesamten Text zu einer Art "Makrozeichen" (ebd.) macht. Zudem lässt sich, so Engel weiter, in Kafkas Texten eine "abstrakte Begriffsebene" erkennen, mit deren Hilfe "der Leser als Stellvertreter einer eigentlichen Aussageebene" agieren kann. (ebd.)

Engels • Ansatz einer historisch-hermeneutischen Literaturwissenschaft (ebd., S.425) verzichtet auf der Grundlage seines Lektüremodells darauf, sich auf einen bestimmten Interpretationsansatz festzulegen, der dann mit mehr oder weniger überzeugenden Kotexten und Kontexten unter Vernachlässigung anderer Aspekte durchgezogen wird. Stattdessen greift er bestimmte Textelemente auf –  er bezeichnet sie als Codes –,  die Kafkas Texte einzeltextübergreifend kennzeichnen und auch in den verschiedenen gängigen Interpretationsansätzen eine tragende Rolle spielen.

Engel unterscheidet sechs solcher Codes, die in den einzelnen Texten in verschiedener Weise z. b. als dominierend oder nicht, auftreten können:


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Statt den einer dieser Codes, wie es die gängigen Interpretationsansätze zu tun pflegen, zu einer Art "Supercode" zu erklären, geht es in Engels Lektüremodell darum, die auf der Textoberfläche erkennbaren Hierarchien der in einem Text vorhandenen Codes zu erfassen, Dominanzen zu beschreiben und davon ausgehend Entscheidungen darüber zu treffen, "wie die textspezifischen Codes und ihre textspezifische Relation im Einzelnen zu deuten ist." (ebd., S.426) Auf diese Art und Weise werde das Interpretationsspektrum  und damit die Anzahl miteinander konkurrierender Deutungen eingeschränkt und die Interpretation enger an den jeweiligen Einzeltext gebunden. Wie man sich eine derartige Textanalyse und -interpretation am Beispiel eines Einzeltextes  vorstellen kann, hat Engel (ebd., S.425) am Beispiel von Franz Kafkas Erzählung • "Das Urteil (1913)" dargestellt.

Für die • Literaturdidaktik kann das von Engel entwickelte Lektüremodell große Relevanz beanspruchen, weil bei • modernen Parabeln, bei denen der enge • Verweisungszusammenhang von Bild- und Sachbereich weitgehend aufgelöst ist, eben nicht mehr als Brücke der • Sinnkonstruktion dienen kann. Die Schülerinnen und Schüler werden jedenfalls damit nicht durch die Vorgabe von stereotypen Deutungsansätzen auf eine von vornherein äußerst eingegrenzte Spurensuche geschickt, bei der sie, im Sinne einer "Nachweisdidaktik",  "nur" suchen und finden sollen, was man schon vorher weiß und dabei ausblendet, was links und rechts des vorgezeichneten Interpretationspfades liegt. Das Modell bietet dabei, hier nur anzudeutende Übergänge zur • Prototypendidaktik (vgl. u. a. Spinner 2006, Köster 2015), die bildliches Denken und das Finden von selbst generierten Ähnlichkeiten mit all ihren dabei auftretenden Unschärfen in den Mittelpunkt rückt.

  

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Baustein: Einen Zugang zu Kafkas Parabeln finden

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 02.02.2025

 
 

 
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