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Bausteine

Einen Zugang zu Kafkas Parabeln finden

Franz Kafka, Parabeln

 
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Dass einem diese Texte "schräg" vorkommen, ist ganz normal ...
Einen Zugang zu Kafkas Parabeln finden

Wer zum ersten Mal mit den kurzen Erzählungen Franz Kafkas, insbesondere seinen Parabeln in Berührung bekommt, tut sich oft nicht leicht. Kein Wunder, sind doch solche Texte wirklich eine schwere Kost, die einem eine Menge abverlangen.

Oft spüren wir ganz schnell heraus, dass das Gelesene einfach so gar nicht zu dem passt , was wir bis dahin gewohnt sind. Da es uns sonst im Prinzip nicht so schwer fällt, uns einen Reim auf das Gelesene zu machen, finden wir so gar keinen Schlüssel dafür, der uns den Weg zu einem Textverständnis eröffnen könnte. Das alles ist "normal" und passiert immer wieder.

Wenn wir einen Text einfach nicht verstehen, werden wir oft ungeduldig. Wir ärgern uns darüber und schieben das Ganze auf den "blöden" Text, der uns so ins Leere hat laufen lassen. Meistens haben wir dann auch keine Lust mehr, uns auf diesen Text weiter einzulassen. – Auch das ist absolut verständlich. Die von solchen Erfahrungen ausgelöste »kognitive Dissonanz, d. h. die Erfahrung, dass das, was man gelesen hat, sich einfach nicht so (kognitiv) verarbeiten lässt, wie man das gewohnt ist, kann man nämlich nicht so leicht beiseite schieben.

Es ist also schon eine Kraftanstrengung, wenn man trotz dieser Unlustgefühle weiter am eigenen Textverständnis arbeiten will oder soll. Wer diese Unlustgefühle überwinden will, muss sich aktiv damit auseinandersetzen. Der wichtigste Weg ist, darüber nachzudenken, warum das so ist und nicht anders.

Macht man das, können die Unlustgefühle auch Ausgangspunkt einer interessanten Spurensuche werden. Wer sich nämlich selbstbewusst auf die Reflexion des eigenen Textverstehens und den Text, der seinen Sinn so gar nicht preisgeben will, einlässt, kann ein spannendes wie auch äußerst lohnenswertes "Abenteuer" erleben, das einem am Ende viel über sich selbst und über den Text, an dem man sich "gerieben" hat, sagen kann.

Kafkas Parabeln kommen den meisten Leserinnen und Lesern fremd vor

Moderne Parabeln wie die Parabeln Franz Kafkas kommen also vielen Leserinnen und Lesern  zunächst einmal unverständlich oder zumindest eigenartig vor. Und die negative Weltsicht, die meist aus ihnen spricht, wirkt oft verstörend.


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Die Spurensuche kann damit beginnen herauszufinden, was und warum einem der Text so fremd vorkommt.

Vielleicht reicht es aus, dass man bestehende Wissenslücken schließen muss. So gibt es vielleicht Wörter, die man nicht kennt, oder man weiß nicht hinreichend über die Orte Bescheid, an denen das Erzählte spielt. Genauso kann es sein, dass man mehr über bestimmte historische Umstände wissen sollte, oder Genaueres über die Namen von Figuren. Um diese Lücken zu schließen, kann man im Internet recherchieren oder auch die Hilfe Künstlicher Intelligenz heranziehen.

Die Orte, die in Kafkas Parabeln vorkommen, verweisen allerdings gewöhnlich nicht auf Orte in der außertextlichen Realität. Sie sind nur topographisch und, wie die Zeitangaben auch, symbolisch bzw. allegorisch zu verstehen.

Oft liegt es aber nicht an den beschriebenen Wissenslücken, dass uns Kafkas Texte so fremd erscheinen und uns, wie viele andere ▪ moderne Parabeln auch, schon mal auf der Geschichte sitzen lassen. Das liegt dann daran, dass sie uns ▪ strukturell fremd sind. Damit soll gesagt werden, dass die (fiktionale) Wirklichkeit, die sie darbieten, sich von der Wirklichkeit, in der wir leben, grundlegend unterscheiden. Das geht so weit, dass wir sie mit unseren eigenen Schemata der Wahrnehmung, des Fühlens und (sozialen) Handelns nicht mehr ohne Weiteres verstehen können. Texte, die eine strukturelle Fremdheit erzeugen, bringen uns, wenn man so will, an die Grenzen unseres Wissens und Könnens.

Um bei der  Spurensuche voranzukommen, kann man zusätzliche Informationen über den Text, den Autor, die Umstände der Textentstehung etc. recherchieren.  Dadurch wird Text wird, wie man sagt, kontextualisiert.

Komplizierter ist es allerdings, wenn einem das, was man liest bzw. gelesen hat, so ▪ radikal fremd erscheint, dass nicht nur die gewohnten Lese- und Verständnisroutinen versagen. Ist der Text radikal fremd, dann kann man sich zunächst überhaupt nicht vorstellen, wo man überhaupt einen Schlüssel zu der in dem Text dargebotenen Wirklichkeit finden kann oder wie dieser Schlüssel aussehen könnte. Im Grunde tappt man dann ziemlich im Dunkeln. Was dann über den Horizont unseres Wissens und unserer Lebenserfahrungen geht, können bestimmte Themen oder Motive sein. So kann es sein, dass Grenzerfahrungen im Bereich der Sexualität, physische oder psychische Gewalt, Halluzinationen jeder Art und jeden Ursprungs, Tod oder sonstige über die eigene Vorstellungskraft oder das eigene Erleben hinausgehende Inhalte und Stoffe in den Handlungen der Figuren versinnbildlicht werden, die einem in einer Weise fremd sind, dass man mit ihnen (fast) nicht mehr umgehen kann.

Dieses "Nichtfassbare, Nicht-Interpretierbare" (Leskovec 2010, S. 242) das auch immer wieder in Kafkas Parabeln und seinen anderen Texten spürbar ist, kann unsere eigenen Sinnhorizonte also durchaus sprengen. Wenn manche Texte Kafkas so daherkommen oder von uns so gelesen werden, verhindern sie, dass wir uns auf einen eindeutigen Sinn festlegen. Ihr "schräger Blick auf die Welt" (ebd.) signalisiert dann letzten Endes nur, dass dort genauso wenig sinnstiftende Mechanismen und Ordnungssysteme wirken wie bei der Bedeutungskonstruktion auf der Textebene selbst.

Zugänge über die Kontextualisierung schaffen

Indem man zusätzliche Informationen recherchiert oder vorhandene Informationen heranzieht, kann man über die so genannte Kontextualisierung • strukturelle Fremdheitserfahrungen überwinden. Hier werden einige der in der Schule üblichen Zugänge im Überblick dargestellt.

Dabei ist freilich klar, dass der individuelle konstruktive Akt des Textverstehens kognitiv auf vielfältigen Strukturen und mentalen Modellen wie z. B. allgemeines Weltwissen, Fachwissen, Sprachwissen, Textsortenwissen, Textstrukturwissen etc. gründet, die hier nicht vollständig dargestellt werden können. Dass letzten Endes textexterne Faktoren wie z. B. Kontexte die Rezeption eines Textes ebenso prägen wie textinterne Faktoren liegt dabei in der Natur aller Verstehensprozesse.

Ziel aller diese Zugänge sollte sein, sich auf die Suche nach jenen Elementen des Textes zu machen, die sich für die analoge Übertragung vom Bildbereich in den Sachbereich eignen. Die Suchbewegung richtet sich damit darauf, den eigentlichen Sinn von verrätselten Parabeln Franz Kafkas nicht auf der Textebene, sondern im Bezug auf Außertextliches zu suchen.

Um den Text zu kontextualisieren, muss man über entsprechendes Vorwissen verfügen oder die Informationen dazu im Zuge der Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Text recherchieren und auswerten. Manchmal werden die erforderlichen Kontexte bereitgestellt, besser ist es jedoch, wenn man als Schüler bzw. Schülerin auf der Grundlage eigener Kenntnisse und Erfahrungen selbst darüber entscheiden, welcher Kontext einem beim weiteren Textverstehen am besten weiterhelfen kann.

Zugänge über das Gattungswissen

Gewöhnlich gehen wir, auch wenn wir in der Sekundarstufe erstmals auf Kafkas Parabeln treffen, nicht vollkommen unbedarft damit um. Immerhin haben wir dann schon im Privaten und schulischen Leben  eine Menge Erfahrung im Umgang mit literarischen Texten gesammelt. Dabei spielen insbesondere Vorstellungen von Themen, Inhalten und Strukturen ▪ literarischer Gattungen eine besonders wichtige Rolle, die wir im Laufe unserer ▪ Lesesozialisation erwerben.

Gewöhnlich hat man dann schon eine Reihe von ▪ Fabeln, ▪ Gleichnissen, ▪ traditionellen Parabeln und ▪ Kurzgeschichten gelesen und sich gegebenenfalls mit ihren Gattungs- bzw. Textsortenmerkmalen im schulischen Literaturunterricht vertraut gemacht. Wahrscheinlich ist dabei auch eine Vorstellung über die "Uneigentlichkeit" entstanden, welche die genannten Textsorten außer den Kurzgeschichten kennzeichnen Damit ist gemeint, dass es Texte wie die Parabel, die • Fabel oder die Allegorie gibt, als Ganze signalisieren, dass etwas anderes gemeint ist als das was der Buchstabensinn hergibt,

Kann ein Text Kafkas mit dem Gattungswissen, dass es sich um eine ▪ moderne Parabel handelt, analysiert werden, kann man deren ▪ Merkmale, Themen, ▪ Kennzeichen der Erzähler-Leser-Kommunikation und andere Besonderheiten, wie z. B. die typische Auflösung eines Bedeutungszusammenhangs von Bild- und Sachbereich bei der weiteren Textarbeit in den Prozess des Textverstehens einfließen lassen und dadurch u. U. einen Schlüssel für den zunächst fremd wirkenden Text finden.

Zugänge über das Thema und/oder zentrale Motive

Thematische Zugänge bzw. Zugänge über bestimmte • Motive, die an die ▪ Themen moderner Parabelnl im Allgemeinen oder an die Themen anschließen, die Kafkas Parabeln von unterschiedlichen Interpreten zugeschrieben werden, sind per se sehr vielfältig. Diese Texte thematisch zu kontextualisieren, ist nicht nur legitim, sondern auch ein oft sehr geeignetes Verfahren um Zugänge zu Texten wie den Parabeln von Franz Kafka zu schaffen.

Ausgangspunkt der Spurensuche kann dabei die These sein, dass moderne Parabeln die Wirklichkeit hinterfragen und die existenzielle Lage des modernen Menschen und seine  "kosmologische Obdachlosigkeit" (Yun Mi Kim 2012, S.22) ans Licht bringen. Der Mensch, der gezeigt wird, sucht sich selbst, wo und wie er auch immer nach dem Sinn von Welt sucht. Moderne Parabeln stellen den Menschen in seiner Orientierungslosigkeit aus, der zwar stets unterwegs ist, aber nie und nimmer sein Ziel, in einer widersprüchlichen und in Auflösung befindlichen Welt findet.

Zugänge über die Person Franz Kafkas

Zu den Kontexten, über die sich Schülerinnen und Schüler oft Zugang zu den verrätselten Parabeln Franz Kafkas verschaffen gehört vor allem der biografische Kontext, der sich bei manchen seiner Parabeln, wie z. b. ▪ »Heimkehr« oder »Gibs auf« geradezu aufdrängt, wenn der Leser oder die Leserin über das dafür nötige biografische Kontextwissen verfügt oder es im Zuge seines Textverstehensprozesses recherchiert.

Insbesondere Franz Kafkas Verhältnis zu seinem Vater aber auch seine innere Zerrissenheit liefern dabei Ansätze, mit denen sich Zugänge zum weiteren Verstehen des Textes eröffnen. Allerdings darf man daraus nicht den Schluss ziehen, dass man das, was der Autor vermeintlich "sagen" will, so in den Text eingeschrieben ist, dass dessen Sinn dadurch zweifelsfrei sichtbar wird. Ein vermeintlich "objektiver" Sinn seiner Parabeln enthüllt sich nämlich auch damit nicht.

Die Beschäftigung mit dem Autor Franz Kafka, seiner ▪ Biographie im Allgemeinen, aber auch mit seinem Verhältnis zu seinem Vater (▪ Brief an den Vater) macht bei bestimmten Texten durchaus Sinn, ist aber keine "Allzweckwaffe" der schulischen Textinterpretation, die immer und überall passt oder passend gemacht werden kann oder sollte.

Zugänge über das Schreiben Kafkas

Wer mit der modernen Kafka-Interpretation vertraut ist, kann seinen Zugang auch dadurch kontextualisieren, dass er seine Parabeln als "Darstellung seines 'traumhaften inneren Lebens' (Kafka 1951, 420)" sieht, das Unbewusstes zur Sprache bringt. Das zieht nach sich, dass der Erzähler das Geschehen nicht in der Außensicht darbietet, sondern prinzipiell aus der Optik bzw. dem Blickwinkel der erlebenden Figur ganz gleich, welche grammatische Form der Erzähler verwendet.

Bei diesem Zugang stehen die Figuren oder Gegenstände der Geschichten Franz Kafkas nicht mehr für bestimmte soziale Gruppen oder Erscheinungen. Stattdessen sollen sie innerpsychische Instanzen darstellen. Ereignisse und Handlungsabfolgen, die erzählt werden, stehen dann für innere Konflikte. Häufig sieht sich dabei eine erlebende Figur mit einer ganz und gar verstörenden, undurchschaubaren in jedem Fall seiner Kontrolle entzogenen Welt konfrontiert. Diese nimmt ihr jede Hoffnung, etwas verändern zu können, zeigt ihr und ihrer Situation die kalte Schulter und tritt nicht selten als strafende Instanz in Erscheinung für Vorkommnisse, die in der textexternen Realität in keiner Weise verfolgt würden.

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 26.09.2024

     

   Arbeitsanregung
  1. Arbeiten Sie die Unterschiede bei den dargestellten Zugängen zu den Parabeln Franz Kafkas heraus.

  2. Welche der Zugänge passt am ehesten dazu, wie Sie gewöhnlich selbst vorgehen?

  3. Welche der dargestellten Zugänge könnten Sie sich darüber hinaus vorstellen?

 

 

 
 

 
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