Walther Ziegler
(2021, S. 7) hat die Wirkung, die Kafkas Texte auf viele seiner
Leserinnen und Leser bis heute hat, so zusammengefasst: "Kafka ist
Schriftsteller und Geschichtenerzähler, aber seine Geschichten sind weitaus
mehr als nur spannende Unterhaltung. Sie setzen etwas in Gang. Bei aller
Vielfalt kreisen sie meist um denselben Kern. Sie ziehen uns in den Strudel
unserer eigenen Träume, Stimmungen und Ängste. Jeder, der sich auf Kafkas
Schriften einlässt, begegnet am Ende sich selbst und wird, ob er will oder
nicht, mit der Zerbrechlichkeit seines eigenen Lebens konfrontiert. Kafka
zeigt uns das Ausgeliefertsein an Mächte, die wir kaum oder gar nicht
kontrollieren können. Er lässt uns die ganze Dimension der Ungeborgenheit
unseres Daseins spüren und entführt uns in Räume, die wir normalerweise
nicht betreten oder betreten wollen."
De Bedeutung, die • Franz Kafkas Werke für die
moderne Literatur ausmachen u. a. auf folgende Punkte zurückzuführen:
-
Originelle
Grundeinfälle: Kafka
konfrontiert den Leser mit absurden, surrealen Situationen, die jedoch
völlig selbstverständlich dargestellt werden. Beispiele sind die
unerklärliche Verhaftung in "Der Prozess" und die Verwandlung in ein
Ungeziefer in "Die Verwandlung". Diese ungewöhnlichen Ausgangspunkte
eröffnen einen Raum für vielschichtige Interpretationen und regen zum
Nachdenken über existenzielle Fragen an.
-
Vermischung von
Phantastischem und Realistischem: Anders
als bei »E.T.A.
Hoffmann (1776-1822), der mit seinen Novellen und Erzählungen an die
»Gespenstergeschichten
des 18. Jahrhunderts anknüpfte und in verschiedenen Erzählungen Motive
der so genannten »"Schwarzen
Romantik" wie z. B. das »Unheimliche,
Dämonische, Abgründige in der menschlichen Psyche bis hin zum »Wahnsinn,
»Erotik und Gewalt
sowie der »Tod
verarbeitete und damit das Phantastische oft mit dem Unheimlichen
verknüpft, wird es bei Kafka als normaler Bestandteil der Realität
präsentiert. Indem er surreale Elemente nahtlos in die Alltagswelt
integriert, entsteht eine beunruhigende Normalität, die den Leser
verstört und zugleich fasziniert.
-
Fehlen von
Erklärungen und Kommentaren: Die
Figuren in Kafkas Erzählungen akzeptieren das Absurde, ohne es zu
hinterfragen. Sie reagieren auf die absurden Situationen mit einer
erstaunlichen Gelassenheit und konzentrieren sich auf die praktische
Bewältigung der daraus resultierenden Probleme. Dies erzeugt oftmals
eine Verfremdung und Irritation beim Leser, löst »kognitive
Dissonanzen aus und
• strukturelle oder
r•adikale Fremdheitserfahrungen, die überwunden werden müssen.
-
Verunsicherung
des Lesers: Kafkas Texte kann man nicht wörtlich verstehen, das erkennt nahezu jeder.
Man muss ihren "eigentlichen" Sinn hinter dem Gesagten suchen. Aber genau
das machen seine Texte so schwer, weil sie jeden Deutungsversuch auf ihre
Art und Weise sabotieren oder zumindest sehr schwer machen. (vgl.
Engel 2010,
S.411) Kafkas Erzählweise, die auf Erklärungen und Deutungen
verzichtet und geprägt ist von Ambivalenz, offenen Enden und einer
distanzierten Perspektive lässt den Leser oft im Unklaren über die
Bedeutung des Geschehens. Diese Verunsicherung kann aber auch, wenn sie
als Anlass einer Spurensuche nach dem Sinn seiner Geschichten genommen
wird, zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den Texten anregen.
Jahraus (2006, S.13f.) sieht nicht zuletzt darin die "paradoxe
Ambivalenz" seiner Texte: "Sie provozieren ihre Leser ungemein zu
Interpretationen, und das um so mehr, je mehr sie im selben Moment genau
diese Interpretation verweigern." Zugleich zieht er daraus den Schluss, dass
Kafkas Werk als "paradigmatische Literatur" verstanden werden muss,
die gerade durch diese paradoxe Ambivalenz verdeutlicht, was Literatur
überhaupt ist und damit "Kafkas Literatur zu Literatur schlechthin werden
lässt."
-
Gattungstheoretische Einordnung: Kafkas
Werke lassen sich in die Nähe der »Groteske
und des »(Kunst-)Märchens
einordnen, wobei Begriffe wie "Märchen für Dialektiker" (Benjamin
1934, S. 415) oder "Antimärchen" (Heselhaus
1952, S. 356) die Spannung und Widersprüchlichkeit seiner Texte
verdeutlichen. (vgl.
Oschmann 2010, S.438)
Kafkas besondere Art zu erzählen, "(gibt) jenen für die Moderne typischen,
aus der funktionalen Ausdifferenzierung und lebensweltlichen Pluralisierung
erwachsenden Orientierungsdruck weiter." (Oschmann
2010, S.439)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
03.02.2025
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