teachSam- Arbeitsbereiche:
Arbeitstechniken - Deutsch - Geschichte - Politik - Pädagogik - PsychologieMedien - Methodik und Didaktik - Projekte - So navigiert man auf teachSam - So sucht man auf teachSam - teachSam braucht Werbung


deu.jpg (1524 Byte)

 

Wissenschaftliche Interpretationsansätze und Lesarten

Religiöse und existenzialistische Deutungen

Franz Kafka (1883-1924)Kafka als Erzähler

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur
Autorinnen und Autoren Franz Kafka Überblick Biografie Brief an den Vater   Kafka als Erzähler Überblick [ Wissenschaftliche Interpretationsansätze und Lesarten Überblick Biografische DeutungenPsychoanalytische Deutungen Religiöse und existenzialistische Deutungen Jüdische Deutungen Sozialgeschichtliche Deutungen Poststrukturalistische und dekonstruktivistische Deutungen Textorientierte und rezeptionsbezogene Deutungen Andere Deutungsansätze ] Anti-realistische Erzählweise Halbschlafbilder und traumanaloges Dichten Poetik der Reduktion von Sprache, Erzählhaltung und erzähltechnischen Mitteln Innovative Erzählweise Die Figuren Franz Kafkas und ihr Störpotential Kafkas Tierfiguren Kurze Erzählungen (Epische Kleinformen) Längere Erzählungen Romane und Romanfragmente Links ins Internet Schulische Interpretation einer Parabel Schreibformen Operatoren im Fach Deutsch
 

  

Bild- und Sachbereich: Von der traditionellen zur modernen Parabel

Moderne Parabel
Quickie: So interpretiert man eine moderne Parabel
Überblick
Allgemeine Merkmale
Themen
Erzähler und Leser
Implizite Transfersignale
Bild- und Sachbereich in Auflösung
Textauswahl
Bausteine

Kafka als Erzähler
Überblick
Wissenschaftliche Interpretationsansätze und Lesarten »
Halbschlafbilder und traumanaloges Dichten

Poetik der Reduktion von Sprache, Erzählhaltung und erzähltechnischen Mitteln
Innovative Erzählweise
Die Figuren Kafkas und ihr Störpotential
Kafkas Tierfiguren

Merkmale von Kafkas Parabeln 
Ausgewählte Zugänge zu Kafkas Parabeln im Literaturunterricht
Überblick
Kognitiv-analytische Zugänge
Überblick
Zugänge über die Person Franz Kafkas
Zugänge über das Schreiben Franz Kafkas
Zugänge über das Gattungswissen
Zugänge über gesellschaftshistorische, rezeptionsgeschichtliche und literaturgeschichtliche Kontexte
Zugänge über das Thema
Zugänge über die Intertextualität
Handlungsorientierte Zugänge
Sonstige Zugänge

Überblick
• Fremdheitserfahrungen thematisieren

Baustein: Einen Zugang zu Kafkas Parabeln finden

Stereotype Deutungsansätze vs. Analyse von Codes

Baustein: Einen Zugang zu Kafkas Parabeln finden:
Dass einem diese Texte "schräg" vorkommen, ist ganz normal ...

Dass Kafkas Werke "mit religiösen Themen wie Schuld, Gnade, Gericht, Urteil und Erlösung" (Andringa 2008, S.326), konnotiert worden ist, liegt zunächst einmal an seinem Freund und Herausgeber seines Nachlasses, »Max Brod (1884-1964). Dieser sah in Kafka nämlich eine religiösen Menschen, einen "Erneuerer der altjüdischen Religiosität" (Brod 1974, S. 279) und beeinflusste mit Äußerungen in seinem Nachwort zu Kafkas zu dem fragmentarischen Roman "Das Schloss", wonach die darin vorkommenden rätselhaft wirkenden Instanzen ›Gericht‹ und ›Schloss‹ für ›Erscheinungsformen Gottes‹ und zwar im Sinne der kabbalistischen Lehre stehen. (vgl. Brod 1973 (1926), S.41, vgl. Engel 2010, S.422) Kabbala ist, wie auf der Internetseite • "Jüdische Info" zu lesen ist "die erhaltene Weisheit, die angeborene Theologie und Kosmologie des Judentums". Der jüdische Kabbalismus, auch »»Kabbala genannt, ist eine mystische und spirituelle Tradition des Judentums. Sie beschäftigt sich mit der inneren Dimension der Tora, der hebräischen Bibel, und dem Verhältnis zwischen Gott, dem Universum und der menschlichen Seele.


Für größere (740px) und große Ansicht (1200px) bitte an*klicken*tippen!

Mit seiner allegorischen Auslegung bestimmte Max Brod in entscheidender Weise mit, dass der religiöse Ansatz über Jahre hinweg Richtschnur für viele andere Interpreten wurde, die mit solchen Allegoresen, auch wenn sie noch so weit hergeholt waren, mehr oder weniger eindeutige Antworten auf Fragen finden wollten und gaben, die von den rätselhaft und fremd wirkenden Texten Franz Kafkas aufgeworfen wurden. (vgl. Müller 2008a, S.528)

Der existenzialistische Interpretationsansatz hat bis in die 1950er Jahre die wissenschaftliche Kafka-Interpretation maßgeblich geprägt, ist aber, wie Manfred Engel (2010, S.422) betont, "heute (...) gründlich aus der Mode gekommen." Dies betrifft aber wohl vor allem seine christlich-religiöse Variante.

Grundsätzlich ist der »Existenzialismus eine der wichtigsten und einflussreichsten philosophischen Strömungen des 20. Jahrhunderts. Vereinfacht und pointiert gesagt, versteht man heute unter Existenzialismus vor allem eine atheistische, nicht deterministische Sicht auf das menschliche Dasein, die ihm auf der einen Seite eine grundsätzliche, zwangsläufige und alternativlose Freiheit der Daseinsgestaltung zuspricht, aber auf der anderen Seite auch die Verantwortung aufbürdet, die Gesamtheit seiner Entscheidungen und Handlungen selbst zu verantworten und seinem a priori sinnlosen Leben einen Sinn zu geben.

Im Allgemeinen werden religiöse und existenzialistische Ansätze aufgrund der Tatsache, dass sie von ähnlichen Prämissen ausgehen und die Sinnsuche in einer sinnlos erscheinenden Welt zum wesentlichen Problem der Daseinsbewältigung machen, gemeinsam betrachtet. Dafür sprechen sicher etliche Gründe, aber auch manches dagegen. Was sie grundlegend voneinander unterscheidet, ist ihr Verständnis des menschlichen Daseins und die Richtung, die sie diesem geben wollen.

Während religiöse, christlich-existenzialistische Ansätze den Menschen auffordern, ihr Schicksal  in die Hände Gottes zu legen, religiösen Normen zu folgen und sich in einem Leben mit einem eindeutigen »eschatologischen Daseinsbezug einzurichten, entlässt der atheistisch fundierte Existenzialismus den Menschen in die volle und ganze Verantwortung für sein Handeln und bürdet ihm allein die Suche nach und das Finden von Sinn in einer durch keine andere Instanz irgendwie sinnhaft gemachten Welt auf.

Der christliche Existenzialismus

Der christliche Existenzialismus glaubt, dass der Mensch im Universum grundsätzlich verloren ist und diesen Zustand nur dadurch beenden kann, wenn er im Glauben an Gott einen Sinn des Daseins finden kann. Sich stattdessen im Glauben auf Antworten auf diese Frage immer mehr und immer weiter um Erkenntnis zu bemühen, verbaut ihm genau diese fundamentale Einsicht in die Grundbedingungen seiner Existenz. (z. B. »Blaise Pascal 1623-1662).

Ausgehend von solchen Überlegungen stützten christlich-existenzialistischen Deutungen der Werke Kafkas immer wieder rein religiösen Perspektiven und unterzogen Kafkas Texte oft einer sehr vereindeutigenden allegorisierenden Interpretation unterzogen. Allerdings steuerten sie damit aber auch den religiösen Ansatz allmählich ins Abseits, da eine derart verengende Sicht im literaturwissenschaftlichen Diskurs gerade auch für Franz Kafka mehr und mehr als unangemessen erschien.

Der atheistische Existenzialismus

In seinem "moderneren" Gewand ist der Existenzialismus hingegen atheistisch. Diese Richtung wird vor allem von den Philosophien »Martin Heideggers (1889-1976), »Jean-Paul Sartres (1905-1980) und »Maurice Merlau-Pontys (1908-1961) begründet.

So glaubt »Jean-Paul Sartres (1905-1980) nicht daran, dass sich die existenziell prekäre Lage des Menschen, der einfach in die Welt "geworfen" ist, durch die Ausrichtung auf ein von der subjektiven Erkenntnisfähigkeit und dem individuellen Handeln des Menschen unabhängiges, absolut gesetztes Prinzip, durch eine höhere Macht  oder durch eine vorgegebene "Wahrheit" oder Moral verändern lässt.

Stattdessen müsse sich der Mensch als einzigartiges Subjekt seine eigene Bedeutung und seine Werte in der Welt schaffen. Daher müsse der Mensch auch danach streben, ein authentisches Leben zu führen, das auf der Akzeptanz der Tatsache beruhe, dass er letzten Endes "zur Freiheit verdammt" sei, darüber zu entscheiden, was ihm als Sinn seines Daseins Orientierung geben soll.

Die Kehrseite dieser prinzipiellen Wahlfreiheit, die dem Menschen aber auch die volle Verantwortung für seine Entscheidungen und Handeln aufbürdet, ist aber auch die Angst, die den Menschen dabei als Existenzangst begleitet.

Der (authentische) Mensch lebt nämlich unter dieser Perspektive im Bewusstsein dafür, dass alles, was er denkt, fühlt und tut, immer nur etwas Vorläufiges, ein bloßer (Lebens-)Entwurf sein kann.

Die davon erzeugte "Ungewißheit seiner Existenz" ist dabei, wie Traugott König (21995, S. 776) betont, "Ursache für das grundlegende Gefühl der ›Verlassenheit‹, der ›Angst‹." Der Mensch ist, das ist die Quintessenz des atheistischen Existenzialismus für immer ›zur Freiheit verurteilt›, sich seine Welt zu entwerfen und Entscheidungen darüber zu fällen, wie er in seiner Welt zu leben gedenkt. Erkennt er dies, so fährt, König fort, "befindet er sich im Zustand der ›Authentizität‹."

Die atheistische, existenzphilosophisch fundierte Perspektive auf Kafkas Werke hat heute im Vergleich zu der Zeit bis etwa 1970 zwar in der Literaturwissenschaft etwas an Bedeutung verloren, ist aber bis heute, insbesondere als Interpretationsansatz in der Schule, immer noch stark vertreten.

Die in diesem Zusammenhang immer wieder betonte "kosmologische Obdachlosigkeit" (Yun Mi Kim 2012, S.22) des "modernen" Menschen, die auf unterschiedliche historische und gesellschaftliche Prozesse zurückgeführt werden kann, ist auch heute noch ein zentraler Begriff dieses Diskurses.

  • Er verweist auf die prinzipielle Unsicherheit menschlicher Existenz und die Fragen, die diese aufwirft, ohne dafür gesellschaftliche oder individuell verbindliche Antworten zu liefern.

  • Er unterstreicht, dass das, was früher jedenfalls einfach geglaubt wurde, um dem Leben einen Sinn zu geben, heute in den modernen westlichen Gesellschaften kaum oder nur noch eine geringe Geltung hat.

  • Er macht deutlich, dass die  Prinzipien und Normen, nach denen gehandelt und/oder das Leben eingerichtet wurde und damit die  Art und Weise, wie  gesellschaftlicher Zusammenhalt geschaffen wurde, heute zusehend erodieren, ohne dass diese "Sinnreservoire" mit neuen, irgendwie gesellschaftliche Verbindlichkeit schaffenden Inhalten wieder aufgefüllt wurden.

So nimmt der existenzialistische Ansatz auch weiterhin auf jene Kontexte Bezug, die ihm die Möglichkeit eröffnen, seine besondere Auslegungsstrategie zu rechtfertigen und auf seine Weise plausible "sinnvolle" Lesarten für die Texte Kafkas zu ermöglichen.

Eine zeitgemäße (aktualisierende) existenzialistische Deutungsperspektive

In der entzauberten Welt der säkularisierten Moderne haben sich die Bezugspunkte einer zeitgemäßen, zugegebenermaßen aktualisierenden existenzialistischen Deutung verändert.

Heutzutage sind es nämlich nicht mehr die historischen Veränderungen und Verwerfungen, die mit der Säkularisierung menschlichen Daseins zu tun haben, sondern gesellschaftliche Prozesse und Veränderungen, die im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Prozessen der • Individualisierung und der • Singularisierung zu sehen sind.

In Metaprozessen wie der ▪ Individualisierung, der Globalisierung, Kommerzialisierung, Mediatisierung sowie der "Singularisierung" (Reckwitz 2017/2019) wurden werden die lange vorhandenen "kollektiven oder gruppenspezifischen Sinnreservoire" verbraucht. (vgl. ▪ Ulrich Beck 1993). Einfach gesagt: Was früher geglaubt, nach welchen Prinzipien gehandelt oder wie das Leben eingerichtet wurde und auf welche Weise gesellschaftlicher Zusammenhalt geschaffen wurde, ist zusehend erodiert.

In den hochdifferenzierten pluralistischen Gesellschaften, in denen wir leben, gibt es heute kein gemeinsames weltanschauliches globales Dach mehr (Stichworte: Enttraditionalisierung, Globalisierung und Individualisierung), das die existenziell verunsichernden Folgen der "kosmologischen Obdachlosigkeit", wenn nicht verhindern, so doch abfedern könnte. Religionen sind schon längst auf dem Rückzug, allerdings setzen andere Ideologien oder Konglomerate von Ideologien alles daran, die leergelaufenen Sinnreservoire mit populistischen Heilsversprechen und »Verschwörungstheorien so zu fluten, dass in diesen Containern wieder eine Art Heilsgewissheit entsteht.

Aber auch diese Entwicklung rückt letzten Endes jene Sinnkonstruktionen des Sozialen in den Blick, mit denen sich die Menschen von heute miteinander vergesellschaften, sei es durch die Teilhabe oder Nichtteilhabe am Konsum oder auch durch ihr auf gesellschaftlichen Erwartungen beruhendes Streben nach dem Besonderen, dem Einzigartigen. (vgl. (Reckwitz 2017/2019 (Stichworte: • Singularisierung, • Wiederaufleben des romantischen Ideals nach Selbstverwirklichung und Selbsteinfaltung)

Die Werke Kafka können und wollen ihren Lesern keine Antworten auf Probleme des alltäglichen Lebens und auf existenzielle Fragen geben. Sie stellen zwar auf ihre Weise die Frage nach dem Sinn des Lebens. Grundsätzlich lassen sie solche Fragen aber unbeantwortet. Kafka als Autor, aber auch seine Erzähler haben keine solchen Konzepte für das richtige Leben parat. Wer sie sucht, wird bei Kafka nur eine von Tradition und Ideologie geprägte Welt in Auslösung und Widersprüchen finden.

  Baustein: Einen Zugang zu Kafkas Parabeln finden:
Dass einem diese Texte "schräg" vorkommen, ist ganz normal ...

  

Bild- und Sachbereich: Von der traditionellen zur modernen Parabel

Moderne Parabel
Quickie: So interpretiert man eine moderne Parabel
Überblick
Allgemeine Merkmale
Themen
Erzähler und Leser
Implizite Transfersignale
Bild- und Sachbereich in Auflösung
Textauswahl
Bausteine

Kafka als Erzähler
Überblick
Wissenschaftliche Interpretationsansätze und Lesarten »
Halbschlafbilder und traumanaloges Dichten

Poetik der Reduktion von Sprache, Erzählhaltung und erzähltechnischen Mitteln
Innovative Erzählweise
Die Figuren Kafkas und ihr Störpotential
Kafkas Tierfiguren

Merkmale von Kafkas Parabeln 
Ausgewählte Zugänge zu Kafkas Parabeln im Literaturunterricht
Überblick
Kognitiv-analytische Zugänge
Überblick
Zugänge über die Person Franz Kafkas
Zugänge über das Schreiben Franz Kafkas
Zugänge über das Gattungswissen
Zugänge über gesellschaftshistorische, rezeptionsgeschichtliche und literaturgeschichtliche Kontexte
Zugänge über das Thema
Zugänge über die Intertextualität
Handlungsorientierte Zugänge
Sonstige Zugänge

Überblick
• Fremdheitserfahrungen thematisieren

Baustein: Einen Zugang zu Kafkas Parabeln finden

Stereotype Deutungsansätze vs. Analyse von Codes

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 23.03.2025

 
 

 
ARBEITSTECHNIKEN und mehr
Arbeits- und ZeitmanagementKreative ArbeitstechnikenTeamarbeit ▪ Portfolio ● Arbeit mit Bildern  Arbeit mit Texten Arbeit mit Film und VideoMündliche KommunikationVisualisierenPräsentationArbeitstechniken für das Internet Sonstige digitale Arbeitstechniken 
 

 
  Creative Commons Lizenzvertrag Dieses Werk ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International License (CC-BY-SA)
Dies gilt für alle Inhalte, sofern sie nicht von
externen Quellen eingebunden werden oder anderweitig gekennzeichnet sind. Autor: Gert Egle/www.teachsam.de
-
CC-Lizenz