Dass letztlich
"alle Textdeutungen über Kontexte ausgeführt worden sind" (Steinmetz 1995,
S.482), ist eine Erkenntnis der ▪
antihermeutisch ausgerichteten ▪
kontextuellen Interpretationsmethode, die diese Kontexte und ihre
Konstruktion bei der Bedeutungserzeugung genauer betrachtet.
Im Konzept der ▪
Kontextualisierung der werkimmanenten Interpretation
ist das Heranziehen verschiedener Kontexte schon seit über
zwei Jahrzehnten Standard der Abiturprüfung. Zur Bewältigung der dazu
passenden Schreibaufgaben muss der Schreiber auf sein
deklaratives und
prozedurales
(Vor-)Wissen (Weltwissen,
Fachwissen,
Sprachwissen
und
thematisches Wissen)
zurückgreifen.
•
Kognitiv-analytische Zugänge zu
den ▪
Parabeln von ▪
Franz Kafka im •
Literaturunterricht, mit der ein Rezipient oder eine
Rezipientin den Text in bestimmte Wissenszusammenhänge einordnet
(Kontextualisierung),
sind sehr vielfältig. Neben den in diesem Arbeitsbereich
dargestellten Kontexten, die • Zugänge über die Person Franz Kafkas
und/oder
• über
sein Schreiben, oder
• Zugänge über das Gattungswissen
,•
das Thema oder •
über die Intertextualität
schaffen, gehört dazu auch das weite Feld
gesellschaftshistorischer, rezeptionsgeschichtlicher und
literaturgeschichtlicher Kontexte, die für die schulischen Umgang
mit den Texten Kafkas eine Rolle spielen können.
Im Umgang mit
Kontexten überhaupt, aber insbesondere mit
gesellschaftshistorischen, rezeptionsgeschichtlichen und
literaturgeschichtlichen Kontexten können die Schüler*innen die "Erfahrung machen,
dass eine Kontextualisierung mit unterschiedlichem Wissen zu
unterschiedlichen Deutungen führt. Zudem – möglicherweise in einem
nächsten Schritt – sollten sie dafür sensibilisiert werden, dass
(eine zunehmend eigenständige) Kontextualisierung bewusste
Auswahlentscheidungen beinhalten. Es ist nicht notwendig und auch
nicht möglich, alle Kontexte zu berücksichtigen, entscheidend ist
vielmehr eine zielführende Auswahl; dafür sollte das Kontextmaterial im Laufe der
Lernentwicklung tendenziell vielschichtiger und differenzierter
werden. Mit zunehmender Eigenverantwortlichkeit sollen die
Schülerinnen und Schüler dafür natürlich nicht nur die vorbereiteten
Materialien nutzen, sondern auch 'selbst erkennen, welche Kontexte
hilfreich sein könnten und diese selbst recherchieren' (Spinner
2012, S. 63) und auswählen." (Stark
2016, S.90)
Eine tiefer gehende
Berücksichtigung gesellschaftshistorischer,
rezeptionsgeschichtlicher und literaturgeschichtlicher Kontexte
dürfte im üblichen •
Literaturunterricht allenfalls
im Zusammenhang mit Pflichtlektüren ("Sternchenthemen") stattfinden.
Bei der unterrichtlichen Behandlung einzelner, weniger Parabeln von
Franz Kafka ist jedenfalls davon nicht auszugehen. Das betrifft, und
damit macht man sich vielleicht keine Freunde, auch alle jene
Kurzinformationen über das
• Leben in Prag an der Schwelle der Moderne, über
• Kafkas Verhältnis zum Judentum
oder die Bedeutung des •
"multikulturellen"
Umfelds, in dem er in Prag lebte und seine Werke verfasst, die
oft solchen Texten beigefügt werden.
Zudem ist es
durchaus fraglich, ob das Bereitstellen und Hinzuziehen gesellschaftshistorischer,
rezeptionsgeschichtlicher und literaturgeschichtlicher Kontexte den
Schüler*innen bei
ihren Versuchen, den Parabeln Kafkas Bedeutung zu geben, wirklich
weiterhilft. Dies gilt vor allem dann, wenn diese im Lehrervortrag
geschieht, der oft dafür herhalten muss, "den Weg zwischen
kurzfristigem Kontextwissenserwerb und Textbegegnung kurz zu halten"
(Stark
2012, S. 44). Ob er überhaupt und, wenn ja, in welchem Maße er
zum individuellen Textverstehen der Schülerinnen und Schüler
beiträgt, bleibt im Dunkeln. In jedem Falle fördert eine solche
Vermittlung von Kontextinformationen, ob im Lehrervortrag oder mit
mehr oder weniger passgenau zugerichteten Kontextmaterialien das immer wieder
beklagte schablonenartige und schematische Abrufen solcher Kontexte,
vor allem bei schriftlichen Leistungsaufgaben.
Wenn es indessen
gelingt, entsprechendes Kontextmaterial zumindest so zu
präsentieren, dass "die Schülerinnen und Schüler verschiedene
Kontextinformationen berücksichtigen und miteinander verknüpfen
müssen (vgl. z. B.
Kammler
2007 oder
Stark 2012)" (Stark
2016, S.89), können auch Informationen aus diesen Kontexten
sinnvoll sein. Die Schreibaufgaben müssen dabei so geartet sein,
dass das Auswählen eines einzigen Kontextes aus dem Angebot nicht
ausreicht, um eine bestimmte Aufgabe zu bewältigen. (vgl. ebd.)
Dabei ist aber auch
immer wieder zu sehen, dass auch Kontextmaterialien erst einmal
verstanden werden müssen, ehe sie auf einen Text bezogen werden und
damit auch zum Textverständnis beitragen können. Hier ist oft in
besonderem Maße Weltwissen gefordert, über das heutige Schülerinnen
und Schüler nicht mehr ohne weiteres verfügen. In jedem Fall ist bei
der Zusammenstellung der Materialien zu reflektieren, ob die
Schülerinnen und Schüler über das nötige Wissen verfügen, um die
entsprechenden Kontextinformationen überhaupt in ihre
Sinnkonstruktion "einlesen" können.