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Wissenschaftliche Interpretationsansätze und Lesarten

Jüdische Deutungen

Franz Kafka (1883-1924)Kafka als Erzähler

 
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Der jüdische Deutungsansatz musste sich erst einmal aus dem christlich-religiösen Deutungskonzept als eigenständige Perspektive lösen, ehe er in den späten 1970er und 1980er Jahren mit vor allem drei, auch miteinander verbindbaren, Schwerpunkten etablieren konnte.

Auch in der jüdischen Deutung wird Franz Kafka "nicht durchgängig als ein ›jüdischer‹  Autor" (Lauer 2010, S.50) angesehen und sein Werk gilt deshalb auch "mal mehr, mal weniger als ›jüdisch‹." (ebd.)

Die drei Schwerpunkte sind nach Engel (2010, S.423): Das jüdische Leben, jüdisches Wissen und die ›westjüdische‹ Selbstdeutung, die Kafka selbst in Abgrenzung von "der ostjüdischen, noch selbstverständlich in jüdische Glaubenstraditionen, Rituale und symbolische Ordnungen eingebundenen Lebensweise" (ebd., S.423) der so genannten »"Ostjuden".


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Ein orthodoxes jüdisches Leben wurde in der Familie, in der Franz aufwuchs, nicht gelebt. Jüdische Rituale wurden im Grunde nur an den drei besonders wichtigen Feiertage des jüdischen Festkalenders gepflegt. Ihr Umgang mit ihnen in der Familie Kafka zeigt darüber hinaus, wie vergleichsweise unwichtig • Hermann Kafka, dem Vater, eine fundierte Erziehung seiner Kinder im jüdischen Glauben gewesen ist. An »Rosch ha-Schana (Neujahr), »Pesach/Passah (Erinnerung an den Auszug aus Ägypten) und »Jom Kippur (Versöhnungsfest) besuchte Hermann mit seinem Sohn, der dem Ganzen eher gelangweilt folgte, die Synagoge, die man ansonsten das Ganze Jahr über nur von außen sah. Hermann Kafka, der ein »aschkenasischer Jude war, folgte wie die meisten jüdischen Familien keinen jüdisch-orthodoxen Regeln. Er war, wie viele andere auch, ein "assimilierte(r) »Dreitagejude«" (ebd., S.68) oder "Feiertagsjude" (»Joseph Roth). Bei den wenigen jüdischen Ritualen, die im Hause Kafka gepflegt wurden, "fehlte der tiefere reiligiöse Ernst" (ebd., S.69). So inszenierte man an Pessach die gemeinsame Mahlzeit am »Sederabend zwar mit Geschirr, das nur dafür zum Einsatz kam, hielt sich aber wenig an die zeremonielle Durchführung der Mahlzeit, bei der sich die Familienmitglieder eigentlich ihrer Ursprungstraditionen versichern, diese erinnern und neu für sich bekräftigen sollten. Stattdessen ging es bei den Kafkas dabei immer hoch her. Und auch sonst hielt man sich im Hause Kafka das ganze Jahr über nicht daran, koscher zu essen, man kochte am Schabbat, trennte Milch und Fleischgerichte nicht voneinander und aß Fisch auch gerne ohne Schuppen. Das alles zeigt, dass der Vater, der sonst so viel Wert auf Rituale legte, die jüdischen Rituale nur noch als verpflichtende Elemente einer entleerten Kulturtradition verstand, zu der er sich und seine Familie nicht mehr zugehörig fühlte. (vgl. ebd.)

Für seinen Sohn bedeutete dies einen "tiefgreifenden Verlust der religiösen Identität" (ebd., S.73) und ein Gefühl der "Entwurzelung" (ebd.). In seinen autobiografischen Texten hat Franz Kafka dieses ›Fehlen des Judentums‹ in seinem Leben immer wieder thematisiert.

Insgesamt gesehen können die Kafkas aber "als exemplarische Vertreter einer jüdischen Übergangsgeneration angesehen werden; sie blieben ihrer jüdischen Herkunft auf Lebenszeit verbunden, fanden jedoch auch Anschluss an die neuen liberalen Werte und Entwicklungen ihrer Epoche. Wie für die meisten führte bei ihnen der Kampf um den sozialen Aufstieg aus dem Ghetto in die Freiheit – somit aber auch in den Zustand einer ungewissen Schwebe zwischen Observanz und Assimilation." (Haring 2010, S.1)

Franz Kafka jedenfalls war durch sein Leben in der Familie das Jüdische "nicht als selbstverständlich überlieferte religiöse Tradition gegenwärtig." (Lauer 2010, S.50) Wohl aber kannte er sich aus mit gesellschaftlichen Ausgrenzungen, den radikaler auftretenden Nationalisten und antisemitischen Ausschreitungen in Prag, die ja auch das Galanteriewarengeschäft seines Vaters betrafen.

Das jüdische Wissen, das Franz Kafka im Laufe seines Lebens erworben hat, stammt jedenfalls nicht aus einem in der Familie gelebten jüdischen Leben. In eine erste nennenswerte Berührung mit jüdischem Wissen kam Franz in seiner Zeit am Altstädter Gymnasium, wo ihm sein Mitschüler »Samuel Hugo Bergmann (1883-1975) mit zionistischem Gedankengut bekannt machte. Bergmann, der nach dem Ende des 1. Weltkrieges nach Palästina auswanderte, dort Leiter der Hebräischen Nationalbibliothek in Jerusalem wurde, hat dem schon schwerstkranken Franz Kafka noch 1923 das allerdings dann mehr oder weniger zurückgezogene Angebot gemacht, ihn dort in seiner Familie zunächst einmal aufzunehmen, wenn er sich für die Auswanderung in das seit 1920 unter »britischer Mandatshoheit stehende Palästina entscheide.

Wichtigere Impulse als die Diskussionen mit dem gläubigen Bergmann waren die, die Kafka erhielt, seit ihn von Ende Oktober 1902 eine lebenslange Freundschaft mit »Max Brod (1884-1968), dem späteren Herausgeber seines Nachlasses, verband. Über ihn kam er auch in Kontakt mit Autoren wie »Felix Weltsch (1884-1964), »Oskar Baum (1883-1941), »Franz Werfel (1890-1945) und »Paul Kornfeld (1889-1942), "die ihre künstlerischen und intellektuellen Interessen mit dem »Zionismus verbunden haben." (Lauer 2010, S.51) Auch in der jüdischen Gemeinde Prags verbreiteten sich um 1910 zionistische Vorstellungen "von der ethnischen, kulturellen, geschichtlichen Besonderheit des jüdischen Volkes, dem die Zionisten auch politisch durch Ansiedlung in Palästina als Heimatland und damit Selbständigkeit und Erneuerung nach Jahrhunderten des Exils verschaffen wollten." (Beicken 1986, S.52)

Als Zuhörer von Vorträgen »Martin Bubers (1878-1965) erfährt Kafka zudem, dass das »Ostjudentum mit seiner ultraorthodoxen Orientierung am »Chassidismus und am ›einfachen ländlichen Leben dem auf Assimilation und auf städtisches Leben ausgerichteten »Westjudentum entgegenzuhalten sei. Die im Grunde noch unzivilisierten Ostjuden seien, ohne dass sie damit Vorbilder einer künftigen jüdischen Nation darstellten, "in gewissem Sinne authentischer, ›jüdischer‹ als die westjüdischen, liberalen Bildungsbürger"  (Stach 2011/42015, S.55 Kindle Edition)

Auch wenn Franz Kafka die Modernisierungskritik Bubers nicht unkritisch aufnimmt (vgl. Beicken 1986, S.52), hat wohl auch ihn Bubers "äußerst wolkige, jedoch suggestive Rhetorik" nicht unberührt gelassen, die mit ihrer Neudefinition des Zionismus "die nachrückende Generation gebildeter Juden in einen Taumel versetzt". (Stach 2011/42015, S.53 Kindle Edition)

Wahrscheinlich kommt Kafka, der in seinem Leben mal mehr mal weniger Sympathien für den Zionismus in unterschiedlichen Varianten entwickelte (vgl. Gelber 2008, S.294), darüber aber doch in seiner kritischen Auseinandersetzung mit der Elterngeneration, "allmählich zu der Einsicht, wie weit er vom jüdischen Ritus, von Religion und Tradition entfernt" (Beicken 1986, S.52) war und vollzog bis zu einem gewissen Grad, wie etliche seiner Freunde und andere Angehörige seiner Generation, eine Rückbesinnung auf seine jüdischen Wurzeln. (vgl. Engel 2010, S.423)

Diese jüdischen Wurzeln begegneten ihm aber auch auf andere Art und Weise als in der Auseinandersetzungen mit dem Zionismus.


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Besonderes Gewicht hatte dabei seine Auseinandersetzung mit dem so genannten Ostjudentum. Die Unterscheidung zwischen Ost- und Westjuden geht auf eine Rede »Max Nordaus (1849-1923), dem Mitbegründer der »Zionistischen Weltorganisation, auf dem »5. Zionistenkongress in Basel (1901) zurück. Darin grenzte er die assimilierten und zu Bildung und Wohlstand gelangten westeuropäischen Juden, Westjuden genannt, von den verarmten und ungebildeten, auf dem Land lebenden osteuropäischen Juden aus Russland und Galizien mit ihrer ›rohen‹ »jiddischen Sprache, Ostjuden genannt, gegeneinander ab.

Für Kafka spielte in diesem Zusammenhang das »Jiddische Theater, das traditioneller Weise besonders in der »jüdischen Kultur der »Ostjuden verankert war und in den 1920er und 1930er Jahren »in Europa und den USA seine Glanzzeit hatte, eine maßgebliche Rolle. Auch in Prag gaben jiddische Gastspieltruppen in Vergnügungscafés der Stadt Vorstellungen, von denen Franz Kafka und Max Brod 1910 erstmals eine besuchten. Kafka fand in den von ihm selbst ›Jargontheater‹ genannten Vorstellungen offenbar so viel Vergnügen, dass er mehr als 20 Aufführungen besucht hat. (vgl. Lauer 2010, S.51) Ihr Repertoire umfasste "neben Solovorführungen, Travestienummern und Chansons zumal Jargonstücke, die meist aus dem späten 19. Jahrhundert stammten, häufig aber ältere Stoffe der jüdischen Legendentradition verarbeiteten." (Alt 2005/22008, S. 356 Kindle Edition)

Natürlich war sich auch Kafka im Klaren darüber, dass, was solche Gastspieltruppen auf die Bühne brachten, ein ganz anderes Niveau hatten, als das, was die bildungsbürgerlichen Zuschauer ansonsten im Theater erwarteten und zu sehen bekamen. Es war in deren Augen ein "trauriges Zerrbild, also Schund, präsentiert in jener schäbigen Mameloschn (Muttersprache), welche die Brandmale von Armut und Verfolgung trug: die Sprache des Schtetl." (Stach 2011/42015, S.56 Kindle Edition). Dass sich Kafka trotz all dieser Vorbehalte dafür begeistern konnte, lag wohl auch daran, dass er die Wahrhaftigkeit des missionarischen Eifers, mit der jiddische Theater und ihre exaltierten Schauspieler in einer geradezu "exotische(n) Sentimentalität" (ebd. S.53) ihre Botschaft unter die Leute brachten, anerkennen konnte. Auch wenn die "singenden, zappelnden, mauschelnden Haufen"  (ebd.) auf der Bühne, verglichen mit den Standards europäischer Schauspielkunst "Schmierentheater" (ebd., S.49) boten, hielten sie in seinen Augen doch naiv, aber mit großer Begeisterung daran fest, jüdische Volkskultur zu vermitteln und ihrem Publikum die eigene Geschichte, die eigenen Wurzeln zu vergegenwärtigen, "indem sie an die treuherzige, legendenhafte Wiederholung historischer Ereignisse anknüpften, die den Juden aus ihrem Festzyklus schon vertraut war." (ebd., S.50) Kafka selbst scheute sich selbst offenbar nicht, bei den Aufführungen, die er besuchte, des Öfteren die Texte auswendig mitzusingen. Unter Umständen ergriff ihn dabei "das Gefühl, vor einem Wunder an menschlicher Authentizität zu stehen" (ebd., S.49). Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass die Schauspieler*innen, die er kennen lernte, arm und kaum gebildet waren und an ihrer äußeren Erscheinung auch zu erkennen war, "dass sie auch den Hunger kannten." (ebd.)

Das gebildete, akkulturierte jüdische Publikum ließ sich auf solchen Veranstaltungen nicht blicken, aber auch der Kontakt zu den Schauspieler*innen, so abgerissen sie aufgrund ihrer prekären Lage oft aussahen, dazu noch  den "Jargon", das» Jiddische, sprachen, war in diesen Kreisen ein No-Go. Die Mehrheit assimilierter und meist gut gebildeter Jüdinnen und Juden, die in Prag lebten, suchten Anschluss an die deutsche Hochkultur und hatten wenig Interesse daran, " sich in die Gesellschaft von Menschen zu begeben, deren ›mauschelnde‹, ständig zwischen Deutsch und Jiddisch schwankende Sprechweise den schlimmsten antisemitischen Zerrbildern entsprach." (ebd., S.48) Sie sehen in ihnen "erbarmungswürdige »Luftmenschen« (Baioni 1994), barbarisch erzogen, die in unhygienischen Verhältnissen leben und es nie zum geringsten Wohlstand bringen. Mit diesen bettelarmen, ungebildeten, ordinären ostjüdischen Schauspielern, die auf der Bühne Krach und Spektakel machen und dies dann Theater nennen, will man wirklich nichts zu tun haben." (Prinz 2005/2024 , S.78 Kindle-Edition)

Kafka bekommt dadurch aber "weitere tiefgehende Einblicke in die Lebenswelt und Geisteswelt der jüdischen Tradition, die vorwiegend unberührt war von den Assimilationserscheinungen des Westjudentums" und "erlebt [...] dieses in Prag fast durchweg verachtete Volkstum, das nach Lebensform und Bildungsniveau für die assimilierten Juden auch wegen der als Jargon abgewerteten Sprache unannehmbar war, als ein Vorbild authentischen Gemeinschaftslebens." Mehr noch: "Zunehmend richtet er seine eigene jüdische Selbstfindung auf dieses idealisierte Ostjudentum hin aus." (Beicken 1986, S.53) Wenn ihm dabei die "Ostjuden als Paradigma eines ursprünglichen der Tradition verbundenen lebendigen Judentums" (Hohmann 2004, S.6) erschienen und er in  Lebensgefühl und Denkweise der Ostjuden "sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit seiner eigenen Lebenseinstellung entdeckte" (ebd.), ließ er sich davon jedoch nicht gänzlich einnehmen und verharrte in einer ambivalenten Haltung gegenüber dieser überaus frommen, »chassidischen religiösen Welt der osteuropäischen Juden. Er selbst verstand sich wohl auch weiterhin als westeuropäischer Jude, auch wenn er stets mit seiner bürgerlichen westjüdischen Herkunft gehadert hat.

Was er an den osteuropäischen Juden aus Russland und Galizien bewunderte, war ihre Naivität und die Authentizität ihrer religiösen Gemeinschaft, "die eines echten Gottesglaubens und eines Gemeinschaftsgefühls fähig war, während er seine eigene gesellschaftliche Gruppe, die assimilierten Juden des Westens, verabscheute und in ihnen den Inbegriff einer entwurzelten, gemeinschafts-, traditions- und zukunftslosen Existenz sah." (ebd., S.7). Wie Ursula Hohmann (2004, S.6) betont, hätten die westjüdischen assimilierten Juden nach Ansicht Kafkas ihre Bindungen an die jüdische Gemeinschaft zerschnitten, ohne von der europäischen akzeptiert zu werden. Somit sind sie von der Welt des Gesetzes abgeschnitten, ohne irgendwo anders Wurzeln schlagen zu können.

Dabei spielten aber auch persönliche Beziehungen zu den Schauspielern eine außergewöhnlich große Rolle. So lernte er den Schauspieler »Jizchak Löwy (1887-1942, ermordet im »Vernichtungslager Treblinka) kennen und freundet sich mit ihm an und zieht zum Entsetzen seiner eigenen Eltern und zum Erstaunen seiner Freunde wochenlang mit diesem "abgerissenen und gewiss auffälligen" (Stach 2011/42015, S.248 Kindle Edition) nahezu gleichaltrigen jungen Mann wochenlang durch die Prager Gassen.

»Wer sich mit Hunden zu Bett legt, steht mit Wanzen auf«, lautete der bissige, noch heutigem Sprachgebrauch geradezu rassistische Kommentar von • Hermann Kafka, der die Kontakte seines Sohnes zu der in seinen Augen ›unreinen‹  jüdischen Bevölkerungsgruppe der Ostjuden (ebd., S.59) aufs Schärfste missbilligte.

Die Auseinandersetzungen mit ihm und die Behandlung, die Löwy bei seinen wenigen Besuchen im Elternhaus der Familie Kafka erfuhr, hat Franz offenbar so nachhaltig empört, dass er in seinem zehn Jahre später verfassten • Brief an den Vater mit schweren Vorwürfen gegen seinen Vater noch einmal darauf zurückgekommen ist. So hält er ihm vor, er sei, wie sie oft, ohne jede Rücksicht auf sein Gefühl und ohne Achtung vor seinem Urteil mit Beschimpfung, Verleumdung, Entwürdigung gegen diese Verbindung aufgetreten und habe einen unschuldigen und kindlichen Menschen wie Löwy als Ungeziefer diffamiert.

»Jizchak Löwy (1887-1942), dessen Eltern als strenggläubige »chassidische Juden seine Begeisterung für das Theater ablehnten, musste sich seinen eigenen Weg bahnen. Im Alter von 17 Jahren brach der Sohn eines Rabbiners gegen deren Willen die Talmud-Schule ab, ging nach Paris und schloss sich 1905 einer Amateurtheatergruppe an, mit der er durch Europa tourte und 1911/1912 auch in Prag gastierte. Kafka sah in ihm wohl "sein anderes Selbst" (vgl. Lauer 2010, S.51), da dieser mit der Welt seiner Väter gebrochen hatte, um sich seinen eigenen Überzeugungen folgend einer nicht besonders angesehen Kunst zu widmen.

Und Kafka, der Löwy anfangs wohl sehr idealisierte, hörte ihm begeistert zu, wenn er Anekdoten aus seinem Leben erzählte und "bescheinigte dem Freund die Vitalität, die er selbst entbehrte". (Stach 2011/42015, S.51Kindle Edition) In einem Prosafragment mit dem Titel »"Vom jüdischen Theater", das im Jahr 1917 entstanden ist, nachdem Kafka Löwy in Budapest zufällig wieder getroffen hatte, enthält von Kafka niedergeschriebene Erinnerungen seines Freundes. (»Text im Internet)

Von der 30-jährigen verheirateten Mania Tschissik, die ebenfalls zu der Theatertruppe zählte, fühlte sich Kafka erotisch angezogen, das Ganze ging aber über Formen einer eher spielerisch wirkenden Annäherung nicht hinaus.

Außer der Auseinandersetzung mit dem Zionismus, dem Jiddischen Theater und der ostjüdischen Tradition näherte sich Franz Kafka aber auch auf anderen Wegen dem Judentum, das in seiner Familie ja weitgehend abhanden gekommen war. Seit dem Spätherbst 1914 nimmt er Hebräisch-Unterricht und wird von seinem orthodoxen Lehrer »Jiří Mordechaj Langer (1894-1943) mit den chassidischen Gebräuchen und der vom »Talmud, einem der wichtigsten jüdischen Schriftwerke, geprägten Lebenswelt der jüdischen Orthodoxen vertraut gemacht. Bis zu seinem Tod lernte Kafka die Sprache immer weiter.

Allgemein gesehen verschlang Kafka auf der Suche nach seiner jüdischen Identität eine Vielzahl unterschiedlicher »"Judaica", Schriften von Juden, aber auch Nichtjuden über das Judentum. Diese Texte entwarfen dabei ein durchaus heterogenes Bild vom Judentum und widersprachen sich nicht selten in ihren Auffassungen. So standen sich z.B. die Schriften der Zionisten, die die hebräische Sprache propagierten, und die Anhänger ostjüdischer Traditionen, die "im Jiddischen die wahre Sprache der Juden sahen" (Lauer 2010, S.53), unversöhnlich gegenüber, nachdem schon »Theodor Herzl (1860-1904), der Begründer des politischen Zionismus, im Jiddischen einen «verkümmerten und verdrückten» Jargon sah, den er als Reflex der babylonisch gewordenen «Ghettosprachen» rundum ablehnte und im neuen Staat Palästina nicht haben wollte. (vgl. Alt 2005/22008, S. 357 Kindle Edition). Genauso standen die grundsätzliche Verklärung der Lebensweise der osteuropäischen Juden und die "zionistisch-sozialistischen Koloniepläne" in einem klaren Gegensatz zueinander. (Lauer 2010, S.53)

So bilden Judentum, Zionismus und Jiddisches einen sehr heterogenen Hintergrund für Kafkas Werke. Als Stoffe, Motive und Themen kommen sie in den Texten, die zu Lebzeiten des Autors veröffentlicht worden sind, praktisch nicht vor und auch im posthum publizierten Nachlass lassen sich diese kaum eindeutig identifizieren. Allerdings sind seine Tagebücher, Briefe etc. voller Bemerkungen, Erfahrungen und Reflexionen über alle Fragen, die ihn im Zusammenhang mit dem Judentum beschäftigt und interessiert haben. Da sich sein literarisches Werk, wie Lauer (2010, S.54) resümiert, über die Frage ausschweige, ob diese autobiografischen Zeugnisse zum Werk zu zählen sind, bleibt seiner Ansicht nach auch die Frage strittig, ob ein so "schwach manifester Kontext" (ebd.)mit seinen "vergleichsweise geringen skalierenden Varianzen" (ebd.), den Stellenwert beanspruchen könne, der von jüdischen Deutungsansätzen, die das "Jude-Sein" als "Zentrum der Existenz Kafkas und seines Werkes" (Hohmann 2004, S.11) ansehen. Für Lauer (2010, S.56) steht damit auch außer Frage, dass "Judentum, Zionismus und das Ostjudentum (...) ein, aber kein zwingender Kontext für ein angemessenes Verständnis von Kafkas Werk (ist), noch gar der allein bestimmende", zumal eines derartige Position der Mehrdeutigkeit seiner Texte in keiner Weise gerecht werde. Problematisch sind solche jüdischen Deutungen aber vor allem dann, wenn ihre allegorischen Deutungen, "in Kafka-Texten überall die Geschichte des jüdischen Volkes oder – die zunehmend dominante Tendenz – die Assimilationsproblematik gestaltet finden wollen" (Engel 2010, S.424) und beanspruchen, damit einen "Universalschlüssel" für seine Texte gefunden zu haben

Kafka sei, so hält Hohmann (2004, S.11) dagegen, sei in vielerlei Hinsicht jüdischer als manche Leser glaubten und als er selber geglaubt habe. Schließlich sei Kafka ein Kind seiner Zeit gewesen und der Vertreter einer modernen, aber schwer verständlichen, einer aufgeklärten, aber unübersichtlichen Welt, für die er jüdische Vorstellungen gebraucht habe.

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Stereotype Deutungsansätze vs. Analyse von Codes

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 03.02.2025

 
 

 
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