Psychoanalytische
Deutungen führen nach
Engel (2010,
S.420) letzten Endes die alltagspsychologische Komponente der
• biografischen Deutung auf der Basis des theoretischen Konzepts der
von
»Sigmund Freud (1856 -1939)
begründeten
»Psychoanalyse
fort (manchmal kommen auch die Konzepte »C.
G. Jungs (1875-1961) oder »Jaques
Lacans (1901-1981 zum Zuge).
Für die Freudianer steht dabei die Vaterfigur im Mittelpunkt und der
als •
Ödipuskomplex beschriebene Vater-Sohn-Konflikt, für den auch die
Thematisierung der Vaterfigur in Franz Kafkas ▪
Brief an den
Vater stehen kann.

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Auch
wenn das Konzept des Ödipus-Konflikts, wie manch anderes in Freuds
Theorie, mittlerweile umstritten ist, "da es in einer Zeit entstand,
für die eine Tabuisierung der Sexualität charakteristisch war" (Grosses
Wörterbuch Psychologie 2005, S.246), genießt die Theorie vom
Ödipus-Konflikt und dem Ödipus-Komplex bis heute eine große
Verbreitung.
In der
•
psychosozialen Entwicklung durchläuft ein Kind nach
Freud
auch die
•
phallische psychosexuelle Phase (ca. zwischen dem 3. bis 5.
Lebensjahr, in der sich die Triebenergie (Libido)
erstmals auf soziale Objekte bezieht und mit sozialen
Beziehungen verquickt wird. (vgl.
Fend 32003, S.82)
Freud nahm an, "dass Jungen in der
phallischen Phase die genitale Stimulierung suchen. Unbewusst
richten sie ihre sexuellen Wünsche auf die Mutter und entwickeln
Eifersucht und Hass auf den Vater, den sie als Rivalen betrachten.
Mit solchen Gefühlen entwickeln Jungen vermutlich Schuldgefühle und
eine schleichende Angst vor Bestrafung, vielleicht die Kastration
durch den Vater. Diese Ansammlung von Gefühlen nannte Freud Ödipuskomplex". (Myers 2005,
S.570)
Auch wenn man sich
vor vorschnellen Verallgemeinerungen hüten sollte. Angesichts der
nachfolgend dargestellten häufigsten Folgen des Ödipus-Komplexes
wundert es nicht, dass er in Kombination mit der Biografie Kafkas zu
einem "Deutungspassepartout" (Engel
2010, S.420) für das gesamte Werk des Autors werden konnte.
"Ein ganzes Leben
kann durch diesen Komplex verdorben werden. Er kann zur
Verweichlichung, Feigheit und Angst des Mannes, zu einer männlichen
Art der Frau führen. Zu den häufigsten Folgen
gehören: gescheitertes Sexualleben, teilweise oder völlige
Impotenz, Frigidität, Schüchternheit, innere Feindseligkeit,
ständige Angst, missverstanden zu werden, Minderwertigkeitsgefühle,
anscheinend unbegründete Schuldgefühle, das Gefühl, überall 'bloß
toleriert' zu werden oder für das Leben nicht gewappnet zu sein, die
Aggressivität und schließlich die Homosexualität." (Darco
82002, S.161)
Die Verwendung des
Ödipus-Komplexes als • stereotypes
psychoanalytisches "Deutungspassepartout" (Engel
2010, S.420), mit dem jener sich in allen Texten Kafkas
nachzuweisen lässt, wird hingegen durchaus kritisch gesehen.
Allerdings kann der Ödipus-Komplex mit seinem Fokus auf die
Vater-Sohn-Beziehung im Kontext seiner biografischen Bedeutung für
Kafka durchaus auf Texte bezogen werden, in
denen Vaterfiguren auf der Textebene eine Rolle spielen. Dies ist
allerdings nur bei wenigen Texten Kafkas der Fall.
Zudem laufen
psychoanalytische Deutungen, so
Engel (ebd.)
weiter Gefahr, sich zu sehr an Selbstdeutungen des Autors zu
orientieren und die literarisch-ästhetische Qualität der Texte sowie
ihrer jeweiligen Modellkonstruktion mit ihrer verallgemeinernden
Reflexionsebene zu vernachlässigen.
Für die •
schulische Interpretation der Werke ▪
Franz Kafkas in der Sekundarstufe II verlangt die
eigenständige Anwendung des psychoanalytischen Ansatzes bei der
Interpretation und das Herauslesen der Textelemente, die ihn in
einem vorliegenden Text kodieren, wie bei allen anderen Kontexten,
die zur Deutung herangezogen werden, Kenntnisse in der
psychoanalytischen Theorie und der Biografie des Autors, die nicht
so ohne Weiteres erworben, in keiner Weise jedoch vorausgesetzt
werden können.