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Einen Zugang zu Kafkas Parabeln finden:
Ein literarischer Text
wie ▪ Franz
Kafkas ▪
"Kleine Fabel"
besitzt
keine fest umrissene Bedeutung. Der in den "Daten" eines Textes
verborgene Textsinn lässt sich nämlich auch bei bestem Willen im Text
nicht finden, denn "welchen Sinn, welche Bedeutung man mit literarischen
Texten verbindet, ist ... eine Entscheidung, die der Interpret fällt." (Horst
Steinmetz 1995, S.475). Dementsprechend sind auch alle derartigen
Interpretationsansätze
legitim, ohne jedoch auch gleichermaßen überzeugend oder
schlüssig zu
sein. Wer
den Text
liest, spürt schnell, dass das banale Geschehen, das ihm zugrunde liegt,
nicht den Sinn ausmacht, den man als Leser bzw. Leserin dem Text zu geben versucht.
Zu
spärlich sind die raumzeitlichen Koordinaten, zu wenig wird über die
handelnden Figuren ausgesagt, als dass man deren Handeln mit den einem
Leser vertrauten Schemata aus seinem Alltagshandeln wirklich (be-)greifen
kann. So stellt sich nach der Lektüre wohl im Allgemeinen ein gewisses
Befremden ein verbunden mit der Frage, was das Ganze denn bedeuten soll.
Diese • Fremdheitserfahrungen lohnt
es sich immer wieder zu thematisieren.

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Der nachfolgende Kurzüberblick stellt lediglich eine Auswahl gängiger
Deutungsansätze dar, die aber die Anzahl individueller Lesarten
nicht erschöpfend abbilden kann.
Religiöse, •
christlich-existenzialistische Ansätze
den Menschen auffordern, sein
Schicksal in die Hände Gottes zu legen, religiösen
Normen zu folgen und sich in einem Leben mit einem eindeutigen »eschatologischen
Daseinsbezug einzurichten, entlässt der
•
atheistisch
fundierte Existenzialismus den Menschen in die volle und ganze
Verantwortung für sein Handeln und bürdet ihm allein die Suche nach und das
Finden von Sinn in einer durch keine andere Instanz irgendwie sinnhaft
gemachten Welt auf.
Unter diesen
Prämissen betrachtet kann eine existenzialistische Deutung an
unterschiedlichen Elementen der Textoberfläche ansetzen und im
Analogieschluss die für den Ansatz typische Bedeutungsübertragung
vornehmen.
So kann sie davon
ausgehen, dass der Text auf die
Unausweichlichkeit des eigenen Schicksals und Todes
aufmerksam macht. Die sich immer mehr verengende Wellt und die von
der Katze aufgestellte Falle am Ende kann dabei sinnbildlich für den
Lebensweg angesehen werden, der unaufhaltsam auf den Tod zuläuft.
Diesem Schicksal kann der Mensch, ebenso wenig wie die Maus in der
Geschichte entrinnen, ganz unabhängig davon, wie das Leben verläuft
und welche Richtung man ihm gibt.
Die Geschichte kann
aber auch als Ausdruck für die grundsätzliche
Sinnlosigkeit und Absurdität des menschlichen Daseins
gelesen werden, die der Mensch nicht dadurch überwinden kann,
dass er die Antwort auf die Grundfrage seines Da- und Soseins an
eine externe Instanz delegiert.
Der in der Geschichte dargestellte
Verlust von Freiheit, der
durch die zunehmende und unausweichliche Verengung der anfangs noch
weiten Welt symbolisiert wird, dass die Verstellung von einem
autonomen, in seinen Entscheidungen selbstbestimmten und letztlich
freien menschlichen Subjekt angesichts der Mauern, die es umgeben
eine Illusion darstellt.
Psychologische bzw. psychoananalytische
Deutungen führen nach
Engel (2010,
S.420) letzten Endes die alltagspsychologische Komponente der
• biografischen Deutung auf der Basis des theoretischen Konzepts der
von
»Sigmund Freud (1856 -1939)
begründeten
»Psychoanalyse
fort.
Unter
dem Blickwinkel einer psychologischen Perspektive auf den Text
könnte man ihn als eine Darstellung innerer •
Ängste und Projektionen und damit auch der prinzipiellen
Unsicherheit lesen, sich als •
Ich, die psychische Instanz des bewussten Lebens und
Handelns, in der Welt zu behaupten. So könnte in diesem Fall die
Maus das •
Ich repräsentieren, das sich zwischen •
Über-Ich (Mauern) und •
Es (Katze) bewegt. Die Mauern stehen dabei für
gesellschaftliche Zwänge, Wertvorstellungen und Normen und die
moralischen Prinzipien, die von einem Menschen beginnend mit seiner
frühkindlichen Entwicklung erworben worden sind. Die Katze steht
dabei für die Triebe des Menschen. die alle Wünsche und Bedürfnisse
umfassen, darunter vor allem sexuelle Impulse, die mit Triebenergien
"aufgeladen" sind. Zu den psychischen Triebenergien zählen nach
Freud die »Libido (= Energie des Sexualtriebs), die ebenso
wie die erst später von ihm ihr dazugesellte »Destrudo
(= Energie des Todes- oder Destruktionstriebs) aus dem
Unterbewusstsein Einfluss auf den Menschen nehmen. Die Katze könnte
für den Todestrieb stehen, der die Dominanz des Ich bei der
Vermittlung zwischen dem im Über-Ich repräsentierten Ich-Ideal
mit seinen hohen Wert- und Normansprüchen und den "dunklen" Seiten
der Triebstruktur, wie sie im Es verankert sind, bricht und sich damit
seiner Kontrolle entzieht.
Im Rahmen einer psychoanalytischen Deutung önnte auch der als •
Ödipuskomplex beschriebene Vater-Sohn-Konflikt
berücksichtigt werden. Allerdings ist dieser Ansatz in Kombination
mit der • biografischen Deutung
zu einem • stereotypen
psychoanalytischen "Deutungspassepartout" (Engel
2010, S.420) für das gesamte Werk des Autors geworden und wurde
daher •
verschiedentlich kritisiert.
In
einer aktualisierenden gesellschaftskritischen Deutungsperspektive
kann die Geschichte mit der Falle, in die die Maus ohne jede
alternative Handlungsoption läuft, als Sinnbild für
gesellschaftliche Unterdrückung gelesen werden. Das einzelne
Subjekt ist der Macht dabei letzten Endes hilflos ausgeliefert und
völlig ohnmächtig ihrer Willkür unterworfen.
Dabei
zeigt das Verhalten der Katze, die trotz ihres auf die Täuschung der
Maus ausgerichteten Vorschlags, mit dem diese ihrem
Schicksal entkommen könnte, nur an ihrem eigen Machterhalt
interessiert und frisst die Maus ohne jeden Skrupel auf, die ihren
trügerischen Versprechungen geglaubt hat.
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Bausteine
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
06.04.2025
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