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Aspekte der Erzähltextanalyse

Das jüdische Leben als Bezugsrahmen der Interpretation

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Im Rahmen des • Pluralismus toleranter Interpretationen von ▪ Franz Kafkas ▪ "Kleine Fabel" spielt in der neuen literaturwissenschaftlichen Forschung die historisch-biografische Rekontextualisierung eine herausragende Rolle.

Für die Neuausrichtung der Interpretation sind dabei vor allem Erkenntnisse über die Bedeutung des jüdischen Hintergrundes in Kafkas Werk verantwortlich. (vgl. Nayhauss 2006, S.62) Erst dieser Ansatz habe von dem interpretatorischen Irrweg "erlöst" (ebd.), den "Generationen von Interpreten" gegangen seien, weil sie der • irreführenden Titelgebung Kleine Fabel durch Max Brod buchstäblich auf den Leim gegangen seien.

So wird das Werk Kafkas im Allgemeinen und dabei auch die Kleine Fabel im Besonderen im Anschluss an die Arbeiten von Karl Erich Grözinger (1987, 1992) und anderen im Umfeld (seines) Judentums als assimilierter Jude (re-)kontextualisiert.

Dieser Ansatz, der lange Zeit wenig beachtet wurde und vielleicht das Ergebnis eines von der deutschen Forschung geförderten "Verdrängungseffekts" war, "der das Werk Kafkas in den Rang von Weltliteratur gehoben hat und es daher von allen Abhängigkeiten vom Judentum frei halten wollte" (Nayhauss 2006, S.57), sieht im Judentum Franz Kafkas den eigentlichen Schlüssel zu seinem Werk.

Für Grözinger (1987, 1992) ist dabei klar, dass die Tiergestalten in Kafkas Werk keine Metaphern und seine "Tiererzählungen" auch keine Fabeln sind.

Nayhauss (2006, S.63) fasst die Ergebnisse der Forschungen Grözingers wie folgt zusammen: In den Tiergestalten "offenbaren sich (...) menschliche Schicksale in tierischen Leibern. Tiere in Kafka-Texten sind Menschen, die der Strafe der Seelenwanderung, dem Gilgul, unterliegen. Dazu werden nach jüdischer Auffassung menschliche 'Seelen verurteilt, deren Sünde nicht im Purgatorium tilgbar ist oder die ihre seelische Vollendung noch nicht erlangen konnten' (Grözinger 1992, S.114)

Diese Tierleben sind also 'menschliche Leben oder Geisterleben von sündigen Menschen, die nicht zur ewigen Ruhe eingehen können' (Grözinger 1992, S.130). Grözinger hat herausgearbeitet, dass menschliches Leben in Tieren und auch in Dingen 'immer als Leben im Gericht verstanden' wird, 'als Leben un Schuld und erleidender Sühne' (Grözinger 1992, S.121). Menschen, die solchen Tieren begegnen oder mit ihnen zusammenleben, haben diesen gegenüber eine ganz persönliche Verantwortung, das sie an ihrer Sünde teilnehmen und verpflichtet sind, der Seele im Tiere zu helfen, ihre Sühnung zu erlangen, denn die Tiere haben nach der Kabbala Lurjas dieselbe Selenwurzel wie der ihnen begegnete Mensch.(Grözinger 1992, S.121) [...] Der Tod entweder des Tiers oder der vom Tier angegriffenen Gestalt [...] ist immer die Erlösung von der Seelenwanderung, die vollzogene Sühne. Im Tod erfahren die Gestalten 'Rettung'". (Nayhauss 2006, S.63)

Auf die Kleine Fabel übertragen, führt dieser Ansatz zur Erkenntnis, dass auch der in diesem Text vorhandenen Figurenkonstellation "das Prinzip der Seelenwanderung zugrunde(liegt)." (ebd., S.64)

So hätten Katze und Maus als reinkarnierte Gilgulwesen gleichermaßen die Strafe der »Seelenwanderung zu tragen. Dabei fühle sich die Katze verpflichtet, der Maus dadurch zu helfen, dass sie sie auffresse. Indem sie dies tue, helfe sie nämlich der Maus, ganz im Sinne der jüdischen »Kabbala, der mystischen, mündlich überlieferten Tradition des Judentums "die seelische Vollendung zu erlangen." (ebd.)

Nichts macht deutlicher, wie dieser Rekontextualisierungansatz auf den Kopf stellt, was ansonsten unter dem Blickwinkel der "aufgeklärten westeuropäischen Welt" (ebd.) im Verhalten der Katze gesehen wird: ein egoistisches und sadistisches Spielen der Katze mit der Maus. Stattdessen sind Katze und Maus im Bild der Seelenwanderung in ganz anderer Weise aufeinander angewiesen, "sie müssen sich beide helfen, um die Vollendung zu erlangen. Befreit also die Katze die Maus von ihrer angstvollen Seelenwanderung, so bietet die Maus der Katze die Gelegenheit zur tätigen Solidarität." (ebd., S.65) Ganz wie in den volkstümlichen Gilgul-Geschichten wird das, was sich im gegenwärtigen Leben der Maus ereignet, durch ihr Vorleben gerechtfertigt. Daraus geht nämlich hervor, dass "ihre wachsende Angst, die aus der anfänglichen Orientierungslosigkeit aufkeimt [...] und das Leiden an der wachsenden Enge auf dem Weg zur unausweichlichen Falle" darauf beruht, dass sie in einem Gerichtsprozess angeklagt sei, den sie aber nicht nur erdulden, sondern auch mitbeeinflussen könne. Das Gericht selbst stehe dann wohl für ein letztes oder sogar das »Jüngste Gericht. Mit der Befolgung des Ratschlags der Katze, die Laufrichtung zu ändern, hätte sie dazu Gelegenheit gehabt. Weil sie aber darauf verzichtet, eine solche Wendung herbeizuführen, "muss die Katze geradezu zum letzten Hilfsmittel greifen: Sie frisst die Maus, um sie zu erlösen, denn die Strafe des Gilgul muss immer vollendet werden." (ebd.)


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Ob die Interpreten wirklich - auch mit neueren Interpretationsansätzen - mit der Kleinen Fabel "fertig" werden können (vgl. Nayhauss 2006, S.62), lassen wir dahingestellt.

Der Tendenz, die Kleine Fabel ohne den Anspruch auf ihre (Re-)Kontextualisierung fassen zu wollen, wird aber von Nayhauss (2006, S.62), der damit die Positionen, die er in seiner früheren Analyse des Textes (Nayhauss 1974) eingenommen hat, deutlich revidiert, widersprochen.

Wer den jüdischen Hintergrund "im Denken, Fühlen und Darstellen" nicht kenne oder nicht zur Kenntnis nehmen wolle, "der vermag zwar mit gutem Recht die Leerstellen mit allen möglichen Fragmenten seiner Welterkenntnis auszufüllen, ist jedoch nicht in der Lage, weder der ästhetischen noch der poetischen durch das Judentum eingefärbten Semantik des Autors auf die Spur zu kommen. Er bleibt, um es mit Kafka zu sagen, trotz seiner ungeheuren Welt, die er im Kopfe hat, draußen vor der der Tür dieser Geistigkeit." (Nayhauss 2006, S.62)

Für die Literaturdidaktik kann dies, so Nayhaus weiter, nicht folgenlos bleiben, denn zu ihren Aufgaben zähle, Materialien bereitzustellen, die "zum besseren Verständnis, zur Klärung der Verstehensbedingungen" beitragen.

Dies gelte um so mehr, "wenn jegliches Textverständnis durch totale Fremdheit blockiert ist". (ebd., S.58) Ohne die Rekontexualisierung könne jemand, der "den theologisch-anthropologischen Hintergrund der ostjüdischen Erzählungen von Gilgui (das göttliche Gericht am Menschen als Strafe der Seelenwanderung)" nicht kenne und "keine Ahnung" von kabbalistischen Sagen und Geschichten" habe, die Kafka seinerseits gut kannte, "den Text letztlich nur (!)" aus einem begrenzten Horizont und damit selektiv wahrnehmen und die Kleine Fabel damit "als surrealistische oder phantastische Geschichte rezipieren, vielleicht gar psychologisieren, da das der leichteste Weg ist." (ebd.)

Auch wenn die Ergebnisse der neueren Kafka-Forschung einen unter literarwissenschaftlichen Überlegungen betrachtet, enormen Erkenntnisgewinn bringt, indem sie einer rekontextualisierenden Interpretation ganz neue Wege eröffnet hat, bleibt die "ahnungslose", allerdings deshalb nie voraussetzungslose Konkretisierung der Ansatz, der auch weiterhin einen legitimen Zugang zu diesem Text verschaffen kann.

Dies gilt in besonderem Maße in der Schule im Umgang mit der Kleinen Fabel, die, wie kaum ein anderer Text in einer weitgehend unbefangenen Rezeption zu den unterschiedlichsten Deutungsversuchen geradezu einlädt, ohne den Anspruch auf eine rekontexutalisiert "richtige" Interpretation zu erheben.

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 07.04.2025

 
 

 
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