Die
Vieldeutigkeit der ▪
Parabeln ▪
Franz Kafkas lädt in ganz besonderer Weise zu
verschiedenen Formen kreativer,
▪
handlungs- und
produktionsorientierter Zugänge im Umgang mit den Texten ein. Sie sind in der Regel sehr
motivierend und eröffnen andere Zugänge, als es der
• kognitiv-analytische Ansatz bei der Textanalyse und -interpretation
ermöglicht:
"Der Leser ist nicht mehr Hermeneut, der einen im Text
verborgenen Sinn ans Licht hebt, sondern »kreativer Textarbeiter«,
der den Text, oder Textteile, »mit anderen Diskursen - also auch mit
eigenen Erfahrungen - (d. Vf.) - verknüpft« und ihn durch
eingreifendes Verändern, durch Erzählvarianten, Gegenentwürfe,
Parodien seinem Verständnis zugänglich macht. »Bedeutung
konstituiert sich ... im jeweiligen subjektiven Gebrauch des
Geschriebenen.« Die 'mögliche Botschaft« ist nicht im Text
vorhanden, sondern sie »entsteht erst in der Textarbeit des Lesers.«
(Fingerhut
1993a, S.27)" (Ziesenis
2003, S. 574)
Der
• Literaturunterricht kennt zahlreiche •
Methoden, die als kreativ bzw.
• handlungs- und
produktionsorientiert bezeichnet
werden. Dazu
gehören u. a. • Operative Verfahren
•
Textproduktive
Verfahren ▪
Bildnerisches und musikalisches Gestalten zu
literarischen Texten oder ▪
Darstellendes Spiel und szenische
Interpretation. Auf dem • "Surfbrett
Kreatives Schreiben" haben wir solche Verfahren
zusammengestellt.
Wenngleich die Praxis oft Gefahr läuft, die bei diesen Verfahren
äußerlich zu beobachtbare Schüleraktivität mehr in den Vordergrund
zu rücken als die eigentlichen Verstehensoperationen (vgl. u.
a.
Zabka 1995), ist
der didaktische Wert dieser Methoden nicht zu bestreiten.
Wenn man daran denkt, wie schwer es oft fällt,
die kognitiven Dissonanzen zu überwinden, die bei der Rezeption
solcherart ▪
strukturell
oder sogar ▪
radikal fremd
erscheinender Texte entstehen, haben solche Zugänge einen ganz
besonderen Wert. Allerdings muss man ihre Bedeutung beim
Textverstehen vernünftig einschätzen.
So ist die Frage
selbstverständlich berechtigt: "Welche Arten des
Verstehens eignen sich bei welchen Formen produktiver
Textbehandlung?" (Zabka
1995, S. 132)
Hinter dieser Frage steht das stets spannungsreiche Verhältnis von
fachwissenschaftlichen Wissensbeständen und ihrer didaktischen
Strukturierung und damit letzten Endes das Problem, wie der
Literaturunterricht das Spannungsverhältnis von Fachwissenschaft und Anwendungs- bzw.
Handlungsorientierung auflösen sollte.
Und
doch sollten die damit verbundenen Fragen nicht überbewertet werden,
wenn man bedenkt, dass im Literaturunterricht eben nicht nur
"Verstehensziele" (Winkler
2016, S.175) von Bedeutung sind, sondern auch allgemeinere pädagogische Aspekte eine Rolle
spielen. So geht es ja oft auch darum, die
volitionale Bereitschaft
der Heranwachsenden zu stärken, sich auf Lernen und Lernerfahrungen
im Umgang mit Literatur überhaupt einzulassen.
Schließlich kann
sich der Literaturunterricht "nicht nur von seinen Gegenständen her
definieren, sondern muss zumindest gleichrangig auf die sachlichen
Vorkenntnisse, lernpsychologischen Voraussetzungen und den den
intellektuellen Entwicklungsstand der Schüler Rücksicht nehmen." (Kaulen
2010, S.95)
Ob Schülerinnen und Schüler "bei
produktionsorientierter Kafka-Lektüre am Ende wirklich Kafka lesen
oder nur noch ihre Eigenversuche, die zum Gegenstand - wiederum
eines, zuvor in Frage gestellten, Interpretationsgesprächs" (Ziesenis
2003, S. 574) dürfte hingegen eine überzogene Befürchtung
sein.
Sie wertet zugleich
die breite Palette möglicher Ansätze für die
Anschlusskommunikation ab, die in der Literaturdidaktik die "Basiskompetenz
für literarisches Lernen und literarische Bildung" (Kepser/Abraham
42016, S. 120) darstellen.
Diese
Anschlusskommunikation bindet nämlich die Lese- und Medienerfahrungen,
Bedeutungszuschreibungen und
Sinnkonstruktionen
an die soziale Realität zurück und spielt gleichsam wieder in sie
ein (vgl.
ebd.). Die Fähigkeit, "mit
anderen in einen diskursiven Austausch über subjektive Textverständnisse
einzutreten" (Hurrelmann
2002, S.279), ist überhaupt Teil des Lesens als kulturelle Praxis (vgl. auch
Trolley 2020).
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
18.01.2025