Erzähltextanalyse
Die Analyse des Erzähltextes kann grundsätzlich auf der Basis
unterschiedlicher Erzähltheorien vorgenommen werden. Im •
Literaturunterricht
empfiehlt sich dabei ein •
pragmatischer, instrumentalisierender Umgang mit den
verschiedenen narratologischen Konzepten, Theorien und Begriffen.
Bei der ▪
schulischen Analyse und Interpretation
von Erzähltexten geht es
nicht um eine letztlich widerspruchsfreie, kategoriale
Terminologie in einem geschlossenen erzähltheoretischen Universum, schon
gar nicht um terminlogische Vorherrschaft im Bereich der Erzähltheorie
oder die Verteidigung eines •
erzähltheoretischen Universums,
was ohne "Begriffshuberei" anscheinend kaum zu schaffen ist,
sondern um den heuristischen Wert, den die Anwendung der
Strukturbegriffe für Schülerinnen und Schüler auf den ihnen angemessenen
Kompetenzniveaus besitzt.
Daher wird sich die Literaturdidaktik stets auch eher der so genannten • "Werkzeugkasten-Fraktion" (Vogt
2011, S.10) und ihrem "entspannten Methodenpluralismus" (ebd.1)
verbunden sehen müssen. Daraus ergibt sich, auch wenn manche
Literaturdidaktiker*innen wie
Leubner/Saupe (2006, S.133) und
Leubner/Saupe/Richter (2016, S.133f.) Versuche unternehmen, ein
vereinfachtes, an »Genette (1930-2018) (1972,
dt. 1994)
orientiertes •
Modell
in der Literaturdidaktik und im Literaturunterricht fest zu
etablieren, wird auch dies mit hoher Wahrscheinlichkeit den
Methodenpluralismus nicht beenden. So werden die zwar sehr in die
Jahre gekommenen Konzepte der
traditionellen (älteren,
vorstrukturalistischen)
Erzählforschung, allen voran »Franz
K. Stanzels (geb. 1924) ▪
Konzept der Erzählsituationen oder »Eberhard
Lämmerts (1924-2015)
Bauformen
des Erzählens (1952/55) bei
der schulischen ▪
Textinterpretation
weiterhin eine größere Rolle spielen.
Als Alternative dazu bietet sich, insbesondere unter
literaturdidaktischem Aspekt betrachtet, die ▪
Erzähltextanalyse nach Petersen(1993,
72006)
an, mit deren Hilfe sich mit einer beschränkten Anzahl von Kategorien in einer allgemein verständlichen
Terminologie wesentliche Erzählstrukturen in in ihrem
Funktionszusammenhang analysieren lassen. Darin wird Stanzels als
"geschlossene Typologie" konzipierte Erzählsituationen "durch einen
offeneren Merkmalskatalog ersetzt, der mehr (wenn auch nicht alle)
Kombinationsmöglichkeiten und damit eine feinere Klassifizierung
ermöglicht." (Jahraus
2009, S.228)
Die folgende ▪
Analyse der
erzähltechnischen (narrativen) Mittel, die in
▪
Wolfgang Borcherts
▪
Kurzgeschichte
▪
»Nachts
schlafen die Ratten doch«
vorkommen, folgt den ▪
Strukturbegriffen
der älteren Erzähltheorie, die bei der
schulischen Interpretation erzählender Texte überwiegend
verwendet werden. Die Analyse der
Erzählperspektive erfolgt zur Ergänzung auch mit den •
Parametern
der Perspektiven aus der
neueren
Erzähltheorie von »Wolf
Schmid (geb. 1944)
(2005)
▪
Strukturbegriffe der älteren
Erzähltheorie
▪
ABC der schulischen
Erzähltextanalyse
Erzähltechnische Mittel im Überblick
Die wichtigsten
▪
erzähltechnischen
Mittel in ▪
»Nachts
schlafen die Ratten doch« werden nachfolgend auf der Grundlage der
traditionellen Erzähltheorie in
einer Übersicht dargestellt.
Darbietungsformen:
-
Beschreibung: z.B.
»Das hohle Fenster in der vereinsamten Mauer gähnte blaurot voll
früher Abendsonne«; »Die war schon rot vom Abend«
-
fiktionaler Bericht:
»Er hatte die Augen zu. Mit einmal wurde es noch dunkler...«;
»Aber das hörte der Mann schon nicht mehr. Er lief mit seinen
krummen Beinen auf die Sonne zu....«
-
Szenische
Darstellung (Dialog)
Zeitgestaltung
Raumgestaltung
Figurengestaltung
-
Figurenkonstellation:
-
älterer Mann mit krummen Beinen,
»ärmlich«, hat 27
Kaninchen, für die er auf Futtersuche ist
-
neunjähriger Junge namens Jürgen mit
»Haargestrüpp",
hält Wache nach Ausbombung des Hauses wegen angeblicher Verschüttung
(in Wirklichkeit Tod) seines jüngeren Bruders; vermutlich ohne
Kenntnis seiner Eltern
Erzählperspektive
Die Analyse der
Erzählperspektive erfolgt zur Ergänzung auch mit den •
Parametern
der Perspektiven aus der
neueren
Erzähltheorie von »Wolf
Schmid (geb. 1944)
(2005)
»Er hatte die Augen zu.
Mit einmal wurde es noch dunkler. Er merkte, dass jemand gekommen war
und nun vor ihm stand, dunkel, leise. Jetzt haben sie mich! dachte er.
Aber als er ein bisschen blinzelte, sah er nur zwei etwas ärmlich behoste Beine. Die standen ziemlich krumm vor
ihm, dass er zwischen ihnen hindurchsehen konnte. Er riskierte ein
kleines Geblinzel an den Hosenbeinen hoch und erkannte einen älteren
Mann. Der hatte ein Messer und einen Korb in der Hand. Und etwas Erde an
den Fingerspitzen.«
Textsorte
-
Kurzgeschichte:
unvermittelter Beginn, offener Schluss; Alltäglichkeit der Sprache,
des Ortes, der Personen; Kürze; Punktualität der Zeit, des Ortes,
der Personen, der Handlung
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
25.05.2025
|