Die
Kurzgeschichten ▪ Wolfgang Borcherts
weisen gewöhnlich eine gemeinsame
Grundstruktur auf, die die jeweilige Geschichte in einer Abfolge
von drei Zuständen erzählt. Ausgehend von einem einem Anfangszustand, in
dem die Dinge noch einigermaßen im Lot sind und eine "virtuell-zeitlose
Geborgenheit" (Csúri
1996, S.157, zit. n.
Winter 2004,
S.46) ausstrahlen, entwickelt sich die Geschichte, indem sie einen
Übergangszustand durchläuft, in dem die vorausgehende Harmonie verloren
ist und ein "disharmonische(s) Stadium zeitlich-historischen
Ausgestoßenseins" (ebd.)
eintritt, am Ende in einen Zustand "virtuell-zeitloser Geborgenheit
(oder Schein-Geborgenheit". (ebd.)
Diese Grundstruktur ist auch in der
▪
Kurzgeschichte
▪
»Nachts
schlafen die Ratten doch« erkennbar und schlägt sich auch in der
▪
inhaltlichen Gliederung des Textes
nieder.
Die Ausgangssituation liegt
in dieser Kurzgeschichte der Vergangenheit. Das Haus, in dem sich
der Junge und der Mann begegnen, ist offenbar erst vor kurzem bei
einem Bombenangriff zerstört worden, bei dem der Junge seinen
vierjährigen Bruder verloren hat. Offenbar ist der Leichnam dieses
Kindes noch nicht geborgen und weiterhin verschüttet. Unklar bleibt,
ob die Eltern des Jungen noch leben.
Der Übergangszustand besteht
darin, dass Jürgen, so der Name, des älteren Bruders, für seinen
verschütteten jüngeren Bruder die Totenwache hält. Während er dies
tut, hat er offenbar Angst und ist sich unsicher, was er tun soll,
um seinen toten Bruder zu beschützen, von dem er sich offenbar noch
nicht verabschieden kann. Die Situation also solche überfordert das
"allzu früh zum Erwachsenensein gezwungenen Kind". (Winter 2004,
S.47) dar.
Der daraus folgende Zustand, der zugleich der
Endzustand der Geschichte darstellt, wird durch die Begegnung
des Jungen mit Mann möglich, dem es durch seine Art, mit dem
verängstigten Jungen zu quasi "auf Augenhöhe" zu sprechen gelingt, dass
sich Jürgen am Abend abholen lässt. Dadurch tut sich für ihn zumindest
eine "vorübergehende Überlebensperspektive" (ebd.)
auf, bei der "aber völlig offen bleibt, wie er weiterleben könnte." (ebd.)

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
25.05.2025