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Diskurs

Die Materialität von Aussagen

Antihermeneutische ModelleDiskursanalytisches Modell Einzelne Begriffe und Konzepte (Foucault)

 
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Grundsätzlich werden nach Foucault alle • Aussagen "durch ihre materielle Existenz konstituiert, die sie lokalisierbar und datierbar macht." (Vogl 2014, S.227)

Das bedeutet zunächst einmal vereinfacht, dass eine Aussage nicht etwas Ideelles ist, das quasi nicht konkret greifbar ist und etwas Instabiles und Flüchtiges darstellt. Abgehoben wird dabei "auf die tragende Grundlage eines Gegenstandes, in erster Linie ist seine sinnlich erfahrbare Stofflichkeit gemeint." (Buhr 2022)

Das Konzept der Materialität

Um zu verstehen, welche Bedeutung das Konzept der Materialität besitzt, lohnt es sich einen kurzen Blick in die europäische Geschichte der Erkenntnis (»Epistemologie) und des Wissens zu werfen.

Seit »Platons (428/427- 348/347 v. Chr.) Ideenlehre und dem Hylomorphismus von Aristoteles (384-322 v. Chr.) dominierte "die intelligible Idee über den sinnlichen Körper, die Repräsentation über die Präsenz". (Stellmann/ Wagner 2023, S. XXIV) Vereinfacht gesagt: Die Vorstellungen, die wird uns über die Welt machen haben größeres Gewicht als die Dinge der Welt selbst.

  • Die »Ideenlehre Platons besagt, dass die wahre Wirklichkeit in einer transzendenten Welt der Ideen liegt. Platonische Ideen sind beispielsweise "das Schöne an sich", "das Gerechte an sich" oder „der Mensch an sich“. Ideen sind ewig, vollkommen und die Urbilder aller Dinge. Die sinnliche Welt ist nur ein unvollkommenes Abbild. Wahre Erkenntnis entsteht durch das Erfassen der Ideen, nicht durch Sinneserfahrung. Die höchste Idee ist die Idee des Guten. Mit seinem berühmten »Höhlengleichnis verdeutlicht er den Weg zur rein geistigen Welt des Seins und der unwandelbaren Ideen als Aufstieg aus einer unterirdischen Höhle, die als Ort die Sphäre der sinnlich wahrnehmbaren Welt der vergänglichen Dinge symbolisiert.

  • Der »Hylomorphismus (von griech. »hylē = Materie, morphē = »Form) besagt, dass jedes materielle Ding aus »Materie (hylē) und Form (morphē) besteht. Die Materie ist das potenzielle Grundmaterial, während die Form die aktuelle Struktur oder Essenz eines Dings bestimmt. Dieses Prinzip erklärt, wie physische Objekte existieren und sich verändern. Form und Materie wurden daher als Prinzipien des Seienden bezeichnet.

In der christlichen Theologie wurde diese Vorstellung von der Dominanz der Idee über die Materie noch weiter zugespitzt, indem man z. B. erklärte, "dass die Materie bzw. der Körper ein 'totes' Substrat [...] bildet, das erst von der Seele [...] belebt wird." (Stellmann/ Wagner 2023, S. XXIV)  Auf diese Weise wurde Fühlen, Denken und Sprechen, sondern auch Streben, Bewegen und Handeln einzig die Sache von Körpern, die von einer Seele belebt wurden.

Dagegen geht das Konzept der Materialität an. Es stellt nämlich "die unbelebten Dinge und Körper epistemologisch (mehr oder weniger) gleichberechtigt neben die beseelten Lebewesen, und zwar insbesondere die Menschen". (ebd.)

Insofern vollzieht es  den so genannten »material turn (engl., deutsch etwa Wende zum Material). Diese transdisziplinäre diskursive Bewegung zielt auf die Zunahme der Gewichtung der materiellen Kultur in den Geistes- bzw. Kulturwissenschaften. Dabei wird vermehrt die Frage gestellt, wie Wissen in kulturell geschaffenen und verwendeten Objekten oder Dingen wirkt. Der Begriff ist – wie auch derjenige des »iconic turn – in Analogie zum »linguistic turn gebildet. (vgl. Wikipedia)

Das Konzept der Materialität strebt u. a. an, "die Höherrangigkeit der Form gegenüber dem Stoff, der Seele gegenüber dem Körper sowie des Rationalen gegenüber dem Sinnlichen zu überwinden. Seinen bekanntesten Ausdruck findet dieses Ziel in dem Vorschlag, die 'Dinge zum Leben zu erwecken'." (Stellmann/ Wagner 2023, S. XXIV) ) Insbesondere lehnt es die Vorstellung ab, die "Dinge" bzw. die Materie oder das Material spielten in der Praxis im Grunde einen "passiven (und stummen) Part" als Rohstoff oder bloßer Körper, die Wirkungen ausgesetzt seien und/oder Gestaltungen und Handlungen durch den aktiven Part (das Subjekt, die Formung, den Geist / die Seele) zu erleiden hätten. (vgl. ebd.)

Im Gegensatz zu dieser in die Irre führenden Verknüpfung von Materialität und Passivität, die der "Handlungspotenz der Dinge" (ebd.) und dem "Zusammenwirken menschlicher und nicht-menschlicher Aktanten in sozialen und Praxiskontexten" (ebd.) ablehnend gegenübersteht, betont das Konzept der Materialität, dass die materialen Dinge sehr wohl absichtsvoll, handlungsfähig und womöglich sogar sprachbegabt sein können." (ebd.)

Auch wenn dies eine gewisse Verwunderung auslöst, "mag man sich an den in den letzten Jahren gehäuft auftretenden Naturkatastrophen vor Augen führen, die auf den Klimawandel und mithin eine spezifische Aktivität der 'Naturdinge' – Wassermassen, Feuersbrünste – gerade im Zeitalter des »Anthropozän zurückzuführen sind. Tatsächlich verfolgen wichtige Vordenker der Materialität wie »Jane Bennett (geb. 1957) oder »Bruno Latour (1947-2022) mit ihren Ansätzen dezidiert ökopolitische Ziele, wenn sie den Anteil der Dinge (der Natur) im menschlichen Handeln nicht nur sichtbar machen, sondern ebendiesen Dingen zugleich politische Repräsentation [...] erkämpfen möchten, um die [...] Natur zu erhalten. "(ebd.

In seinem Buch "Parlament der Dinge" (2001/2010) hat der französische Wissenssoziologe Bruno Latour gefragt, "ob und wie man nicht-menschliche – wie soll man sagen: Wesen oder Akteure, er nennt sie Aktanten – in demokratische Aushandlungsprozesse einbinden kann und ihnen damit – im übertragenen wie wörtlichen Sinne – eine Stimme gäbe. Das wäre ein auf die Natur erweiterter Gesellschaftsvertrag." (Leggewie 2024)

Die Materialität der Aussagen

In die Diskurs- und Dispositivforschung ist das Konzept der Materialität, ebenso wie in andere kultur- und sozialwissenschaftliche Disziplinen eingegangen.

Sie hat dabei die von »Michel Foucault (1926-1984) vorgenommene analytische Unterscheidung von • diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken aufgegriffen "und mit einem besonderen Fokus auf die materiellen Elemente von Diskursen und Dispositiven (z. B. Aufschreibesysteme wie Schreibmaschinen und Computer, Architekturen, Instrumente) zu einer materiell orientierten Untersuchungsperspektive weiterentwickelt" " (Buhr 2022)

So gibt es diskursrelevante Gegenstände, die nicht in sprachlicher Form ausdrücken, worauf es ihnen ankommt. Sie vertreten in ihrer materialisierten Gestalt "Wissensordnungen und Wahrheiten, die nicht mehr diskursiv zirkulieren" (Hoffarth 2012, S.214).

Damit sie wirken, müssen sie sich also nicht mehr in diskursiv sprachlicher Form zu Wort melden, d. h. was sie bedeuten, muss also nicht mehr ausdrücklich gesagt werden. Das Ungesagte ist dann schon nicht-diskursiv in Gegenstände, d. h. die (materialen) Körper eingeschrieben bzw. ist in diesen "verkörpert".

Solche Gegenstände stellen "materialisierte Facetten (des Ungesagten, des nicht mehr Aussprechbaren) der Diskurse, welche quasi ihren Aggregatzustand geändert haben" (Hoffarth 2012, S.214), dar.

Dieser Gedanke, versteht, um es salopp zu sagen, auch "tote" Gegenstände als soziale  Praxen/Praktiken. Sie repräsentieren im Unterschied zum "Gesagten", dem in Gesetzestexten, Normen, Verhaltensregeln u. v. m. sprachlich Fixierten, Nicht-Gesagtes in einem Diskurs.

Was auf den ersten Blick etwas verwirrend erscheint, zeigt aber bei genauerem Hinsehen die Relevanz der Auffassung, dass ein Diskurs • diskursive und nicht-diskursive Praktiken vereint.

Dabei wird davon ausgegangen, dass neben sprachliche Aussagen auch Gegenstände als Materialisierungen des Diskurses Geltungsansprüche erheben können. Wie jene können sie "eine quasi-normative Autorität (besitzen), da sie nicht allein die Wahrheit ihrer Erscheinung behaupten, sondern darüber hinaus die Legitimität ihrer Anwesenheit selbst (optisch, akustisch, olfaktorisch, haptisch wahrnehmbar) repräsentieren." (ebd.)

Auf diese Weise entwickelt die Materialisierung eines Diskurses ein erzieherisches Potential, das darauf beruht, dass es "seinen Legitimierungserzählungen qua räumlich-körperlicher Erscheinung 'Platz hält'." (ebd.) Wenn wir mit Gegenständen umgehen, sie nutzen oder physisch erleben, werden damit schon bestehende, "vorherrschende Wissens- und Erkenntnispraxen“ (Bührmann/Schneider 2008, S28, zit. n. (ebd.) geformt.

Indem die materialisierten Gegenstände den Diskurs bzw. Themen und Perspektiven des jeweiligen Diskurses quasi zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt und in einer bestimmten historischen Situation "einfrieren" und konservieren, verdeutlichen sie auch die historische Bedingtheit des Diskurses, den sie als Gegenstände repräsentieren.

Die Materialität der Aussage besteht dabei nicht allein darin, dass sie einen medialen Träger (z. B. Schrift, Buch, analoge oder digitale Aufzeichnung) hat oder ein einmaliges raum-zeitlich situiertes Artikulationsereignis ist.

Kennzeichen ihrer Materialität ist auch, dass Aussagen wiederholbar sind und dies von bestimmten institutionellen Bedingungen garantiert wird. Zudem werden sie von Anwendungsschemata und Regeln stabilisiert, die festlegen, wie von den Aussagen Gebrauch gemacht werden soll. Zudem bestimmen sie auch die Position einer Aussage im Verhältnis zu anderen Aussagen. Das heißt: "Die Materialität, d. h. die Wiederholbarkeit einer Aussage, manifestiert sich also in einem variablen Zusammenspiel von stofflichen bzw. medialen, institutionellen und diskursiven Bedingungen." (Vogl 2014, S.227)

Nimmt man z. B. den Satz »Die Erde ist rund«, dann weist dieser "vor und nach Kopernikus eine jeweils andere materielle Konsistenz auf – und das nicht, weil sich der Sinn seiner Wörter geändert hätte, sondern weil der Bezug zu anderen Behauptungen, Beweisverfahren, Beobachtungsverhältnissen ein anderer geworden ist." (ebd.)

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 22.03.2025

    
 

 
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