Neben
dem Ansatz der •
Dekonstruktion in der Nachfolge »Jacques Derridas
(1930-2004) hat vor allem die »Diskursanalyse
»Michel Foucaults
(1926-1984) den antihermeneutisch ausgerichteten »Poststrukturalismus
auch in der Literaturwissenschaft geprägt.
Foucaults Werk als Ganzes ist angesichts der Tatsache, dass Foucault "seine
theoretischen Positionen oft verändert" (Winko
1996/82008, S.465), vor allem in zeitlicher Hinsicht "ein
verwirrendes Labyrinth" (Fink-Eitel
1989/42002, S.10). Wenn man nicht wüsste, so urteilt
Fink-Eitel (1989/42002) an gleicher Stelle weiter, dass
seine Bücher vom selben Autor, könnte man sie für Werke verschiedener
Autoren halten.
Hinzukommt, das Foucault in seinen Konzepten und Theorien eine
eigenständige und z. T. eigenwillige Terminologie verwendet, die auch
die Übersetzung aus dem Französischen auch nicht unbedingt besser
"klingt". Dadurch dass Foucault es vermeiden will, verbrauchte und in
seinen Augen untaugliche Begriffe z.B. aus der Hermeneutik und dem
Strukturalismus zu verwenden, schöpft er immer wieder neue Begriffe, die
zudem in seinem Denken auch nicht immer in der gleichen Art und
Weise verwendet werden. Wahrscheinlich hat Foucault, wie es bei vielen
Texten französischer Poststrukturalisten der Fall ist, absichtlich ein "Projekt
der terminologischen Verunklarung" (Warnke
2008, S.38, Hervorh. d. Verf.) verfolgt: "Gegen die Annahme einer
Geschlossenheit und Eindeutigkeit von Bedeutungen werden offene
Konzepte, zerfaserte Kategorien und Vieldeutigkeiten zum Gegenstand und
Verfahren des wissenschaftlichen Schreibens. Der Versuch 'Diskurs' nach
Foucault zu definieren, scheitert daher regelmäßig. Wir müssen geradezu
davon ausgehen, dass Foucault die bereits in der französischen Sprache
vorhandene Mehrdeutigkeit des Substantivs discours für ein
kaleidoskopartiges terminologisches Spiel nutzt."
Das hat so manchen von seinem Werk abgeschreckt, das mit
diesem Verwirrspiel etlichen Leserinnen und Lesern den "Spaß" an seinen, ohnehin nicht
leicht verständlichen Texten verdorben und dazu verleitet hat, es
als "das konfuse
Machwerk eines Wirrkopfes" abzutun. (Fink-ebd.,
S.11) Andere dagegen ließen sich davon nicht beirren, sahen darin sogar
einen Vorzug und interessierten sich dafür, wie Foucault in seinen
Theorien und Konzepten unterschiedliche Einflüsse produktiv verarbeitet
(z. B. strukturalistische Positionen) oder sich von diesen abgegrenzt
(z. B. von hermeneutischen Zugängen) hat.
Foucaults Werk ist wohl für die meisten seiner Leserinnen und Leser,
"ein irritierend bewegliches und diskontinuierliches »work progress«" (ebd.,
S.13), das, wenn man es als solches versteht, eben nur in seiner
Gesamtentwicklung wirklich angemessen verstanden und dargestellt werden
kann. Aber wie immer, ist auch diese Auffassung nicht unwidersprochen
geblieben. Diese Fragen können und sollen hier nicht erörtert werden.
Es gibt auch andere Diskurstheorien als die postrukturalistische
Michel Foucaults. Man kennt sie in der Pragmalinguistik,
aber auch in anderen Fachdisziplinen. Auch in der Kommunikationstheorie
und Philosophie haben sie ihren Platz. (vgl. u. a.
Winko
1996/82008, S.464)
Insbesondere in der auf dem kommunikativen Handeln beruhenden
Gesellschaftstheorie (»Theorie
kommunikativen Handelns), die der deutsche Philosoph und Soziologe
»Jürgen Habermas (geb. 1929), entwickelt hat, ist der Begriff des
Diskurses fest verortet. Der Begriff des • "herrschaftsfreien
Diskurses", den Habermas in seiner Diskursethik als ein •
Idealmodell
kritischer Argumentation versteht, ist dabei wohl das prominenteste
Beispiel. Als Ergebnis
kommunikativen Handelns soll dabei am Ende "die freiwillige, gewaltlose und
vernünftige Konsensbildung" stehen, "die auf Überzeugungen und
einleuchtenden Argumenten beruht". (Heinemann/Heinemann
2002, S. 44) Mit Foucaults Auffassungen von •
Diskurs, seinem Denken über den •
Zusammenhang von Macht und Wissen, der
• Subjektwerdung des Einzelnen und dem
"Tod" des vermeintlich autonomen, sich selbst bestimmenden Subjekts in
der Moderne und vielem anderen hat das Ideal des herrschaftsfreien
Diskurses nichts zu tun. Kein Wunder daher, dass auch Jürgen Habermas zu
Foucaults namhaftesten und schärfsten Kritikern zählt.
•Diskurs
bedeutet für Foucault, der selbst keine dezidierte
literaturwissenschaftliche Diskursanalyse ausgearbeitet hat, weitaus mehr als einfach Diskussion, eine
Wortbedeutung, die,
wie oben
dargelegt, mit dem Begriff oft im alltäglichen Gebrauch
verbunden wird.
Für ihn sind
Diskurse in einer ersten Annährung komplexe Systeme von
Aussagen, Praktiken und Machtverhältnissen, die unser Wissen und
Verständnis von der Welt formen. Sie stellen ein strukturiertes
System von Aussagen dar, das Wissen produziert und bestimmt, was
in einer bestimmten Epoche oder in einem bestimmten Bereich als
"wahr" oder "sagbar" gilt. Stets "(geht es)
um die Differenz geht zwischen dem, was sich theoretisch sagen,
machen und denken lässt, und dem, was tatsächlich gesagt,
gemacht und gedacht wird." (Landwehr
2018, S.5 im Anschluss an Foucault) S
Dabei sind
Diskurse eng an • "Machtstrukturen"
gekoppelt, die sich mit ihnen zu so genannten •
Dispositiven verbinden. Diese
umfassen eine große Zahl an höchst heterogenen Elementen, wie
Diskursen, Institutionen, wissenschaftlichen Aussagen und
philosophischen Lehrsätze, die die strategische Funktion haben,
Machtstrukturen zu errichten, zu festigen, zu hinterfragen und
ggf. zu verändern. (vgl. Gille
2012, S.169). Oder anders ausgedrückt: die in bestimmten
Bereichen festlegen, was als wahr, gültig oder relevant
anzusehen. Dazu schaffen sie Kategorien, durch die wir uns und
die Welt um uns herum betrachten und verstehen. Zugleich grenzen
sie bestimmte Themen aus, engen unsere Perspektiven auf die Welt
ein und legen uns darauf, fest wie wir zu leben haben, wenn wir
zu den "Normalen" in unserer Gesellschaft zählen wollen.
Diskurse sind
im übertragenen Sinn nicht in Stein gemeißelt, sondern verändern
sich im Laufe der Zeit. So kann das, was früher für richtig
gehalten und geglaubt wurde, in den Diskursen einer späteren
Zeit modifiziert, vom jeweils aktuellen Diskurs ausgeschlossen
und damit abgelehnt werden.
Diskurse • "verkörpern"
sich nicht nur in der Sprache, sondern •
materialisieren sich auch
in uns, in Objekten, in Institutionen und in
• Praktiken. Sie
bringen damit selbst hervor, wovon die Rede ist. So gesehen
erschaffen sie die Realität von der sie "reden"
, einschließlich unserer Identität als einzelnes "Subjekt",
selbst, ohne das Zutun eines göttlichen oder menschlichen
"Schöpfers".
Der •
Begriff des Diskurses
wird von »Michel Foucault
(1926-1984) "bewusst uneinheitlich verwendet" (Köppe/Winko
(2008, S.99). In seinem mannigfaltigen Denken kommt er in einer
•
weiten und einer
• engen Fassung
vor, wobei die letztere, die • wissenssoziologische
Variante, die postfoucaultsche Diskursforschung bestimmt.
(vgl. Köppe/Winko 2008, S.99).
Foucault selbst
hat sein Verständnis von Diskurs in einem kleineren
Beitrag, der in die Sammlung der Dits et Ecrits (Gesagtes
und Geschriebenes), die sämtliche zu Lebzeiten Foucaults
publizierten Aufsätze, Interviews und kleineren Beiträge
enthält, einmal sehr pointiert, wie folgt ausgedrückt: "Der
Diskurs ist die
Gesamtheit erzwungener oder erzwingender Bedeutungen, die die
gesellschaftlichen Verhältnisse durchziehen." (Foucault
2003/2015, Dit et Ecrits, Bd. III, S.164, zit. n.
Ziegler 2019, S.101)
Für Landwehr
(2018) "ist der Kernbestandteil von Diskurs, [...] dass
Wissen und Wirklichkeit Ergebnisse sozialer
Konstruktionsprozesse sind und dass Gesellschaften auf diesem
Weg ihre Umwelten mit bestimmten, keineswegs zufälligen
Sinnformen ausstatten, ja, dass diese diskursiv konstituierten
Sinnformen solcherart objektiviert werden können, dass sie
nahezu naturnotwendigen Charakter annehmen. [Sarasin
1996]" (Landwehr
2018, S.5)
Bis heute hat man immer wieder
versucht, den kleinsten gemeinsamen Nenner für den Begriff des Diskurses
im Denken Foucaults zu bestimmen.
Herausgekommen
sind dabei aber auch für die postfoucaultsche Diskursforschung meistens nur sehr vage gemeinsame Schnittmengen, dazu in
einer Abstraktheit formuliert, dass der Umgang mit solchen Definitionen
schwer fällt. (vgl.
Gerhard/Link/Parr 32004, S.118)
Titzmann
(1991, S.406, zit. n.
ebd.,
S.101) hat als kleinsten gemeinsamen Nenner für die •
engere Version
des Begriffs mittlerweile inflationär
verwendeten Begriff "Diskurs" folgende Definition formuliert, die wir hier
in der Fassung von
Köppe/Winko
(2008, S.101, vgl.
Winko
1996/82008, S.464) wiedergeben:
"Unter »Diskurs« wird ein »System des Denkens
und Argumentierens« verstanden, das durch einen gemeinsamen
»Redegegenstand«, durch »Regularitäten der Rede« und durch »Relationen zu
anderen Diskursen« bestimmt ist."
Daraus folgt, so
Köppe/Winko
(2008, S.101), dass Diskurse "also keine Einzeltexte oder Textgruppen
(sind), sondern Komplexe, die sich aus Aussagen und den Bedingungen und
Regeln ihrer Produktion und Rezeption in einem bestimmten Zeitraum
zusammensetzen." Ob ein Text zu einem Diskurs gehört oder nicht, hängt dabei
davon ab, ob er die Regeln des Diskurses befolgt und "zum spezifischen Thema
des Diskurses Wissenselemente" beiträgt. (Baasner
2005, S,137)
Texte, literarische
ebenso wie
Gebrauchstexte, sind, diskursanalytisch gesehen, "»Knotenpunkte« im Netz
verschiedener Diskurse" (Köppe/Winko
(2008, S.102), die keine festen Grenzen haben und nicht auf eine
außertextliche Wirklichkeit verweisen, "sondern auf Sprache, mithin auf
andere Texte und Diskurse" (ebd.),
die allein den (intertextuellen) Kontext darstellen, den die
Diskursanalyse berücksichtigt. Literarische Texte haben in einem Diskurs
"nichts spezifisch Literarisches, sondern sind beliebige Texte, die sich
einem Thema widmen." (Baasner
2005, S.143) Dessen ungeachtet lässt sich Literatur als •
Spezialdiskurs auffassen.
Diskurse stellen in der Diskursauffassung
»Michel Foucaults
(1926-1984) "mediale Wissensformationen" (Dreesen/Kumiega/Spieß
2012 S.9) dar, da sie, "sobald wir sie als solche erkennen, bereits
medial vermittelt (sind)." (ebd.,
S.11) Die •
Medialiät der Diskurse
führt dazu, dass man bezogen auf die Sprache medial mündliche und medial
schriftliche Vermittlungsformen unterscheiden kann. Medialität kann sich aber auch
auf die Medien beziehen, die als technische Mittel zur Vermittlung von
Informationen dienen, oder auf die Akteure, die an Diskursen teilhaben.
(vgl.
Bucher/Duckwitz 2005)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
22.03.2025
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