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teachSam-YouTube-Playlist: Michel Foucault und die
Macht
»Michel
Foucaults (1926-1984) •
historische Rekonstruktion von Machttypen soll u. a. zeigen, wie die Macht in
unterschiedlichen Zeiten funktioniert.
Biomacht
(auch: Bio-Macht) und Biopolitik sind Begriffe, mit denen
Foucault in späteren Schriften eine neue Perspektive seiner
Analytik der Macht gewinnt.
Die neue Macht,
die in der Moderne die •
Disziplinarmacht überlagert, aber nicht generell ablöst, und
zu einer zentralen Machtform wird, ist die Biomacht, die sich nicht mehr wie die Disziplinen auf das
einzelne Individuum, sondern auf den Menschen als Gattungswesen,
und dabei allem auf die Gesamtmasse der Bevölkerung und das
gesellschaftliche Leben selbst richtet. (vgl.
Bublitz
2014b, S.392f., Kindle Edition)

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Für den modernen Menschen, das moderne •
Subjekt,
haben diese Entwicklungen bedeutende Konsequenzen und nehmen
entscheiden Einfluss darauf, wie wir uns sehen, was wir sind
oder zu sein glauben. Dabei steht das moderne Subjekt • "am
Kreuzungspunkt zweier korrelierender Prozesse" (Sich
2018, S.83), die uns auf der einen Seite als einzelne
Individuen äußerlich prägt und uns unseren Platz im sozialen
Raum zuweist und auf der anderen Seite auch unsere »moderne
›Seele‹« (Foucault
1976/1994, S.41) mit ihren Disziplinierungstechniken so
konfiguriert, dass wir an der Macht
Letzten Endes konstituieren die damit verbundenen •
Macht-Wissens-Komplexe unsere Subjektivität. Foucault
jedenfalls hat bei seinen Machtanalysen stets die •
Subjektivierung
im Blick. (vgl. Sich
2018, S.64)
"So befindet sich das moderne Subjekt am Kreuzungspunkt
zweier korrelierender Prozesse: Die gewissermaßen äußere
Individualität (die gleichsam internalisiert wird), die aus den
normalisierend-normierenden Wirkungsweisen und Messverfahren der
Disziplinen hervorgeht, definiert die Position im sozialen Raum.
Diese korrespondiert mit der Konfiguration der Innerlichkeit als
»moderne[r] ›Seele‹« (Foucault
1976/1994, S.41), die durch Techniken der
Überwachung, der Übung, kurz: der Disziplinierung hervorgerufen
wird. Da sowohl die Seele als Produkt der (körperlichen)
Abrichtung als auch die genaue Verortung des Individuums Effekte
und Werkzeuge der Macht sind, ist dieses Subjekt in doppeltem
Sinne Unterworfenes und zugleich Mittel zu weiterer
Unterwerfung: »Die Disziplin ›verfertigt‹ Individuen: sie ist
die spezifische Technik einer Macht, die Individuen sowohl als
Objekte wie als Instrumente behandelt und einsetzt« (Foucault
1976/1994, S.220)". (Sich
2018, S.83)
Biopolitik (Bio-Politik) ist ein Begriff der
Machtanalyse Foucaults, der "eine sowohl
historisch-genealogische als auch systematische
Analyseperspektive" (Folkers/Rödel
2015) darstellt: "Aus einer historischen Perspektive
betrachtet verdeutlicht der Begriff, wie die Organisation von
und die Sorge um Leben in der Moderne ins Zentrum der Politik
rückt. In systematischer Hinsicht beschreibt er einen Modus der
Politik, dessen Zielscheiben das Leben der Bevölkerung sowie der
menschliche Individualkörper sind." (ebd.)
Biopolitisch
ist das neue Machtparadigma, weil es "auf der Macht über das
Leben (beruht), die den Tod ausgrenzt, das Leben verwaltet und es von
innen her reguliert." (ebd.)
Dabei verzichtet die Biopolitik keineswegs auf disziplinäre
Machttechniken, sondern macht nur anders, Im Grunde sogar in
einer intensivieren Art und Weise von ihnen Gebrauch. Dies
geschieht, weil die Anzahl disziplinierender Institutionen
beträchtlich zunimmt, während zugleich die traditionell
institutionalisierten Disziplinarmechanismen subtileren und
flexibleren Formen der Kontrolle weichen, die jetzt nicht mehr
nur von geschlossenen Institutionen ausgehen, "sondern von
verstreuten Kontrollpunkten in der Gesellschaft aus operieren."
(ebd.)
"Bio" ist diese Politik, weil sie die »Fortpflanzung, die
Geburten- und Sterblichkeitsrate, das Gesundheitsniveau, die
Lebensdauer […] zum Gegenstand eingreifender Maßnahmen und
regulierender Kontrollen« (WW,
S. 135) macht und sie »qualifizieren, messen, abschätzen, abstufen«
soll.
(WW,
S. 139). (vgl. Jäger/Jäger/Nothardt/Wamper
82024, S.184f., Kindle Edition)
Wo früher disziplinäre
Mechanismen das Soziale dominierten, spielen fortan mehr oder
mehr »Dispositive der Sicherheit«
(Foucault
2004, vgl.
Lemke
1997, 191 f., Hervorh. d. Verf.) eine Rolle, die diese
Mechanismen entsprechend
modifizieren. Sie werden durch die Biopolitik und ihre
integrierten "Sicherheitskalküle" zu •
Dispositiven der Macht, die ein "Feld von Normalität" (Bublitz 2014,
S.276) erzeugen, das auch "Optimalwerte" vorgibt, an dem die
Individuen ihr Verhalten ausrichten können. Dabei sollen die
Dispositive der Sicherheit Gefährdungen der Gesellschaft
vorbeugen und sie damit verhindern. Zugleich tragen sie aber
auch zur sozialen Dynamik bei, weil sie erheblich dazu
beitragen, dass die tradierten Normen in hochkomplexen
Gesellschaften mehr und mehr durch "dynamische Normen" (Bublitz
2014b, S.392f.) ersetzt werden, "die sich, empirisch
ermittelt, situativ verändern und sich daher auch nur temporär
als angemessen erweisen." (ebd.)
Dieses Feld
begrenzt die Freiheit des Einzelnen, definiert ihre auf der
Grundlage der Sicherheitskalküle der Gesellschaft und der
Politik die Grenzen der Freiheit, homogeniert die Vielfalt und
integriert sie in das Feld der Normalität. (vgl.
ebd., vgl.
Bröckling/Krasmann/Lemke 2000) Das Individuum muss dabei im
Rahmen dieses Feldes flexibel agieren und sich am besten
an Normal- oder Durchschnittswerten orientieren, "um nicht aus der
Zone der Normalität herauszufallen." (Bublitz
2014b, S.392f.)
Biomacht
Foucault
ergänzt sein Konzept der Biopolitik mit dem Begriff der
Biomacht. Sie
umfasst "verschiedenste Techniken zur Unterwerfung der Körper
und zur Kontrolle der Bevölkerung“ (Foucault
1983/1995/192012, S.135) und richtet sich vor allem an die »Vielfalt der Menschen« (Foucault
1976, S. 286).
Als ein System "regulierender Kontrollen" (Foucault
1983/1995/192012, S.135) z. B. über "die
Fortpflanzung, die Geburten- und die Sterblichkeitsrate, das
Gesundheitsniveau, die Lebensdauer, die Langlebigkeit mit allen
ihren Variationsbedingungen" (ebd.)
ist sie eine Macht, "deren höchste Funktion nicht mehr das
Töten, sondern die vollständige Durchsetzung des Lebens ist." (ebd.)
Sie schließt andere Formen der Macht wie z. B. die
• Disziplinen
nicht aus, sondern umfasst, integriert und sie modifiziert sie
und nutzt sie auf ihre eigene Weise. (vgl.
Foucault 2001, S.279f. VL 1975/76) Als
"nicht-disziplinäre Macht" (ebd.)
setzt sie nicht nur woanders an, um ihre Wirkung zu entfalten,
sondern besitzt auch eine "andere Oberflächenstruktur" (ebd.)
als die Disziplinarmacht und nutzt andere Instrumente.
"Diese neue Technik der nicht-disziplinären Macht", fährt
Foucault an gleicher Stelle fort, "lässt sich nun – im Gegensatz
zur Disziplin, die sich auf den Körper richtet – auf das Leben
der Menschen anwenden; sie befasst sich, wenn Sie so wollen,
nicht mit dem Körper-Menschen, sondern dem lebendigen Menschen,
dem Menschen als Lebewesen, und letztendlich, wenn Sie so
wollen, dem Gattungs-Menschen. Genauer gesagt versucht die
Disziplin die Vielfalt der Menschen zu regieren, insofern diese
Vielfalt sich in individuelle, zu überwachende, zu dressierende,
zu nutzende, gegebenenfalls zu bestrafende Körper unterteilen
lässt. Die neue Technologie dagegen richtet sich an die Vielfalt
der Menschen, nicht insofern sie sich zu Körpern zusammenfassen
lassen, sondern insofern diese im Gegenteil eine globale Masse
bilden, die von dem Leben eigenen Gesamtprozessen geprägt sind
wie Prozessen der Geburt, des Todes, der Produktion, Krankheit
usw.[ ...] Nach der
Anatomie-Politik des menschlichen Körpers, die sich im Laufe des
18. Jahrhunderts ausbreitete, sehen wir am Ende dieses
Jahrhunderts etwas auftreten, das keine Anatomie-Politik des
menschlichen Körpers mehr ist, sondern etwas, das ich als
›Biopolitik‹ der menschlichen Gattung bezeichnen würde.« (VL
1975/76, 279f.) (ebd.)
Pointiert
gesagt: "Biomacht steht für ein Verständnis von Macht, das nicht
primär verbietet und beschränkt, sondern produktiv und auf
Lebenssteigerung ausgelegt ist. Entsprechend impliziert
Biopolitik eine ambivalente, ebenso fürsorgliche wie
kontrollierende Form der Machtausübung." (Folkers/Rödel
2015) Aber, ehe ein allzu positives Bild der Biopolitik und
und Biomacht entsteht: "Mit dem Aufkommen der Bio-Macht zieht",
wie Foucault eben auch sagt, "der Rassismus
in die Mechanismen des Staates ein." (Foucault
1999, 295, zit. n. (Jäger/Zimmermann
2010 , S.207, Kindle Edition)
Neben der
Disziplinarmacht ist die
Normalisierungsmacht die zweite Komponente, aus der die
moderne Gesetzesmacht besteht. Dass
sich die "Macht der Norm" durchsetzen kann, liegt dabei
natürlich auch den Wirkungen, die von der Disziplinarmacht
ausgehen und die die Disziplinargesellschaft auszeichnet.
"Eine Normalisierungsgesellschaft",
betont
Foucault
(1983/1995/192012, S.139), "ist der historische
Effekt einer auf das Leben ausgerichteten Machttechnologie." Ihr geht es darum, "das
Lebende in einem Bereich von Wert und Nutzen zu organisieren." (ebd.)
Als Normalisierungsgesellschaft wird sie vor allem über die
Biopolitik konstituiert.
Die
Normalisierungsmacht funktioniert wie eine
"Sicherheitstechnologie", die mit verschiedenen Verfahren der
Skalierung sozialen Verhaltens das schon oben erwähnte
Feld von
Normalität konstruiert. Dessen künstlich eingefügte Bestimmungen
regeln, welche Abweichungen davon eher als belanglos und welche
als schwerwiegend gelten sollen.(vgl.
Bublitz 2014, S.276) Indem sich die Normalisierungsmacht statistisch quasi an der
»Gauss'schen
Normalverteilung
orientiert, ebnet diese Sicherheitstechnologie das
heterogene Feld möglichen sozialen Verhaltens zugunsten der
"Konformität der Individuen" (ebd.,
S.275) und damit der "Homogenität des Bevölkerungskörpers" (ebd.,
S.276) ein.
Die Praktiken
der Normalisierung beziehen sich dabei "auf Kurvenlandschaften
und Normalverteilungen (der Geburten- und Sterberate, des
Bevölkerungswachstums, des Gesundheits- und Krankheitszustands,
praktizierter Formen von Sexualität, Lebensformen etc.), an die
sich die Individuen in ihrer »Selbst-Normalisierung« und
»Selbst-Adjustierung« (Link
1997) halten (sollen)."(Bublitz
2014b, S.392f.) Kindle Edition)
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teachSam-YouTube-Playlist: Michel Foucault und die
Macht
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
20.03.2025
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