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teachSam-YouTube-Playlist: Michel Foucault und die Macht
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Sozialdisziplinierung als Mittel der
frühneuzeitlichen Staatsentwicklung
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Überblick
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Aspekte der
Sozialdisziplinierung (Oestreich/Schulze)
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Christliche Sexualmoral, Sexualstrafrecht und
Policey-Ordnungen in der frühen Neuzeit
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Die
Entwicklung sozial konstruierter Scham in der frühen Neuzeit und
im Barock
Disziplinartechniken haben eine lange Geschichte in der
abendländischen europäischen Kultur.
Schon im
Hochmittelalter unterwarfen sie das »Klosterleben
von Mönchen und Nonnen strengen Verhaltensregeln und
einem einem bis ins Detail geregelten Tagesablauf. Die
mönchische Lebensform war durch »Ordensregeln
bestimmt, zu denen z. B. die »Augustinusregel
(4./5. Jahrhundert) oder die »Regula
Benedicti (Benediktsregel, um 540) die festlegten, wie die
Mönche "durch gemeinschaftliches und individuelles Gebet,
Einkehr, Stille, Kontemplation und Abgeschiedenheit von der
Welt, körperliche Arbeit, geistiges und geistliches Studium und
Gastfreundschaft" (Wikipedia)
ihr frommes Leben zu fristen hatten.
Mit dem Beginn
des 17. Jahrhunderts drangen einige Formen dieser Disziplin auch
in das weltliche Leben ein. So entstand Mitte des 18.
Jahrhunderts die
Figur des
"im Drill abgerichtete(n)" Soldaten, der "zum Modell
einer neuen Machttechnologie" (Sarasin
2005/22006, S.135) wurde, die auch bei großen
Massen dafür sorgte, dass "die Gesten und Haltungen des
einzelnen Körpers bis ins Kleinste reguliert wurden". (ebd.)
Ähnlich wie die Soldaten wurden im frühen 19. Jahrhundert auch
Häftlinge in den Gefängnissen und Schüler in ihren Schulen in
ihrem Verhalten mit einer "algorithmischen, das heißt genau
regulierten Befehlskette" (ebd.,
S.136) gesteuert, deren einzelne Befehle nicht mehr mit
moralischen Maßstäben überprüft werden, sondern einfach "eine
durch Codes definierte Norm" (ebd.)
darstellen, die durch verschiedene Prozesse der Kontrolle, des
Vergleichs, der Differenzierung, Hierarchisierung,
Homogenisierung und von Ausschlussmechanismen wie
Foucault (1976, S.236) sagt "normend,
normierend, normalisierend" wirken. (vgl.
Sarasin 2005/22006, S.136)
Die • Disziplinarmacht, von der »Michel Foucault
(1926-1984) spricht, beruht auf der zunehmenden Internalisierung von
äußeren Zwängen und einer "Machttechnologie, die von der
Fremdüberwachung zur einer Selbstüberwachung des Individuums führt.
Hier erscheint das
• Subjekt [...] vor allem als passives,
unterworfenes und fügsames Subjekt." (Dahlmanns
2008, S.220) Für Foucault ist sie Ergebnis einer historischen
Entwicklung und damit von zahlreichen Faktoren abhängig.
Für
»Michel Foucault
(1926-1984)
und »Nobert
Elias (1897-1990) ist Selbstdisziplinierung oder Selbstregulierung eine
substantielle Eigenart des modernen Menschen bzw. des modernen
Subjekts.
Die Disziplinarmacht, von der Foucault spricht, beruht
dabei auf der zunehmenden Internalisierung von äußeren Zwängen
und einer "Machttechnologie, die von der Fremdüberwachung zur
einer Selbstüberwachung des Individuums führt. Hier erscheint
das Subjekt [...] vor allem als passives, unterworfenes und
fügsames Subjekt." (Dahlmanns
2008, S.220). In späteren Arbeiten, in denen er
sich mit der • Bio-Macht und der Gouvernementalität
befasst, sieht er aber auch eine stärkere aktive Rolle des
Subjekts bei der Selbstregulierung.
Ähnliche
Vorstellungen prägen auch das Denken von Norbert Elias, der die
Notwendigkeit zur Selbstkontrolle des Subjekts aber auf die
Veränderung gesellschaftlicher Strukturen zurückführt, die eine
"Verlagerung von Fremd- in Selbstkontrolle" erforderlich machen
und erzwingen.
Während für
Elias eher das Ausmaß der Selbstregulierung, ihre Zunahme und
Qualität wichtig sind, steht bei Foucault der Modus der
Selbstregulierung im Zentrum, "d. h. die Art und Weise, wie sich
das Verhältnis zwischen Individuum, Selbstsorge und spezifischen
Formen von ethischen oder moralischen Verhaltensprinzipien
darstellt und im Laufe der Zeit verändert." (ebd.,
S.221)
Ähnliche
Unterschiede zwischen Foucault und Elias betreffen auch das
Thema der Individualisierung. Foucault sieht in der modernen
Individualisierung einen "Unterwerfungsmechanismus" und damit
als Auswirkung von Macht, während Elias die zunehmendn
Individualisierung im Zivilisationsprozess historisch als
Prozesse der "Psychologisierung" und "Rationalisierung"
beschreibt. (ebd.,
S.221) Als Konsequenz der Individualisierung wird jeder moderne
Mensch im Vergleich den anderen Menschen, während dies in
traditionellen Gesellschaften mit ihrer ausgeprägten
›Wir-Identität‹ nicht der Fall ist. Foucault hält hingegen
nichts von dem Gedanken der durch Individualisierung
geschaffenen Einzigartigkeit. Für ihn ist dies ein Irrglaube und
Fetisch, da diese angebliche Einzigartigkeit ja innerhalb der
modernen ›Macht/Wissen-Komplexe‹ produziert wird. "Diese
differenzieren" nämlich, wie
Dahlmanns (2008, S.221) erläutert, "mit immer feineren
Beobachtungskriterien die Individuen immer minutiöser und
schaffen so Individualitäten bzw. Formen von Individualität, die
in diesen (vorgegeben) Unterscheidungssystemen ihre
Existenzgrundlage haben." Die Dispositive von Macht und Wissen
verstärken alle Trends zur Vereinheitlichung, indem sie "ein
dichtes Gewebe von Normalitätsstandards fest(legen), denen sich
ausnahmslos alle anzupassen haben, wobei sie dem einzelnen
Individuum durchaus das Gefühl, den Wunsch oder das Begehren
vermitteln, höchst individuell und und einzigartig zu sein."
Daher sei auch "die Gleichzeitigkeit von Individualisierung und
Totalisierung für Foucault ein grundlegendes Charakteristikum
moderner Machttechniken." (ebd.)
Winfried Schulze
hat in seinem Beitrag "Gerhard Oestreichs Begriff "Sozialdisziplinierung
in der frühen Neuzeit (1987) dessen Konzept umfassend und
systematisch dargestellt.
»Gerhard
Oestreich (1910-1978), der sein Konzept "bewusst zu einem
Leitkonzept der frühneuzeitlichen Geschichte Europas" (Schulze
1987, S.298) gemacht hat, verstand unter dem 1969 von ihm geprägten
Begriff der Sozialdisziplinierung ein Bündel von geistig-moralischen
und psychologischen Änderungen, denen sich die Menschen in Form
zunehmender Selbstdisziplinierung durch die Entwicklung des
frühmodernen Staates unterziehen mussten.
Im Gegensatz zu »Nobert
Elias (1897-1990), dem es in seinem 1939 erstmals
erschienenen Werk »"Der
Prozess der Zivilisation" vor allem darauf ankam,
die Verinnerlichung solcher Verhaltensnormen als einen Prozess der
fortschreitenden, aber
keineswegs geradlinig verlaufenden Zivilisation
beschreiben, ging es Oestreich darum, die konkreten
Verhaltensänderungen zu untersuchen, denen sich die Menschen unter
äußerem Zwang in einem langfristigen, säkularen, allerdings meist ungeplanten Prozess
der "Verstaatlichung" der Gesellschaft unterziehen mussten.
"Oestreichs
Begriffe Sozialdisziplinierung – oder
Fundamentaldisziplinierung –
und vorausgehende Sozialregulierung
wollen die unendliche Fülle
bewegten Lebens einfangen und durch die Ausweitung des Politischen
ins Soziale und Mentale das Klima der menschlichen Existenz in der
frühen Neuzeit bestimmen. Kurz: Er will die
Geschichte im
umfassenden Sinn als Prozess der Kultur begreifen, denn die
Sozialdisziplinierung als höchst realer Grundfaktor veränderte in
einem über Jahrhunderte sich erstreckenden Vorgang
die
psycho-soziale Haltung des Menschen, sein Mitwelt-Verhalten. Auch
ein neues Umwelt-Verhalten in unseren Tagen ist ohne disziplinierte
und sozial ausgerichtete Anstrengung jedes einzelnen nicht denkbar.
Es geht also nicht nur um eine Lebenseinheit im Absolutismus,
sondern um eine Phase im Rahmen einer größeren Entwicklung: der
Ordnung des Zusammenlebens der Menschen." (Schulze
1987, S.268)
"Sozialdisziplinierung
führt einen Konsensus über das Wertesystem
herbei und
begründet die Spielregeln gesellschaftlichen Verhaltens.
Dies ist ein komplexer Vorgang, der nicht auf eine Formel gebracht
werden soll oder kann. Auch wenn er sich oftmals fast mechanistisch
vollzog, darf die Wirkung der beharrenden Kräfte nicht unterschätzt
werden. Zudem bleibt die
Anpassung menschlichen Verhaltens immer im
Defizit gegenüber den durch die Fortschritte von Wissenschaft und
Technik bedingten Lebensbedingungen und –verhältnissen." (Schulze
1987, S.268)
"So
entstand ein gemeinsames Welt- und Menschenbild, bildeten sich
neue Einheiten sozialer und disziplinierter Verbundenheit.
Der
Soldat soll schanzen, der Adel soll arbeiten, der Untertan
gehorchen, der Staatsbeamte uneigennützig die Verwaltungsgeschäfte
führen; der Mensch soll mit seiner raison de passions die passions
besiegen. Alle müssen arbeiten. Die Zucht- und Arbeitshäuser sind
symbolisch für die neue Verbindung von Zucht und Arbeit. Alle
Arbeitsprodukte sind der Kontrolle durch staatliche
Fabrikinspektoren unterworfen; die entsprechenden Vorschriften
gelten für alle Zweige wirtschaftlicher Tätigkeit." (Schulze
1987, S.287)
Die Sozialdisziplinierung gehört zu den Veränderungen, die in den westlichen Gesellschaften in der
frühen Neuzeit beginnen und bis
heute als Modernisierungsprozesse fortlaufen. Es handelt es sich dabei um eine
Vielzahl von gesellschaftlichen, ökonomischen und kulturellen Prozessen, die
mal eng aneinander gekoppelt, mal voneinander losgelöst und ihrer jeweils
eigenen Logik folgend, die Moderne insgesamt grundlegend von den traditionalen Gesellschaften der Vormoderne
unterscheidet.
Die Sozialdisziplinierung als dynamischer Prozess steht
dabei in einer Reihe von
Entwicklungen wie z.
B. Industrialisierung und
»Industriegesellschaft,
»Demokratisierung,
»Urbanisierung, »soziale
Differenzierung, »Individualisierung, »Singularisierung,
»Kommerzialisierung,
»Bürokratisierung,
»Medialisierung,
oder »Globalisierung.
Alle diese Prozesse
stellen dabei
Metaprozesse dar, bei denen "oft auch nicht klar (ist), zu
welchem Zeitpunkt sie eigentlich beginnen oder enden. Es ist sogar ungewiss,
ob sie eine definierte Richtung haben und was im Einzelfall Teil von ihnen
ist und was nicht." (Krotz 2006,
S.29)
Dass Sozialdisziplinierung auch ein Thema der zeitgenössischen Moderne
darstellt, zeigen dabei nicht nur die rechtlichen, mentalen und sozialen
Aspekte der drohenden Klimakatastrophe oder des Umgangs mit weltweiten
Pandemien, sondern auch die Probleme, die sich aus der zunehmenden
Digitalisierung unseres Lebens ergeben.
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teachSam-YouTube-Playlist: Michel Foucault und die Macht
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Sozialdisziplinierung als Mittel der
frühneuzeitlichen Staatsentwicklung
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Aspekte der
Sozialdisziplinierung (Oestreich/Schulze)
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Christliche Sexualmoral, Sexualstrafrecht und
Policey-Ordnungen in der frühen Neuzeit
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Die
Entwicklung sozial konstruierter Scham in der frühen Neuzeit und
im Barock
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
23.03.2025
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