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• Stereotype Deutungsansätze vs.
Analyse von Codes
Bei
einer schulischen Textinterpretation ▪
Franz Kafkas
Text •"Prometheus",
die den parabolischen Charakter des Textes zur Grundlage einer textnahen
Interpretation macht, kommen wohl vor allem die nachfolgenden
Interpretationsansätze zum Tragen. Dabei gilt es natürlich zu betonen,
dass es stets einen Pluralismus toleranter
Interpretationen gibt, der durch die nachfolgende Auswahl nicht
eingegrenzt werden soll. Der in den "Daten" eines Textes verborgene
Textsinn lässt sich nämlich auch bei bestem Willen im Text nicht finden,
denn "welchen Sinn, welche Bedeutung man mit literarischen Texten
verbindet, ist ... eine Entscheidung, die der Interpret fällt." (Horst
Steinmetz 1995, S.475).
Kafkas Text als Parodie des griechischen Mythos
Wer die Überlieferungsgeschichte des Prometheus-Mythos
berücksichtigt, weiß, dass schon in der Antike unterschiedliche
Versionen des Mythos kursierten. Zugleich gab es immer wieder den
Versuch, den Mythos in einer Art Original zu rekonstruieren.
Ausgehend von diesen Überlegungen kann die in den knappen Sätzen
dargebotenen Versionen der Sage als spöttischer Kommentar zu einem
von vornherein zum Scheitern verurteilten Vorhaben damit als Parodie
seiner vermeintlich wíssenschaftlich-akribischen Fixierbarkeit einer
dynamischen Mythosentwicklung gelesen werden. (vgl.
Kalman
2007, S.53f.) So könnte die Tatsache, dass die dargestellten
Versionen den Eindruck hinterlassen, sie gehörten gar nicht zum
selben Mythos als ironischer Kommentar zu einer vereinheitlichenden
Rekonstruktion und Interpretation des Mythos verstanden werden.
Kafkas Prometheus kann also unter diesem Blickwinkel als die
Geschichte der vergeblichen Bemühungen der altmodischen,
bodenständigen Philologie gelesen werden, mit einer vollständigen
positivistischen Analyse und Zusammenstellung der überzeitlichen
Wahrheit des Mythos näher zu kommen. (vgl.
ebd.)
Kafka, so erscheint es auch
Reffet (2001,
S.191), "möchte zeigen, dass die Mythologie unzulänglich gedeutet
wurde."
Der Mythos als eine Summe seiner verschiedenen Versionen
Eng im Zusammenhang mit der obigen Interpretation, steht nach
Kalman
(2007, S.53f.) die These, dass Kafka damit den Mythos als eine
Summe seiner verschiedenen, sich überschneidenden Formen darstellen
will. Um die Geschichte in ihrer Tiefe zu verstehen und sie
überhaupt zu studieren, müsse man alle Varianten kennen und den
Mythos Zusammenhang mit der Gesamtheit verwandter Geschichten lesen.
Allerdings könnten wir auch dann, das machen die letzten Sätze des
•"Prometheus"
deutlich, auch damit dem prinzipiell Unerklärlichen nicht
ausweichen.
Die verschiedenen Versionen als unterschiedliche Aspekte des Mythos
In einer weiteren textnahen Interpretation können, so
Kalman
(2007, S.54), die verschiedenen Versionen der Sage als
unterschiedliche Aspekte der Geschichte aufgefasst werden. Dabei sei
die erste Version zeitlos, insofern sie sich in einer sich ständig
wiederholenden Zeit abspiele und damit Teil einer mythischen
Zeitstruktur, in der eine Handlung unendlich oft wiederholt wird,
bis zum Ende der Zeiten. Die Version gehöre hingegen zu in einer
Welt, in der die Zeit fortschreite. So hinterließen die sich immer
wiederholenden Handlungen sichtbare Spuren in der realen Welt:
Langsam und allmählich verschwinde der Held Prometheus , "bis er
[,,,]eins wurde“ mit dem Felsen. In der zweiten Version der
Geschichte gäbe es damit ein Ende (so wie es auch einen Anfang und
eine Mitte gebe. Die dritte Version der Sage habe zwar eine ähnliche
Struktur, allerdings lasse sie den Leser weiter im Unklaren darüber,
was tatsächlich geschehen sei: So wisse er nicht, ob das Vergessen
ein langsamer Prozess oder eher ein plötzliches Ereignis gewesen
ist. Ebenso wenig sei auch der auch der Schluss ist nicht
klar, so dass der Leser sich am Ende frage, was tatsächlich in
diesem Vergessenprozess geschehen sei, ob die die Qualen von
Prometheus einfach aufgehört, die Adler einfach so von ihm
abgelassen hätten. Auch die vierte Version der Sage habe eine
gewisse Ähnlichkeit mir der dritten, denn in beiden seien die
Handlungen (das Vorwärtskommen und das Ermüden) Ergebnis des
Fortschreitens der Zeit. Allerdings hätten die Akteure keine
Möglichkeit den fortschreitenden Prozess wahrzunehmen und zu
kontrollieren, zumal er auch nicht mehr von den Adlern abhänge,
sondern von einer bedeutungslos gewordenen Angelegenheit.
Die ursprüngliche mythische Struktur und ihr Wandel
Nach
Kalman (2007, S.54) kann eine weitere Deutung davon ausgehen,
dass die drei Geschichten die möglichen Ergebnisse der ersten seien
und die Variationen Hinweise auf das Verständnis der Natur der
Bestrafung gäben.Die ursprüngliche Strafe weise mit ihrer ewigen
Dauerdie typische mythische Struktur auf, deren Ergebnis, wie in der
weiten Version dargestellt, der unendliche Schmerz und der völlige
Untergang von Prometheus, und damit der endgültige Vollzug seiner
Strafe, sei. Die dritte beginne mit dem Eintreten des Vergessens,
das vielleicht für eine Art Verzeihung stehen könne. Die vierte
Version ende hingegen eher zufällig, sei ein rein physischer
Abschluss, ohne weitere Motivation. Die Bestrafung kann auf
unerwartete und unbeabsichtigte Weise enden. Gegen die Annahme, die
Versionen bildeten eine chronologische oder linear-sequenziell
Reihenfolge ab, spreche dabei die Tatsache, dass logischerweiseie
dann auch vierte Version der dritten vorausgehen müsse und nicht
umgekehrt.
Religiöse Interpretation
Die Struktur des Textes mit seinen verschiedenen Mythosvarianten
kann, so
Kalman (2007, S.54) auch als Nachahmung der jüdischen
Midrasch-Struktur durch Kafka verstanden werden.. Der »Midrasch
stelle eine Erklärung oder Auslegung der Schrift dar, oder besser
gesagt, Erklärungen zusammen mit Erklärungen von Erklärungen. Es sei
eine besondere Art und Weise, einen biblischen Vers zu lesen und zu
interpretieren. Zu einem Teil der Schrift gebe es natürlich mehrere
Auslegungen, und darüber hinaus gebe es eine Reihe von zusätzlichen
Text- und Auslegungstraditionen. Auch die Form von Kafkas Text
erinnere an die
chassidische Tradition erinnern.
Kafka stellt den zunehmenden Bedeutungsverlust des Mythos im Zuge
der Zeit dar. In den vier Versionen kommt dies, wenn sie die
Reihenfolge ihrer Darbietung als zeitliches Nacheinander und nicht
als Konkurrenz gleichzeitig kursierender Versionen des Mythos sieht,
zum Ausdruck, bei der am Ende eigentlich nichts mehr vom
ursprünglichen Mythos übrig ist, weil die Erinnerung daran, und die
kulturellen Praktiken und Medien, mit denen eine solche Erinnerung
wach gehalten und konserviert hätten (z. B. schriftliche Erzählungen
des Mythos, bildliche Darstellungen, die Zeit überdauernde
kulturelle Riten o. ä.) werden können, offensichtlich nicht
existieren. In der mündlichen Überlieferung, die an die Erinnerung
bzw. das Erinnerungsvermögen einzelner und bestimmter sozialer
Gruppen gebunden ist, geht das Wissen um den Wahrheitsgrund des
Mythos ebenso verloren wie über seine konstitutiven Elemente.
Intention Kafkas könnte es daher sein, die unaufhaltsame,
allmähliche Auflösung einstmals Orientierung und Identität
schaffender kultureller und symbolischer Bedeutungen zu zeigen.
Zugleich kann man, unter autobiografischer Perspektive, darin auch
Kafkas allgemeine Skepsis gegenüber traditionellen Werten und
Autoritäten widergespiegelt sehen.
An die Lesart vom
Bedeutungsverlust des Mythos unter zeitlicher Perspektive lässt sich
eine existenzialistische Interpretation anschließen. Wenn Mythen,
wie der von Prometheus, aus dem die Menschen Halt, Orientierung und
Identität gewonnen haben, im Laufe der Zeit in Vergessenheit
geraten, geht damit alles verloren, was seine Funktion ausgemacht
hat. Am Ende steht der moderne Mensch in einer existenziellen Sinnlosigkeit
dar, weil sich alle kulturell, sozial oder individuell konstruierten
Sinngebungen ins Nichts auflösen.
Unter dieser
Deutungsperspektive können auch einzelne Versionen der Sage
interpretiert werden. So kann die Version, in der Prometheus mit dem
Felsen verschmilzt, als Metapher für die Preisgabe der eigenen
Individualität und damit auch als Entfremdung des modernen Menschen
von sich selbst und seiner Umwelt interpretiert werden.
Liest man die die Abfolge der verschiedenen Versionen der Sage
als allmählichen Legitimationsverlust der Götter, die auf Dauer
nicht in der Lage sind, die Deutungshoheit über den Mythos zu
verteidigen, kann man die "Geschichte" auch als zunehmende Ohnmacht
der Götter und damit aller Autoritäten sehen, bestimmte Narrative,
wie hier das vom "Verrat" von Prometheus zur Legitimation ihrer
eigenen Herrschaft für alle Zeit aufrechtzuerhalten.
In ähnlicher,
allerdings materialistisch bzw. marxistisch fundiert, hat der deutsche Philosoph
»Peter Wolfgang Heise (1925-1987),
der an der »Humboldt-Universität zu Berlin (DDR) utopische Philosophie
lehrte, sich in einer Vorlesung, gehalten an der
Humboldt-Universität zu Berlin nach 1983, die •
politische Botschaft von
▪
Franz Kafkas
Prosatext •"Prometheus"
herausgearbeitet, die der Text unabhängig von den Intentionen seines
Autors enthalte. Er betrachtet Kafkas Fabel/Parabel als Darstellung
des "Leerlaufen(s) der bürgerlichen Emanzipationsideologie" (Heise
1983/2013, S.201) und als "Ende einer Klassenillusion." (ebd.,
S.202)
• Stereotype Deutungsansätze vs.
Analyse von Codes
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
19.01.2025
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