Der deutsche
Philosoph
Peter Wolfgang Heise (1925-1987), der an der
Humboldt-Universität zu Berlin (DDR) utopische Philosophie
lehrte, hat sich in einer Vorlesung, gehalten an der
Humboldt-Universität zu Berlin nach 1983 mit
▪
Franz Kafkas
Prosatext •"Prometheus"
auseinandergesetzt.
Kafka habe unter
dem Eindruck der "stürmischen ersten Jahre der neuen geschichtlichen
Epoche, die mit der Oktoberrevolution begannen" (Heise
1983/2013, S.198), den "Sinnverlust einer Tradition"
konstatiert, die in der Sagengestalt des Prometheus das Sinnbild
emanzipatorischen Strebens, des Aufstands wider die Götter, die
himmlischen und irdischen Götter, (ebd.)
Seiner Ansicht nach
spricht Kafkas "Prometheusfabel" – Heise spricht sowohl von Fabel
als auch Parabel – [...] aus, "was aus den heroischen
Illusionen des Bürgertums in dessen geschichtlicher Praxis geworden
ist. Aber – sie verabsolutiert in der Denunzierung das Resultat,
begräbt mit der bürgerlichen jede Emanzipation, bestätigt indirekt,
was sie entlarvt." Auch wenn Kafkas "Prometheusdeutung mehr
als ein Leerlaufen der bürgerlichen Emanzipationsideologie sei (ebd.,
S.201), erzähle sein Text doch "die absolute Niederlage
prometheischen Ringens, das Ende einer Klassenillusion." (ebd.S.202)
Kafka habe das in
der alten Sage reflektierte historische Geschehen bei seinen
deutenden Variationen außen vor gelassen und den Verrat und die
daraus entstehende Schuld zum Ausgangspunkt seiner Darstellung
gemacht. Indem er sich ausschließlich darauf fokussiert habe, sei
auch "in keiner der Varianten [...] noch ein Herakles zu erwarten,
der Prometheus befreit. Sein Scheitern ist endgültig." (ebd.S.197)
Auf diese Weise werde der Leidenssinn des »göttlichen Dulders«
demontiert.
"Die erste Fassung
läßt ihn offen, die zweite reduziert ihn auf die unsägliche Bewegung
des Prometheus, der vor Schmerz sich in den Felsen drückt, mit ihm
eins wird, sich auslöscht. Die dritte Variation läßt Tat und Urteil
im Vergessen versinken, die Götter vergaßen, warum sie Prometheus
straften, Prometheus, warum er leidet; nur der fast zeremoniell
gesetzte Zustand bleibt, jetzt unerklärlich und sinnlos geworden, da
täglich wiederkehrend der Adler die Leber des Gefesselten frißt –
die endlose Qual einer nur faktischen, uneinsichtigen Ordnung. In
der letzten Variation erstarrt die Bewegung in Müdigkeit. Was vorher
noch sinnlos–automatenhaft geschah, wird schließlich müde, steht
still, alle Bewegung stirbt. Die grundlose Ordnung verfällt. Wohl
schließt sich müde die Wunde, doch kein befreiter Prometheus erhebt
sich. Täter, Richter und Henker treffen sich im Zwang bleierner
Müdigkeit. Die große Empörung ist vergessen." (ebd.)
Am Ende bleibe nur
das Felsgebirge übrig in seiner Unerklärbarkeit. Es ist "Modell
dessen, was ist. Die Erklärung, die erwartet wird, ist Erklärung
nach Art der Sage, ein verständliches menschlich-göttliches
Geschehen, aus dem es als irgend gestiftet und geordnet sich
herleitet. Diese Frage bleibt ohne Antwort – ihre Erwartung greift
ins Leere.
Kafka endet in religiösem Paradox. Unerklärlichkeit bleibt:
Das Unerklärliche wird zum Signum des Wahrheitsgrundes, die Not des
Nichtbegreifens zur Tugend, die Wahrheit verbürgt, während umgekehrt
angesichts vorausgesetzter Unerklärlichkeit Wahrheit zum sinnlosen
Wort wird. Die Vergeblichkeit prometheischen Kämpfens bestätigt sich
in der Unmöglichkeit, den sinnlich greifbaren Fels je begreifen zu
können. Unbegreifbar wie er erscheint der Menschen Treiben. Aber
dies Treiben wird in den Grundmotiven der von der alten Fassung
abweichenden Varianten greifbar: der Schmerz des den Adlern
ausgesetzten einsamen Prometheus, das Vergessen seines Sinnes, damit
seine Sinnlosigkeit als gewordene, schließlich die unendliche
Müdigkeit." (Heise
1983/2013, S.197f.)