Der kurze Prosatext Franz Kafkas, dem sein
Herausgeber
Max Brod (1884-1968) den Titel "Der Aufbruch"
gegeben hat, ist fünf Jahre nach seiner im Februar 1917 Erzählung "Ein
Landarzt" entstanden.
In dem Fragment sieht
Alt (22008,
S.508f.) "eine zweite Version des Landarzt-Schicksals", der am Ende zu einer
"unbeendbaren Lebensreise gezwungen (wird)" und dessen "Schicksal (...) das
Los des »ewigen
Juden Ahasher (erneuert), des ruhe- und heimatlosen Wanderers", der ohne
Aussicht auf Erlösung dazu verdammt ist, heimatlos durch die Fremde zu
ziehen.
Der Ewige Jude (oder Wandernde Jude) ist die Hauptfigur einer
christlichen Volkssage, die seit dem 13. Jahrhundert Verbreitung fand.
Die Sage thematisierte ursprünglich einen Menschen unbekannter Herkunft,
der Jesus Christus auf dessen Weg zur Kreuzigung verspottete und dafür
von diesem verflucht wurde, unsterblich seine Wiederkunft zu erwarten.
Bereits in den frühen Formen der Legende wurde die Figur gelegentlich
als Jude bezeichnet, aber längst nicht immer.
Eine anonyme deutschsprachige Schrift mit dem Titel »Kurtze
Beschreibung und Erzehlung von einem Juden mit Namen Ahasverus,
gedruckt erschienen in Leiden 1602, machte aus dieser Figur einen
rastlos wandernden Juden und gab ihr den Namen Ahasverus (eine
Anspielung auf einen persischen König). Diese neue eindeutig
antisemitische Version der Legende verbreitete sich in ganz Europa.
Fast alle der vorwiegend mündlich überlieferten Orts- und Volkssagen
entstanden nach 1602 und beruhten auf der Leidener Legende. Doch sie
lösten den ewigen Wanderer bald von seiner Beziehung zur Passion Jesu
und machten ihn zum Sinnbild für die Leidensgeschichte des ganzen
Judentums. Seine Rastlosigkeit wurde nicht mehr als durch konkrete
Schuld verursachte göttliche Strafe, sondern als natürliche Eigenschaft
aller Juden verstanden.
Zugleich wurde die Figur zum Symbol für das Umherschweifende,
Unsesshafte, Fremde, nicht Integrierbare, auch für das Geniale, das
Degenerierte und die Dekadenz. Diese vom Ursprung der Legende abgelösten
Stereotype waren und sind die zentralen Elemente, die in den
Antisemitismus Eingang gefunden haben. Vor allem der Nationalsozialismus
griff sie auf und benutzte die Figur für seine NS-Propaganda. In dem
Nazi-Propagandafilm »"Der
ewige Jude" (1940), der auf abscheuliche Weise den Mythos aufgriff,
um Juden als vorgeblich schädliche "Rasse" zu brandmarken und als
gefährliche, betrügerische und unmoralische »"Untermenschen"
darzustellen.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
11.10.2024