Da jede
Form des Erzählens. ganz gleich ob es sich um
faktuale
oder
fiktionale Erzählungen handelt, stets eine bzw. mehrere Perspektiven
aufweist, indem bestimmte Momente eines
Geschehens
ausgewählt, benannt und bewertet werden, kann man die Perspektive als
eine Grundeigenschaft, die allem Erzählen zukommt. Geht man von diesem
Verständnis von Perspektive aus, wird Perspektive "nicht auf eine schon
konstituierte Geschichte angewendet"(...), sondern auf das ihr zugrunde
liegende Geschehen." (Schmid
2005, S.125)
Wiewohl
existiert in der Literaturwissenschaft und der Narratologie ▪
kein einheitlicher Begriff davon, was Perspektive bedeutet und
ebenso verschieden ist, was mit dem Begriff der Erzählperspektive in
Verbindung gebracht wird.
Was
angesichts der Konkurrenz narratologischer Ansätze, die es wie man
leicht den Anschein bekommen kann, ihren Alleinvertretungsanspruch
Erzählen geht nicht ohne Perspektiven
Wenn etwas erzählt
wird, , werden
Diese Vorgänge sind also stets von
einer Perspektive geleitet und
perspektivieren
damit prinzipiell jede erzählte Geschichte. Pointiert
gesagt: "Ohne Perspektive gibt es keine Geschichte." (Schmid
2005, S.276)
Perspektive ist nach dieser erzähltheoretischen
Auffassung eine Grundeigenschaft, die allem Erzählen zukommt.
Perspektive wird dementsprechend "nicht auf eine schon konstituierte
Geschichte angewendet (...), sondern auf das ihr zugrunde liegende
Geschehen." (ebd.,
S.125)
Man kann diese Auffassung aus kognitionspsychologischer Sicht teilen,
ohne sie zugleich zur Modellbildung für narrative Perspektiven oder
Erzählperspektiven zu nutzen. Macht man sie sich allerdings dafür zu
eigen, dann können sich davon ausgehend bestimmte Vorstellungen ergeben,
wie sie z. B. Wolf
Schmid (2005,
S.125ff.) in seinem ▪ Modell der
Erzählperspektive entwickelt hat.
Kein einheitlicher Begriff der Perspektive bzw. Erzählperspektive
Was unter
Perspektive und
Erzählperspektive
zu verstehen ist, ist in der Literaturwissenschaft bzw. ihrem besonderen
Zweig der »Narratologie
umstrittener denn je.
Verschiedene Ansätze konkurrieren miteinander und haben inzwischen
dazu geführt, dass selbst einschlägige Handbücher Schwierigkeiten haben,
die theoretischen Ansätze im Vergleich miteinander so darzustellen, dass
das Ganze verständlich bleibt.
Was unter dem Begriff der Erzählperspektive zu verstehen und ob er
überhaupt als geeignete Kategorie angesehen wird, hängt also von der
jeweiligen Erzähltheorie ab, die fast immer ihre eigene Terminologie
entwickelt.
Der Begriff der ▪ Perspektive, wie
er in der
neueren
Erzähltheorie z. B. von ▪
Gérard Genette oder ▪
Wolf Schmid verwendet wird,
deckt sich jedenfalls nicht mit dem an »Franz
K. Stanzels ▪ Erzählsituationen
orientierten, meist mit seinem ganzen komplexen Konzept synonym
verwendeten Begriff der Erzählperspektive.
Und auch Jürgen H.
Petersens
(1993) Verwendung des Begriffs in seiner ▪
"Kategorientafel" zur Analyse von Erzählsystemen, der auch in
synonymer Weise
Sichtweise genannt wird, unterscheidet sich wieder davon, indem er
den Begriff, soweit er ihn überhaupt verwendet, eigentlich nur auf die ▪
Innen- und Außensicht des Erzählers bei der
Darstellung von Figuren anwendet.
Diese verschiedenen Ansätze im Einzelnen hier aufzuarbeiten sprengt den Rahmen und macht auch für den Literaturunterricht an der Schule
keinen Sinn. Wir beschränken uns daher darauf, Grundzüge der
verschiedenen Ansätze darzustellen.
Erzählperspektive und Perspektive
Wenn im schulischen Literaturunterricht von Perspektiven
beim Erzählen oder Erzählperspektiven die Rede ist, dann spielen
indessen Konzepte der
neueren
Erzähltheorie häufig keine oder nur eine geringe Rolle.
Mag dies zum
Teil "auch auf Unkenntnis und Unverständnis" (ISB
, Bd.2, 2010, S.385) im Hinblick auf die
neuere Erzähltheorie
beruhen, so geht der Ansatz der rein strukturalistisch orientierten
Erzähltextanalyse eben auch an den inhaltlichen Fragen und Interessen
von Jugendlichen im Umgang mit Literatur vorbei.
Trotz des Anspruchs,
eine exakte Begrifflichkeit auch in der Schule zu verwenden, artet die
Übernahme der Begrifflichkeit der neueren Erzähltheorie leicht zu einer
Begriffshuberei aus, die dem "Bedürfnis Jugendlicher, sich mit
Problemen, Fragestellungen, literarischen Gestalten auseinanderzusetzen,
sich zu orientieren" (ebd.,
S.384) in einer nicht wünschenswerten Weise entgegenwirkt.
Werden
erzählende Texte zum Gegenstand schulischen Lernens, dann steht die
Erzähltextanalyse in der Regel im Dienst der meist
werk- bzw. textimmanent angelegten Interpretation. Und dafür
hat sich, das müssen selbst seine Kritiker immer wieder einräumen, »Franz
K. Stanzel (geb. 1924) Konzept der ▪
Erzählsituationen "als Hilfsmittel der Textanalyse bewährt und zählt
im deutschsprachigen Raum zum literaturwissenschaftlichen Grundwissen."
(Vogt 2011,
S.36, vgl. auch:
Vogt 2014,
S.10f.)
Für die
Schule gilt Stanzels "Baukasten mit Anleitungen"
(Zink 2010,
S.184) jedenfalls noch immer als eine sinnvolle "Interpretationshilfe" (Stanzel
1964/1979, S,10),
ganz so wie er selbst offenbar seine missverständlich "Theorie des
Erzählens" (1989) genannte Typologie verstanden hat (ebd.).
So bleibt, bei aller Kritik
und
aller
durchaus berechtigten Unkenrufe zum Trotz, die heuristische Brauchbarkeit der Stanzelschen "typischen Erzählsituationen" zumindest für bestimmte
historische Formen der Erzählliteratur weiterhin unbestritten (vgl.
Wolf 2013,
S.186), selbst wenn der Begriff der
Begriff der Erzählperspektive bei Stanzel "nur vage gefasst" (Lahn/Meister
2013, S.104) ist.
Dazu kommt noch, dass Stanzels Modell "zweifellos den Vorzug der
Anschaulichkeit (hat), weil seine 'Erzählsituationen' drei bestimmte,
literaturgeschichtlich wichtige Merkmalsbündel prägnant zusammenfassen
und in ein überschaubares Verhältnis zueinander setzen." (Martínez/Scheffel
2016, S.98) Allerdings bleibt natürlich auch eine solche Sicht in
der Literaturwissenschaft nicht unbestritten.
Und so
bietet sich, zumindest für die ▪
schulische Analyse und Interpretation erzählender Texte, an, auf das
Konzept der ▪ Erzähltextanalyse von
Jürgen H. Petersen
(geb. 1937) (1993,
72006)
zurückzugreifen, bei dem trotz aller ▪
Kritik an Stanzel, in seiner "Kategorientafel"
(Petersen
1993, S. 8) die von Stanzel als geschlossene Form konzipierte
Typologie von idealen Erzählsituationen "in Erzählform und
Erzählverhalten auseinandergenommen und dazwischen noch die Kategorien
von Standort und Perspektive als zusätzliche Kennzeichnungen einfügt" (Jahraus
2009, S.228) und damit nicht nur Widersprüchlichkeiten in Stanzels
Konzept überwindet, sondern auch "die geschlossene Typologie durch einen
offeneren Merkmalskatalog ersetzt, der mehr (wenn auch nicht alle)
Kombinationsmöglichkeiten und damit eine feinere Klassifizierung
ermöglicht." (ebd.)
Während
die ▪
typischen Erzählsituationen Stanzels auch über die Grenzen der
älteren
Erzähltheorie hinweg des ganzen Stanzel-Bashings" zum Trotz durchaus
Beachtung und Anerkennung finden, gilt diese jedoch in dieser Form nicht für
die später in Form
seines Typenkreises mit seinen "wunderlich verflochtenen Achsen,
Grenzen, Naben, Speichen, Kardinalpunkten, Felgen und Schläuchen" (Genette
2. Aufl. 1998, S.270) weiter entwickelte Konzeption nicht mehr.
(vgl. dazu
Martínez/Scheffel 2016,
Bode 2005,
S.145-206) Kein Wunder, dass dieser auch im schulischen
Literaturunterricht keine Rolle spielt und hier auf eine nähere
Darstellung verzichtet wird
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
19.12.2023
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