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Bausteine
Die Abgrenzung von anderen Textsorten
Die ▪ Parabel ist nicht einfach eine
Textsorte
wie jede andere. Sie lässt sich nicht so ohne weiteres in ein System einordnen
und die Textsorten, die mit ihr als verwandt gelten, sind dies oft so,
dass sie vordergründig eine ausgesprochen hohe Ähnlichkeit mit ihr
besitzen. Und wenn die Entwicklung der modernen Literatur mit
berücksichtigt wird, wird auch schnell klar, dass die Bezeichnung Parabel als Gattungsbegriff zu eng"
geworden ist. (Braak
1969, S.164)
Oft wird die Parabel mit mehr oder minder verwandten Textsorten
wie der
Fabel,
der
Kurzgeschichte, der
Allegorie
oder dem
Gleichnis
in einem Atemzug genannt. Und in der Tat gibt es oft nicht viel und
schon gar nicht in letzter Konsequenz Trennscharfes, was diese
literarischen Formen, die jede auf ihre Weise das "uneigentliche
Sprechen" praktizieren, voneinander unterscheiden. Und für manche
ist die Parabel wie das
Gleichnis
ohnehin
eine übergeordnete Form, die in verschiedenen
Literaturgattungen zu Hause ist.
Moderne Parabel und und moderne Kurzgeschichte
Wie man auch immer die Textsortenverwandtschaft der Parabel sehen mag:
Im schulischen Literaturunterricht kommt es immer wieder darauf an, die Parabel
von der
Fabel,
der
Kurzgeschichte
und der
Allegorie
abzugrenzen. Die entsprechenden Fähigkeiten gehören zur
literarästhetischen Rezeptionskompetenz.
Die Parabel ist wie die Kurzgeschichte dem Aspekt ihres
relativen Umfangs betrachtet eine kurze Erzählung. Das Kriterium der
relativen Kürze trifft dabei auf ▪
traditionelle Parabeln ebenso zu wie auf
▪ moderne.
-
Traditionelle Parabeln haben aber aber
darüber hinaus vergleichsweise wenige Gemeinsamkeiten mit der
(modernen) Kurzgeschichte, die wie die
moderne Parabel, als epische Kleinform verstanden, ein Kind
der Moderne, insbesondere des 20. Jahrhunderts und danach, ist.
Üblicherweise wird die traditionelle Parabel hinsichtlich ihrer
Textsortenverwandtschaft in zwei Richtungen abgegrenzt. Auf der
einen Seite gegen Fabel, Gleichnis und Allegorie und auf der
anderen Seite gegenüber der modernen Parabel.
-
Moderne Parabeln werden, von
Mischformen und Besonderheiten abgesehen (z.B.
▪
Franz Kafkas,
▪
Kleine Fabel)
im Allgemeinen gegenüber traditionellen Parabeln und gegenüber
der modernen
▪ Kurzgeschichte
abgegrenzt. Dabei muss man sich allerdings stets bewusst sein,
dass gerade in der modernen Literatur eine große Vielfalt bei
beiden literarischen Textsorten existiert, es wohl ebenso wenig
die Parabel gibt wie die Kurzgeschichte.
Am besten bezieht man sich bei einer konkreten Abgrenzung auf
ein bestimmten
Prototypen, der die ihm zugeschriebenen Eigenschaften am
besten verkörpert.
Dies gilt insbesondere für die
▪ schulische Interpretation einer Parabel,
wenn sie mit Aufgaben zur Bestimmung der Textsorte verbunden
sind. Hier sollte es nicht darauf ankommen, das ein oder andere
Textsortenmerkmal "herunterzubeten", sondern gemeinsame oder
unterschiedliche Texteigenschaften im Vergleich mit anderen
vergleichbaren Texten, die im Literaturunterricht behandelt
worden sind, herauszuarbeiten. So könnte also statt die Aufgabe
zu stellen "Bestimmen Sie die Textsorte" eine Aufgabe
folgendermaßen formuliert sein: "Zeigen Sie, wodurch sich der
Ihnen vorliegende Text von anderen Ihnen bekannten Texten
epischer Kurzprosa unterscheidet."
Die Abgrenzung von Parabel und Kurzgeschichte ist im Einzelfall
durchaus schwierig
Die Abgrenzung moderner Parabel von modernen Kurzgeschichten oder
anderen Formen epischer Kurzprosa ist selbst für Fachleute keine
einfache Angelegenheit. Aus diesem Grunde stößt sie auch bei der
▪
schulischen Interpretation einer Parabel schnell an ihre
Grenzen.
Dessen ungeachtet, kann man dennoch versuchen, einige Kriterien
für die Textsortenzuordnung zusammenzustellen, die aber bei einem
konkreten Text weder alle erfüllt sein müssen, noch sonst wie als
geschlossene Klassifikation anzusehen sind.
Eine kurze Geschichte wird erst dann zur Parabel, wenn
-
das im Wortlaut
Erzählte nicht oder zumindest nicht allein für sich das Gemeinte ist
-
eine der vom Text ermöglichten
Bedeutungsoptionen sich durch Übertragung des Erzählten in einen
überwiegend außerhalb des Textes liegenden Bedeutungsrahmen bzw.
Bezugrahmen konstruieren lässt.
Die
Kurzgeschichte, betont
Durzak
(1986, S.348f.) "verdichtet [...] die Wirklichkeitserfahrung
des Lesers und nimmt ihre Stoffe primär aus dessen Erfahrungsfeld. Sie
abstrahiert nicht von den Elementen darstellbarer Wirklichkeit, sondern
konzentriert sie." In der Kurzgeschichte sei die Reflexion in die
bildliche Darstellung selbst umgesetzt.
Der Sinn des Ganzen erschließt sich also bei der Kurzgeschichte somit nicht auf dem Weg
eines abstrahierenden Analogieschlusses auf etwas, das aus der
Geschichte, dem Bildbereich, auf etwas anderes, außerhalb der
erzählten Geschichte Liegendes, dem Sachbereich, liegt.
Das ist
eben bei der Kurzgeschichte grundlegend anders: Sie "ist an einen
bestimmten Augenblick, eine spezifische Situation, ein zentrales
Ereignis gebunden, während die Parabel gemäß ihrer Abstraktionstendenz
über Raum und Zeit viel freier verfügen kann." (ebd.)
Bei allen Versuchen, eine genaue Abgrenzung vollziehen zu wollen, darf
indessen nicht verkannt werden, dass die literarische Formenvielfalt
sich einer solchen Eindeutigkeit häufig einfach entzieht. Gerade in der
modernen Literatur ist zu beobachten, dass solche normativen
Gattungsgrenzen bewusst überschritten werden. So gibt es heute eben
eine
große Zahl "zur Parabel tendierende(r) Kurzgeschichten in der
zeitgenössischen Literatur", die zeigen, dass hier vieles sich im Fluss
befindet (vgl.
ebd.).
Prototypen statt normative Textmuster
Bei der schulischen Textinterpretation ist heute die Frage,
danach ob ein Text einer bestimmten Textsorte zugeordnet werden
kann, immer noch sehr wichtig. Allerdings kommt es weniger
darauf an, ob ein Text als Ausdruck eines überzeitlichen
normativen Textmusters angesehen werden kann. Besser ist es, ihn
in seiner jeweiligen Gestalt als
Prototypen
zu betrachten, der abhängig von einer bestimmten
politisch-gesellschaftlich und kulturellen Situation bestimmte
Textsortenmerkmale mal mehr, mal weniger ausbildet.
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Bausteine
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
06.06.2024
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