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Franz Kafka: Auf der Galerie - Aspekte der Erzähltextanalyse

 
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Der Text von Kafkas Prosastück trägt den Titel ▪ "Auf der Galerie". besteht strukturell aus zwei komplexen Satzgefügen, die zu zwei unterschiedlich langen Absätzen gehören. Sie sind ähnlich strukturell ähnlich aufgebaut. Semantisch betrachtet sind die beiden Sätze allerdings sehr unterschiedlich. (Hermes 1994/2003, S.218)

Der erste Absatz

Der erste Absatz besteht aus zwei gleichrangigen konditionalen »Nebensätzen (Gliedsätzen), in die einige satzwertige Partizipialphrase im Präsens eingefügt sind. Das sind z. B. die Formulierungen wie auf dem Pferde schwirrend, Küsse werfend, in der Taille sich wiegend. Des Weiteren ist noch ein Attributsatz (die eigentlich Dampfhämmer sind) eingefügt. Die beiden Sätze lenken die Aufmerksamkeit auf die Kunstreiterin, die, verdeutlicht durch die »Passivform des Verbs, getrieben wirkt und auf die nicht endende Darbietung in der Manege.

Ein Hauptsatz, der nach einem »Gedankenstrich folgt, setzt dem ersten Satzgefüge ein Ende, und löst die von den beiden mit der Konjunktion wenn eingeleiteten Konditionalsätzen ausgehende gedankliche (Satz-)Spannung mit einem dann auf.

Eine Reihe weiterer Partizip-Präsens-Formen "bringen eine hohe Informationsdichte in die Struktur" (Sudau 2021, S.14) des Satzgefüges und unterstreichen mit ihrem auf zeitliche Dauer angelegten (»durativen) Aspekt die immer weiter angetriebene Vorführung. Weitere Partizipien, die als »Attribute gebraucht werden wie z. B. schwankend, peitschenschwingend, sich öffnend, nichtaussetzend, vergehend, anschwellend, anpassend unterstreichen den Eindruck, dass sich hier fortlaufend das Gleiche abspielt. Dies signalisieren auch die beiden adverbialen Bestimmungen wie monatelang (Adverbiale Bestimmung der Zeit) oder ohne Unterbrechung (Adverbiale Bestimmung der Art und Weise) sowie Attribute wie unermüdlich oder immerfort weiter sich öffnend. Stilistisch gesehen halten die zahlreichen Partizipien als Attribute und satzartige Konstrukte das "Spiel", das sich vor den Augen des Publikums mit dem peitschenschwingenden erbarmungslosen Chef und der hinfällige(n), lungensüchtige(n) Kunstreiterin in der Manege auf schwankendem Pferd abspielt, solange in der Schwebe, bis nach dem »Gedankenstrich das erlösende Korrelat dann die konditionale Satzspannung auflöst, die die beiden Wenns aufgebaut haben. (vgl. Hermes 1994/2003, S.220) Die Szenerie, bei der die Kunstreiterin monatelang ohne Unterbrechung im Kreise rundum getrieben wird, wird durch diese grammatikalischen bzw. sprachlich-stilistischen Merkmale des Satzbaus verdeutlicht.

Hinzukommt noch eine gewisse Überfrachtung mit Attributen, die ein aufmerksamer Leser damit in Verbindung bringt, dass die Zirkusreiterin im Grunde weder physisch noch psychisch der Situation gewachsen ist (hinfällig, lungensüchtig ...), in der sie ihr peitschenschwingende(r) erbarmungslose(r) Chef begleitet von dem nichtaussetzenden Brausen des Orchesters und der Ventilatoren und dem immer wieder auf- und abebbenden Beifallsklatschen der Hände, die eigentlich Dampfhämmer sind im Zirkusrund pausenlos antreibt.

Insgesamt gesehen folgt der Leser dem dargestellten Geschehen "nahezu atemlos [...] von Teilsatz zu Teilsatz, ohne dabei aber eine lineare Entwicklung zu durchlaufen." (Hermes 1994/2003, S.220) Beim Lesen könne er die monoton bleibende Szenerie unter unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten, irre aber wie Kunstreiterin auch im Kreis herum. Insofern verkörpert auch die grammatischen Strukturen der Wortwahl und des Satzbaus die "Kreisstruktur", die der "Ausdruck für das Ununterbrochene" (ebd.) sei.

Im Gegensatz zu den eher schwerfällig wirkenden und sich in einer Art "Endlosbewegung des Kreisens" (Meurer1988/31999, S.75) irgendwie um immer das Gleiche drehenden Nebensätzen, weist der nach dem Gedankenstrich folgende Hauptsatz im ersten Abschnitt einen dynamischen Charakter auf, der eine Veränderung des Zustandes, den die beiden vorangehenden Nebensätze beschrieben haben, zumindest als Gedankenspiel bringt.

Die Zustandsveränderung, die allerdings mit dem Modalpartikel vielleicht am Beginn des unmittelbar nachfolgenden Konstativsatzes eingeleitet wird, wird damit auch als reines Denkmodell ausgewiesen, das auf den Horizont des Erzählers verweist, der damit seine Einstellung bzw. seine Wunschvorstellung artikuliert.

Die Zustandsveränderung, die durch die Reaktion und Intervention des jungen Galeriebesuchers herbeigeführt wird, zeigt sich in der eng aufeinander folgenden Reihung von »Prädikaten in finiter Verbform wie eilte, stürzte, rief. Hinzukommt sein Ausruf Halt!, der die einzige wörtliche Rede, aber ohne Anführungszeichen als Wiedergabeindikator, im ganzen Text darstellt und damit auch die Dramatik, der wie die anderen aus dem Nichts kommenden Interventionshandlungen des  Galeriebesuchers dem Geschehen eine dramatische Spannung verleiht. Dass der Text dabei an dieser Stelle auch von dem Modus der Konjunktiv II-Form (auch • Konditional-Formen) des Verbs abweicht, die ansonsten den gesamten ersten Absatz kennzeichnet, ist wohl in erster Linie als stilistisches Element der Dramatisierung zu lesen. Zugleich könnte der Moduswechsel aber auch ein eingebauter "Stolperstein" mit der Funktion sein, auf die • Appellstruktur des Textes als Ganzes zu verweisen und damit die Rolle eines • impliziten Transfersignals zu übernehmen.

Übersieht man die gedankliche Struktur des ersten Absatzes, so lässt sich unter Berücksichtung gewisser semantischer Aspekte nach Hermes (1994/2003, S.218) dieser Absatz wie folgt gliedern:

"a) Schilderung des möglichen Geschehens
 b) mögliche Reaktion darauf (spontan, unbewußt)
 c) herleitbarer Kausalzusammenhang
 d) Reaktion extrovertiert
 e) Konsequenzen nicht geschildert, nicht ableitbar"

Der zweite Absatz

Der zweite Absatz wird durch einen elliptischen Kausalsatz als Nebensatz Modus des Indikativ, der auf ein Semikolon (Strichpunkt) endet, eingeleitet, der inhaltlich die vorangegangene Darstellung bestreitet (da es aber nicht so ist).

Er lässt sich nach Hermes (1994/2003, S.218) wie folgt gliedern, was im Vergleich mit der Gliederung des ersten Abschnitts zeige, dass beide Sätze in ihrer Struktur gleich angelegt seien.

"a) tatsächliches Geschehen
 b) tatsächliche Reaktion (spontan, unbewußt)
 c) Kausalkette nicht herleitbar
 d) Einflußnahme introvertiert
 e) Konsequenzen nicht geschildert, nicht ableitbar

In fünf dem anfänglichen Kausalsatz untergeordneten elliptischen Sätzen im Indikativ, die letzten Endes als jeweils verkürzte Kausalsätze begründen, warum die eingangs aufgestellte Behauptung, dass die Darstellung des ersten Abschnittes aber nicht so ist, zutrifft. Die Verwendung des Indikativ im 2. Abschnitt signalisiert, dass dem geschilderten Geschehen damit eine gewisse Faktizität bzw. Authentizität zugeschrieben werden soll. Lediglich an einer einzigen Stelle wechselt der Modus der finiten Verbform des Prädikats in den • Konjunktiv II (als wäre sie seine über alles geliebte Enkelin).

Ehe der zweite Abschnitt mit seinem Satzgefüge wie der erste auf einen Gedankenstrich endet, wird noch einmal die Kunstreiterin mit der Konjunktion während  in einem Temporalsatz, der den Blick auf das fortlaufend erzählte Geschehen in der Manege richtet, ins Blickfeld gerückt.

Die hohe Komplexität des Satzgefüges resultiert aus der signifikanten Anzahl an Verschachtelungen in den genannten kausalen bzw. temporalen Nebensätzen (partizipiale Nebensätze, Attributsätze, Vergleichssätze, indirekte Rede). Die Strichpunkte bewirken darüber hinaus auf ihre Weise eine Unterbrechung des Satzflusses an zahlreichen Stellen. Sie erzeugen aber auch eine in Intervallen entstehende rhythmische Spannung, die sich von einem Plateau zum nächsten steigert und auf den auflösenden Hauptsatz zuläuft. (vgl.Sudau 2021, S.15) Im ersten Abschnitt werden stattdessen Kommata verwendet, welche die quälende Geschehensabfolge nicht unterbrechen, sondern diese vielmehr mit weiteren Peitschenhieben vorantreiben. (vgl. ebd.)

Zudem führt die anfängliche Inversion zu einer deutlichen Stockung (eine schöne Dame … fliegt herein, zwischen den Vorhängen). In Anbetracht dieser komplexen Konstruktion ist es für den Leser schwierig, den Überblick zu behalten, ebenso wie für das Publikum, das Geschehen zu erfassen.

Eine Fülle unterschiedlicher Verben "spiegelt die mit ihren Farben die Lebhaftigkeit der fast impressionistisch geschilderten Aktion" (Meurer1988/31999, S.76) im Gegensatz zu dem, sieht man von dem "metaphorischen Grau der Zukunft" ab  im ersten Abschnitt insgesamt farblos geschilderten Geschehen. Insgesamt hinterlässt der Rhythmus dieses Abschnitts, der durch etliche Zäsuren, die mit Strichpunkten, die eigentlich von der üblichen Zeichensetzung abweichen, bestimmt wird, "den Eindruck tempogeladene(r), viefältige(r) Einzelbewegungen (im Gegensatz zu der zyklischen Monotonie des ersten Teils)." (ebd.) Aus diesem Grunde nehme, wie Meurer (1988/31999, ebd.) fortfährt, auch die Dichte der »schwebenden« Partizipien I erheblich ab. Während im ersten Abschnitt noch eine große Zahl von Partizipien gibt, die das immer gleiche, monotone Geschehen in der Schwebe halten,

Im Anschluss an den Gedankenstrich folgt ein Kausalsatz im Indikativ, de affirmativ bekräftigt, was zuvor gesagt worden ist (da dies so ist). In seiner parallelen Formulierung bildet er zusammen mit dem ersten Kausalsatz des Abschnitts einen Rahmen, der die Darstellung der Zirkusvorstellung umfasst.

Zugleich zieht er mit  zwei eingebetteten satzartigen Konstruktionen, die als satzwertiges Partizip (wie in einem schweren Traum versinkend) und einem satzwertigen Infinitiv (ohne es zu wissen) formuliert sind, ein Fazit aus dem geradezu ausufernden Satzgefüge, das er beendet.

Die Art, wie Kafka seine Sätze sprachlich-stilistisch gestaltet, kann man somit als formales Äquivalent zur der die Sinne verwirrenden Zirkusnummer ansehen. Während es im ersten Abschnitt noch eine große Zahl von Partizipien gibt, die das immer gleiche, monotone Geschehen in der Schwebe halten, werden im zweiten Abschnitt vermeintlich authentische Fakten im Indikativ präsentiert. An einer Stelle kommt es aber auch im zweiten Abschnitt zu einem "vielsagenden Ausrutscher in den Konjunktiv" (Sudau 2021, S.16), wenn davon die Rede ist, dass  der Zirkusdirektor die Kunstreiterin "vorsorglich (...) auf den Apfelschimmel hebt, als wäre sie seine über alles geliebte Enkelin, die sich auf gefährliche Fahrt begibt".

In beiden Fällen, dem Wechsel vom Konjunktiv II im ersten Abschnitt in den Indikativ und dem Wechsel im zweiten Abschnitt in den Konjunktiv können als "kleine Ungereimtheiten – das Durchscheinen einer faktischen Wirklichkeit in die Welt des angeblich nur Vorgestellten und das Durchscheinen des Scheinbaren in die Welt des vorgeblich Faktischen – (...) Indizien für die wahren Verhältnisse von Illusion und Realität sein." (ebd. S.11)

Solche Indizien würden, so fährt Sudau (2021, S.16) fort, noch durch zwei vielsagende Adverbien in unmittelbarer Umgebung bekräftigt. So erschienen die applaudierenden Hände nicht wie Dampfhämmer, sondern es sei "ihr wirkliches und eigentliches Wesen". Und der scheinbar so hingebungsvoll besorgte Zirkusdirektor hebe seine Reiterin "nicht 'fürsorglich' auf den Apfelschimmel (wie es dann eigentlich lauten müsste), sondern nur vorsorglich – gerade so, als müsste er Vorsorge treffen, dass die Reiterin ihre Aufgabe auch wirklich erfüllt und nicht in irgendeiner Weise ausweicht, flüchtet oder aus der Rolle fällt."

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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 11.10.2024

 
 

 
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