Der erste Absatz
besteht aus zwei gleichrangigen
konditionalen
»Nebensätzen
(Gliedsätzen), in
die einige
satzwertige
Partizipialphrase im Präsens eingefügt sind. Das sind z. B. die
Formulierungen wie
auf dem Pferde
schwirrend, Küsse
werfend,
in der Taille sich wiegend. Des Weiteren ist noch ein
Attributsatz (die
eigentlich Dampfhämmer sind) eingefügt. Die beiden Sätze
lenken die Aufmerksamkeit auf die Kunstreiterin, die, verdeutlicht
durch die »Passivform
des Verbs, getrieben
wirkt und auf die nicht endende Darbietung in der Manege.
Ein
Hauptsatz, der
nach einem »Gedankenstrich
folgt, setzt dem ersten
Satzgefüge ein
Ende, und löst die von den beiden mit der
Konjunktion
wenn eingeleiteten
Konditionalsätzen ausgehende gedankliche (Satz-)Spannung mit
einem dann auf.
Eine Reihe weiterer
Partizip-Präsens-Formen "bringen eine hohe Informationsdichte in die
Struktur" (Sudau
2021, S.14) des Satzgefüges und unterstreichen mit ihrem auf
zeitliche Dauer angelegten
(»durativen) Aspekt die immer weiter angetriebene Vorführung.
Weitere Partizipien,
die als »Attribute
gebraucht werden wie z. B.
schwankend,
peitschenschwingend,
sich öffnend,
nichtaussetzend,
vergehend,
anschwellend,
anpassend unterstreichen den Eindruck, dass sich hier
fortlaufend das Gleiche abspielt. Dies signalisieren auch die beiden
adverbialen Bestimmungen wie
monatelang
(Adverbiale Bestimmung der Zeit) oder
ohne Unterbrechung
(Adverbiale Bestimmung der Art und Weise) sowie Attribute wie
unermüdlich oder
immerfort weiter sich öffnend. Stilistisch gesehen halten
die zahlreichen Partizipien als Attribute und
satzartige Konstrukte das "Spiel",
das sich vor den Augen des Publikums mit dem
peitschenschwingenden erbarmungslosen Chef und der
hinfällige(n),
lungensüchtige(n) Kunstreiterin in der Manege auf schwankendem Pferd
abspielt, solange in der Schwebe, bis nach dem »Gedankenstrich
das erlösende Korrelat
dann die konditionale Satzspannung auflöst, die die beiden
Wenns aufgebaut haben. (vgl.
Hermes
1994/2003, S.220) Die Szenerie, bei der die Kunstreiterin
monatelang ohne Unterbrechung
im Kreise rundum getrieben wird, wird durch diese
grammatikalischen bzw. sprachlich-stilistischen Merkmale des
Satzbaus verdeutlicht.
Hinzukommt noch
eine gewisse Überfrachtung mit Attributen, die ein aufmerksamer
Leser damit in Verbindung bringt, dass die Zirkusreiterin im Grunde
weder physisch noch psychisch der Situation gewachsen ist (hinfällig,
lungensüchtig
...), in der sie ihr
peitschenschwingende(r) erbarmungslose(r) Chef
begleitet von dem
nichtaussetzenden Brausen des Orchesters und der Ventilatoren
und dem immer wieder auf- und abebbenden
Beifallsklatschen der Hände, die eigentlich Dampfhämmer sind
im Zirkusrund pausenlos antreibt.
Insgesamt gesehen
folgt der Leser dem dargestellten Geschehen "nahezu atemlos [...]
von Teilsatz zu Teilsatz, ohne dabei aber eine lineare Entwicklung
zu durchlaufen." (Hermes
1994/2003, S.220) Beim Lesen könne er die monoton bleibende
Szenerie unter unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten, irre aber
wie Kunstreiterin auch im Kreis herum. Insofern verkörpert auch die
grammatischen Strukturen der Wortwahl und des Satzbaus die
"Kreisstruktur", die der "Ausdruck für das Ununterbrochene" (ebd.)
sei.
Im Gegensatz zu den
eher schwerfällig wirkenden und sich in einer Art "Endlosbewegung
des Kreisens" (Meurer1988/31999,
S.75) irgendwie um immer das Gleiche drehenden Nebensätzen, weist
der nach dem Gedankenstrich folgende Hauptsatz im ersten Abschnitt
einen dynamischen Charakter auf, der eine Veränderung des Zustandes,
den die beiden vorangehenden Nebensätze beschrieben haben, zumindest
als Gedankenspiel bringt.
Die
Zustandsveränderung, die allerdings mit dem Modalpartikel
vielleicht am Beginn des unmittelbar nachfolgenden
Konstativsatzes
eingeleitet wird, wird damit auch als reines Denkmodell ausgewiesen,
das auf den Horizont des Erzählers verweist, der damit seine
Einstellung bzw. seine Wunschvorstellung artikuliert.
Die
Zustandsveränderung, die durch die Reaktion und Intervention des
jungen Galeriebesuchers herbeigeführt wird, zeigt sich in
der eng aufeinander folgenden Reihung von »Prädikaten
in finiter
Verbform wie eilte,
stürzte,
rief. Hinzukommt sein
Ausruf Halt!, der die
einzige
wörtliche Rede, aber ohne
Anführungszeichen als Wiedergabeindikator, im ganzen Text
darstellt und damit auch die Dramatik, der wie die anderen aus dem
Nichts kommenden Interventionshandlungen des Galeriebesuchers
dem Geschehen eine dramatische Spannung verleiht. Dass der Text
dabei an dieser Stelle auch von dem
•
Modus der
•
Konjunktiv II-Form (auch •
Konditional-Formen) des
•
Verbs abweicht, die ansonsten den gesamten ersten Absatz
kennzeichnet, ist wohl in erster Linie als stilistisches Element der
Dramatisierung zu lesen. Zugleich könnte der Moduswechsel aber auch
ein eingebauter "Stolperstein"
mit der Funktion sein, auf die •
Appellstruktur des Textes als Ganzes zu verweisen und damit die
Rolle eines •
impliziten Transfersignals zu übernehmen.
Übersieht man die
gedankliche Struktur des ersten Absatzes, so lässt sich unter
Berücksichtung gewisser semantischer Aspekte nach
Hermes
(1994/2003, S.218) dieser Absatz wie folgt gliedern:
"a) Schilderung des
möglichen Geschehens
b) mögliche Reaktion darauf (spontan, unbewußt)
c) herleitbarer Kausalzusammenhang
d) Reaktion extrovertiert
e) Konsequenzen nicht geschildert, nicht ableitbar"
Der zweite Absatz
wird durch einen
elliptischen
Kausalsatz als Nebensatz
•
Modus des
•
Indikativ, der auf ein Semikolon (Strichpunkt) endet,
eingeleitet, der inhaltlich die vorangegangene Darstellung
bestreitet (da
es aber nicht so ist).
Er lässt sich nach
Hermes
(1994/2003, S.218) wie folgt gliedern, was im Vergleich mit der
Gliederung des ersten Abschnitts zeige, dass beide Sätze in ihrer
Struktur gleich angelegt seien.
"a) tatsächliches
Geschehen
b) tatsächliche Reaktion (spontan, unbewußt)
c) Kausalkette nicht herleitbar
d) Einflußnahme introvertiert
e) Konsequenzen nicht geschildert, nicht ableitbar
In fünf dem
anfänglichen
Kausalsatz untergeordneten
elliptischen Sätzen
im
•
Indikativ, die letzten Endes als jeweils verkürzte Kausalsätze
begründen, warum die eingangs aufgestellte Behauptung, dass die
Darstellung des ersten Abschnittes
aber nicht so
ist, zutrifft. Die Verwendung des Indikativ im 2. Abschnitt
signalisiert, dass dem geschilderten Geschehen damit eine gewisse
Faktizität bzw. Authentizität zugeschrieben werden soll. Lediglich
an einer einzigen Stelle wechselt der
•
Modus der
finiten Verbform des Prädikats in den •
Konjunktiv II (als
wäre sie seine über alles geliebte Enkelin).
Ehe der zweite
Abschnitt mit seinem Satzgefüge wie der erste auf einen
Gedankenstrich endet, wird noch einmal die Kunstreiterin mit der
Konjunktion während
in einem
Temporalsatz, der den Blick auf das fortlaufend erzählte
Geschehen in der Manege richtet, ins Blickfeld gerückt.
Die hohe
Komplexität des Satzgefüges resultiert aus der signifikanten Anzahl
an Verschachtelungen in den genannten kausalen bzw. temporalen
Nebensätzen (partizipiale Nebensätze, Attributsätze,
Vergleichssätze, indirekte Rede). Die Strichpunkte bewirken darüber
hinaus auf ihre Weise eine Unterbrechung des Satzflusses an
zahlreichen Stellen. Sie erzeugen aber auch eine in Intervallen
entstehende rhythmische Spannung, die sich von einem Plateau zum
nächsten steigert und auf den auflösenden Hauptsatz zuläuft. (vgl.Sudau
2021, S.15) Im ersten Abschnitt werden stattdessen Kommata
verwendet, welche die quälende Geschehensabfolge nicht unterbrechen,
sondern diese vielmehr mit weiteren Peitschenhieben vorantreiben.
(vgl. ebd.)
Zudem führt die
anfängliche Inversion
zu einer deutlichen Stockung (eine
schöne Dame … fliegt herein, zwischen den Vorhängen). In
Anbetracht dieser komplexen Konstruktion ist es für den Leser
schwierig, den Überblick zu behalten, ebenso wie für das Publikum,
das Geschehen zu erfassen.
Eine Fülle
unterschiedlicher Verben "spiegelt die mit ihren Farben die
Lebhaftigkeit der fast impressionistisch geschilderten Aktion" (Meurer1988/31999,
S.76) im Gegensatz zu dem, sieht man von dem "metaphorischen
Grau der Zukunft" ab im ersten Abschnitt insgesamt
farblos geschilderten Geschehen. Insgesamt hinterlässt der Rhythmus
dieses Abschnitts, der durch etliche Zäsuren, die mit Strichpunkten,
die eigentlich von der üblichen Zeichensetzung abweichen, bestimmt
wird, "den Eindruck tempogeladene(r), viefältige(r) Einzelbewegungen
(im Gegensatz zu der zyklischen Monotonie des ersten Teils)." (ebd.)
Aus diesem Grunde nehme, wie
Meurer (1988/31999, ebd.) fortfährt, auch die Dichte
der »schwebenden« Partizipien I erheblich ab. Während im ersten
Abschnitt noch eine große Zahl von Partizipien gibt, die das immer
gleiche, monotone Geschehen in der Schwebe halten,
Im Anschluss an den
Gedankenstrich folgt ein Kausalsatz im Indikativ, de affirmativ
bekräftigt, was zuvor gesagt worden ist (da
dies so ist). In seiner parallelen Formulierung bildet er
zusammen mit dem ersten Kausalsatz des Abschnitts einen Rahmen, der
die Darstellung der Zirkusvorstellung umfasst.
Zugleich zieht er
mit zwei eingebetteten satzartigen Konstruktionen, die als
satzwertiges Partizip (wie
in einem schweren Traum versinkend) und einem
satzwertigen Infinitiv (ohne
es zu wissen) formuliert sind, ein Fazit aus dem geradezu
ausufernden Satzgefüge, das er beendet.
Die Art, wie Kafka
seine Sätze sprachlich-stilistisch gestaltet, kann man somit als
formales Äquivalent zur der die Sinne verwirrenden Zirkusnummer
ansehen. Während es im ersten Abschnitt noch eine große Zahl von
Partizipien gibt, die das immer gleiche, monotone Geschehen in der
Schwebe halten, werden im zweiten Abschnitt vermeintlich
authentische Fakten im Indikativ präsentiert. An einer Stelle kommt
es aber auch im zweiten Abschnitt zu einem "vielsagenden Ausrutscher
in den Konjunktiv" (Sudau
2021, S.16), wenn davon die Rede ist, dass der
Zirkusdirektor die Kunstreiterin "vorsorglich
(...) auf den Apfelschimmel hebt, als wäre sie seine über alles
geliebte Enkelin, die sich auf gefährliche Fahrt begibt".
In beiden Fällen,
dem Wechsel vom Konjunktiv II im ersten Abschnitt in den Indikativ
und dem Wechsel im zweiten Abschnitt in den Konjunktiv können als
"kleine Ungereimtheiten – das Durchscheinen einer faktischen
Wirklichkeit in die Welt des angeblich nur Vorgestellten und das
Durchscheinen des Scheinbaren in die Welt des vorgeblich Faktischen
– (...) Indizien für die wahren Verhältnisse von Illusion und
Realität sein." (ebd.
S.11)
Solche Indizien
würden, so fährt
Sudau (2021,
S.16) fort, noch durch zwei vielsagende Adverbien in unmittelbarer
Umgebung bekräftigt. So erschienen die applaudierenden Hände
nicht wie Dampfhämmer,
sondern es sei "ihr wirkliches und eigentliches Wesen". Und der
scheinbar so hingebungsvoll besorgte Zirkusdirektor hebe seine
Reiterin "nicht 'fürsorglich' auf den Apfelschimmel (wie es dann
eigentlich lauten müsste), sondern nur
vorsorglich – gerade
so, als müsste er Vorsorge treffen, dass die Reiterin ihre Aufgabe
auch wirklich erfüllt und nicht in irgendeiner Weise ausweicht,
flüchtet oder aus der Rolle fällt."
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
11.10.2024