Kafkas
Prosastück ▪ "Auf
der Galerie", das in zwei Teile gegliedert ist, die in
unterschiedlicher Art und Weise die im Zirkusrund vorgeführte Nummer
einer Kunstreiterin und die Reaktion der Besucher, insbesondere
eines jungen Galeriebesuchers darauf, darstellen, weist
dementsprechend eine antithetische Struktur auf. Die einzelnen
inhaltlichen Elemente, die bei der Lektüre des Textes aufeinander
bezogen werden, lassen sich zum Vergleich in einer tabellarischen
Auflistung einander gegenüberstellen.
Erste Version / 1. Abschnitt |
Zweite Version / 2.Abschnitt |
irgendeine
hinfällige, lungensüchtige Kunstreiterin |
konkrete
schöne Dame, in
Weiß und Rot gekleidet |
peitschenschwingende(r) erbarmungslose(r) Chef |
Direktor,
hingebungsvoll ihre Augen suchend, in Tierhaltung ihr
entgegenatmet;
vorsorglich sie auf
den Apfelschimmel hebt, als wäre sie seine über alles
geliebte Enkelin
die Kleine vom
zitternden Pferde hebt, auf beide Backen küsst und keine
Huldigung des Publikums für genügend erachtet |
auf
schwankendem Pferd |
Apfelschimmel,
vom
zitternden Pferde (hebt) |
monatelang ohne
Unterbrechung im Kreise rundum getrieben
immerfort weiter sich öffnende graue Zukunft sich fortsetzte |
schöne Dame, weiß
und rot, hereinfliegt, zwischen den Vorhängen, welche die
stolzen Livrierten vor ihr öffnen – –
Schlussmarsch
(= geschlossenes übliches
Ereigniskonzept,
mit dem eine Zirkusnummer wahrgenommen und verarbeitet wird) |
Beifallsklatschen
der Hände, die eigentlich Dampfhämmer sind |
Huldigung des Publikums |
vielleicht eilte dann
ein junger Galeriebesucher die lange Treppe durch alle Ränge
hinab, stürzte in die Manege, riefe das: Halt! |
legt der Galeriebesucher das Gesicht auf die Brüstung und,
im Schlussmarsch wie in einem schweren Traum versinkend,
weint er, ohne es zu wissen. |
Zu diesen
Gegensätzen, die sich unmittelbar aus dem Vergleich miteinander
kontrastierender Textstellen ergeben lassen sich weitere Elemente
einer antithetischen Struktur ausmachen. Dazu zählen, wie
Niehaus (2010,
S.161) in seiner Gegenüberstellung verdeutlicht, u. a. folgende
Momente:
Erste Version / 1. Abschnitt |
Zweite Version / 2.Abschnitt |
fehlende Interaktion der am
Geschehen Beteiligten |
Direktor sorgt mit seinem
misch-gestischen Verhalten für andauernde Interaktionen
zwischen den an der Zirkusnummer Beteiligten und dem
Publikum |
der Ablauf des Geschehens und
das, was es antreibt, erscheint rein mechanischer Natur zu
sein und ereignet sich ohne Beteiligung von Gefühlen |
übersteigerte Gefühle, die der
Inszenierung des üblichen
Ereigniskonzepts
für eine glamouröse Zirkusnummer geschuldet sind und
entsprechen |
Geschehen in einer Art ewigen
Wiederholungsschleife |
(vermeintliche) Singularität der
Zirkusnummer als
gefährliche Fahrt |
Aktives Eingreifen des
Galeriebesuchers |
untätige Passivität des
Galeriebesuchers |
Für Niehaus (2010,
S.161) ergibt sich aus der antithetischen Struktur des Prosatextes,
dass es in ihm im Kern die "Entgegensetzung von Wiederholung des
Immergleichen und einmaliger Geschichte" geht, was zur Folge
hat, dass die der Text jedenfalls nicht zwingend als "Parabel über
Sein und Schein" aufgefasst werden muss, um zu einem kohärenten
Textverständnis durch textexterne Bedeutungskonstruktion zu
gelangen,
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
11.10.2024
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