▪
Württemberg zur Zeit Herzog Carl Eugens (1728-1793)
●
Die Karlsschule
▪
Überblick
▪
Kurzer Abriss der Geschichte
▪
Die
Schüler der Karlsschule
▪
Erziehung und militärischer Drill
▪
Lehr- und Unterrichtspraxis
▪
Privatleben - Fehlanzeige
▪
Ständische Ungleichheit
▪
Umzug nach Stuttgart 1775
▪
Textauswahl
"Die hervorstechendste
Eigentümlichkeit der Schule ist die
Stellung des Herzogs zu ihr. Er war nicht nur als Landesherr ihr Stifter und
Schirmherr, sondern im eigentlichen Sinn ihr Begründer, Erhalter und Leiter,
ohne dessen Kenntnis, Befehl und Zustimmung an der Schule während ihres
ganzen Bestehens nichts Großes und nichts Kleines geschah; sie war sozusagen
eine Privatanstalt des Herzogs. [...]
Ganz unvermittelt ist ja mit der Karlsschule pädagogische und
wissenschaftliche Neigung beim Herzog nicht hervorgetreten, Schon 1761 hatte
er die Académie des arts, 1762 die Naturalienversammlung, 1765 die
Öffentliche Bibliothek begründet, die Schulen des Landes, besonders das
Gymnasium in Stuttgart und die Klosterschulen, wie auch die Universität
Tübingen öfter besucht und namentlich 1767 in langdauernder Anwesenheit
diese in allen ihren Teilen und Einrichtungen kennen zu lernen gesucht, auch
bei diesem Anlass ihre Unterrichtsanstalten erweitert. [...]
Ein Mann der Wissenschaft im eigentlichen Sinn war nun freilich der Herzog
nicht; die mangelhafte Ausbildung seiner Jugend durch gründlichere Studien
zu erweitern und zu vertiefen hatte er bisher weder Zeit noch Neigung
gehabt, über den Dilettanten auf diesem Gebiet ist er nie hinausgekommen;
aber durch die wiederholten eingehenden Besuche in den inländischen
Lehranstalten und bei seinen vielen Reisen im Ausland, wo er überall auch
die wissenschaftlichen Einrichtungen eingehend besichtigte, hauptsächlich
aber durch den Verkehr mit vielen und bedeutenden Gelehrten hatte er zwar
nicht einen tiefen Einblick, wohl aber bei seinem großen angeborenen Talent
einen recht umfassenden Umblick auch auf dem wissenschaftlichen Felde
erworben, und besonders in der Philosophie nach dem damaligen Begriff, und
in den auf die Staatsverwaltung sich beziehenden Disziplinen besaß er in
seinen späteren Jahren wirkliches Interesse, Wissen und Verständnis.
Auch
auf pädagogischem Gebiet war er nicht selbständiger, schöpferischer
Fachmann in dem Sinn, dass er sich ein pädagogisches Ideal geschaffen und zu
dessen Verwirklichung eine Lehranstalt gegründet hätte [....]. Wenn er in
den Reden, die er in der Karlsschule hielt, in ermüdender Wiederholung 'die
Tugend' als Ideal und Ziel der Erziehung gepriesen, seine Schule einen
'Tempel der Weisheit und Tugend, der Aufklärung' genannt hat, so kann man
darin doch wesentlich nur Phrasen erkennen. In Wirklichkeit war das
Ziel
seiner Erziehungstätigkeit überhaupt nicht ein abstraktes, ideales, sondern
ein durchaus praktisches, nämlich
junge Leute für bestimmte höhere
Berufstätigkeit heranzuziehen und auszubilden für Kriegs-, Hof- und
Staatsdienst und für die Künste; in der offiziellen Beschreibung der
Karlsschule (von Batz 1783) wird zwar an einer Stelle gesagt, der Zweck des
Herzogs sei gewesen, 'gute Menschen und nützliche Bürger zu bilden', an
anderer Stelle aber, 'die jungen Leute sollen zu eigentlichen
Geschäftsmännern, nicht zu Privatgelehrten gebildet werden'. Und als der
richtige Weg dazu erschien ihm
möglichst guter Unterricht und möglichste
Konzentration der Zöglinge auf diesen durch Abhaltung störender Einflüsse
mit allen Mitteln des äußeren Zwangs. 'Kräfte zu wecken in den jungen
Leuten', mahnte er immer wieder die Lehrer, und
die Zöglinge zur Arbeit
anzuspornen betrachtete er als eine Hauptaufgabe seiner Anstalt, weil Arbeit
das beste Mittel gegen sittliche Verwirrung sei und bei der Arbeit der
jugendliche Geist und Charakter am kräftigsten und gesundesten gedeihe.
Wenn in diesem Sinne von einem dem Herzog eigentümlichen pädagogischen
Prinzip gesprochen werden kann, so stand es doch im engsten Zusammenhang mit
seiner Eigenschaft als Landesherr in der doppelten Richtung des Landesvaters
und des Alleinherrschers.
Es sollten unbemittelte Landskinder, wie es
wirklich in erheblichem Umfang geschah, versorgt und zu höherer
Lebensstellung geführt werden, und die Früchte dieser Erziehung sollten in
der Gestalt tüchtiger Offiziere, Beamten und Künstler dem Lande zugute
kommen. Aber freilich,
die so Versorgten sollten dem Herzog als dem Schöpfer
ihres Glücks zeitlebens dankbar und seinem Dienst unbedingt gewidmet
bleiben, und die Ausbildung sollte im Ganzen und in allem Einzelnen so
beschaffen sein, wie der Herzog es wollte; die künftigen Hof- und
Staatsdiener sollten eine 'egale Kultur' im Sinn des Herzogs zeigen, sollten
alle ganz nach seinem Geist und Geschmack gemodelt sein. [...]
Eitelkeit und Ehrsucht
als die einzige Triebfeder des Herzogs auf diesem
Gebiet zu bezeichnen, wie es vielfach geschehen ist, wäre sicher unrichtig.
Aber nachdem einmal ein Anfang mit der Schule gemacht war und die Sache sich
gut anließ und der Herzog Geschmack daran fand, da hat allerdings die als
ein Hauptcharakterzug an ihm bekannte Sucht, zu glänzen und gepriesen zu
werden, mächtig eingesetzt. Er wurde fortan nicht müde, die Fortschritte und
Vorzüge, das 'lustre' seiner Schule selbst zu rühmen und sie von anderen in
Wort und Schrift rühmen zu hören; und
selbst als Wohltäter und Ernährer der
Schule und ihrer Zöglinge, als gütigster und erleuchtetster Förderer der
Wissenschaften und Künste gefeiert zu werden war ihm ein hoher Genuss und
Bedürfnis und eine Forderung an jeden, mit der in Berührung trat. Daher
pflegte er auch seinen Gästen sehr gern seine Schule zu zeigen, die denn
auch sehr zahlreiche Besuche fürstlicher und berühmter Männer
erhielt, unter
denen neben dem schon berührten von Joseph II. (1777), der von
Herzog Karl
August und
Goethe
bei der Jahresfeier 1779 nicht unerwähnt bleiben soll.
Deshalb musste denn namentlich auch in der Schule selbst dieser Leidenschaft
in der ausgiebigsten Weise gehuldigt werden und wurde ihr gehuldigt. Es ist
auch kein Zweifel, dass das Streben nach dem Ruhme, etwas an Großartigkeit
und Vorzüglichkeit Unübertroffenes geschaffen zu haben und zu besitzen, sehr
wesentlich zu den immer neuen Erweiterungen und Vervollkommnungen der Schule
beigetragen hat.
Indes ist damit noch nicht alles erklärt. 24 Jahre lang beschäftigte sich
der Herzog mit der
täglichen Fürsorge für alle laufenden Geschäfte der
Anstalt, ließ sich täglich über alle großen und kleinen Vorkommnisse
schriftlich und mündlich Rapport erstatten, führte die ganze Strafdisziplin
ausschließlich persönlich, wohnte, wenn er am Ort war, täglich zweimal den
Mahlzeiten der Zöglinge an, indem er fröhlichen Blicks durch die Reihen
schritt und da und dort, besonders mit den jüngeren, Gespräche anknüpfte,
sah oft, durch die Korridore gehend, durch die in den Türen angebrachten
Fenster nach der Aufmerksamkeit beim Unterricht, und nachts, die Schlafsäle
durchwandelnd, nach Ruhe und Ordnung, besuchte die Kranken auf den
Krankenzimmern, maß eigenhändig zweimal jährlich jeden Zögling, um ihm
seinen Platz in der Reihe seiner Abteilung anzuweisen; er beschäftigte sich
beständig mit der Anstellung geeigneter Lehrer und bildete sich sein Urteil
über ihre Leistungen, prüfte alle Lehrpläne und Lehrbücher, stellte oder
genehmigte alle Themen zu Reden von Lehrern und Schülern, alle Themen und
Thesen zu Dissertationen und Disputationen, wohnte selbst allen Prüfungen
der Lehrer und der Zöglinge und allen Disputationen an und nahm dabei mit
eigenen Fragen Anteil; er hielt bei den Festakten selbst Reden an die
Festversammlung und an den Vorabenden der Preisverteilung Ansprachen an die
Zöglinge in Gegenwart von Vätern und Müttern, und verteilte eigenhändig die
Preise; er las und beurteilte alle irgendwie an die Öffentlichkeit tretenden
Dissertationen von Lehrern und von Schülern und verfolgte sorgfältig die
Entwicklung aller einzelnen Zöglinge. Das wird doch nur daraus verständlich,
dass er eine
wirkliche, natürliche Anlange, eine innere Freude an der
Jugend und Befähigung für Jugenderziehung besaß,
was man denn wohl als den eigentlichen Kern und Keim seiner
Erziehungstätigkeit wird betrachten dürfen. Wenn er bei seinen Ansprachen
die Zöglinge mit 'Liebste Söhne' anzureden pflegte, so war das wirklich
nicht bloß Phrase, er trug sie wie ein Vater auf dem Herzen; das Erziehen
war ihm nicht bloß Verstandes- und Willenstätigkeit, sondern
Herzenssache.
Freilich sind auch zahlreiche
Züge vorhanden, die den Herzog als keineswegs
idealen Pädagogen und Schulleiter erscheinen lassen, und die hier nicht
verschwiegen werden sollen. Schon in fachlicher Beziehung gab er sich manche
Blößen. Seine Fragen und Behauptungen bei den Prüfungen und Disputationen
sollen zuweilen sehr zum Lachen gereizt, und ein Zögling soll einmal in der
mathematischen Lektion durch flottes Anschreiben sinnloser Buchstaben und
Zahlen an die Tafel sich ein sehr unverdientes Lob vom Herzog erworben
haben. In der deutschen Sprache wurde er, dessen
Muttersprache eigentlich
die französische war, nie ganz sicher; seine schriftlichen Äußerungen, auch
die sorgfältig abgefassten Reden sind, von der gräulichen Orthographie ganz
abgesehen, reich an Verstößen gegen die deutsche Sprache, die
Reden zwar in
feierlichem Pathos gehalten und voll von Mahnungen zur Tugend und Religion,
doch wesentlich phrasenhaft, ohne klaren Gedankenfortschritt und von
inkorrektem Satzbau, auch durch die
beständig wiederholte Forderung der
Dankbarkeit für das Glück seiner väterlichen Fürsorge eher das Gegenteil zu
bewirken geeignet. Aber es ist zweifellos und durch bestimmte Zeugnisse
erwiesen, dass diese Reden auf die Zuhörer nach deren Gewöhnung im
Allgemeinen nicht abstoßend wirkten und durch die ihnen nicht abzusprechende
eigenartige Beredsamkeit mindestens auf die Zöglinge einen starken Eindruck
machten, und
dass diese überhaupt, wenigstens solange sie der Schule
angehörten, mit verhältnismäßig wenigen Ausnahmen den Herzog wie einen Vater
als dankbare Söhne verehrten. Dass sie von der Schulleitung veranlasst bzw.
genötigt wurden, dieser Verehrung und Dankbarkeit auch in der Schule durch
Reden und Gedichte uns sonst in allen Formen öffentlich Ausdruck zu geben,
mag man wohl als Erziehung zur Heuchelei missbilligen, wird es aber bei den
Verhältnissen der Schule, wie sie nun einmal waren, begreiflich finden.
Schlimmer mag man es wohl pädagogisch beurteilen, dass der Herzog im Jahr
1774 einer Abteilung die Frage schriftlich zu beantworten gab: 'Wer von euch
ist der Geringste?', und in demselben Jahr die Aufgabe gestellt hat, alle
Mitzöglinge der Abteilung nach 10 aufgestellten Fragepunkten zu schildern,
dass er einem Zögling, dem gegen das Verbot Konfekt geschickt worden war,
einen Brief an die Eltern diktiert hat, worin der Sohn das Geschickte
zurückwies. Es waren das augenblickliche Einfälle despotischer Laune, die im
Ganzen doch ziemlich vereinzelt dastehen, Man mag es auch pädagogisch
bedenklich finden, dass der Herzog seine spätere Gemahlin Franziska, mit er
von 1772 an auf der Solitude und später in Stuttgart zusammen lebte und die
anfangs die Stellung einer Mätresse hatte, gern bei seinen Besuchen in der
Schule mitnahm. Aber die Zöglinge sahen in ihr wohl von Anfang an eben die
Gemahlin des Herzogs, was sie später (1785) auch geworden ist, und fühlten,
zumal da sie sonst so gut wie kein weibliches Wesen zu Gesicht bekamen, von
ihrer weiblichen Liebenswürdigkeit und mütterlich teilnehmenden
Freundlichkeit eine mildernde, versüßende Wirkung gegenüber der Strenge der
Anstaltsordnung. Die - pädagogisch fast unglaublichen -Themen, die der
Herzog für Reden und Schriften von Zöglingen zur Feier des Geburts- und
Namenstags von Franziska gestellt oder genehmigt hat: Sur l'influence du
beau sexe sur les arts; Sur les talents supérieurs du beau sexe; L'image de
la belle nature dans une femme verteuse;
Ob Tugend beim schönen Geschlecht
einer Folge der Jahre oder der Erziehung sei;
Ob große Seelen des weiblichen
Geschlechts die Standhaftigkeit der männlichen erlangen können; Was größer
sei, eine männliche oder eine weibliche schöne Seele; Von der
Standhaftigkeit tugendhafter Frauen;
Gehört allzu viel Güte, Leutseligkeit
und große Freigiebigkeit im engsten Verstande zur Tugend? - diese und andere
wird man unter diesem Gesichtspunkt vielleicht etwas milder beurteilen. Ein
paar gut bezeugte Anekdoten aus dieser Sphäre, z. B. dass der Herzog von
einem Zögling, einem Grafen von Nassau, den er wegen vieler Vergehen abrügen
sollte und fragte: 'Was würde Er sagen, wenn Er an meiner Stelle wäre?' die
Antwort bekommen haben soll: 'Komm, Franzel, lass den dummen Jungen stehen',
ohne dass ihn der Herzog dafür bestrafte, zeigen - außer anderen Beispielen
-, dass diesem fürstlichen Pädagogen auch ein Zug guten Humors nicht fehlte,
wie er denn überhaupt an munterem, offenem Wesen der Zöglinge Gefallen fand.
Laune und Willkür spielten freilich bei seiner Schulleitung andauernd eine
sehr große Rolle, gegenüber den Zöglingen in der Handhabung der Disziplin im
Einzelnen, der Verfügung über ihre Studien und bei den unentgeltlich
aufgenommenen namentlich auch über ihren Beruf, in der Aufnahme,
Beförderung, Entlassung und besonders auf die Gehaltsverhältnisse. Bindende
Verpflichtungen ging er überhaupt nur in beschränktem Umfang ein,
behielt
sich vielmehr seine Entscheidungen im Allgemeinen immer vor, und auch wo er
eine Zusage gegeben hatte, konnte man sich darauf nicht sicher verlassen;
alles war von seinen jeweiligen Entschließungen abhängig, so wollte er es
haben und fühlte sich darin. Von der Richtigkeit seiner Anschauungen und
Absichten war er dabei völlig überzeugt und ebenso von der Richtigkeit
seiner Anordnungen und Handlungen im einzelnen.
Im Allgemeinen ist auch an
seiner guten, wohlmeinenden Absicht für die Schule und für die Zöglinge und
sonstigen Angehörigen nicht zu zweifeln. Namentlich von seiner Kenntnis und
richtigen Beurteilung der Menschen war er tief durchdrungen, und in der Tat
hat er in der Beurteilung der Zöglinge, trotz einzelner Irrtümer, im ganzen
einen überraschend richtigen Blick bewiesen, und hauptsächlich in der Wahl
der Lehrer hat er sich als den praktischen, welterfahrenen, mit einer
gewissen Genialität das Richtige schauenden Menschenkenner bewährt. Mochte
Schubart spotten über den Tyrannen, der zum Schulmeisterlein geworden, mag
man nicht ohne Berechtigung sagen, er habe bei seinem Übergang von den
üppigen Hoffesten zur Erziehungstätigkeit doch nur eine Liebhaberei mit
einer anderen vertauscht: er verfolgte dabei doch recht ernste, gute und
wohlerwogene Zwecke, und die ganze Geschichte der Karlsschule erweist ihn
als wirklich mit pädagogischer Gabe begnadet und als einen Schulorganisator
großen Stils. [...]
Von außen aber ließ sich der Herzog von niemand dreinreden.
Denn die Schule
galt als zum herzoglichen Hof gehörig und war damit unabhängig vom
Kirchenrat, dem sonst die Volksschulen und die höheren Schulen unterstanden,
wie auch von der
Landschaft, die zwar erstmals 1773 und später wiederholt
umfassende Beschwerden einreichte wegen unnötiger Ausgaben, Schädigung der
bestehenden Unterrichtsanstalten, Verletzung der Landesordnungen durch
Aufnahme ausländischer und katholischer Lehrer und Schüler, bei dem Herzog
aber, der längst auch auf anderen Gebieten gewohnt war ihre Vorstellungen zu
ignorieren, kaum irgendwelche Beachtung fand. [...]
So wurde denn zunächst bezüglich der
finanziellen Seite sehr souverän verfahren. Eigene Einnahmen hatte die Schule anfangs
überhaupt nicht, da sie ja eine Versorgung für arme Kinder sein sollte und
weiterhin für solche, denen der Herzog dies als besondere Gnade gewährte;
1776 wurde zwar für einen Teil der Zöglinge ein Kostgeld eingeführt, aber
die Ausgaben wurden dadurch entfernt nicht gedeckt. Die
Akademiekasse -
deren Verhältnisse freilich wenig übersichtlich sind, da sie auch für andere
Zwecke, so z. B. auch für die Ecole des demoiselles, aufzukommen hatte -
wurde anfangs aus Privatmitteln des Herzogs, weiterhin aber aus dem
Kirchengut und verschiedenen öffentlichen Kassen auf Befehl des Herzogs
unterhalten. [...]
Daraus. dass
die Schule Hof- und Fürstenschule, und also den Kirchen- und
Schulbehörden des Landes grundsätzlich entzogen war, ergab sich für sie der
sehr wichtige Vorteil, dass sie auch bezüglich der innern, besonders der
religiösen, pädagogischen und wissenschaftlichen Einrichtungen an keine
äußere Instanz und besonders auch an keine Tradition gebunden war. Die
Leiter der Schule konnten aus dem, was irgend sonst an Einrichtungen für
Erziehung und Unterricht vorhanden war, entnehmen, was ihnen gut und
zweckmäßig dünkte, ohne etwas beibehalten zu müssen, weil es eben da war und
vielleicht in irgendwelchen äußern Umständen eine Stütze hatte; und sie
mussten auch keine Neueinführung oder Änderung deswegen unterlassen, weil
sie bisher nicht dagewesen war und man sie erst eingehend hätte begründen
und rechtfertigen müssen.
Ferner: wer als Lehrer oder auch als Zögling in die Schule aufgenommen
wurde, trat damit in eine gewisse persönliche Beziehung zum Landesherrn und
bekam einen gewissen Anteil an dem Hof und seinem bewegten, glänzenden
Leben. Dies entsprach einem pädagogischen Prinzip des Herzogs, der meinte,
nicht in klösterlicher Abgeschiedenheit, wie in den Klosterschulen und dem
Tübinger Stift, sondern mitten 'in der Welt' solle die Erziehung vor sich
gehen. Und
dass die Zöglinge durch die Berührung mit dem Hof auch höfisches
Benehmen, gute Lebensart lernen, wurde von der Anstalt selbst als einer
ihrer Vorzüge gerühmt. Dass sich die Zöglinge dabei wesentlich passiv und
als Zuschauer verhielten, ist ja wohl selbstverständlich; aber sie hatten
doch fast täglich Gelegenheit, den Herzog und seine Umgebung zu sehen, und
lebten in ihrer Sphäre, wurden sehr häufig vom Herzog und seiner Umgebung in
Gespräche gezogen, die Kavalierssöhne auch zuweilen gruppenweise, bis zu
acht, zur herzoglichen Abendtafel gezogen; dabei soll es freilich wegen der
Liebhaberei des Herzogs fürs Examinieren nicht sehr gemütlich gewesen sei-
er pflegte die Aufgabe zustellen, über ein von ihm gegebenes oder ein selbst
gewähltes Thema 'einen Diskurs zu eröffnen' -, und Franziska musste durch
Spenden von Süßigkeiten nachhelfen.
Alle Hoffeste wurden zugleich zu
Akademiefesten, besonders die Geburts- und Namensfeste des Herzogs und der
Franziska und Besuche hoher Gäste,
wie andererseits auch die Akademiefeste
zugleich Hoffeste waren, indem die
öffentlichen Prüfungen und Schlussfeiern
jährlich als große Hoffeierlichkeiten öffentlich angekündigt und durch die
Teilnahme des Herzogs mit seinem ganzen Hof, einschließlich der fremden
Gesandten, beehrt, auch nachher durch eine ausführliche Beschreibung aus der
Feder des Professors
Uriot bis zum Jahr 1782 in der Stuttgarter
Privilegierten Zeitung für die weiteren Kreise bekanntgegeben wurden.
[...] Die Strafdisziplin behielt der Herzog
ausschließlich sich selbst vor; bei kürzerer Abwesenheit wurden die
Entscheidungen aus seine Rückkehr aufgeschoben, so dass sie oft
verhältnismäßig lange nach dem Vergehen folgten; nur wenn er längere Zeit
verreist war, traf sie als sein Stellvertreter der Intendant. Ein von diesem
im Jahr 1783 gestellter Antrag: den Offizieren, Professoren und anderen
Lehrern die Befugnis einzuräumen, Verfehlungen der Zöglinge selbst alsbald
abzurügen, wurde vom Herzog abgelehnt. Körperliche Bestrafung
war im
Allgemeinen grundsätzlich ausgeschlossen. Bei ganz jugendlichen Zöglingen
(es wurden solche im Algemeinen vom neunten Jahr an aufgenommen, in
einzelnen Fällen auch jüngere) wurde zuweilen nach wiederholten anderen
Strafen von der Rute Gebrauch gemacht, was dann zuweilen auch bei solchen
Zöglingen vorgekommen sein soll, die schon älter waren, aber wegen ihrer
Kleinheit für jünger angesehen wurden. Diese
Züchtigung wurde öffentlich im
Schlafsaal durch Aufseher in Gegenwart eines Offiziers und der Eleven der
entsprechenden Abteilung vollzogen. Sonst kam es nicht selten vor, dass der
Herzog ein Vergehen durch einen eigenhändigen Backenstreich rasch erledigte;
im ganzen aber war es ein wiederholt und
öffentlich ausgesprochener und auch
durchgeführter Grundsatz, dass nicht mit Schlägen bestraft werde.
Sämtlichen
Lehrern, auch der unteren Stufen, und dem gesamten Aufsichtspersonal war
nicht nur körperliche Züchtigung irgendwelcher Art durchaus verboten - und
es findet sich kein Beispiel, dass eine solche vorgekommen wäre -, sondern
auch in den Dienstanweisungen ausdrücklich und nachdrücklich zur Pflicht
gemacht, sich auch derber und verletzender Ausdrücke zu enthalten und die
Zöglinge freundlich zu behandeln. Hiegegen mag von den Aufsehern nicht
selten und zuweilen auch von den Offizieren gefehlt worden sein, aber die
Anstaltsleitung tat, was sie konnte, für die Durchführung, und Abweichungen
bildeten eine verhältnismäßig seltene Ausnahme.
Für Verfehlungen, die im Unterricht oder gegen die Disziplin, die
Hausordnung, die Reinlichkeit usw. begangen wurden, war folgendes Verfahren
eingeführt: der Lehrer oder Aufseher, der einen Zögling zur Bestrafung
bringen wollte, schrieb das Vergehen auf ein Quartblatt; dieses musste der
Zögling zusammengefaltet als so genanntes 'Billet' bis zum Vollzug der
Strafe an der Brust zwischen der Weste tragen und es dem Herzog, wenn er
beim Essen oder sonst an den Reihen hinschritt, übergeben, und der Herzog,
der von dem Vergehen schon vorher aus dem schriftlichen Rapport wusste,
sprach dann, unter Umständen nach kurzer Untersuchung, die Strafe aus. Diese
bestand gewöhnlich im so genannten 'Karieren' auf einen oder mehrere Tage,
d. h. der Zögling bekam mittags und abends nur eine Suppe und musste bei den
gemeinschaftlichen Mahlzeiten an einem besonderen Tische stehend zusehen.
Bei schweren Fällen gab es noch die Strafe des Karzers auf einen oder
mehrere Tage, zuweilen verschärft durch Beschränkung auf Wasser und Brot,
außerdem Entziehung des Ausgangs am Sonntag, auch der Vakanz, und als
letztes Mittel den Ausschluss aus der Schule. Dieser kam als Strafe nicht
häufig vor; immerhin mögen, abgesehen von den sehr zahlreichen Entlassungen
der ersten Jahre, die andere Gründe hatten, manche Austritte durch
Unverträglichkeit mit der Anstaltsordnung veranlasst worden sein.
Im Ganzen
aber war die Handhabung der Strafdisziplin verständig und human.
Nach der
An- und Absicht des Herzogs sollte überhaupt der Erziehungs- und Lehrzweck
nicht sowohl durch Strafen als durch Aneiferung zum Guten und Anspornung des
Fleißes erreicht werde, und zwar durch die Mittel des
Ehrgefühls und
Ehrtriebs. Diese in den Dienst der Schule zu ziehen
war ein Hauptgrundsatz des Herzogs, und dafür wurde denn ein wohl
organisiertes System ausgedacht und angewandt.
Zunächst wurden innerhalb der einzelnen Lehrabteilungen monatlich
Lokationen vorgenommen. Zu diesem Zweck wurden von
den einzelnen Lehrern die Zeugnisse dem Sekretariat der Anstalt übergeben,
das dann unter entsprechender Berücksichtigung der Hauptfächer die Lokation
ausrechnete. Diese wurde je am 15. des Monats vom Herzog feierlich der
gesamten Abteilung verkündigt, in der späteren Zeit auch gedruckt, und in
dieser Form den Angehörigen mitgeteilt; der Erste jeder Lehrabteilung trug
auf der rechten Schulter ein gelbes, rot eingefasstes Band, solang er diesen
Platz behauptete.
Ferner dienten diesem Zweck die
öffentlichen Prüfungen, die von 1771 an alljährlich, mit einziger Ausnahme des Jahres
1783, wo sie der Seuche wegen ausfielen, abgehalten und mit großer
Wichtigkeit umgeben wurden. Sämtliche Abteilungen wurden in sämtlichen
wissenschaftlichen und technischen Fächern geprüft, daher dauerte die
Prüfung 14 Tage lang, täglich vormittags 9-12 und nachmittags 3-6 Uhr. [...]
Alle 'Honoratioren' oder 'Standespersonen' hatten Zutritt, besonders waren
sie auch für die Eltern der Zöglinge bestimmt; hauptsächlich aber wohnte der
Herzog als der eigentlich die Prüfung Abnehmende von Anfang bis zu Ende,
nicht selten selbst fragen, an,
und der ganze Hofstaat, die fremden
Gesandten mit Damen, Hof- und Staatsbeamte und Gelehrte aus der Stadt und
von auswärts nahmen feierlich daran teil [...].
Im Zusammenhang mit den öffentlichen Prüfungen und als Bestandteil derselben
wurden, sobald die Zöglinge einigermaßen dazu herangereift waren, nämlich
1775, anschließend an die Gebräuche, die an den Universitäten, speziell dem
Tübinger Stift bestand, öffentliche Disputationen von
Zöglingen über wissenschaftliche Gegenstände eingeführt. Der Lehrer (später
auch einzelne Zöglinge) stellte aus seinem Unterrichtsfach eine größere
Anzahl von Thesen auf ('brachte sie zu Katheder'), die vorher vom Herzog
genehmigt sein mussten, oder schrieb eine 'Streitschrift', die den
Gegenstand der Verhandlungen bildete, und führte bei der Disputation den
Vorsitz. Die zum voraus von ihm bestimmten Zöglinge ('Respondenten')
verteidigten die Sätze oder den Inhalt der Streitschrift gegen die Einwände
der 'Opponenten', welche teils andere Zöglinge, teils andere Lehrer der
Anstalt, teils sonstige Gelehrte vom Hof, aus der Stadt und vom Lande waren;
oft wechselten auch im Lauf der Disputation von die Zöglingen die
Respondenten und Opponenten ihre Rollen, und zuweilen griff der Herzog
selbst ein, indem er Einwände erhob oder nähere Ausführungen gab, einmal
(1780) auch selbst 'zusammenhängende Sätze aus der Staats-, Kriegs-,
Wirtschafts- und Handelskunde' aufstellte und unter dem Vorsitz eines
Professors durch Zöglinge verteidigen ließ. [...] Es ist kein Zweifel, dass
diese Disputationen ein wichtiges Mittel und mächtiger Antrieb waren für die
sichere Beherrschung des betreffenden Wissensstoffs und für die Gewandtheit
im öffentlichen Auftreten und Sprechen. [...]
Den Abschluss der öffentlichen Prüfungen, zugleich den Höhepunkt dieser
Festzeit der Schule und des Schuljahrs überhaupt, bildete die
Preisverteilung, die erstmals am 16. Februar 1772,
nachträglich für das Jahr 1771, dann 1772-81 am Stiftungstag der Anstalt,
dem 14. Dezember, 1782 und 84 am 22. Dezember, von 1785 an zum Schluss des
Winterhalbjahres Mitte April, auf der Solitude im 'Lorbeersaal', in
Stuttgart bis 1781 im weißen Saal des Residenzschlosses, seit 1782 im oberen
Saal des Mittelbaus der Akademie gehalten wurde. Sie wurde als ein Hoffest
ersten Ranges behandelt, vorher feierlich angekündigt, mit einer glänzenden
Auffahrt zu dem Gottesdienste, der sie eröffnete, eingeleitet. In der Schule
selbst wurde sie vorher in der Weise vorbereitet, dass am Schluss der
Prüfung der einzelnen Abteilungen der Herzog eine Art Abstimmung über die in
den einzelnen Unterrichtsfächern zu Prämiierenden veranstaltete. [...] In
sämtlichen einzelnen Fächern, in denen im betreffenden Jahr unterrichtet und
geprüft worden war, und in der Konduite, wurde in jeder Unterrichtsgruppe je
ein Preis erteilt, so dass eine sehr erhebliche Anzahl von Preisen, bis zu
142 (1780) herauskam und ungefähr auf je drei Zöglinge ein Preis traf. Die
Preise selbst bestanden aus großen Medaillen von
Silber, für die Kavalierssöhne und Chevaliers vergoldet, die auf der einen
Seite das Brustbild des Herzogs trugen, auf der andern ein Sinnbild der
betreffenden Wissenschaft oder Kunst. [...]
Um aber die Wirkung noch zu erhöhen, stiftete der Herzog 1772 nach der ersten
Preisverteilung für solche Zöglinge, die gleichzeitig
vier Preise in
wissenschaftlichen Fächern erhielten - womit die
Künstler tatsächlich und wohl auch absichtlich ausgeschlossen waren - den
Akademischen Orden (der später der kleinere hieß),
ein braun emailliertes Goldkreuz von 12 Dukaten Goldwert, das an gelbem, rot
eingefasstem Band auf der Brust getragen wurde und dem Träger den Ehrennamen
Chevalier verschaffte, eine Auszeichnung, die, wie
auch die Preise überhaupt, den Kavalierssöhnen und Eleven gleichermaßen
zugänglich war und eine über beiden stehende bevorzugte Stellung innerhalb
der Anstalt verschaffte. Bei der Entlassung aus der Anstalt musste der Orden
zurückgegeben werden. Endlich wurde für solche, die acht wissenschaftliche Preise auf einmal bekamen, nach der
Preisverteilung von 1773 der 'Große Akademische Orden'
gestiftet. Der Zögling, dem diese Ehre zuteil wurde, hieß
Grand-Chevalier und trug das Ordenskreuz am
Ordensband um den Hals und außerdem am Rock auf rechten Seite einen gold-
und silberbestickten Stern mit der Inschrift 'Emulation'. Diese Auszeichnung
war aber im Ganzen nur zweimal zu vergeben [...], während der kleinere
akademische Orden, soweit die nicht ganz vollständigen Akten erkennen
lassen, 41 Mal vergeben wurde.
Der Festakt selbst begann mit einem Gottesdienst in der Akademiekirche,
wobei der Akademieprediger die Festpredigt hielt; dann hielt ein Professor
eine Festrede wissenschaftlichen Inhalts. Darauf wurden die Preise, nachdem
der Sekretär die Namen aufgerufen hatte, den vortretenden Zöglingen einzeln
vom Herzog übergeben, wobei die Kavalierssöhne (die zuerst die Prämien
erhielten) und
von 1775 an auch die Chevaliers dem Herzog die Hand, die
übrigen Preisträger den Rockflügel küssen durften. Außerdem wurden seit 1774
die Anstellungen und Beförderungen auf Hof-, Militär- und Zivilsellen,
welche der Herzog den ältesten Zöglingen gewährte, verkündigt, wobei der
Grundsatz galt, dass
die Chevaliers im Militär eine Stufe höher als die
übrigen angestellt wurden. Dann pflegte einer der gekrönten Zöglinge des
betreffenden Kunstzweiges, zuweilen auch eine festliche Abendtafel in der
Akademie, woran der Herzog selbst und außer den Zöglingen auch alle Lehrer
und die Väter der Kavalierssöhne und Chevaliers teilnahmen. Schließlich
wurde, wie erwähnt bis zum Jahre 1782, der ganze Festakt in ausführlicher
Beschreibung mit Namensnennung aller beteiligten Personen und wörtlicher
Wiedergabe der dabei gesprochenen Reden dem Publikum bekanntgegeben."
(aus:
Hauber 1907/1909, S.10-25, gekürzt}
(im Fettdruck hervorgehobene Wörter und Textpassagen im
Original gesperrt)
▪
Württemberg zur Zeit Herzog Carl Eugens (1728-1793)
●
Die Karlsschule
▪
Überblick
▪
Kurzer Abriss der Geschichte
▪
Die
Schüler der Karlsschule
▪
Erziehung und militärischer Drill
▪
Lehr- und Unterrichtspraxis
▪
Privatleben - Fehlanzeige
▪
Ständische Ungleichheit
▪
Umzug nach Stuttgart 1775
▪
Textauswahl
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.09.2023