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Die Karlsschule

Erziehung und militärischer Drill

 
GESCHICHTE
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Württemberg zur Zeit Herzog Carl Eugens (1728-1793)
Konkurrenzkampf und Prasserei: Absolutistische Repräsentation von Macht
Versailles in Schwaben: Ludwigsburg zur Zeit Carl Eugens
Höfische Festkultur zur Zeit Carl Eugens
Textauswahl: Gustav Hauber, Der Herzog und die Karlsschule (1907)

Als ▪ Friedrich Schiller (1759-1805) am 16. Januar 1773 auf Geheiß von Herzog ▪ Carl Eugen (1728-1793) in die ▪ Karlsschule eintrat, hatte die ▪ Militär-Pflanzschule schon die stattliche Zahl von 400 Schülern (Eleven) erreicht.

Zwei Monate später wurde ihr vom Herzog der Status einer Militärakademie verliehen, was zu einer Ausweitung des Unterrichtsangebots auf universitäre Fächer führte, die den höheren Jahrgängen angeboten werden.

In ihrem knapp 24 Jahre dauernden Bestehen durchliefen fast 1.500 Eleven die Karlsschule, wobei, in ihrer Stuttgarter Zeit, noch 700 Studierende aus der Stadt selbst dazu kommen. (vgl. Pfeiffer 1905, S.214)

Der Rever und die Auswahl der Schüler

Vom Beginn des Jahres 1774 an ließ Carl Eugen die Eltern seiner Eleven einen Revers unterzeichnen, worin diese sich verpflichten mussten, ihren Sohn nach Abschluss seiner Ausbildung in die herzoglichen Dienste zu übergeben.

Die Verpflichtung, die die Eltern damit eingingen, wurde ihnen im Revers mit einer Anstellungsgarantie erleichtert, die der Herzog den Eleven gewährte (vgl. Alt Bd. I, 2004, S.83, 97)

Die Auswahl seiner Eleven nahm der Herzog selbst vor, der über den Leistungsstand der besten Schüler an den Lateinschulen seines Landes bestens unterrichtet war. An ihn mussten nämlich die Eltern ihre Gesuche um Teilnahme an den jährlichen Landexamen richten. Ferner ließ er sich auch jährlich Übersichten über ihre besten Absolventen vorlegen (vgl. Buchwald 1959, S.124)

Die Entscheidung des Herzogs diesen oder jenen Jungen in seine Anstalt zu beordern, war ein Akt der Willkür. Daran kann auch angesichts anderslautender Interpretationen eigentlich nicht der geringste Zweifel bleiben und, wie Reed (1998, S.6) betont, verfehlt jeder noch so "wohlgemeinte Versuch, aus sicherer Geschichtsferne die Willkür vermenschlichen zu wollen, [...] das zentrale Prinzip der Aufklärung, auf das der Herzog sich gern beruft, nämlich dass sich der Mensch aus sich selbst bestimmen soll."

Die Karlsschule ist "Kaserne, Kloster und Universität" zugleich, wie Safranski (2004, S. 36) pointiert betont, und schwarz, ja tiefschwarz, ist die Pädagogik, um mit dem von Katharina Rutschky (1977/2001) geprägten Begriff "schwarze Pädagogik" in einer Steigerung zu spielen, mit der in der "Sklavenplantage" des Herzogs (Schubart) die Erziehung der Eleven bewerkstelligt wird.

So aufgeschlossen sich der Herzog gegenüber Ideen und Gedankengut einer naturwissenschaftlich-praktisch ausgerichteten Aufklärung zeigte, so wenig hielt er auf der anderen Seite von den Erziehungsprinzipien des französischen Aufklärers und Philosophen »Jean-Jaques Rousseau (1712-78), der in seinem »"Emil oder über die Erziehung" (1762) das allmähliche Wachsenlassen und Entfaltenlassen der Natur zum Grundprinzip seiner dagegen äußerst liberal wirkenden Erziehungskonzeption machte (vgl. Safranski (2004, S. 33), auch wenn ▪ Balthasar Haug (1731-1792) "die Unterstützung und Ausbildung der entdeckten natürlichen Anlage" (S.17) in der Karlsschule in seinem Vortrag "Von den vornehmsten Kennzeichen einer guten Erziehung" anlässlich des 2. Stiftungstages der militärischen Pflanzschule 1772 ausdrücklich betonte.

Gemütsspionage und kein individueller Freiraum als pädagogisches Konzept

Die institutionalisierte "Gemütsspionage" (Alt) bei gleichzeitiger Verunmöglichung kleinster privater Freiräume war Dreh- und Angelpunkt des pädagogischen Konzeptes, das die "Entindividualisierung" des einzelnen zum Prinzip machte. Dazu kamen die Prinzipien von Subordination, Disziplin und auch der gegenseitigen Konkurrenz (vgl. ebd.), die den Alltag der Eleven bestimmten.

In Uniformen gesteckt,  wurden die Eleven mit ihren "gestreifte(n) Zwillichkitteln, dergleichen Hosen, wollene(n) Kappen, Papilloten ohne Puder" (Erinnerungen von Schillers Mitschüler Scharffenstein, zit. n. Alt Bd. I, 2004, S.85) ebenso gleich wie gefügig gemacht.

Und nicht nur die Uniform, sondern auch die von allen zu tragenden langen Zöpfe waren es, die den Aufsehern täglich vielfältige Möglichkeiten zur Schikane der Zöglinge lieferten. Mal saß eben die Perücke nicht richtig, mal schloss die Gürtelschalle nicht mehr und ein ander Mal waren es Flecken auf der Parade- oder Alltagsuniform aus stahlfarbenem Tuch, die den Aufsehern Lust und den Eleven Pein bereiteten.

Der Tagesablauf in der Karlsschule

Der Tagesablauf der Eleven folgte militärischen Mustern und "glich einer Kaserne oder einem Gefängnis" (Walter 1987, S.290). Schon »Christian Friedrich Daniel Schubart (1739-1791), der als Regimegegner Carl Eugens von diesem zehn Jahre (177-1787) widerrechtlich auf dem »Hohenasperg eingekerkert wurde, sprach von einer "Sklavenplantage".

Der Tagesablauf folgte der folgenden Hausordnung:

  • 5 Uhr bzw. 6 Uhr: Aufstehen im Sommer um 5 Uhr, im Winter um 6 Uhr ((früheres Aufstehen zur Arbeit war gestattet)

  • Danach Frühstück

  • 7-11 Uhr Uhr: Unterricht und Arbeit

  • 11-12 Uhr Anzug und Reinigung - "Propreté!" führte Seeger beständig im Munde

  • 12 Uhr Mittagessen, dann Erholung

  • 14--18 Unterricht und Arbeit,

  • 18-19 Erholung

  • 19 oder 19.30  Abendessen, dann Erholung,

  • spätestens 21 Uhr Zubettgehen. (Hauber 1907/1909, S.17-21}

Weitere Regeln der Hausordnung an der Karlsschule

Die Hausordnung regelte das Leben der Schüler in der Karlsschule bis ins kleinste Detail und sorgte für ihre Rund-um-die-Uhr-Überwachtung und Kontrolle.

  • Alle Zöglinge mussten Uniform tragen. Diese b Sämtliche Zöglinge hatten Uniform zu tragen, 2die dem Stil und Geschmack der Zeit entsprechend gestaltet war: langer, vorn offener Rock und Weste aus stahlblauem Tuch mit versilberten Knöpfen und schwarzen Vorstößen, weiße Beinkleider, im Sommer weißbaumwollene Strümpfe und Schnallenschuhe, im Winter Stulpstiefel; vorn und hinten aufgekrempter Hut mit silbernen Borten, und Degen; das Haar frisiert mit einer gepuderten »Papillote auf jeder Seite, die bei festlichen Anlässen verdoppelt wurde, und Zopf; bei den Kavalierssöhnen als Auszeichnung eine silberne Achselschnur. Indes wurde Hut und Degen nur bei Feierlichkeiten und beim Ausgehen, die Uniform überhaupt im Hause nur bei den Hauptmahlzeiten, in den Lektionen dagegen und bei der Arbeit der so genannte Überrock getragen. Die Stadtstudierenden hatten die Uniform bei festlichen Anlässen zu tragen, sonst war es ihnen erlaubt, aber nicht geboten."

  • Bis 1783 gab es überhaupt keine Ferien, danach ab zu Ostern und im Herbst je eine Woche.

  • Urlaub wurde nur in äußerst seltenen Fällen erteilt, ab 1783 wurden die Genehmigungen etwas leichter

  • Wenn sich die Beschäftigung der betreffenden Schülergruppe änderte, musste bei jedem Wechsel im Rangiersaal angetreten werden und auf Kommando im Tritt an den betreffenden Platz, in den Lehrsaal, Speisesaal usw. marschiert werden

  • Im Durchschnitt kam auf etwa 9 Zöglinge eine die Aufsicht führende Person.

  • In ihren Schlafsälen wurden die Zöglinge ununterbrochen beaufsichtigt. Dafür stand ein eigens dafür bestelltes, meist militärisches Aufsichtspersonal bereit, das Kommando des Intendanten unterstellt war. Es bestand 2 Stabsoffizieren, 6 Hauptleuten, 10 Leutnants und 15 weiteren Aufsehern, neben Unteroffizieren auch bürgerliche Leute, teilweise auch Unterlehrer, so genannte "Hofmeister".

  • In jedem der großen und kleinen Schlafsäle schliefen auch ein Offizier und zwei Aufseher, die darin Aufsicht führten.

  • Beim Ankleiden, während des Essens, der Privatarbeitszeit in den einzelnen Hörsälen aber auch während der Erholung waren Offiziere und Aufseher ständig zur Aufsicht abgestellt.

  • Wenn es in den Unterricht ging, wurde die entsprechende Schülergruppe der Aufsicht der jeweiligen Lehrkräfte überlassen. Nach Unterrichtsschluss wurden sie aber wieder direkt von ihren Aufseher übernommen, so dass sie keinen Augenblick unbeaufsichtigt blieben.

  • Das Gelände zu verlassen und in die Stadt zu gehen, war den Zöglingen bis 1783 gänzlich verboten.  Danach durften sie sonntags zwischen dem Mittagessen und 15 Uhr das Haus ihrer Verwandten besuchen. Voraussetzung war, dass das Haus, wohin der Zögling wollte, vorher angegeben und der Besuch dort genehmigt wurde und der jeweilige Verwandte oder Lehrer den Zögling der Akademie abholte und um 15 Uhr wieder in der Karlsschule ablieferte.

  • Auch gemeinsame Ausgänge von Schülergruppen, Spaziergänge am Sonntagnachmittag z.B. oder mitunter auch werktags in den Erholungsstunden, standen immer unter dem Befehl und der Aufsicht eines Offiziers. Dies galt auch dann, wenn sie z. B. zu botanischen Lehrzwecken u. ä. stattfanden.

  • Ein Briefgeheimnis gab es für die Schüler nicht. Ihre ein- und ausgehende Korrespondenz wurde vom  Aufsichtspersonal gelesen. Gab es darin etwas, was Anstoß erregte. wurde dies dem Intendanten gemeldet. In einem solchen Fall wurde der entsprechende Zögling wegen des missliebigen Inhalts von Briefen, scharf zur Rede gestellt und gerügt.

  • Besuche von Angehörigen waren nur in Ausnahmefällen und dann nur in Gegenwart von Aufsehern zugelassen. "Erwachsene ledigen Frauenzimmern" war der Besuch gänzlich untersagt.

  • Dir älteren Zöglinge durften über ein kleines Taschengeld frei verfügen, die jüngeren mussten alles, was sie ausgeben wollten, einzeln von den Aufsehern genehmigen und verrechnen lassen.

  • Wenn etwas wie z. B. Esswaren aus der Stadt dafür gekauft werden sollten, wurde die Ware vom Dienstpersonal der Karlsschule eingekauft.

  • Jedem einzelnen Schüler wurde die Anzahl seiner Unterrichtsstunden und die Unterrichtsfächer genau vorgeschrieben.

  • Dies galt auch für Zeitdauer, die ein Schüler für seine Privatarbeit aufzuwenden hatte. Bis 1782 war dabei auch festgelegt, wie lange er sich dabei mit einzelnen Fächern zu beschäftigen hatte.

  • Während der Privatarbeit hatten die bestellten Aufseher aufzupassen, dass auch nichts anderes getrieben wurde, als das was auf dem Programm stand.

  • Die Pulte und sonstigen Geräte der einzelnen Schüler wurden in regelmäßigen Abständen durch Lehrer und Aufseher untersucht. Wenn dabei etwas Unerlaubtes wie z. B. Rauch- und Schnupftabak, dessen Genuss verboten waren, entdeckt wurde, oder auch ungeeignet erscheinende Bücher, wie Romane, abgenommen und unter Umständen Bestrafung veranlasst.

(vgl. Hauber 1907/1909, S.17-21, vgl. Walter 1987, S.290f.)

Der Intendant der Schule: Christoph von Seeger

Wer in der Karlsschule Aufsicht über die Eleven führte, war in ein streng hierarchisches System eingegliedert. An dessen Spitze stand als "Intendant" (Leiter) der Einrichtung »Christoph von Seeger (1740-1808), ein Patriarch alter Schule zwar, der aber von den Schülern doch wegen seiner Umgänglichkeit, seinem in Konfliktfällen gezeigten Verständnis und seiner Liberalität wegen durchaus geschätzt. wurde (vgl. Alt Bd. I, 2004, S.84). Aber natürlich konnte auch er "nur ausgleichen, mildern und in Ordnung halten, was der Herzog bestimmte." (Buchwald 1959, S.122).

Der Sohn eines evangelischen Geistlichen besuchte in seiner Jugend die Seminare Blaubeuren und Bebenhausen, zog aber einer weiteren Ausbildung als evangelischem Pfarrer eine Militärkarriere vor. Nach ersten Kriegserfahrungen in einem Kürassier-Regiment durfte er mit Erlaubnis des Herzogs in Tübingen Mathematik studieren, um seine Erkenntnisse für das Militärwesen einzubringen. 1761 wurde er zum Leutnant befördert und bekam ein paar Jahre später (1765) die Aufsicht über Planierungsarbeiten und den Gartenbau auf der »Solitude.

Sein Nachfolger in diesem Amt wurde später der Vater ▪ Friedrich Schillers (1759-1805) Johann Caspar Schiller, der 1775 zum ▪ Intendanten der Hofgärtnerei auf der Solitude ernannt wurde.

Zum Hauptmann befördert (1768) wurde Seeger 1770. Nicht zuletzt wegen seiner Kenntnisse in der Gartenbaukunst wurde zum Intendanten des ▪ Militärwaisenhauses auf der »Solitude ernannt, an dessen Entwicklung er, Obrist geworden, weiter als Intendant teilhatte. Er blieb auch noch 1782 im Amt, als die Karlsschule, mittlerweile in Stuttgart, zur ▪ Hohen Karlsschule erhoben wurde und vom Kaiser den Rang einer Universität zugesprochen bekam. (vgl. Sting 2005, S.553.f)

Unter der Leitung Seegers sorgten in der "Bildungskaserne" (Alt Bd. I, 2004, S.81) mehrere Offiziere und ihnen zugeordnete Unteroffiziere für Disziplin und Ordnung. In einer vier Mann starken Wachformation am streng gesicherten Schlosstor sollten sie auch verhindern, dass sich einer der Eleven zeitweilig oder gar auf Dauer aus dem Staube machte.

Auch einfaches Dienstpersonal und Hilfslehrer wurden zur Aufsicht über die Eleven eingesetzt.

Wenn es zum Essen in die Speisesäle ging, sorgten sie miteinander für den militärischen Gleichschritt auf dem Weg dahin, wachten über das beim Essen verordnete Schweigen der Eleven, beaufsichtigten sie bei den Reinigungsarbeiten im Haus und drillten die Zöglinge bei der durch und durch militärisch geprägten Körperertüchtigung.

Die Strafdisziplin des Herzogs

Gewöhnlich verfügte Carl Eugen (1738-1793) die ▪ Bestrafung von Verstößen gegen die Hausordnung durch einen der Zöglinge selbst. Nur bei längerer Abwesenheit war es dem Intendanten Seeger erlaubt, Strafen zu verhängen. Körperliche Strafen als Mittel der Erziehung, außer den von ihm selbst erteilten "Ohrfeigen" lehnte der Herzog ab (vgl. ▪ Hauber 1907/1909, S.10-25). Ohnehin setzte er eher auf sein ausgeklügeltes Konzept der gegenseitigen sozialen Kontrolle.

Sonst verfuhr man so: Der jeweilige Lehrer, Aufseher oder Offizier notierte, wenn er einen Schüler bestraft haben wollte, dessen Vergehen auf ein Stück Papier. Diesen Zettel musste der Missetäter sich dann als "Billet" ans Revers heften. Wenn Carl Eugen dann bei Essen oder bei einer anderen Gelegenheit die Reihen seiner Zöglinge abschritt, hatte der so Gebrandmarkte seinem Herzog das Billett zu übergeben. Dieser entschied dann, welche Strafe angemessen war. Meistens handelte es sich dabei um Essenentzug und der Übeltäter musste dann an einem besonderen Tisch, der wie eine Art Pranger fungierte, zusehen, wenn die anderen aßen. War das Vergehen, das dem Zögling vorgeworfen wurde, schwerer Natur, dann gab es auch Karzerstrafen oder im äußersten Fall wurde der Delinquent der Schule verwiesen und musste die Anstalt verlassen. (vgl. ▪ Hauber 1907/1909, S.10-25, vgl. Walter 1987, S.291f.)

Leistungs- und Prüfungsdruck als Prinzip

Carl Eugen (1728-1793) war ein klarer Verfechter des Leistungsprinzips. Aus diesem Grunde heizte er mit unterschiedlichen Maßnahmen die Konkurrenz der Zöglinge untereinander an, was sicherlich auch zu einer Entsolidarisierung der Schüler untereinander beigetragen hat.

In der Mitte eines jeden Monats verkündete der im Rahmen der sogenannten ▪ "Locationen" in jeder Abteilung der Schule die Zeugnisse. Dies war ein feierlicher Akt und sollte den Schülern Ansporn sein, vom Herzog gesehen und aufgrund ihrer Leistungen Anerkennung zu erfahren. (vgl. ▪ Hauber 1907/1909, S.10-25

Auf der Grundlage der Leistung, die ein Schüler erbrachte, wurde die Sitzordnung festgelegt und der beste Schüler einer Abteilung dufte, solange er diese Position innehatte, ein gelbes Band auf der rechten Schulter tragen.

Vor dem sogenannten Stiftungstag der Karlsschule am 14. Dezember jeden Jahres fanden die öffentlichen Prüfungen statt, die sich über vierzehn Tage erstreckten. Von neun bis zwölf  und vierzehn bis achtzehn Uhr mussten sich die Zöglinge dabei in Anwesenheit des Herzogs und des Hofes und zahlreicher anderer zugelassener Honoratioren von ihren Fachlehren und eigens zur Prüfung angereisten Universitäts- und Gymnasiallehrer aus Tübingen und Stuttgart prüfen lassen, in die der Herzog aber auch stets selbst eingegriffen hat.

Wenn der Herzog in der Prüfung das Wort ergriff, zielte er offenbar oft darauf ab, den Prüfling bloßzustellen. Allerdings tat er dies oft auch ohne die nötige Sach- und Sprachkenntnis z. B. in Latein. Mitunter stellte er auch völlig sinnlose Rechenaufgaben. Eine besondere Vorliebe hatte er aber für schriftliche Prüfungsaufgaben, die hinter ihrer als Besinnung getarnten Frage als eine Art Gesinnungsschnüffelei fungierten. ▪ Typische Fragen waren z. B. Wer ist von Euch der Geringste? Ist die Tugend beim schönen Geschlecht eine Folge der Jahre oder der Erziehung? Können große Seelen des weiblichen Geschlechtgs die Standhaftigkeit der männlichen erlangen?

Dazu hielt er lange Reden, die sorgfältig ausgearbeitet waren, aber vor Pathos strotzten und zugleich zahlreiche Verstöße gegen die deutsche Grammatik enthielten. Zu seiner Entschuldigung: Carl Eugen sprach sein Leben lang Französisch, und ein "schlechtes, mit Mundartbrocken vermischtes Deutsch"  (Walter 1987, S.293, (vgl. ▪ Hauber 1907/1909, S.10-25). Diese standen in einem Kontrast zu seinen "Phrasen über Tugend, Religion und fürstlich-väterliche Fürsorge in inkorrektem Satzbau" und seiner Tendenz, sich in unendlich langen Satzperioden zu verhaspeln oder "abrupt in völlig anderen Zusammenhängen" zu enden. (ebd., vgl. ▪ Hauber 1907/1909, S.10-25)

Höhepunkt der jährlichen höfischen Prüfungsrituale war der ▪ Abschluss der jährlichen Prüfungen im Rahmen eines höfischen Festakts im Lorbeersaal des »Schlosses Solitude. Bei der ▪ Preisverleihung wegen besonderer Leistungen erhielten die auszuzeichnenden Prüflinge Silbermedaillen vom Herzog überreicht. Mehrfachpreisträger bekamen einen "Akademischen Orden" dazu, der aus einem braun-emaillierten Goldkreuz im Wert von 12 Dukaten bestand und seinem Träger gestattete, den Titel "Chevalier" zu tragen.(vgl. ebd.) Die adeligen Preisträger dürfen bei der Preisentgegennahme den Ring an der Hand des Herzogs küssen, während die bürgerlichen Preisträger, viel tiefer gebeugt, beim Küssen mit den Schuhen des Herzogs Vorlieb nehmen müssen. (vgl. ▪ Hauber 1907/1909, S.10-25)

Ein ausgefeiltes System sozialer Kontrolle

Zu der Machtausübung von oben über die Eleven kam aber noch ein ausgefeiltes System gegenseitiger sozialer Kontrolle, das der Herzog seinen Eleven abverlangte.

Er forderte einzelne Eleven auf, über sich selbst und ihre Mitschüler einen Rapport zu verfassen. Damit wollte er in erster Linie die Überzeugungen und den Rang des Eleven in der Elevengruppe in Erfahrung bringen, und wollte sich darüber informieren, wer als Wortführer anzusehen war.

Zugleich freilich wollte er mit der darin geübten Kritik und Selbstkritik wohl auch ergründen, ob seine Eleven über Menschenkenntnis verfügten.

Ohne sich im geringsten anfechten lassen zu müssen, verlangte ▪ Carl Eugen (1728-1793) 1774 gar von den älteren Eleven, einen Aufsatz darüber zu verfassen, wer unter ihnen die geringste moralische Würde besitze.

Als aufgeklärter Monarch wollte er dabei allerdings kein vordergründiges "Anschmieren" und "Verpetzen" einzelner sehen, sondern ein auf Psychologie gegründetes Urteil abgegeben haben, das die Argumentationsfähigkeit des Eleven unter Beweis stellen sollte.

Aber auch das kann letztlich nicht den Eindruck mildern, dass solche Berichte mit dem Ziel der Entsolidarisierung "ein System der wechselseitigen Gemütsspionage, Überwachung, Denunziation, Kontrolle und Bespitzelung" installierten, "in dem die Eleven nicht nur Opfer, sondern auch Täter sein konnten." (Alt Bd. I, 2004, S.95) Kein Wunder, dass "Misstrauen, Furcht, Verstellung und gegenseitiges Konkurrenzdenken"  (ebd.) viele Beziehungen der Eleven untereinander kennzeichneten.

Immer war aber auch der herzogliche Wille im Unterricht präsent. Denn wie kaum etwas anderes verfolgte Carl Eugen seine pädagogische Experimentieranstalt mit einer außergewöhnlichen Hingabe, die für Schüler und Lehrer stets zwei Seiten hatte: "allerhöchste Gunst, Anfeuerung, unermüdliche Förderung, Schutz gegen Missgunst von kirchlicher und ständischer Seite - aber auch ständige Kontrolle, tägliches Hineinreden und Reglementieren, allerdings nur selten Auswirkungen allerhöchster übler Laune." (Lahnstein 1981, S.43) 

Württemberg zur Zeit Herzog Carl Eugens (1728-1793)
Konkurrenzkampf und Prasserei: Absolutistische Repräsentation von Macht
Versailles in Schwaben: Ludwigsburg zur Zeit Carl Eugens
Höfische Festkultur zur Zeit Carl Eugens

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 10.09.2023

   
 

 
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