▪
Württemberg zur Zeit Herzog Carl Eugens (1728-1793)
▪
Konkurrenzkampf und Prasserei: Absolutistische Repräsentation
von Macht
▪
Versailles in Schwaben: Ludwigsburg zur Zeit Carl Eugens
▪
Höfische Festkultur zur Zeit Carl Eugens
▪
Textauswahl:
Gustav Hauber, Der Herzog und die Karlsschule (1907)
Die Eleven, wie man die Schüler der ▪
Karlsschule nennt, haben so gut wie kein Privatleben und ihre
Intimsphäre ist vor willkürlichen Eingriffen und Einblicken der Aufseher und
letzten Endes auch des Herzogs ungeschützt.
Was sie in Briefen nach Hause
schreiben, wird häufig zensiert, zumindest aber von einem Aufseher gelesen.
Die wenigen privaten Habseligkeiten, die der einzelne besitzt, werden in
einem wenig Privatheit versprühenden Spind untergebracht, der von den
Aufsehern natürlich jederzeit eingesehen werden kann.
Nachts brennt in den
sechs Schlafsälen, in denen die Eleven nach Alter und Körpergröße schlafen,
stets eine Öllampe und die Betten stehen, mit dünnen Verschlägen voneinander
abgetrennt, nebeneinander. Und die zur besseren Kontrolle aufzuhaltenden
Türen rauben den Eleven auch in der Nacht noch die Illusion, allein oder für
sich zu sein. Wer tagsüber in den Schlafräumen erwischt wird, wird streng
bestraft (vgl.
Alt Bd. I, 2004, S.86).

Kontakte nach draußen, zur eigenen Familie, sind streng reglementiert und
werden vom Herzog, der die Eleven symbolisch adoptiert, nicht gerne gesehen,
Reisen und Ausflüge sind gänzlich untersagt. Und selbst wenn
schwere Erkrankungen
von Familienangehörigen vorliegen, wird eine Besuchserlaubnis nur in
Ausnahmefällen erteilt, und wenn, dann wird der Zögling bei seinem Besuch
von einem Aufseher oder Offizier begleitet. Nur an Sonntagen können enge
Familienangehörige zu Besuch kommen, sofern sie nicht junge Mädchen sind,
die den Eleven den Kopf verdrehen könnten. Das Auslöschen familiärer
Bindungen an ihre natürliche Familie ist Teil des Erziehungsprogramms des
Herzogs. (vgl.
ebd., S.135)
Auch der ▪ Carl Eugen (1728-1793) selbst lässt es sich nicht nehmen, an der Aufsicht über "seine
Söhne", wie er die Eleven nennt, persönlich teilzunehmen.
Indem Carl
Eugen sich als übermächtige Vaterfigur selbst inszeniert und von den Eleven
wohl auch so erlebt wird, soll das Ganze, so stellt es sich der Herzog wohl
vor, "eine große Familie" darstellen (vgl.
Safranski 2004, S.35).
Da seine Privatgemächer ganz in der Nähe liegen,
nimmt er häufig an den Mahlzeiten der Eleven teil und auf einem täglichen
Rundgang inspiziert er höchstpersönlich die Schlafsäle.
Friedrich Nicolai (1733-1811) hat das militärische Ritual, das bei der
Einnahme der Mahlzeiten herrscht, anschaulich beschrieben. (▪
Friedrich
Nicolai, Mittagessen in der Karlsschule)
Mit Argusaugen überwacht der Herzog aber auch den Schulbetrieb an seiner
Schule. Er agiert in der Anstalt als "Sein eigener Rektor" (Buchwald
1959, S.121), überprüft die erteilten Lektionen einer Prüfung,
beaufsichtigt und kontrolliert die Lehrer und mischt sich, wann immer es ihm
passt, in den Unterricht und die Unterrichtsorganisation ein (vgl.
Alt Bd. I, 2004, S.87).
Dieses Verhalten erklärt sich freilich
aus der Tatsache, dass der Herzog die Karlsschule stets als seine "eigene,
persönlichste Schöpfung" angesehen hat (v.
Wiese 1959/1963, S. 21). Carl Eugen "betrachtete sie als ein Instrument,
um seinem unruhigen Geist ein fruchtbares Feld der Betätigung zu geben und
den Ruhm seines Namens zu begründen." (ebd.)
Besonderes "pädagogisches" Vergnügen bereitet ihm offenkundig, nicht
normgerechtes Verhalten der Eleven persönlich zu bestrafen. Ist eine solche
Verfehlung vorgefallen, zu denen auch die heimliche Lektüre neuerer
Literatur wie z. B. »Johann
Wolfgang von Goethes (1749-1832) »"Die
Leiden des jungen Werthers" (1774) oder »Christoph
Martin Wielands (1773-1813) erotische Erzählungen
gehört (vgl.
Safranski 2004, S. 33), darf der Eleve nämlich nicht sofort und
unmittelbar von einem Aufseher, Lehrer oder Offizier bestraft werden.
Man
schreibt das Vergehen stattdessen auf einen Zettel und heftet ihn dem Eleven
an die Brust. Bei seinen täglichen Inspektionen, oft auch während des
gemeinsamen Mittagstisches, kann der Herzog das ans Revers geheftete "Billet"
lesen und, wenn es mit einer einfachen Ermahnung nicht getan ist, die ihm
angemessen erscheinende Strafe verhängen.
Oft setzt es einfach "Ohrfeigen",
wie man das Schlagen ins Gesicht zu bezeichnen pflegt, vor allem
jüngere Schüler werden auch, je nach Ausmaß ihrer Verfehlung, mit dem
Rohrstock oder einer Rute körperlich gezüchtigt. Sonst reicht die Palette
von pädagogisch legitimierten Sanktionen vom Essensentzug bis zum
mehrtägigen Arrest.
Um den Eleven "jeglichen Willen zur individuellen
Selbstbehauptung zu rauben" werden die Strafen im Allgemeinen öffentlich, d.
h. vor allen Eleven, verhängt und auch vollzogen. Das ist Teil des
erzieherischen Konzepts der in der Karlsschule praktizierten ▪ "schwarzen Pädagogik"
(Rutschky 1977/2001), das "Menschen wie Drahtpuppen"
(▪
Charlotte
von Lengefeld (1766-1826), später Schillers Ehefrau, 17831) produziert,
durch und durch gedrillte Persönlichkeiten, die sich, "als Element einer
Machtmaschine, körperlich und geistig ohne Einschränkung den Gesetzen der
Akademie unterworfen" haben (Alt
Bd. I, 2004, S.86)
ERLÄUTERUNGEN
1 In ihren Tagebuchnotizen hält die sechszehnjährige
▪
Charlotte
von Lengefeld (1766-1826) im April auf der Durchreise in die Schweiz nach
einer Besichtigung der Karlsschule fest: "Die Einrichtung der Akademie ist
sehr hübsch. Aber es macht einen besonderen Endruck aufs freie Menschenherz,
die jungen Leute alle beim Essen zu sehen. Jede ihrer Bewegungen hängt von
dem Winke des Aufsehers ab. Es wird einem nicht wohl zumute, Menschen wie
Drahtpuppen behandelt zu sehen." (zit, n.
Alt Bd. I, 2004,
S.86)
▪
Württemberg zur Zeit Herzog Carl Eugens (1728-1793)
▪
Konkurrenzkampf und Prasserei: Absolutistische Repräsentation
von Macht
▪
Versailles in Schwaben: Ludwigsburg zur Zeit Carl Eugens
▪
Höfische Festkultur zur Zeit Carl Eugens
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.09.2023