Raumgestaltung im Haupt- und im
Nebentext
Der
▪
Raum kann in
einem ▪ dramatischen Text im ▪
Haupt- und/oder im ▪
Nebentext
gestaltet werden.
Aus den Informationen ergeben sich verschiedene ▪
Raumtentwürfe dramatischer Texte.
Ob die Informationen zum Raum bzw. Schauplatz des
dramatischen Geschehens, die ein dramatischer Text enthält, eher
im Haupt- oder im Nebentext zu finden sind, und vor allem, wie
detailliert sie ausfallen, hängt von etlichen Faktoren ab.
Zu
nennen sind dabei das Weltbild, auf dem die Raumvorstellung
gründet, das historisch verschieden ausgeprägte Verhältnis von
Bühnenraum und Zuschauerraum, die von der dramentheoretischen
Position bedingte Bedeutung, die dem Bühnenbild und seinen
Elementen gegeben wird, und schließlich vom Dramentyp selbst.
Diese und andere in Frage kommende Faktoren stehen dabei in
vielfältigen Beziehungen zueinander. (vgl.
Schößler 2017, S.139)
Der ▪ Nebentext
mit seinen kontextbezogenen ▪
Bühnenanweisungen
(Regiebemerkungen) ist dabei sehr oft der Teil des des dramatischen Textsubstrats,
in denen ein Autor Vorgaben
zu den räumlichen bzw. oft raum-zeitlichen Gegebenheiten seines Stückes
macht.
Aber auch im ▪ Haupttext eines Dramas,
der ▪ dramatischen Rede im engeren
Sinne oder den Repliken, kann
die Handlung räumlich situiert werden, wenn er Angaben zum Raum enthält,
indem sich das Geschehen auf der Bühne abspielt. Manchmal sind dies nur
deiktische Adverbien wie z. B. "hier" oder "dort" die auf eine
bestimmte Stelle hinweisen, wie dies in dem Beispiel für ▪
implizite Bühnenanweisungen aus
▪ Gotthold
Ephraim Lessings Drama "Nathan
der Weise" dargestellt und markiert wird.
▪
Haupt- und Nebentext im "Nathan"
Und über die sogenannte
Mauerschau (Teichoskopie)
oder den
Botenbericht können sogar "Wortkulissen" sprachlich erzeugt
werden, die reine Imaginationsräume in einen engen
raumzeitlichen Bezug zu dem Ort
bzw. Schauplatz bringen, der auf der Bühne
gestaltet wird. Die Informationen, die damit vergeben werden, entziehen
sich der visuellen Wahrnehmung der Zuschauer im Theater
vollständig. Inhaltlich werden damit im Allgemeinen Szenen, wie
z. B. Schlachten, die sich aus technischen Gründen im antiken
und klassizistischen Theater nicht auf die Bühne bringen ließen,
so "durch eine Art synchroner Reportage (vom Turm, von der
Mauer, aus dem Fenster u. ä)" auf der Bühne vergegenwärtigt. (Metzler
Literaturlexikon, 21990, S. 456)
Ein Beispiel dafür ist in ▪
Friedrich Schillers
(1759-1805) Drama »"Die
Jungfrau von Orleans" (1801) zu finden (»V,11),
wo ein Soldat per Mauerschau über den Schlachthergang berichtet.
(s. nebenstehende Abb.; zum Vergrößern der Ansicht bitte
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Informationen im Haupt- oder Nebentext, "die Angaben zu Raum oder Figur
enthalten, (werden) mit Hilfe theatralischer Zeichen raumbezogen oder auf
den Schauspieler bezogen umgesetzt". (Denk/Möbius
2008, S.113) Sie zeigen damit besonders deutlich, dass der dramatische Text ein
szenisch realisierter
Text (vgl.
Pfister 1977, S.25) ist und gewissermaßen
▪ Partiturcharakter besitzt.
Die doppelte Raumstruktur
Die Raumgestaltung des dramatischen Textes ist, soweit sie sich auf
Informationen über die Umsetzung des dramatischen in theatralisches
Geschehen handelt, auf einen Symbolraum
bezogen, der in einen bestimmten Umgebungsraum,
salopp gesagt der Ort, wo das Theater gespielt wird, eingebettet ist. (vgl.
Denk/Möbius 2008, S.102f.)
Wer heutzutage ins Theater geht, wird immer wieder
feststellen, dass Theater ihre eigentlichen Häuser
(Theatergebäude) immer wieder verlassen, um sich das spannungsvoll
dialektische Verhältnis von Umgebungsraum und Spielraum an besonderen
Spielorten zunutze zu machen.
Wo z. B. hätte die Uraufführung (27.06.2014)
des eigens für das »Konziljubiläum
2014 von »Theresia
Walser (geb. 1967) und »Karl-Heinz
Ott (geb. 1957) geschriebene und von »Johannes
von Matuschka (geb. 1974) inszenierte Stück "Konstanz
am Meer - Ein Himmelstheater"* besser "auf die Bühne"
gebracht werden können als in »Konstanz
selbst und dann noch auf dem Münsterplatz selbst vor einem Seitenschiff des
»Konstanzer
Münsters?
Und auch die Grenzen des eigentlichen "Schau-Raums",
in einem herkömmlichen Theater mit ▪
Guckkastenbühne der Raum, der zwischen
Zuschauerraum und der Bühne als
Produktionsraum für die
Darsteller (vgl.
Denk/Möbius 2008, S.103) geteilt ist, wurden bei dieser "höchst
moderne(n) Form des Historienspektakels" (Jens
Jessen in "Die Zeit", 28/2014) zumindest zeitweise überwunden, als die
Zuschauer nach der Pause durch das Münster geleitet und durch den
eigentlichen Schauplatz ("Bühne") auf ihre Plätze zurückgeführt wurden.
Literaturgeschichtliche und dramentheoretische Aspekte der
Raumgestaltung im Drama
In
der Antike spielte die Schauplatzgestaltung eine untergeordnete
Rolle. Die Darstellung seiner allen Zuschauern bekannten
mythologischen Stoffe benötigte keine konkrete räumliche
Situierung auf der Bühne. Es reichte aus, wenn man das
dramatische Geschehen in einen aus der Mythologie bekannten
imaginären Raum stellte und die konkrete Ausgestaltung der
Fantasie der Zuschauer überließ. Die in einem Über-Halbrund um
die Spielfläche antike ▪
Orchestra-Bühne platzierten Zuschauer bekamen in den
Freilufttheatern mit einer neutralen Wand (Bühne, skene) und den
realen Landschaften im um sie herum kein illusionistisches
Bühnenbild vorgesetzt.
Auch
das ▪
Elisabethanisches
Theater, auf dem »William
Shakespeare (1564-1616) seine Stücke auf die für diese
Theaterform spezifische "Rampenbühne" brachte, "die in in
das Auditorium hineinragte und von drei Seiten her einzusehen
war" (Gelfert
1992/2002, S.25) verzichtete aus verschiedenen Gründen auf
einen größeren szenischen Aufwand. Er setzte vor allem auf die
im dramatischen Sprechen entstehenden "Wortkulisse" statt realer
Kulissen, um die dramatische Illusion zu erreichen.
Erst
das aufkommende Illusionstheater mit seiner ▪
Guckkastenbühne, bei dem es darauf ankommt, dass sich der
Zuschauer mit dem Geschehen bzw. den Figuren eines Dramas
identifizieren kann, hat der Raumgestaltung auf der Bühne
besonderes Gewicht gegeben. Ihre Bühnenarchitektur, bei der nur
die »Vierte
Wand zum Publikum hin offen ist, will den Raum schaffen für
ein realistisches Illusionsdrama, bei dem die dramatische
Fiktion absolut sein soll. ( vgl.
Pfister 1977,S.43)
Im ▪
naturalistischen Drama, z. B. »Gerhart
Hauptmanns (1862-1956), kommt noch dazu, dass der Schauplatz über
seine Illusionswirkung hinausgehend auch als Milieu einer der
wichtigsten Aspekte des Dramas ist. Beispielhaft ist dafür der ▪
Nebentext
zu Beginn seines Dramas (»I,1)
»"Rose Bernd"
(1903) der neben einer ▪
auktorialen Charakterisierung der Titelfigur auch dezidierte
Anweisungen zum Schauplatz des Geschehens gibt.
Für größere Darstellung bitte an*klicken*tippen!
Streng reglementiert war die Raumgestaltung im Drama nach Ansicht von
Philosophen und Dichtern, die der Auffassung folgten, dass ein
wirkungsvolles Drama Wahrheit und Wahrscheinlicht haben müsse. Der Zuschauer
sollte das, was sich auf der Bühne ereignete, für wirklich nehmen und damit
einer umfassenden Wirklichkeitsillusion unterliegen. Dementsprechend musste
das, was dort zu sehen und zu hören war, möglichst so gestaltet sein, dass
es der Natur ähnelte (mimetisches Prinzip der Gestaltung).
Öffentliche und private Räume
Öffentliche Räume signalisieren gemeinhin den ebenso öffentlichen Charakter
der dargestellten Geschichte und der Thematik. Darüber hinaus kann die Wahl
eines bestimmten Raumes für das dramatische Geschehen auch eine mehr oder
weniger ausgeprägte technisch-formale Funktion haben und dabei die
Auftrittsfolge und deren Motivation beeinflussen. So kommt es in
öffentlichen Räumen, im Gegensatz zu eher privaten Räumen, eben eher zu rein
zufälligen Begegnungen (vgl.
Pfister
1977, S.315). Das eher zufällige Aufeinandertreffen des
Grafen Egmont mit den
aufbegehrenden Bürgern von Brüssel am Beginn des
II. Aufzuges in
Goethes
Drama
Egmont lässt sich eben nur auf einem öffentlichen Platz in Brüssel
plausibel motivieren, den Egmont mit seinem Gefolge durchquert.
vgl.
*
Konstanz am Meer. Ein Himmelstheater. (Uraufführung
Konzilfestspiele Konstanz, 27. Juni 2014). Rowohlt Theaterverlag 2013; Buch:
Klöpfer & Meyer, Tübingen 2014.
Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
19.12.2023
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