In der Kurzgeschichte "Die Tochter" von Peter Bichsel,
erschienen in "Eigentlich möchte Frau Blum den
Milchmann kennen lernen" (Olten und
Freiburg/Brsg.1964, S.43-45) geht es um das Problem der Ablösung
Kinder von ihren Eltern. Erzählt wird der immer gleiche Tagesablauf
eines Elternpaares auf dem Land, dessen Tochter in der Stadt als
Büroangestellte arbeitet. Jeden Abend warten sie bei gedecktem Tisch
darauf, dass ihre Tochter von dort zurückgekehrt, auch wenn ihnen
bewusst ist, dass die Tage, bis sie das Elternhaus endgültig
verlassen wird, gezählt sind.
Seit ihre Tochter Monika in der Stadt als Angestellte in einem Büro
arbeitet, warten ihre Eltern jeden Abend, bis sie von dort
zurückkommt, mit dem Abendessen auf ihre Tochter. Wegen der
schlechten Bahnverbindungen dorthin und zurück, die dazu führen,
dass die Tochter eine Stunde später als früher nach Hause kommt,
haben sie das Abendessen um eine Stunde verschoben. Diese Stunde
zwischen halb sieben und halb acht verbringen die Eltern stets mit
Warten, setzen sich zur gleichen Zeit wie früher an den Tisch, jeder
an seinen gewohnten Platz. Während der einstündigen Wartezeit, in
der nach und nach der Tisch gedeckt wird, machen sie sich Gedanken
über ihre Tochter und ihre gemeinsame Zukunft, sprechen aber nur
wenig darüber.
Monika unterscheidet sich in ihrer äußeren Erscheinung von ihren
Eltern und hat einen anderen Lebensstil. Sie besitzt moderne
Konsumartikel wie einen Plattenspieler, hört Platten, die sie sich
aus der Stadt mitbringt und kennt die Interpreten. Dazu besitzt sie
einige Kosmetikartikel, benutzt Parfum, liest Modejournale, hat
einen marokkanischen Lederschemel und raucht, auch wenn das von den
Eltern nicht unbedingt gerne gesehen wird. Ihren Eltern hat sie eine
Vase aus blauem schwedischen Glas geschenkt.
Sie selbst erzählt nichts, von dem was sie in der Stadt erlebt und
beantwortet die häufigen Fragen ihrer Eltern danach nicht. Wie ihr
Berufsleben als Büroangestellte aussieht, stellen sich die Eltern
daher selbst vor. Abgesehen von der Tatsache, dass Monika ihre
Mittagspause in einem Tearoom in der Stadt verbringt, wo sie eine
Kleinigkeit ist, erzählt sie ihren Eltern nichts und auch ihre
Bitte, ihnen einmal etwas auf Französisch zu sagen, erfüllt sie
nicht. Die Eltern wissen eigentlich nur, dass die Tochter
Stenografieren kann, was ihnen beiden viel zu schwierig sei.
In ihren Vorstellungen sehen sie daher vor sich, wie die Tochter mit
dem Zug zur Arbeit fährt, dabei ihre Monatskarte präsentiert, sich
mit Freundinnen auf dem Weg ins Büro angeregt unterhält und den Gruß
eines Mannes beantwortet. Und ihr Vater vergleicht sie mit der
Büroangestellten mit ihren vielen Stempeln und der Rechenmaschine,
die ihm mit freundlichen Worten immer seinen Lohn auszahlt.
Während sie weiter warten, kreisen ihre Gedanken darum, wie sie
immer aussieht und sich verhält, wenn sie abends nach Hause kommt
und bestätigen sich darin, dass sie immer ein liebes Kind gewesen
sei. Dennoch ist ihnen klar, dass Monika über kurz oder lang, ein
eigenes Zimmer in der Stadt mieten und in nicht allzu ferner Zukunft
wie eine ihrer Freundinnen heiraten wird.
Vater und Mutter sprechen während ihres Wartens nicht viel
miteinander. Die Mutter macht die Bemerkung über das liebe Kind, das
Monika immer gewesen sei, und erwähnt irgendwann, dass Monika der
Schwester ihres Mannes sehr ähnlich sei. Zugleich bringt sie vor,
dass nicht nur Monika, sondern auch andere Mädchen rauchen würden,
was ihr Mann sogleich bestätigt. Die Mutter erwähnt dazu noch, dass
eine Freundin ihrer Tochter kürzlich geheiratet habe, als sie hört,
wie der Zug aus der Stadt ankommt und aus diesem Grund den
dampfenden Kaffee schon mal auf den Tisch stellt.
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Inhaltsangabe von literarischen Texten
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Baustein: Eine Inhaltsangabe konzipieren
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Baustein: Innhaltsangaben beurteilen
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.12.2023