▪
Strukturbegriffe der Erzähltextanalyse
▪
Überblick ▪
Auswahl (Zusammenstellungen
wichtiger Strukturbegriffe) ▪
Wer erzählt die Geschichte? (Aspekte
zur Gestaltung der Erzählinstanz) ▪
Wie wird erzählt? (Zeit,
Modus, Stimme) ▪
Was wird erzählt? (Handlung,
erzählte Welt, Figur, Raum)
Analyse erzähltechnischer Mittel in der Schule: Auswahl
Baustein: Erzähltechnische Mittel herausarbeiten und beschreiben
Die folgende ▪
Analyse der
erzähltechnischen (narrativen) Mittel, die in ▪
Peter Bichsels ▪
Kurzgeschichte ▪ »Die Tochter«
vorkommen, folgt den ▪
Strukturbegriffen
der älteren Erzähltheorie, die bei der
schulischen Interpretation erzählender Texte überwiegend
verwendet werden.
▪
Strukturbegriffe der älteren
Erzähltheorie
▪
ABC der schulischen
Erzähltextanalyse
Erzähltechnische Mittel im Überblick
Die wichtigsten
▪
erzähltechnischen
Mittel in ▪ »Die Tochter« werden nachfolgend auf der Grundlage der
traditionellen Erzähltheorie
in
einer Übersicht dargestellt.
Darbietungsformen:
-
Showing
- fiktionaler Bericht: »Abends warteten sie auf Monika.«
-
szenische
Darstellung: »"Sie ist wie deine Schwester",
sagte die Frau [...] Ihre Freundin hat kürzlich geheiratet",
sagte die Mutter.«
-
Telling
Beschreibung: z.B. »Sie war größer gewachsen als sie...«; »In
ihrem Zimmer hatte sie einen Plattenspieler...«
-
gesprochene Rede: z.B., »Sie war immer ein liebes Kind",
sagte die Mutter, während sie warteten.«
-
stumme Rede
(Selbstgespräch):
- »Sie wird auch heiraten, dachte er, sie wird in der Stadt
wohnen.«
- »Stenografieren kann sie auch, dachte er jetzt.«
Zeitgestaltung:
-
nicht-linear:
Kontinuierlicher Handlungsablauf (einstündiges Warten vor dem
gedeckten Tisch) durch kurze
Rückwendungen
unterbrochen): z.B. »Der Vater holte sich seine Lohntüte auch bei
einem Bürofräulein...«; »Kürzlich hatte er Monika gebeten:
"Sag mal etwas auf französisch."«
-
Zeitraffung:
Erzählte Zeit
(eine Stunde); z.B. »Einige Zeit später dann auch vor dem dampfenden
Kaffee..."
-
Erzähltempus:
-
Präteritum: z.B. »Sie, er und seine Frau, saßen am Tisch und
warteten auf Monika.«
-
präsentisches Präsens: »...die Bahnverbindungen sind
schlecht.«
Raumgestaltung
-
Handlungsraum:
(Küche) gedeckter Tisch, Stühle, schwedische Vase auf dem Schrank,
Brot, Butter, Marmelade (Abendessen!);
-
Kontrastraum:
Zimmer von Monika: Plattenspieler, Spiegel, Kosmetikartikel, Hocker
aus marokkanischem Leder, Schachtel Zigaretten
Textsorte
-
Kurzgeschichte:
unvermittelter Beginn, offener Schluss; Alltäglichkeit der Sprache,
des Ortes, der Personen; Kürze; Punktualität der Zeit, des Ortes,
der Personen, der Handlung
Erzählperspektive
-
Personaler Erzähler, der
in seinem Wissen begrenzt ist; meistens mit der Wahrnehmungsperspektive
und dem Horizont des Vaters verbunden ist, dessen Gedanken auch explizit
erwähnt und wiedergegeben werden. Während dies explizit als
Gedankenbericht und
Innensicht
markiert ist, ist dies an anderen Stellen des Textes nicht
der Fall. So kann man z. B. einen Wechsel der personalen
Perspektive zur Wahrnehmungs- und sprachlichen Perspektive der Mutter
feststellen, wenn man z. B. den Satz " und hatte die Haut, die feine
Haut der Tante Maria." auf ihren Wahrnehmungshorizont bezieht und
Maria mit der später von der Mutter nochmals erwähnten Schwester ihres
Mannes in eins setzt. Trotzdem dominiert, das zeigt auch die
Darstellung des Vergleichs der Tochter mit dem Bürofräulein in seinem
Lohnbüro, das personale Erzählen, welches überwiegend an die figurale
Perspektive des Vaters gebunden ist. Das impliziert allerdings, dass
sich manche Textstellen aber nicht eindeutig dieser zuordnen lassen.
-
Im
Übrigen gibt es keine Hinweise auf Allwissenheit, was oft als Kriterium
für
auktoriales Erzählen angesehen wird. Das Geschehen wird nicht von
einem übergeordneten, außerhalb des Geschehens stehenden Erzähler
kommentiert und auch die vorgenommenen
Rückwendungen oder
Vorausdeutungen
spiegeln nicht dessen Allwissenheit, sondern sind an das Wissen des
Vaters und der Mutter gebunden. Dass sich der personale Erzähler mit
persönlichen Kommentaren zurückhält und das Geschehen manchmal in einer
Art
szenischer Darstellung und in einem sehr nüchtern, geradezu
neutral
wirkenden Erzählerbericht darbietet (z. B. »Auf dem Schrank stand eine
Vase...«), gehört zu den Eigenarten der Gestaltung des personalen
Erzählens in dieser Geschichte, welche das Warten selbst nicht zum
Gegenstand von Reflexionen der Figuren werden lässt.
-
Schon zu Beginn der Geschichte wird die
personale
Erzählperspektive Erzählperspektive an
die Figur des Vaters gebunden.
-
Der Satz "Sie, er und
seine Frau, saßen am Tisch" legt die personale Perspektive auf die
Figur des Vaters fest, aus dessen Wahrnehmungshorizont im Allgemeinen
erzählt wird, was in den Köpfen beider vorgeht. Das unterscheidet sich
offenbar so wenig voneinander, dass der Vater für beide ("sie") sprechen
kann. Die Verwendung der
Personalpronomen
"sie" und "er" zeigt darüber hinaus (auktorial müsste es wohl heißen:
Der Vater und die Mutter saßen am Tisch) zusammen mit dem deiktischen
Adverb "jetzt", dass der Erzähler mitten im sich täglich abspielenden
Geschehens steht.
-
Die figurale
Wahrnehmungsperspektive des Vaters wird also auch nicht aufgehoben, wenn
später weiter im Plural von ihm/ihnen als "sie" die Rede ist. So sind z. B.
die Formulierung "oft fragten sie sie" oder "dann versuchten sie
wenigstens, sich genau vorzustellen" oder " das wussten sie" stets
auf den Vater bezogen, der im Übrigen als einzige Figur in der
Innensicht dargestellt ist, wenn als Gedankenbericht explizit formuliert
wird, was er denkt oder ohne sonstige Markierung etwa ein Gedanke des
Vaters (der Mutter?) formuliert wird wie: "Sie war dann ein Fräulein, das in den
Tearooms lächelnd Zigaretten raucht." Auch das temporal-deiktische "Kürzlich" am
Ende des Textes und die Darbietung seiner Bitte, Monika möge doch mal
etwas auf Französisch sagen, zeigen, dass das Geschehen überwiegend aus der
personalen / figuralen Perspektive des Mannes dargestellt wird.
-
Für die Interpretation
sind diese Feststellung durchaus von Bedeutung. Zeigen Sie doch, dass
die Wahrnehmung der Situation des Wartens durch den Vater und die
Mutter, aus der Sicht des Vaters jedenfalls so weitgehend identisch ist,
dass er für beide sprechen zu können, beansprucht. Was die Mutter denkt,
kommt jedenfalls nur in dem kollektiven "Sie" zur Sprache, als dessen
Sprecher zu Beginn der Geschichte eben "er" ausgewiesen wird.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.12.2023
|