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Regietheater

"Brüll! Kreisch! Donner! Schepper!"

Schulischer Dramenunterricht zwischen "Reclam-" und Regietheater

 
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"Brüll! Kreisch! Donner! Schepper!" -

Was der Schriftsteller Joachim Lottmann bei seinem Besuch einer Aufführung von »William Shakespeares (1564-1616) »"Macbeth" (1606) in der Inszenierung von Jürgen Gosch 2006 im Düsseldorfer Theater erlebt, verdient seiner Meinung nach nur einen Namen: "Ekeltheater", und zwar "von Anfang an: "Macbeth nackt. Die minderjährigen Lämmer [gemeint ist eine Schülergruppe im Publikum, d. Verf.] haben sich noch nicht richtig hingesetzt, als ihnen schon meterhoch der Dreck entgegenspritzt? Was mag in ihnen nun vorgehen? Der Lehrer hat etwas anderes versprochen. Auch die Mädchen hatten eigentlich Shakespeare erwartet. Nun sehen sie Blut und Schlimmeres. Aber sie kotzen nicht, das tun ja schon die Schauspieler.
Von der ersten Sekunde an stehen alle nackt auf der Bühne. [...] Während ich darüber meditiere, wird minutenlang auf der Bühne gepinkelt. Erst der eine, dann der andere, dann noch einer, dann furzen sie (Tonband aus dem Off), dann scheißen sie einen halben Akt lang und so weiter." (Lottman 2006)

Wer als Lehrerin oder Lehrer eine Gruppe von Schülern bei ihrem allerersten Theaterbesuch im Leben begleitet, weiß, wovon Lottmann redet. Der Theaterbesuch scheint zu einem unkalkulierbaren Risikounternehmen geworden zu sein, das neben unsäglichen Textverstümmelungen auch noch jugendschutzrechtliche Fragen aufwirft.

Wie erklärt man schließlich ein Geschehen, bei dem auf der Bühne "geschissen, gefurzt, onaniert und Urin getrunken [wird]" (aus: Bildzeitung), zit. n. Höbel 2006) den Schülerinnen und Schülern, wie rüstet man sich für die Attacken empörter Eltern am anstehenden Elternabend?

Im Kern geht es aber um wichtigere Fragen, nicht nur für das Theater.

  • Populistisch-polemische zur der Finanzierung des Theaters die einen: "Warum [...] subventionieren wir die Theater, wenn doch jeder Pornoshop das Gleiche bietet? ("Bild"-Briefeschreiber Franz Josef Wagner, zit. n. (Höbel 2006)

  • Unbequeme, weil tiefer gehende, die anderen: "Was geht zu weit? Wer legt die Grenzen des Erlaubten fest? Wer regelt die Ausweitung der Schamzone?" (Höbel 2006)

Was zur Diskussion steht, sind eben auch grundlegende Fragen zu Theater-, Kunst- und Kulturbetrieb sowie zu anderen gesellschaftlichen Phänomenen.

Insofern ist manches, was man da zu hören bekommt, auch nicht gerade neu, wie z. B. die von besorgten Bürgern erhobene Forderung nach einer "Rückbesinnung auf Sitte und Anstand in öffentlich subventionierten Theaterhäusern" (ebd.).

Ihr Ruf nach mehr Texttreue oder Werkgerechtigkeit, Kritiker sagen "Textfrömmigkeit" (ebd.), folgt einem altbekannten Konzept für das Theater als "Gegenentwurf zu einer Welt, in der wir dank einer ziemlich totalen Bilder- und Informationsversorgung täglich mit verstümmelten Leibern und pornografischer Nacktheit konfrontiert sind." (ebd.).

Ein solches Theater, so urteilt Wolfgang Höbel (2006), ein glühender Verfechter des Regietheaters, weiter, "könnte dienen als Stätte der Kontemplation, der zahmen Text- und Seelenbehandlung; es könnte Trost und Erbauung spenden. Fragt sich nur, was diese Idylle noch mit lebendiger Kunst zu tun hätte, die notwendig ein Spiegelbild ihrer Zeit ist, die von den Ängsten, Schrecken, Katastrophen der Gegenwart erzählen sollte und nicht nur museal ausstellen, was früher einmal war."

Davon unbeirrt, macht das Schlagwort vom "vertriebenen Dramatiker" (Nyssen 2006) weiter die Runde und erhält Zustimmung von den einen, wird belächelt von den anderen.

Es geht um das Theater, genauer gesagt, um das Regietheater, verächtlich auch "Rübenrauschtheater" (Stadelmaier, FAZ) genannt, weil darin "alles, was dem Regisseur während der Proben durch die Rübe rauscht," auf der Bühne umgesetzt werde. (Lottman 2006) Ins Fadenkreuz der Kritik geraten ist damit, was andere als "Kern der Theaterkunst" ansehen: "Diese Subjektivität, die Aneignung eines Stoffes durch ein Regisseur-Ich." (Höbel 2006)

Der Begriff »"Regietheater" ist ein Begriff aus der Theaterkritik und ist aus verschiedenen Gründen kaum als Gattungsbegriff für eine Strömung der Theaterregie zu gebrauchen, für die es natürlich kein verbindliches Konzept gibt. Als Schlagwort ist Regietheater "zum Inbegriff für das verkommen [...], was jedermann schlecht findet". (Dombois/Klein 2005), steht für "Inszenierungsquatsch" (Spahn 2006) schlechthin.
Anders, und weniger wertend, definiert: "Eine Inszenierung wird als Regietheater-Inszenierung bezeichnet, wenn nach Meinung des Rezensenten die Ideen des Regisseurs einen zu großen Einfluss (verglichen mit den Ideen des Autors, der Darsteller oder im Musiktheater des Komponisten, der Sänger bzw. des Dirigenten) auf die Darbietung haben." (http://de.wikipedia.org/wiki/Regietheater, 6.9.08)

Der Ruf nach Werktreue oder Werkgerechtigkeit

Die öffentliche Debatte um das Regietheater kreist nicht ohne Grund immer wieder um Opernaufführungen, auch wenn Schauspiele ebenso zur Sprache kommen. Insbesondere aber die Opern auf verschiedenen Festspielbühnen, sei es bei den »Richard Wagner-Festspielen in »Bayreuth oder den »Salzburger Festspielen haben für Furore gesorgt und werden wohl immer wieder neu dafür sorgen. Deren Publikum nämlich sieht sich in seinen eskapistischen Erwartungen enttäuscht, muss hinnehmen, dass seine "Flucht aus dem Alltag bei gleichzeitiger Bestätigung seiner bildlichen und affektiven Gewohnheiten" (Dombois/Klein 2005) auch mit den horrendesten Eintrittspreisen und exklusiven Logenplätzen nicht erkauft werden kann.

Was seine Angriffe den Regisseuren vorhält, die "einer unverfälschten Sicht aufs Werk" (ebd.) angeblich deshalb im Weg stehen, weil sie sich vom Konzept der »"Werktreue" verabschiedet haben, ist deren eigenmächtige Interpretation des Werkes.

Mindestens "Werkgerechtigkeit" wird verlangt, eine Größe, die zumindest die "Handschrift", "Tonlage" und Intentionen des Autors oder Komponisten noch klar erkennen lassen soll, das eben, was es zu einem Werk eines bestimmten Autors in einer bestimmten Epoche macht.

Solchem Publikumsgeschmack widerstrebt der so genannte "Eurotrash" (Spahn 2006) auf europäischen (Opern-)Bühnen, ein Begriff, den "konservative Amerikaner" geprägt haben.

  • Oft reicht auf der Oper- und Schauspielbühne allerdings schon der Verzicht auf historische Kostüme und deren Ersetzung durch Alltagsklamotten aus, um solche Abwertungen aus der Schublade zu ziehen.

  • Wie selbstverständlich lehnt man die modernistische Gestaltung des Bühnenbilds ab, sträubt man sich gegen textliche Änderungen, vom Regisseur geschrieben, oder verweigert sich, wenn Männer- und Frauenrollen durcheinander geraten oder wenn, wie aus Prinzip, Schauspieler auf der Bühne sich ihrer Kleidung entledigen.

  • In Rage schließlich geraten Teile des Publikums dann, wenn Gewalt, insbesondere sexuelle Gewalt, vermeintlich um ihrer selbst willen, in extremer Form zur Darstellung gebracht wird.

Szenen, wie in der Aufführung von »Ödon von Horvárths (1901-1938) Drama "Zur schönen Aussicht" (1926) in Hamburg, zeigen worum es beim letzten Punkt geht: "Ein dicker Mann zieht sich aus, stellt sich nackt und breitbeinig mit gezogenem Glied vor den Kopf einer liegenden jungen Frau, schreit sie an, sie solle seinen Pimmel in den Mund nehmen und so weiter, steigert sich dabei in einen Schreikrampf". (Lottman 2006)

Und, aller Empörung darüber zum Trotz, betont Wolfgang Höbel (2006), lohne es sich doch auch in diesem Fall genauer hinzusehen, denn, was da gezeigt werde, diene nicht voyeuristischer Triebbefriedigung, sondern zeige die Gesellschaft als "Schrecken" und beschwöre eine "Nachkriegshorrorwelt": "Lauter Kriegsversehrte taumeln da durch ein Hotel, das eine finstere Ruine ist; es sind vollkommen verrohte Menschen einer zusammengebrochenen Gesellschaft, die über ein Mädchen namens Christine herzufallen drohen; und es ist ein Zeichen der Verkommenheit dieser Männer, dass einer von ihnen Urin in seinen Schlund kippt und ein anderer ausgiebig onaniert." 

Regisseure am Pranger?

Zu den gängigsten Argumenten, die einem Regisseur den Vorwurf des "Regietheaters" einbringen können, zählen wohl (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Regietheater):

  • Verletzung der Autorintentionen bei der Inszenierung z. B. durch vermeintlich willkürliche Zusätze und/oder Kürzungen, Verlegung der Handlung an einen anderen Ort oder in eine andere Zeit

  • Ablenkung vom eigentlichen Gehalt eines Werkes (z.B. im Schauspiel durch das Einfügen von Szenen, die angeblich nichts mit dem eigentlichen Werk zu tun haben

  • Einbau von Einlagen in die Inszenierung, die angeblich für das Werk entbehrlich sind wie z. B. das Zurschaustellen von Nacktheit oder unverhältnismäßiger Brutalität um ihrer selbst willen

Klassikerinszenierungen als Klassikerdekonstruktion

Im Bereich des Sprechtheaters sind es Insbesondere Klassikerinszenierungen, gewesen die den seit den 68er-Jahren deutlich an Einfluss gewinnenden Regisseuren Gelegenheit gegeben haben, sich gegenüber dem als möglichen Konkurrenten auftretenden Stückeschreibern neuer Stücke zu profilieren.

Sie haben nach Ansicht von Ute Nyssen (2006) zu der über 30 Jahre lang zu beobachtenden "verächtliche[n] Hintanstellung des Textes" und zu einer "Veränderungswut gegenüber dem Text" geführt, die schließlich in eine mehr oder weniger eindeutige Klassikerdekonstruktion gemündet hätten.

Für Kritiker ein gefundenes Fressen: "Selbstgeschnitzte Blödmannszenen", "Punk- und Rockzeug", "Brüll! Kreisch! Donner! Schepper!" (Lottman 2006) das Ergebnis, behaupten sie und machen sie zugleich für den Publikumsschwund in deutschen Theatern verantwortlich. Und das Bemühen um eine an politisch-gesellschaftlichen Tagesthemen orientierte Inszenierung geht im Vorwurf eines überzogenen "Gleichheitszeichentheaters" unter, das Klassiker mit Vorliebe "nach dem Motto Faust = Gerd Schröder, Macbeth = Angela Merkel als Mann, Wallenstein = Boris Becker, gespielt von einem transsexuellen Zwillingspärchen" umfunktioniere (ebd.)

Die Orientierung an jedem möglichen Tagesthema führte, das sei zugestanden, zumindest zeitweilig, zum Überhandnehmen sogenannter "Projekte", bei denen  Klassiker ganz unverbindlich zerpflückt und Texte aneinandergereiht wurden, um sie letzten Endes zu Revuen und Liederabenden zu arrangieren.

Auch wenn die vermeintlich "publikumsverschreckende" Wirkung solcher Projekte (vgl. Nyssen 2006), die, zumindest eine gewisse Zeit lang, dem Zeitgeist entsprochen haben, etwas überschätzt scheint, bleibt die Tatsache, dass dabei auch so mancher Klassiker als Steinbruch beliebiger und misslungener Montagen herhalten musste, unbestritten. Gutes und schlechtes Theater, wem wäre das wirklich neu?

Auf der anderen Seite sehen sich die so wegen ihrer "Obsessionen " gescholtenen Regisseure als Opfer eines fundamentalen Missverständnisses, denn "Inszenieren ist immer ein Akt schierer Willkür [....] Jeder Regisseur tut dem Text, den er interpretiert, Gewalt an." (Höbel 2006)

Zuschauer wollen sehen, was sie sich zum Stück gedacht haben

Was Zuschauer mit ihren Unmutsäußerungen in Oper und Schauspiel, so etwa beim demonstrativen Schlagen mit den Türen beim Verlassen des Theaters während einer Aufführung, zum Ausdruck bringen, ist der Wunsch nach einer Aufführung, die meist in einer bestimmten Aufführungstradition stehend, das Bild des Werkes so vor den Augen der Zuschauer wieder entstehen lassen soll, wie sie es sich in etwa gedacht haben.

So versteht es in gewisser Weise wohl auch Joachim Lottman (2006), der sich während und nach der "Hamburger Horváth-Schlacht" (s.o) wünscht, "wie schön es wäre, die von Horvárth angelegten Konflikte nicht von völlig verrohten, entstellten, karikierten Menschen ausgetragen zu sehen, sondern von echten! Wenn nicht alle Männer Schweine und Proleten, nicht alle Frauen Schlampen wären!" 

Auch wenn der Regie gewisse Interpretationsspielräume zugestanden werden ("Theater muss 'gewagt' sein". Lottman 2006), welche die vermeintliche "Substanz" des Werkes allerdings nicht antasten dürfen, möchte der Zuschauer "eben das Vertraute wiedererkennen.

Während draußen die eisigen Stürme der Globalisierung und der Terrorangst alle Gewissheiten durcheinander wirbeln, könnte der Opernbesuch ein behaglicher Abend in dem mit Antiquitäten herrlich eingerichteten Kaminzimmer sein - wenn da nicht immer die Regie-Rollkommandos mit ihren Äxten auftauchten". (Spahn 2006)

Das Theater als ein von "Theatersaubermännern" geschaffener "schmutzfreier Rückzugsort fürs Wahre und Schöne der Kunst" (Höbel 2006)? - Fehlanzeige, auch wenn die Sehnsucht "nach neuer Bürgerlichkeit und besseren Manieren" gerade heute unter dem Eindruck vieler gesellschaftlicher (Fehl-)Entwicklungen besonders groß zu sein scheint. (vgl. ebd.)

In die Gemütlichkeit führt kein Weg zurück

Die mitunter über das Maß hinausgehende Kritik am Regietheater kann indessen bei ihrer Abwehr nicht zu einer allgemeinen Publikumsschelte verkommen, die "Krise der Oper" und der drastische Publikumsrückgang in den Theatern sind auch gewiss nicht nur "einem Bildungsspießertum anzulasten, das sich gegen »gesellschaftliche Emanzipation« abschottet" (Dombois/Klein 2005).

Ebenso hat sich, wie Dombois und Klein betonen, ist das einstmals unter der Fahne der Kritik an den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen angetretene "Revolutionäre" eben schlicht selbst konservativ geworden.

Wenn die Protestgebärden, die Dauerrebellion gegen Gott und die Welt, abgenutzt, das Publikum seiner ewigen Reinszenierung in mehr oder weniger gleichartigen Schemata und Denkschablonen überdrüssig (geworden?) ist, muss aber keineswegs die letzte Stunde aufklärerischer Intention geschlagen haben.

Worum es aber geht, ist, das "ästhetische Bezugssystem neu zu justieren" (ebd.), mit dem solche Botschaften "an den Mann gebracht" werden sollen. Letztlich geht es darum, wie das Theater mit dem Publikum interagiert.

So kommt es in Wahrheit nicht darauf an, die angeblich "unseligen Entwicklungen der Moderne rückgängig [zu] machen: Das ewige Reflektieren! Die Seziererei! Das intellektuelle Palaver!" wie auch die Journalistin »Elke Heidenreich* (geb. 1943) fordert.

Denn es ist eben nicht so, als könnte man, um ein Werk in seiner unverstellten Schönheit zu offenbaren, "einfach nur den überkomplizierten Befragungs- und Chiffrierapparat abschalten, durch den die Stücke immer wieder gedreht werden, und alles wäre gut." (Spahn 2006)

Wo immer man den Hebel zur Bekämpfung der "Flucht des Publikums aus Langeweile" (Nyssen 2006) ansetzen mag, so scheint eine Botschaft dennoch festzustehen: "In die alte Gemütlichkeit führt kein Weg zurück." (ebd.)

Die didaktische Vorherrschaft des "Reclamheft-Theaters" ist dahin

Noch immer wünschen sich manche Lehrkräfte als Antwort auf die Herausforderungen des modernen Regietheaters, das gute alte "Reclamheft-Theater" - wenn es dieses denn je gegeben hat - herbei, bei dem die Bühne zur Aufführung brachte, was man vorher, unter der Deutungshoheit des Lehrers, im Unterricht besprochen und manchmal mit Stellproben gar inszeniert hatte: "Gretchen in der Mitte, Faust von rechts." (Stephan 2006)

Wer dies nicht so sieht, muss sich auf die Suche nach ▪ dramendidaktischen Konzepten machen, die Schülerinnen und Schüler befähigen, mit der Entwicklung mitzuhalten und ihre Dynamik zu verstehen.

Die Sache selbst freilich, der "geglückte Theaterbesuch", ist heute schwieriger denn je zu realisieren. Dies hat viele Gründe, die hier nur angerissen werden können:

  • Schülerinnen und Schüler haben heutzutage immer größere Schwierigkeiten Dramentexte, insbesondere Texte mit einer von ihrer Alltagssprache deutlich unterschiedlichen Sprache, überhaupt zu verstehen, geschweige denn die Motivation für einen so mühsamen Leseprozess aufzubringen.

  • Das ohnehin schwierige Erlesen dramatischer Texte wird im Falle eines Theaterbesuchs, der, sieht man von Kasperle-Theater und Weihnachtsstücken einmal ab, nicht selten der erste überhaupt ist, eben dadurch belastet, dass das, was sich die Schülerinnen und Schüler an Textverständnis mühsam erarbeitet haben, mit mancher Inszenierung irgendwie auf den Kopf gestellt zu sein scheint.

  • Da hilft es ja auch nicht viel weiter, dass die eine oder andere schon einmal Verfilmungen von Literatur im Kino gesehen und im Nachhinein festgestellt hat, dass im Buch alles ganz anders, vieles viel schöner, gewesen sei.

Im ▪ Dramenunterricht geht es heute, wie auch schon früher, immer noch um die Befähigung der Schülerinnen und Schüler zur kompetenten und kritischen Teilnahme am (bildungs-)bürgerlichen Kulturbetrieb, Emanzipation und gesellschaftliche Teilhabe, ohne damit das Bedürfnis nach Unterhaltung abzuwerten.

Ohne gründliche Vorbereitung aber und ohne fundierte Auseinandersetzung mit einer Inszenierung, am besten im Vorfeld des Theaterbesuchs, geht es wohl kaum.

Vor allem muss dabei auch der Kontext betrachtet werden, in den eine bestimmte Regie einen Dramentext stellt. Die ▪ aufgeführte Inszenierung, die Aufführung in auf der Bühne, kann ansonsten zu einer bloßen Negativfolie für die ▪ mentale Inszenierung werden, die sich im Kopf eines Schülers abspielt, der einen bestimmten Dramentext gelesen hat.

Vorzubeugen ist also dem "verunglückten Theaterbesuch", der sich auf die Lust am Theater, auf Teilnahme am kulturellen (bildungs-)bürgerlichen Leben überhaupt negativ auswirken kann. Denn was "in guten alten Zeiten"  noch als quasi bildungsbürgerlicher "Initiationsritus" kultiviert wurde, nämlich der obligatorische Besuch einer Faust-Aufführung (ersatzweise, aber freilich nicht gleichrangig die »Gründgens-Verfilmung von 1960 im Kino) kann heute aus vielen Gründen schlicht die Lust auf Theater nehmen: weil man sich enttäuscht sieht, nichts damit anfangen kann oder schlicht nicht versteht, was auf der Bühne passiert.

Schließlich: Wer kann es einem Schüler der Jahrgangsstufe 12 schon verdenken, dass er nach einem schwierigen, weil schlecht vorbereiteten Theaterbesuch, keine Lust mehr verspürt, sich weiterhin als Theaterbanause vorführen zu lassen, obwohl die letzte Klausur über das Stück im "Reclam-Pflicht(en)heft", mit der Note 2 darunter, doch ein, verglichen mit allen anderen im Kurs, besonders gutes Textverständnis bescheinigt hatte. Wer in der Pflicht vorne liegt, sieht sich eben ungern hinten bei der Kür.

Gert Egle, www.teachsam.de, 8.9.2008

Quellen:

Personenhinweise:

  • Elke Heidenreich (geb. 1943): deutsche Autorin, Kabarettistin, Moderatorin und Journalistin; seit April 2003 führt sie durch die ZDF-Sendung Lesen!, in der sie sechs- bis achtmal im Jahr Neuerscheinungen vorstellt und Buchempfehlungen ausspricht.
  • Johanna Dombois ist Musiktheater-Regisseurin, Autorin und ehemalige künstlerische Leiterin der Bühne für Musikvisualisierung/Beethoven-Haus Bonn. – Richard Klein ist Autor und Herausgeber der Zeitschrift »Musik & Ästhetik«. Zuletzt erschien von ihm im Lukas Verlag »My Name It Is Nothin’. Bob Dylan: nicht Pop, nicht Kunst«
  • Ute Nyssen leitet den Theaterverlag Nyssen & Bansemer. Sie besitzt langjährige Erfahrung im Umgang mit Intendanten, Regisseuren, Dramaturgen und Autoren

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 19.12.2023

 
    
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