Das Wesentliche ist ein individuelles Konstrukt mit Anspruch auf
intersubjektive Vermittlung
Die
▪
Inhaltsangabe, so
definiert Fritzsche (1994,
S.148) die ▪
schulische
Schreibform "ist die schriftliche Wiedergabe dessen, was für einen Leser
am Inhalt eines Textes wesentlich ist."
Indem er die Definition das
"Wesentliche" eines Textes an das erkennende Subjekt bindet,
wird zugleich verdeutlicht, dass eine der zentralen Kategorien
von Inhaltsangaben, ▪
Textwiedergaben oder Inhaltszusammenfassungen
(Rekapitulationen) keine Textqualität ist,
sondern ein Konstrukt dessen, der sich mit einem Text in einer bestimmten
Art und Weise befasst.
Das räumt auch mit der nicht nur unter Schülerinnen
und Schülern verbreiteten Vorstellung auf, "es gebe ein bestimmtes richtiges
Verständnis von Texten, das sie mehr oder weniger erraten oder zufällig
treffen müssten". (ebd.)
Und doch bleibt das "Wesentliche" auch dann, wenn es zunächst einmal nur auf
den Horizont eines einzelnen bezogen ist, der einen Text zusammenfassen
will, eine grundlegende Kategorie.
Denn: Wenn die Inhaltsangabe das
Wesentliche eines Textes in sprachökonomisch verkürzter Form zusammenfassen
soll, dann bleibt eben auch die
▪
Frage, was das
Wesentliche eines Textes ausmacht, von zentraler Bedeutung.
So
unverzichtbar die Antwort darauf ist, so wenig lässt sich jedoch eine
eindeutige Antwort darauf geben.
Dabei steht das Ziel außer Frage: Es geht
darum, "wichtige von unwichtigen Inhaltselementen zu trennen, das Wichtige
neu zu verknüpfen und
auf einer
abstrakteren Ebene zu reformulieren."
(Steets 2007,
S.84ff., Hervorh. d. Verf.)
Das
Herstellen eines mehr oder
weniger bewussten und intersubjektiv vermittelbaren Begründungszusammenhangs
von funktional Wichtigem und weniger Wichtigem ist dabei auch
Ausdruck der Rezeptionskompetenz, die einem Leser entsprechende
textstrukturelle oder von der jeweiligen subjektiven
Fragestellung geleitete ▪
Relevanzkriterien an die
Hand gibt. Zugleich werden aber auch bestimmte
▪
Strategien zur Textkondensation eingefordert, die den Erwerb
bestimmter
▪
Schreibkompetenzen
voraussetzen.
Was sich kognitiv bei der inhaltlichen Erfassung eines
Ausgangstextes, auch
▪
Primärtext
genannt, bei der Rekapitulation
vollzieht, ist dabei stets ein Akt der individuellen
Bedeutungskonstruktion. Der zusammenfassende Zweittext,
▪
Sekundärtext
genannt, kann nur als Ergebnis mentaler Prozesse und Operationen entstehen,
mit denen sich das erkennende Subjekt den Inhalt eines Textes erschließt.
Was den Inhalt eines Textes ausmacht, ist also nicht in Worte
gemeißelt und auch, das sei erneut betont, keine irgendwie
ermittelbare Eigenschaft des Textes selbst, sondern hängt immer
vom Leser bzw. seinem subjektiven Textverstehen ab. Insofern
bleibt sie auch stets subjektiv.
Die Texthandlung des "neutralen" Berichtens
Dessen
ungeachtet soll bei einem produktorientierten Schreibprozess die subjektive Sicht des
Schreibers auf den Text weitgehend außen vor bleiben. Qualifizierende
Äußerungen nach dem Muster "dem Autor ist besonders wichtig"
oder "der wichtigste Punkt ist" gehören also ebenso wenig
zum referierenden Berichten des Textinhalts wie "Die Autorin
findet nicht in Ordnung, dass ...".
Stattdessen wird eingefordert,
dass die Inhaltsangabe einem Leser,
"der den Primärtext nicht oder nur unzureichend kennt, eine möglichst
genaue Textkenntnis vermitteln" soll.
(Steets 2007,
S.84ff.) Nicht mehr und nicht weniger als das.
Also nicht das, was der einzelne beim Verstehen eines Textes für
wesentlich hält, ist der Maßstab, sondern im Idealfall eine an einen völlig
unbekannten Leser adressierte Information über das "Wesentliche" eines Textes.
Im Kern soll wird dabei die ▪
Texthandlung des Berichtens verlangt, die sich auch auf Texte
beziehen kann. Was unter den ▪ schulischen
Schreibformen zur Textwiedergabe gemeinhin ▪
einfache oder referierende Inhaltsangabe genannt wird, stellt, so
gesehen, ein
Textmuster dar, bei dem die berichtende Wiedergabe des jeweiligen
Textinhalts in verkürzter und sprachlich verdichteter Form die
dominierende Texthandlung ist.
Im Allgemeinen werden dabei beim Referieren des Textinhalts bei der
Inhaltsangabe ganz im Gegensatz zur ▪
strukturierten Textwiedergabe keine Formulierungen verwendet, die
den wiedergegebenen Inhalt von eigenen, diesen Inhalt irgendwie
qualifizierenden Äußerungen des Verfassers bzw. der Verfasserin des
Sekundärtexts abgrenzen. Werden dennoch solche Formulierungen gebraucht,
dann erfolgt dies häufig mit Verben wie schreiben oder sagen,
die einen mehr oder weniger neutral gehaltenen Reformulierungsrahmen
bilden.
Solche Formulierungen stellen aber auch in ihrer neutralen Form eine
"Scharnierstelle zwischen Fremden und Eigenem dar" und stehen gewöhnlich
"im Text vor, nach oder auch zwischen Zitaten, Paraphrasen und anderen
Formen der Wiedergabe von Äußerungen und Aussagen aus anderen Texten". (Steinseifer
2014, S.206)
Unterschiedliche Schreibstrategien berücksichtigen
Meistens spielt die bewusste Entscheidung
für eine bestimmte ▪
Schreibstrategie zur Bewältigung der
Schreibaufgabenur eine sehr untergeordnete Rolle.
Wie man
eine Inhaltsangabe "schreibt", wird im Schreibunterricht meistens mit dem Einüben einer Abfolge
von Arbeitsschritten im Unterricht oder eigenständigen Lernphasen
vermittelt.
Der eigentliche Schreibprozess wird damit nur durch den
Nachvollzug dieser Arbeitsschritte entlastet. In einer Prüfungssituation,
einer Klassenarbeit oder Klausur, zählt dann eben nur noch was herauskommt,
wenn eine Inhaltsangabe verlangt ist: Das Endprodukt nämlich, die
schriftlich verfasste Inhaltsangabe.
Was den Schreiber/die Schreiberin beim Arbeiten an und für seine
Inhaltsangabe wahrscheinlich bewegt, sind drängende Fragen: Wie finde ich heraus, was mein Lehrer/meine
Lehrerin in dem Text für wesentlich hält und wie schreibe ich so, dass es
ihm/ihr gefällt? (vgl.
lernstrategische Orientierungen beim
Schreiben). Das hält, zumindest in Prüfungssituationen, die
Schreibmotivation eine Weile lang hoch.
Im besten Fall ist das Thema, worum es geht, auch im
Unterricht zuvor einmal angesprochen worden, so dass das Vorwissen, das ein
Schüler benötigt, um den Text zu verstehen, zumindest ein Stück weit
aufgebaut worden ist.
Wenn nicht: "Der Text ist ganz einfach", lautet die
oft verwendete Beruhigungsformel von Lehrkräften. Und: "Ihr müsst das jetzt
nur genau so machen, wie wir aufgeschrieben haben." Kommt die
Aufgabenstellung zur Inhaltsangabe also so daher, bleibt einem Schüler
nichts anderes übrig, als nachzumachen, was ihm irgendwie vorgemacht worden
ist, egal worum es in dem Text geht.
Meistens wird das schulische
Textmuster der Inhaltsangabe auf eine, zumindest dominierende,
informative Funktion festgelegt, so wie dies auch bei anderen
▪
Formen
der Textwiedergabe in der Regel der Fall ist. Dabei wird sie am
häufigsten von der
▪
Nacherzählung (z. B. Mettenleitner 1988,
S.108-125)
abgegrenzt.
Bei genauerer Betrachtung
kann die Inhaltsangabe aber auch andere Textfunktionen
übernehmen, wobei es bei diesen
▪
"Spielarten
und Verwendungsweisen" (Fritzsche
1994, S. 148f.) auch zu zahlreichen "Funktionsüberschneidungen"
(ebd.
S. 34) kommt.
Auch wenn die informative Funktion der Inhaltsangabe heute
kaum in Frage steht, ist es für das schulische Textmuster
vielleicht doch angebrachter, von einer ▪
strukturellen Koppelung zweier
Schreibziele auszugehen: Dem Gewinnen
eines vertieften Verständnisses des zu untersuchenden
Primärtexts und der intersubjektiven Vermittlung der Ergebnisse
der dieses
Textverständnis
hervorbringenden inhaltlichen Erschließung des
Textes. (vgl. (Fix
2006/2008, S.103.
unter Bezugnahme auf
Ossner 2005).
Arbeitstechniken für die Inhaltsangabe
Voraussetzung für die
Bewältigung der Schreibform ist die Anwendung und Beherrschung folgender
Arbeitstechniken:
Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
28.01.2023
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