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Strukturelle Koppelung
von Schreibzielen bei der Inhaltsangabe
Inhaltsangabe als Lernmedium
Die ▪
Inhaltsangabe
dient in der Schule wohl überwiegend als "Lernmedium", das auf ein bis zu
einem gewissen Grad reflektiertes Erarbeiten des Textverständnisses durch
einen Schreiber bzw. eine Schreiberin zielt.
Die
bei solchen schulischen Übungen (vgl.
Fritzsche
1994, S.149) eingeforderten
Textmuster bzw.
Textsortenmerkmale
sind dementsprechend "willkürlich gesetzt" (ISB
(Hg.), Neues Schreiben, Bd.2, 2. Aufl. 2010, S. 261)
Und auch bei der
Inhaltsangabe als Lernmedium und Schreibübung zur Erarbeitung oder zur
Dokumentation von Textverständnis ist es wie bei allen anderen Textmustern
auch: Man tut gut daran, das Korsett normativer Regeln nicht zu eng zu
schnüren.
Auch wenn sich durchaus unterschiedliche ▪
Textfunktionen ermitteln
lassen und die daraus gewonnenen "Spielarten und Verwendungsweisen" (Fritzsche
1994, S.149) zu Idealtypen
führen können, gilt eben doch grundsätzlich, dass keines dieser Textmuster "
in Reinform gänzlich von den anderen isoliert werden" kann (Fix 2006/2008,
S.103). Dafür sind auch im Fall der Inhaltsangabe die Überlappungen an den
Rändern zu groß.
Und selbst wenn "der möglichst objektive Zugriff und der
sachliche Ton der Bearbeitung"
(ISB
(Hg.), ebd, S. 261) die Gemeinsamkeit aller möglichen
▪
Textzusammenfassungen darstellt, ist ein solches Ziel, das liegt in der
Natur der Sache, kaum zu operationalisieren.
Unter dem Blickwinkel der Didaktik ergeben sich freilich durchaus
interessante Einsichten, wenn man Inhaltsangaben noch der jeweils
dominierenden Textfunktion einteilt. Denn, wenn es sich bei den jeweils
eingeforderten Textmustern um willkürliche Setzungen handelt, muss die
Schreibaufgabe um so klarer ausfallen.
Denn nur so kann ein Schreiber/eine
Schreiberin die Schreibaufgabe mit Schreibzielen verbinden, die jenseits der
schematischen Abarbeitung eines nur scheinbar universalen Textmusters
liegen.

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So unterscheidet
Fritzsche
(1994, S. 148f., Hervorh. d. Verf.) drei verschiedene "Spielarten und Verwendungsweisen"
der Inhaltsangabe in der Schule. Dabei bezieht er sich jedoch vor allem
auf literarische
Texte. Ob die ausschließliche Bindung des Begriffs Inhaltsangabe an literarische Texte
aber aber noch heute gängige Schulpraxis ist, wie z. B.
Becker-Mrotzek/Böttcher
(2011, S.171) behaupten, erscheint eher zweifelhaft. Im Kontext von
teachSam wird dieser Vorstellung nicht gefolgt.
Argumentierende Inhaltsangabe |
Informierende (berichtende)
Inhaltsangabe |
Appellierende und wertende
Inhaltsangabe |
dient dem Erarbeiten und dem
Dokumentieren von Textverständnis
|
dient der Vermittlung des
gewonnenen Textverständnisses an den Leser
-
zweigliedrige Struktur: im ersten Teil
Basisinformationen über Autor. Titel, Textart etc.; im
zweiten Teil, dem Hauptteil, Referieren des eigenen
Textverständnisses
|
dient der Vermittlung von
Textmustern, denen Schülerinnen und Schüler als Leser begegnen
können
|
Inhaltsangabe beginnt mit einer
Behauptung nach dem Muster: "In dem Text geht es um ..." und
wird mit der Inhaltsangabe zur Begründung dieser Behauptung
fortgesetzt |
Orientierung an einem vorgestellten
Leser nach dem Muster: "Schreibe den Text so, dass ein Leser
weiß, wovon das Buch (das Theaterstück, die Oper ...) handelt" |
Orientierung an einem in der vorgestellten Realität
existierenden Leser bei gleichzeitiger werbewirksamer Gestaltung
des Textes |
Bei Schülerinnen und Schülern ist das Schreiben von Inhaltsangaben nicht
gerade beliebt. Sie haben, auch wenn die Schreibform häufig als
Leistungsaufgabe aus einer Auswahl von Aufgaben gewählt wird, eine ganze
Reihe von ▪ Problemen
damit.
Oft
liegt es auch hauptsächlich daran, dass sie ihr
Textverständnis nicht auf mehr oder weniger durchdachte
Relevanzkriterien stützen, die eine
angemessene Reformulierung des Textes erst ermöglichen.
Das aber macht den
Kern der Inhaltsangabe aus, wenn sie als "Lernmedium" verstanden
wird. Denn dann fungiert sie als
Erschließungsinstrument für Inhalte, die "dem genauen Wahrnehmen und dem
Verstehen von (...) Texten" dienen soll. (Fritzsche
1994, S.33)
Die Frage bleibt aber, woher schließlich die
Relevanzkriterien kommen sollen, wenn Inhalt oder Inhaltsangabe keine Textqualität beschreibt.
Wie bei etlichen anderen "Aufsatzarten" auch, die "nicht als Grundformen für
Texte verstanden (werden), die im gesellschaftlichen Leben vorkommen" (ebd.),
bleibt die Inhaltsangabe als Schreibaufgabe oft eine vom weiteren
Unterrichtsgeschehen getrennte "Übungsform".
Aus diesem Grund und wirkt
sie auch oft
"außerordentlich entmotivierend". (ebd.,
S. 150) So ist es gerade für die Schreibaufgabe Inhaltsangabe wichtig, sie
nicht "als Endpunkt der Beschäftigung mit einem Text anzusetzen, sondern als
Zwischenstation" (ebd.,
S. 150.
Hier ist die
Einbettung der Schreibaufgabe in einen größeren
thematischen Zusammenhang ebenso wichtig wie kooperative Arbeitstechniken
beim Schreiben, welche die Kommunikation über das vom einzelnen erreichte
Textverständnis in den Mittelpunkt rückt. Damit werden die Ergebnisse der
individuellen Textarbeit auf den "Prüfstand" intersubjektiver
Vermittelbarkeit und Plausibilität gestellt. Die Frage muss also auch hier
radikal vom Lerner aus gestellt werden:
-
Auf welche Weise kann ich bestimmte
Informationen zu einer bestimmten Fragestellung aus Texten gewinnen?
-
Wie muss meine Verschriftlichung dieser Informationen aussehen, dass
sie die von mir mit meinem Text verfolgten oder die an ihn gestellten
kommunikativen Anforderungen erfüllen kann?
Damit löst sich das Zusammenfassen von Texten von der normierten, zur
schulischen Schreibform mit bestimmten Textsortenmerkmalen. Zugleich wird
die herkömmliche Inhaltsangabe als eine der letzten, insbesondere in der
Sekundarstufe I weit verbreiteten, schulischen Schreibübungen der
produktorientierten Schreibdidaktik aus ihrem Korsett befreit.
Und die
erste Konsequenz, die gezogen werden muss, bezieht sich auf die
Verwendung von Inhaltsangaben zur schriftlichen Leistungskontrolle
bei Klassenarbeiten oder Klausuren. Die Praxis dafür willkürlich Texte
auszuwählen, die in keinem thematischen Bezug zu den im schulischen Lernen
behandelten Themen bzw. Problemen, ist eigentlich sofort abzustellen, wenn
es nicht alle vorigen Überlegungen konterkarieren soll. Solche
Schreibaufgaben stehen
aufgrund der dann weiterhin gültigen lernstrategischen Orientierung von
Schülerinnen an Schülern daran, was die Lehrkraft lesen will, den intendierten, kompetenzorientierten Lernprozessen beim Lösen von Problemen
diametral entgegen.
Die informierende Inhaltsangabe
Unabhängig von der Tatsache, dass die
Inhaltsangabe als schulische Schreibübung mehr der Erarbeitung und der
Dokumentation des eigenen Textverständnisses dient, bestimmt meistens die
dem Text zugeschriebene informative Funktion den Inhalt, den Aufbau und die sprachlich-stilistische Form
dieser schulischen Schreibform. Man kann diese Form der Inhaltsangabe
nach
Fritzsche (1994, S.152
)
auch als informierende Inhaltsangabe bezeichnen. Die immer wieder
aufgelisteten
Merkmale
der Inhaltsangabe beziehen sich in der Regel auf diese
Verwendungsweise.
Bei dieser Verwendungsweise "informiert die Inhaltsangabe ebenso
wie die Erschließung und Interpretation über das intersubjektiv
vermittelbare Textverständnis des Verfassers."
(ISB
(Hg.), ebd, S. 338)
Zugleich wird mit der angestrebten
Intersubjektivität die Grundlage für die dominierende Informationsfunktion der Inhaltsangabe
gelegt.
Sie soll nämlich einem Leser,
"der den Primärtext nicht oder nur unzureichend kennt, eine möglichst
genaue Textkenntnis (...) vermitteln."
(Steets 2007,
S.84ff., vgl.
Fritzsche
(1994, S.152
)
Aus der Tatsache, dass es bei dieser Form der Inhaltsangabe "nicht um
das Erarbeiten eines Textverständnisses, sondern um die Vermittlung
dieses Verständnisses an Leser (geht)", leitet
Fritzsche
(1994, S.152) ganz im Sinne
Ulshöfers
(1974, S.156) die Informationsfunktion dieser Verwendungsweise der
Inhaltsangabe ab.
Das Aufbau der informierenden Inhaltsangabe könne
dabei der von
Ulshöfer
(1974)
vorgeschlagenen Zweigliedrigkeit
folgen.
-
Im ersten Teil werde der Leser über den Autor, die Textgattung,
über Ort und Zeit des Geschehens und eventuell die Entstehung des Textes
informiert.
-
Im zweiten Teil, dem Hauptteil, so führt
Fritzsche
(1994, S.152) das Folgende wörtlich aus, "wird dann der Inhalt
der Vorlage, so wie man ihn versteht,
referiert."
(ebd., Hervorh. d. Verf.).
Diese Vorstellungen entsprechen auch dem
allgemeinen ▪ Strukturmodell für die (einfache)
Inhaltsangabe, wie es auf dieser Website dargestellt wird.
Schreib- und fachdidaktisch betracht entsteht bei der informierenden
Inhaltsangabe, die sich im schulischen Unterrichtszusammenhang meistens
auf kürzere Primärtexte bezieht, so
Fritzsche
(1994, S.155, Hervorh. d. Verf.), "ein
didaktischer Zwitter".
Bei diesem
werde das Schreiben zwar mit der Ausbildung informierender
Sprachfunktion legitimiert, die Arbeitsverfahren, die den Schülern
beigebracht würden und die ihnen vorgelegten Primärtexte führten aber
dazu, dass nicht Leser über einen Text informiert würden, "sondern dass
das
Inhaltserfassen minutiös geübt wird; die Schüler wenden sich allein
dem Text zu und berücksichtigen potentielle Leser überhaupt nicht." (ebd.)
Dagegen steht allerdings die
▪ Vorstellung einer strukturellen Koppelung der beiden
Schreibziele Gewinnen eines vertieften Verständnisses des zu
untersuchenden Primärtexts und intersubjektive Vermittlung der
Ergebnisse der inhaltlichen Erschließung des Textes, die gerade diese
Schreibaufgabe auszeichnet.
Die appellierende und wertende Inhaltsangabe
Wie die informierende Inhaltsgabe dienen auch die appellierende und wertende
Inhaltsangabe nach
Fritzsche
(1994, S.156) nicht dazu, sich seines eigenen
Textverständnisses zu vergewissern, "sondern hier geht es darum, dass die
Schüler produzierend Textsorten kennen lernen, auf die sie als Leser stoßen
können."
So diene das Schreiben letzten Endes dazu, am literarischen Leben
teilzunehmen. Dazu werde das Schreiben in Kommunikationssituationen
eingebettet, wie sie in der Realität auch vorkommen und mit den darin
üblichen Textmustern verknüpft.
Schreibaufgaben dazu stellen, so
Fritzsche (ebd.) weiter, z. B. das Verfassen eines
▪
Klappentextes,
einer Buchempfehlung oder einer
Rezension dar.
Ein
didaktisches Problem stellt dabei die Tatsache dar, dass solche Texte, die
zum Lesen eines Textes anregen sollen, eben nicht den vollständigen Inhalt
eines Primärtextes wiedergeben (sollen), "sondern den Leser gerade durch
bestimmte Auslassungen und durch rhetorische Mittel zur Lektüre bewegen
sollen." (ebd.)
Die appellative Funktion der Texte stellt dabei auch an den Schreiber
komplexe Anforderungen. So muss er nicht nur den Text verstehen, sondern
auch basierend auf verschiedenen inhaltlichen und sprachlich-stilistischen
Auswahlentscheidungen einen adressatenorientierten und zugleich
werbewirksamen Text gestalten.
▪ Strukturelle Koppelung
von Schreibzielen bei der Inhaltsangabe
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
26.12.2023
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