Was unter
▪
Textwiedergabe
verstanden wird, ist sehr unterschiedlich. In diesem Arbeitsbereich wird
darunter die (schriftliche) Information über den Textinhalt und/oder den Gedankengangs
seines Verfassers verstanden. Dabei entsteht ein Zweittext (Sekundärtext) der mit dem Originaltext
(Primärtext) nicht identisch sein darf.
In der hier zugrunde gelegten allgemeinen Umschreibung umfasst der Begriff
der Textwiedergabe unterschiedliche Textmuster der
schriftlichen Textzusammenfassung mit ganz
unterschiedlicher ▪
Textfunktion.
Auch wenn alle auf ihre jeweils eigene Weise
Rekapitulationen darstellen und eine Informationsfunktion
haben, können sie sich doch deutlich in der jeweils
dominierenden Textfunktion voneinander unterscheiden.
So unterscheidet
sich die dominierende
Unterhaltungsfunktion einer ▪
Nacherzählung grundlegend von der
dominierenden Informationsfunktion der ▪
Inhaltsangabe und
die appellativ-informative Funktion eines
▪
Klappentextes hebt sich wiederum von beiden ab.
Das Wesentliche ist keine objektivierbare Texteigenschaft
Wenn die Textwiedergabe das Wesentliche eines Textes in ▪ sprachökonomisch
verkürzter Form zusammenfassen soll, dann ist
Frage, was das
Wesentliche eines Textes ausmacht, von zentraler Bedeutung.
So
unverzichtbar die Antwort darauf ist, so wenig lässt sich jedoch eine
eindeutige Antwort darauf geben. Was wesentlich ist, liegt eben, wie man
gerne sagt, durchaus auch im Auge des Betrachters. Das
Wesentliche eines Textes ist also keine objektive
Texteigenschaft bzw. eine Eigenschaft bestimmter Textelemente.
Das, was wir für wesentlich in einem Text ansehen, ist nichts
anderes als ein intrapsychisches Konstrukt des jeweiligen
Lesers.
Von solchen grundsätzlichen Überlegungen einmal abgesehen,
steht die meistens dominierende kommunikative Funktion bei der
Wiedergabe von Texten dafür, sich über Wichtiges in einem Text
zu verständigen und mit der Wiedergabe einen anderen über den
Textinhalt zu informieren.
Dabei steht das allgemeine Ziel beim Zusammenfassen von
Texten außer Frage:
Es geht
darum, "wichtige von unwichtigen Inhaltselementen zu trennen, das Wichtige
neu zu verknüpfen und
auf einer
abstrakteren Ebene zu reformulieren."
(Steets 2007,
S.84ff., Hervorh. d. verf.)
Selbständiges Herleiten von Relevanzkriterien
Damit man das Wesentliche
eines Textes erkennen kann, bedarf es geeigneter Kriterien, mit denen sich
die Spreu vom Weizen scheiden lässt, um auf diese Weise einem Leser der
Textwiedergabe, "der den Primärtext nicht oder nur unzureichend kennt, eine
möglichst genaue Textkenntnis zu vermitteln." (ebd.)
Gerade Schülerinnen und
Schüler tun sich damit häufig schwer, sie sind sehr
verunsichert, weil sie nicht wissen, was sie "weglassen" und was
sie wiedergeben sollen. Sie haben in der Regel gerade bei
Textzusammenfassungen keine Vorstellung über den Zweck und den
Adressaten ihres Schreibens und arbeiten das Textmuster, das
ihnen die Schreibaufgabe abverlangt, mechanisch ab, weil sie
sich keinen problemlösenden Schreibprozess mit passenden
Schreibzielen zu eigen machen können. Mit dem Finden von
Kriterien dafür, was relevant und was nicht relevant für einen
Text ist, fühlen sie sich alleingelassen. So wundert es nicht,
dass sich Probleme mit der Textzusammenfassung offenbar
bis an die Universität fortsetzen, so dass sogar von dort die
Aufforderung an die Schule kommt, das Zusammenfassen von Texten
immer und immer wieder zu üben. (vgl.
Keseling 2004,
S.308, vgl.
Becker-Mrotzek/Böttcher
(2011, S.175,177)
Schülerinnen und Schüler,
die die Kompetenz zum Zusammenfassen von Texten erwerben sollen,
müssen eine ganze Reihe von Fähigkeiten entwickeln. Eine davon
ist die Fähigkeit, bei der Planung des Schreibprozesses
selbständig Relevanzkriterien dafür zu entwickeln, was für die
Textwiedergabe wichtig, eher unwichtig oder nebensächlich ist.
Daher müssen sie lernen,
sich passende "Relevanzkriterien"
auf zweierlei Weise herzuleiten.
"Zum einen ergeben sie sich aus dem
Text und seiner Struktur selber, nämlich aus der gegebenen argumentativen
bzw. narrativen Struktur, indem diese zu größeren und abstrakteren Einheiten
begrifflich zusammengefasst werden (Makrostrukturen).( ...) Zum anderen
leiten sich die Relevanzkriterien aus dem konkreten Handlungszusammenhang
her, das heißt aus der eigenen Fragestellung." (Becker-Mrotzek/Böttcher
2011, S.176, Hervorh. d. verf.)
Auch wenn dies in Wahrheit auch nicht viel weiterhilft,
weil es schließlich auch keine unabhängig vom erkennenden Subjekt
vorhandenen Strukturen eines Textes gibt, beschreibt es eben doch das
Dilemma, in dem sich Textwiedergaben befinden, die andere über den Inhalt,
ästhetische Gestalt oder argumentative Strukturen informieren wollen. Die Verunsicherung von Schülerinnen und Schülern beim
Zusammenfassen nicht das getroffen zu haben, was der Lehrer als wesentlichen
Textinhalt ansieht, wird damit also nicht wirklich beseitigt. (▪
Woher soll ich wissen,
was wichtig und was unwichtig im Text ist?)
Die Festlegung darauf, dass die Zusammenfassung "dem Primärtext nichts
hinzufügen und nichts Wesentliches weglassen (darf)" (ebd.
S.185) allein reicht jedenfalls nicht, um "Schülern konkrete und
nachvollziehbare Einsichten in das Verfassen, die Struktur und die Funktion
von Zusammenfassungen" (ebd.)
zu vermitteln.
Ergänzt werden muss die normative Setzung durch kleinschrittige Verfahren, die
erfahrbar machen, dass auch die Produktion von Zusammenfassungen systematisch
gelernt werden kann.
Dazu gehören nach
Becker-Mrotzek
/ Böttcher
(2011, S.176)
-
lernbare Verfahren, mit
denen Text verdichtet werden kann wie das Auslassen,
Selektieren, Generalisieren und Integrieren
-
sprachliche Mittel (vgl.
auch
Textprozeduren), mit
denen man Zusammenfassungen ausdrücken kann
(vgl. auch:
Steets 2007,
S.84ff.)
Den Inhalt mit unterschiedlichen Methoden erfassen
Die ▪
Schwierigkeiten,
die beim Zusammenfassen entstehen können, können unterschiedliche
motivationale
oder volitionale
Ursachen haben, liegen aber häufig nicht in der mangelnden Bereitschaft zur
Anwendung eines bestimmten Textmusters, z. B. für die Inhaltsangabe.
Häufig liegt die Ursache von Fehlverhalten beim Zusammenfassen wohl daran,
"dass sich die Aufmerksamkeit der AutorInnen zu sehr und zu lange auf den gerade
gelesenen Text richtet und das dadurch die Zusammenfassung bzw. die
Bildung von Essentials oder die Bildung eines Konzepts für den eigenen
Text versäumt oder beeinträchtigt wird." (Keseling
2004, S.101)
Was sich also zunächst ändern muss, scheint das
▪
Leseverhalten
zu sein. Die Vermittlung geeigneter
Lesetechniken,
▪
Lesestrategien
und ▪
Schreibstrategien
sind also nicht nur nötig, um ggf. auftretenden
▪ Schreibschwierigkeiten
bis hin zu Schreibblockaden entgegenwirken zu können.
Schwierigkeiten bei der begrifflichen Zusammenfassung des
propositionalen Gehalts (▪
Sprechakte)
eines Textes hängen mit der ▪
Lesekompetenz
zusammen. Sie äußern sich bei der ▪
inhaltlichen Erfassung des
Textes und der Erarbeitung eines vertieften Verständnis des Textes.
Dabei ist vor allem das ▪
Verstehen eines Textes
ein sehr komplexer Vorgang, der sich in verschiedenen
▪
Formen (unmittelbares,
analysierendes,
erweitertes und
selbstreflexives
Verstehen) abspielen kann.
Dieses Verstehen
ist allerdings nicht grundsätzlich mit der
inhaltlichen Erfassung eines Textes - also in der Planungsphase - abgeschlossen, denn auch im
▪
Schreibprozess
kann sich, je nach
▪
Schreibtyp und verfolgter
▪
Schreibstrategie,
dieses Textverständnis auch noch beim Niederschreiben
weiterentwickeln.
Ebenso wenig ist die Erfassung eines Textes allein eine Frage
von Arbeitstechniken.(▪
Arbeitstechnik
Lesen) Denn Inhalte stehen ja nicht für sich allein,
Textrezeption und Textverstehen sind schließlich, vom Rezipienten her
betrachtet, niemals voraussetzungslos.
Nichtzuletzt werden Texte auch deshalb
unterschiedlich erfasst, weil sie auf jeweils unterschiedliche, individuelle
Verstehenshorizonte treffen, die, z. B. ganz allgemein gefasst, das
jeweilige Weltwissen,
Handlungswissen
und vorhandene
konzeptionelle
Deutungsmuster umfassen. (vgl.
Linke/Nussbaumer/Portmann
1994, S.228) (vgl.
Wesentliches und Unwesentliches
unterscheiden (Relevanzkriterien)
Trotzdem ist es
von großer Bedeutung, dass in unterrichtlichen Lehr- und
Lernprozessen ▪
Lesestrategien
gefördert werden.
Dazu zählen:
Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
16.02.2023
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