Die ▪
zitierte Figurenrede wird bei der ▪
Darstellung gesprochener
Worte (▪
Figuren-/Personenrede) in erzählenden
Texten häufig, besonders wenn ein Gespräch erzählt wird, als
direkte Rede verwendet.
Die
▪ zitierte Figurenrede (direkte Rede)
wird in geschriebener Sprache üblicherweise mit einem Wiedergabeindex
versehen, der Anfang und Ende der direkten Rede markiert.
Dafür gibt es die die
Anführungszeichen, die in der
Zeichensetzung mit bestimmten
Regeln verwendet werden. Dabei wird die Äußerung in
Anführungszeichen eingeschlossen. Wenn die direkte Rede einem
übergeordneten Satz unterbrochen wird, werden alle Teile der direkten
Rede in Anführungszeichen eingeschlossen.
Anführungszeichen in journalistischen Darstellungsformen
Anführungszeichen sind
für für bestimmte Textsorten bis heute unverzichtbar. So gehört es bei
journalistischen Darstellungsformen selbstverständlich dazu,
wörtlich Gesagtes, in Anführungszeichen gesetzt, als originale und
authentische Wiedergabe zu markieren.
Ebenso müssen
Textpassagen, die wortgetreu aus anderen Werken übernommen werden, also
wörtlich zitiert werden, aus urheberrechtlichen Gründen, wegen
wissenschaftlicher Konvention und allgemeiner Redlichkeit mit
Anführungszeichen versehen werden. Andernfalls handelt es sich um ein
Plagiat.
Anführungszeichen als Wiedergabeindizes in der modernen belletristischen
Literatur
In erzählenden Texten wird bei der ▪
Darstellung gesprochener
Worte (▪
Figuren-/Personenrede) von der Markierung durch Anführungszeichen
sehr häufig Gebrauch gemacht, so wie dies in den unten stehenden
Beispielen 1
und 3 der Fall
ist.
Damit wird die ▪ zitierte Figurenrede
(direkte Rede) von anderen Formen der ▪ Darstellung
gesprochener Worte (Darbietungsformen)
in der
Erzählerrede, den verschiedenen Formen der ▪
transponierten Rede wie z. B. der ▪
indirekten
Figurenrede, der ▪
erlebten Rede
bei der
▪ Darstellung von Gedanken oder dem
▪ inneren
Monolog oder dem ▪
Bewusstseinsstrom deutlich abgehoben.
Aber ebenso wird in den
Erzähltexten auch auf die ▪
Anführungszeichen verzichtet. Dann kommen aber meistens andere
Wiedergabeindizes zum Einsatz.
-
So werden die
Äußerungen samt ihrer übergeordneten Sätze eingerückt und die
Sprecherwechsel werden oft mit Gedankenstrichen (Spiegelstrichen)
signalisiert.
-
Ebenso kommt es vor,
dass - wie in dramatischen Texten - einfach der Sprecher ohne
weitere syntaktische Einbettung vor die Äußerung gesetzt wird. (→
Doris
Dörrie, Trinidad)
Oft wird aber auch auf
jegliche Markierung ▪
wörtlicher Rede mit Satzzeichen oder sonstigen Zeichen- und
Absatzattributen (z. B. ▪
Schriftschnitt) selbst
▪
in erweiterten Gesamtsätzen verzichtet.
Damit wird die
wörtliche Rede so in den Erzählerbericht eingebettet, dass der Verzicht
auf Anführungszeichen auch wichtige Lesehilfen beseitigt. Natürlich wird
dadurch auch die Lesefreundlichkeit herabgesetzt, indem die mit
Wiedergabeindizes ermöglichte Abgrenzung von wörtlichen Äußerungen
gegenüber anderen Äußerungen erschwert wird. (▪
Beispiel: Philip Roth, Der Professor der Begierde)
Auf der anderen Seite
gewinnt ein derart gestalteter Text u. U. mit seiner ▪
Schriftgestaltung insgesamt einen anderen ▪
Schriftcharakter und u. U. auch eine andere Art der ▪
Anmutung. (▪
Beispiel: Kurt Marti, Neapel sehen) In jedem Falle wird der
Fließtextcharakter des Ganzen damit betont.
Erzähltechnisch
ausgedrückt: die von direkter Rede ausgehende spürbare Unterbrechung des
Erzählflusses (vgl.
Vogt 1990, S.151,
s.o.),
wird damit in gewisser Weise gemindert.
So verbirgt sich hinter
einem teilweisen oder vollständigen Verzicht auf "Äußerungszeichen"
(Engel
1988/1996, S.833ff,) wie z.B. Punkt, Ausrufezeichen, Fragezeichen,
Komma, Doppelpunkt, Gedankenstrich, Klammern und Anführungszeichen) als
Wiedergabeindizes im Allgemeinen doch mehr als eine bloße "Mode", wie
die eine oder andere kritische Stimme zum Lektorieren solcher
Manuskripte vermutet (▪
Verzicht auf Markierung als modisches Stilmittel).
Insbesondere bei
anspruchsvoller Literatur, bei der der Autor den Wechsel zwischen den
verschiedenen ▪ Darstellungen von
Rede und mentalen Vorgängen (Darbietungsformen
des Erzählens) bewusst ohne solche Wiedergabeindizes gestaltet,
liegt dem häufig ein Erzählkonzept (Erzählweise)
zugrunde, das die prinzipielle Gleichwertigkeit sprachlicher oder
gedanklicher Äußerungen, den nahtlosen Übergang zwischen Gesprochenem
und Gedachten im Rahmen der zugrunde gelegten
Erzählperspektive signalisieren soll.
Zugleich erfordert der
Verzicht auf Äußerungszeichen einen kompetenten Leser, der durch
Kenntnis und Erfahrung im Umgang mit verschiedenen ▪ Darstellungen von
Rede und mentalen Vorgängen (Darbietungsformen
des Erzählens) der vom Autor konzipierten
Erzählweise folgen und dabei auch nicht markierte wörtliche Rede als
solche erkennen kann.
Daher wird auch
der Übergang von der direkten Rede in den Redebericht oder inneren
Monolog häufig fließend gestaltet. Häufig kommt es aber auch zu einem
▪
Wechsel zwischen direkter und indirekter Rede beim Erzählen
(Fluktuation).
Beispiel 1:
In ▪
Thomas Manns (1875-1955)
Novelle "Tonio Kröger" (1903) führt der Schriftsteller Tonio
Kröger ein Gespräch mit seiner russischen Malerfreundin Lisaweta
Iwanowna in deren Atelier über Kunst und Literatur. Dabei geht es im
Kern um den Gegensatz von Kunst und Leben und damit auch um den
Gegensatz der Existenzen von Künstler und Bürger. Im Gespräch zwischen
den beiden Künstlern stehen die Fremdheit des Künstlers in der
bürgerlichen Welt und die Zerstörung des Menschlichen durch die Kunst im
Mittelpunkt.
"Ich
bin am Ziel, Lisaweta. Hören Sie mich an. Ich liebe das Leben - dies
ist ein Geständnis. Nehmen Sie es und bewahren Sie es, - ich habe es
noch Keinem gemacht. Man hat gesagt, man hat es sogar geschrieben
und drucken lassen, dass ich das Leben hasse oder fürchte oder
verachte oder verabscheue. Ich habe dies gern gehört, es hat mir
geschmeichelt; aber darum ist es nicht weniger falsch. Ich liebe das
Leben... [...]« »Sind Sie nun fertig, Tonio Kröger?« »Nein.
Aber ich sage nichts mehr.« »Und es genügt auch. - Erwarten Sie
eine Antwort?« »Haben Sie eine?« »Ich dächte doch. - Ich
habe Ihnen gut zugehört, Tonio, von Anfang bis zu Ende, und ich will
Ihnen die Antwort geben, die auf alles passt, was Sie heute
Nachmittag gesagt haben, und die die Lösung ist für das Problem, das
Sie so sehr beunruhigt hat. Nun also! Die Lösung ist die, dass Sie,
wie Sie da sitzen, ganz einfach ein Bürger sind.« »Bin ich?«
fragte er und sank ein wenig in sich zusammen... »Nicht wahr,
das trifft Sie hart, und das muss es ja auch. Und darum will ich den
Urteilsspruch um etwas miildern, denn das kann ich. Sie sind ein
Bürger auf Irrwegen, Tonio Kröger, - ein verirrter Bürger.« -
Stillschweigen. Dann stand er entschlossen auf und griff nach Hut
und Stock. »Ich danke Ihnen, Lisaweta Iwanowna; nun kann ich
getrost nach Hause gehen. Ich bin
erledigt.« (Thomas Mann, Tonio Kröger und Mario und der
Zauberer, 35. Aufl., Frankfurt/M.: Fischer-Verlag 1999, S.41)
Beispiel 2:
Die ▪
Kurzgeschichte »Das Leben ist kurz« von ▪
Gabriele Wohmann ist von wenigen Passagen des
Erzählerberichts
abgesehen, nur in direkter Rede gestaltet,
so
dass die
szenische Darstellung in den Vordergrund rückt. Auf
Anführungszeichen und anderen Zeichen, um den Sprecherwechsel zu
signalisieren, wird im Text verzichtet, dessen Erzähler aus der
Innenperspektive erzählt und der in einer meist
personaler Erzählperspektive aus der Sicht Hedwigs verfasst ist.
Darin zeigt sich die Affinität der direkten Rede zu dieser
Erzählperspektive/Erzählhaltung.
Das Leben ist kurz
Gabriele Wohmann
Herein!, rief Hedwig, und schon trat ihre Schwester Gina ins
Zimmer. Sie sah unschlüssig aus. Ich fand's eigentlich doch kurz.
Ginas weißgrauer Schopf war zerrauft, anscheinend hatte sie schon im
Bett gelegen. Was war kurz? Unser Leben. Aber es war lang.
Ausnahmsweise widersprach Hedwig. Du bist's doch von uns beiden, die
sich an alles erinnert. Wir trugen als Kinder lange Kleider, die
Musikstunden bei Onkel Wilhelm und all das. Gina wog ihre Portion
in der Hand. Du hast doch nichts genommen, Hedwig. Wir wollten es
um Mitternacht tun, sagte Hedwig demütig. Gina stellte sich ans
Fenster und blickte in den östlichen Nachthimmel: Der Orion ist
wirklich näher herangekommen. Sag, was du willst, Hedwig, ich weiß
nicht mehr, ob wir's tun sollen. Aber das Brummen und das
merkwürdige Rauschen, du hörst es doch noch? Hedwig fragte
unkonzentriert, denn sie erinnerte sich an ihren Mann, den lieben,
guten, und aus Schüchternheit erwähnte sie nicht, der Orion sei
ihrer beider Lieblingssternbild gewesen. Und wenn er wirklich näher
herangekommen war, der Orion? Es war ein langes Leben, objektiv,
sagte Gina. Aber auch kurz. Das Leben ist kurz... Und der Tag
ist lang, ergänzte Gina das Lieblingszitat ihrer Schwester. Die
Geigenstunden mit Axel, die waren lang. Stunden sind lang. Aber
das Leben, ich find's doch kurz. Es geht uns ja auch zur Zeit
ganz gut, sagte Hedwig vorsichtig. Wir könnten noch ein bisschen
warten. Vielleicht müsste ich mir nur das Ohr ausputzen lassen,
sagte Gina. Du, hör mal, eigentlich haben wir's oft noch ganz schön,
oder?
(aus: Süddeutsche Zeitung, 11./12.3.95)
Beispiel 3:
In seinem Text »Ein Tod« gestaltet
Arno Holz (1863-1929),
ganz so, wie es bei Dichtern der ▪
Literaturepoche des ▪
Naturalismus (1880-1910) üblich war, den Tod eines
Menschen in überwiegend
szenischer
Darstellung, also fast nur mit der direkten Rede der beiden
Gesprächspartner. Dadurch erzielt der Text seine szenisch
unmittelbare Wirkung, die auch der authentisch wirkenden
Zeitdeckung (Erzählzeit
=
erzählte Zeit) beruht.
Ein Tod Arno Holz"Du!" "Was denn?!" "Er
liegt so auffallend still?" "Ja! … Und… Herrgott! Sieh mal!!!
Seine Nase ist - so spitz? Und… die - Augen…" Olaf hatte sich
schnell über Martin gebückt. Um seinen Mund lag jetzt ein
krampfiges Lächeln. Die Arme lagen lang über das zerwühlte Bett hin.
Das scharfe spitzige Gesicht, auf welches jetzt schräg die Sonne
fiel, war wachsbleich. "Man… man spürt - den Puls gar nicht -
mehr…" "Was??" "Ach… Er… er ist ja - tot?!" "W…??"
"Tot!!" "Tot?? Du meinst … tot???" Die Worte blieben Jens in
der Kehle stecken. Er zitterte. "Tot?" Es war, als ob er an
dem Wort kaute. "Es … es… ich will… die Wirtin…" "Lass!"
Olaf hatte sich tief über die Leiche gebeugt. Er drückte ihr die
Augen zu… Eine Minute war vergangen. Sie hatten nicht gewagt,
sich anzusehen.
(aus: Arno Holz u. Johannes Schlaf, Papa Hamlet. Ein Tod.
Stuttgart: Philipp Reclam Verlag, Nr.8853)
Beispiel 4:
In ▪
Theodor Fontanes (1819-1898)
Roman »Effi
Briest« (1895) lässt sich am Beginn des 12. Kapitels das
Zusammenwirken von direkter Rede und
▪
indirekter Rede als Figurenrede und dem ▪
Redebericht
als spezifische Form des Erzählerberichts i. e. S. aufzeigen (Fluktuation).
Damit kann der Erzähler das Tempo variieren und die Szene zugleich
gedrängt und anschaulich erscheinen lassen. (vgl.
Vogt 1990, S. 155,)
Es war spät, als man aufbrach. Schon bald nach zehn hatte Effi zu
Gieshübler gesagt,
es sei nun wohl Zeit; Fräulein Trippelli, die den Zug nicht
versäumen dürfe, müsse ja schon um sechs von Kessin aufbrechen;
die danebenstehende Trippelli aber, die diese Worte gehört, hatte
mit der ihr eigenen ungenierten Beredsamkeit gegen solche zarte
Rücksichtnahme protestiert.
»Ach, meine gnädigste Frau, Sie glauben, dass unsereins einen
regelmäßigen Schlaf braucht, das trifft aber nicht zu; was wir
regelmäßig brauchen, heißt Beifall und hohe Preise. Ja, lachen Sie
nur. Außerdem (so was lernt
man)
kann ich auch im Coupé schlafen, in jeder Situation und sogar auf
der linken Seite, und brauche nicht einmal das Kleid aufzumachen.
Freilich bin ich auch nie eingepresst; Brust und Lunge müssen immer
frei sein und vor allem das Herz. Ja, meine gnädigste Frau, das ist
die Hauptsache. Und dann das Kapitel Schlaf überhaupt - die Menge
tut es nicht, was entscheidet, ist die Qualität; ein guter Nicker
von fünf Minuten ist besser als fünf Stunden unruhige Rumdreherei,
mal links, mal rechts. Übrigens schläft man in Russland wundervoll,
trotz des starken Tees. Es muss die Luft machen oder das späte Diner
oder weil man so verwöhnt wird. Sorgen gibt es in Russland nicht;
darin - im Geldpunkt sind beide gleich - ist Russland noch besser
als Amerika.« Nach dieser
Erklärung der Trippelli hatte Effi von allen Mahnungen zum
Aufbruch Abstand genommen, und so war Mitternacht herangekommen. Man
trennte sich heiter und herzlich und mit einer gewissen
Vertraulichkeit. Der Weg von der Mohrenapotheke bis zur
landrätlichen Wohnung war ziemlich weit; er kürzte sich aber
dadurch, dass Pastor
Lindequist bat, Innstetten und Frau eine Strecke begleiten zu
dürfen; ein Spaziergang unterm Sternenhimmel sei das beste, um über
Gieshüblers Rheinwein hinwegzukommen.
Unterwegs wurde man natürlich nicht müde, die verschiedensten
Trippelliana heranzuziehen; Effi begann mit dem, was ihr in
Erinnerung geblieben, und gleich nach ihr kam der Pastor an die
Reihe. Dieser, ein Ironikus, hatte die Trippelli, wie nach vielem
sehr Weltlichen, so schließlich auch nach ihrer kirchlichen Richtung
gefragt und dabei von ihr in Erfahrung gebracht, dass sie nur eine
Richtung kenne, die orthodoxe. Ihr Vater sei freilich ein
Rationalist gewesen, fast schon ein Freigeist, weshalb er auch den
Chinesen am liebsten auf dem Gemeindekirchhof gehabt hätte; sie
ihrerseits sei aber ganz entgegengesetzter Ansicht, trotzdem sie
persönlich des großen Vorzugs genieße, gar nichts zu glauben. Aber
sie sei sich in ihrem entschiedenen Nichtglauben doch auch jeden
Augenblick bewusst, dass das ein Spezialluxus sei, den man sich nur
als Privatperson gestatten könne. Staatlich höre der Spaß auf, und
wenn ihr das Kultusministerium oder gar ein Konsistorialregiment
unterstünde, so würde sie mit unnachsichtiger Strenge vorgehen. »Ich
fühle so was von einem Torquemada in mir.« Innstetten war sehr
erheitert und erzählte seinerseits, dass er etwas so Heikles, wie
das Dogmatische, geflissentlich vermieden, aber dafür das Moralische
desto mehr in den Vordergrund gestellt habe. Hauptthema sei das
Verführerische gewesen, das beständige Gefährdetsein, das in allem
öffentlichen Auftreten liege, worauf die Trippelli leichthin und nur
mit Betonung der zweiten Satzhälfte geantwortet habe: »Ja, beständig
gefährdet; am meisten die Stimme.«
Unter solchem Geplauder war, ehe man sich trennte, der
Trippelli-Abend noch einmal an ihnen vorübergezogen [...]
(aus: Theodor Fontane, Effi Briest, 4. Aufl., o. O.: 1982
(=Goldmann-Klassiker mit Erläuterungen), S.88-90)
Beispiel 5:
In seinem Roman "Professor der Begierde" (1978, 1998), stellt
der US-amerikanische Schriftsteller »Philip
Roth (geb. 1933) dar, wie der Literaturprofessor David
Kepesh, ein Enkel jüdischer Emigranten, als im Grunde einsamer Egomane
von seiner sexuellen Begierde umgetrieben wird und erst zu sich selbst
findet, als er nach seiner Scheidung von Helen Baird, mit der drei Jahre
verheiratet gewesen ist, in der Lehrerin Claire Ovington eine
verständnisvolle Lebensgefährtin findet. In einer Psychotherapie
versucht er mit Hilfe von Dr. Frederick Klinger über seinen Schmerz nach
der Trennung von Helen hinweg- und wieder mit sich ins Reine zu kommen.
(vgl. Dieter
Wunderlich 2005) Während eines Therapiegesprächs wird die szenische
Darstellung, die nur einmal mit dem elliptischen "Das Telefon" als
Erzählerbericht und den Sprechermarkierungen unterbrochen wird, mit
Anführungszeichen strukturiert, die aber - nicht konsequent gesetzt -
das jeweils vom Therapeuten im Raum Gesagte - zwischen Therapie- und
Telefongespräch fast bruchlos ineinandergreifen lässt.
»Warum
erlauben Sie Helen«, fährt Klinger fort, »die sich in ihrem
hektischen Bemühen, die Hohepriesterin des Eros zu sein,
kaputtgemacht hat - und die beinahe auch Sie mit ihren Behauptungen
und Andeutungen kaputtgemacht hat - warum erlauben Sie ausgerechnet
Helen immer noch, mit ihrem Urteil Macht über Sie auszuüben? Wie
lange wollen Sie ihr eigentlich noch gestatten, Sie dort
zurückzuweisen, wo Sie sich am schwächsten fühlen? [...] Was war den
ihr >mutiges< Suchen
...« Das Telefon. »Entschuldigen Sie«, sagt er. Ja, am Apparat. Ja,
nur zu. Hallo ... ja ich kann Sie sehr gut verstehen. Wie ist
Madrid? Was? Nun selbstverständlich ist er misstrauisch, was haben
Sie denn erwartet? Sagen Sie ihm einfach, dass er sich töricht
verhält, und dann vergessen Sie's. Nein, selbstverständlich wollen
Sie keinen Streit vom Zaun brechen. Das verstehe ich. Sagen Sie's
einfach, und dann versuchen Sie, allen Mut zusammenzunehmen. Sie
können sich ihm widersetzen. Gehen Sie zurück auf ihr Zimmer und
sagen Sie es ihm. Aber ich bitte Sie, Sie wissen doch genau, dass
Sie das können. Schön. Viel Glück. Und amüsieren Sie sich gut.
Wiedersehen. - »Was war denn ihre Sucherei anderes«, sagt er, »als
ein Ausweichen? Eine kindische Flucht vor dem, was man im Leben
wirklich schaffen kann?« - »Andererseits«, sage ich, »sind diese
Vorhaben, die man tatsächlich verwirklichen kann, so etwas wie eine
Flucht vor der Suche.« - »Bitte, Sie lesen gern und schreiben gern
über Bücher. Das schafft Ihnen nach eigenen Aussagen enorme
Befriedigung - oder hat es zumindest früher getan und wird es
auch wieder tun, das versichere ich Ihnen. Im Augenblick haben Sie
nur alles bis obenhin satt.[...]« (aus: Philip Roth, Professor
der Begierde 1978, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, Neuausgabe 2004,
S.123f.)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
20.04.2025
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