Der Redebericht als Erzählerbericht i. e. S. nach Lämmert (1955)
Der
Redebericht (in der
neueren
Erzähltheorie: • erzählte Figurenrede
bzw. erzählte Rede) erfüllt im Rahmen des
Erzählerberichts
vor allem die Funktion der Zeitraffung. Darüber hinaus bleibt aber
auch die klare Distanz des Erzählers zum Inhalt der referierten Rede
vorhanden. Daneben erfüllt er auch andere Funktion, auf die Eberhard
Lämmert hinweist:
"Im
Redebericht ist die Rede selbst einseitig als Geschehen gegeben. Von der
Aussage bleibt hier nur das faktische Resultat übrig. Der Erzähler
resümiert und kehrt sich so als Vermittler und Ordner noch deutlicher
hervor. Wegen seiner starken Raffungstendenz wird der Redebericht häufig
dazu verwendet, schon bekannte Tatbestände anzuführen [...] Kleine
Redeberichte werden aber auch gerne der direkten wie der indirekten Rede
zwischengefügt, um einzelne Gesprächspartien abzuteilen, vor allem um
eine längere Gesprächsdauer wahrscheinlich zu machen." (Eberhard
Lämmert 1955, S.235)
In
Theodor Fontanes
(1819-1898) Roman ▪
Effi
Briest (1895) lässt sich am ▪
Beginn des 12. Kapitels das
Zusammenwirken von
direkter
(Figuren-)Rede und
indirekter
(Figuren-)Rede und der
erzählten Figurenrede als Redebericht aufzeigen.
Es war spät, als man aufbrach. Schon bald nach zehn hatte Effi zu
Gieshübler gesagt,
es sei nun wohl Zeit; Fräulein Trippelli, die den Zug nicht versäumen
dürfe, müsse ja schon um sechs von Kessin aufbrechen; die
daneben stehende Trippelli aber, die diese Worte gehört, hatte mit der
ihr eigenen ungenierten Beredsamkeit gegen solche zarte Rücksichtnahme
protestiert. »Ach, meine
gnädigste Frau, Sie glauben, dass unsereins einen regelmäßigen
Schlaf braucht, das trifft aber nicht zu; was wir regelmäßig brauchen,
heißt Beifall und hohe Preise. Ja, lachen Sie nur. Außerdem (so was
lernt
man) kann ich auch im Coupé schlafen, in jeder Situation und sogar
auf der linken Seite, und brauche nicht einmal das Kleid aufzumachen.
Freilich bin ich auch nie eingepresst; Brust und Lunge müssen immer frei
sein und vor allem das Herz. Ja, meine gnädigste Frau, das ist die
Hauptsache. Und dann das Kapitel Schlaf überhaupt - die Menge tut es
nicht, was entscheidet, ist die Qualität; ein guter Nicker von fünf
Minuten ist besser als fünf Stunden unruhige Rumdreherei, mal links, mal
rechts. Übrigens schläft man in Russland wundervoll, trotz des starken
Tees. Es muss die Luft machen oder das späte Diner oder weil man so
verwöhnt wird. Sorgen gibt es in Russland nicht; darin - im Geldpunkt
sind beide gleich - ist Russland noch besser als Amerika.« Nach
dieser Erklärung der Trippelli hatte Effi von allen Mahnungen zum
Aufbruch Abstand genommen, und so war Mitternacht herangekommen. Man
trennte sich heiter und herzlich und mit einer gewissen Vertraulichkeit.
Der Weg von der Mohrenapotheke bis zur landrätlichen Wohnung war
ziemlich weit; er kürzte sich aber dadurch,
dass Pastor Lindequist bat,
Innstetten und Frau eine Strecke begleiten zu dürfen; ein Spaziergang
unterm Sternenhimmel sei das beste, um über Gieshüblers Rheinwein
hinwegzukommen.
Unterwegs wurde man natürlich nicht müde, die verschiedensten
Trippelliana heranzuziehen; Effi begann mit dem, was ihr in
Erinnerung geblieben, und gleich nach ihr kam der Pastor an die Reihe.
Dieser, ein Ironikus, hatte die Trippelli, wie nach vielem sehr
Weltlichen, so schließlich auch nach ihrer kirchlichen Richtung gefragt
und dabei von ihr in Erfahrung gebracht, dass sie nur eine Richtung
kenne, die orthodoxe. Ihr Vater sei freilich ein Rationalist gewesen,
fast schon ein Freigeist, weshalb er auch den Chinesen am liebsten auf
dem Gemeindekirchhof gehabt hätte; sie ihrerseits sei aber ganz
entgegengesetzter Ansicht, trotzdem sie persönlich des großen Vorzugs
genieße, gar nichts zu glauben. Aber sie sei sich in ihrem entschiedenen
Nichtglauben doch auch jeden Augenblick bewusst, dass das ein
Spezialluxus sei, den man sich nur als Privatperson gestatten könne.
Staatlich höre der Spaß auf, und wenn ihr das Kultusministerium oder gar
ein Konsistorialregiment unterstünde, so würde sie mit unnachsichtiger
Strenge vorgehen. »Ich
fühle so was von einem Torquemada in mir.« Innstetten war sehr
erheitert und erzählte seinerseits, dass er etwas so Heikles, wie das
Dogmatische, geflissentlich vermieden, aber dafür das Moralische desto
mehr in den Vordergrund gestellt habe. Hauptthema sei das Verführerische
gewesen, das beständige Gefährdetsein, das in allem öffentlichen
Auftreten liege, worauf die Trippelli leichthin und nur mit Betonung der
zweiten Satzhälfte geantwortet habe: »Ja, beständig gefährdet; am
meisten die Stimme.«
Unter solchem Geplauder war, ehe man sich trennte, der Trippelli-Abend
noch einmal an ihnen vorübergezogen [...] (aus: Theodor Fontane, Effi Briest, 4. Aufl., o. O.: 1982
(=Goldmann-Klassiker mit Erläuterungen), S.88-90)
In dem Roman "Arnes
Nachlaß" von
Siegfried
Lenz berichtet Wiebke, die Tochter in der Pflegefamilie, in der
die Titelfigur Arne nach dem Tod seiner Familie Aufnahme gefunden hat,
ihrem älteren Bruder Hans, was sie über den erweiterten Suizid und seine
Umstände Arne hatte entlocken können.
"Im Schneidersitz, nur im Schlafanzug, hockte sie auf meinem
marokkanischen Sitzkissen und sah mich bei ihrer Erzählung gespannt
an, vermutlich erwartete sie, dass ich die gleiche Enttäuschung
zeigen würde, die sie empfand – uns sie war enttäuscht über den
Inhalt von Arnes Erzählung, schon ihrer Stimme war es anzumerken.
Ich
erinnerte sie daran, was wir alle uns vor Arnes Ankunft versprochen
hatten und warf ihr vor, dies Versprechen gebrochen zu haben; obwohl
sie krank war, bekam sie zu hören, was sie durch ihren Wortbruch
verdient hatte, jedenfalls ließ ich sie meine ganze Erbitterung
spüren, und sie wurde nicht nur nachdenklich, sondern war auch nahe
daran, zu weinen. Aber auf einmal – und es überraschte mich nicht –
begann sie sich zu verteidigen, Wiebke war niemals bereit, einen
Vorwurf endgültig hinzunehmen oder eine eigene Schuld anzuerkennen,
wies sie meine Anklage zurück und sagte plötzlich: Hör auf, hör doch
endlich auf, ich kenne Arne besser als ihr alle zusammen. Ihr wollt,
dass er nicht ausgefragt wird, dass wir einen Bogen machen um sein
Unglück, aber du kannst mir glauben: Er ist nicht einmal erstaunt,
wenn du ihn danach fragst, er sitzt ganz ruhig da und erzählt alles,
was er weiß, was er noch weiß, und danach sieht er dich an, als
wollte er dir danken, fürs Zuhören danken. Nachdem Wiebke sich mit
diesen Worten gerechtfertigt hatte, erwartete sie wohl meine
Zurechtweisung, aber ich wollte nicht mit ihr streiten, ich riet
ihr, sofort wieder ins Bett zu gehen. Sie gehorchte. Sie tappte zur
Tür und bevor sie verschwand, brachte sie mir noch bei, dass sie
Arne den Zirkel vermacht hatte, mein Geschenk. Angeblich hatte Arne
sie um etwas gebeten, um etwas Kleines, Persönliches, und weil ihr
nichts anderes einfiel und sie nichts anderes fand, hatte sie ihm
den Zirkel geschenkt. Um sich vorbeugend zu rechtfertigen, sagte
sie: Ich hab ja das große Etui, in dem alles drin ist." (aus: Siegfried Lenz, Arnes Nachlaß,
München: dtv 2001, S.54f.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
21.04.2025
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