▪
Wolfgang Walla, Wie man sich durch statistische Grafiken täuschen lasst,
Statistisches Landesamt
Baden-Württemberg, 2. Auf. 2011 (pdf-Download)
▪
Unsachgemäße
Gestaltung bei Säulendiagrammen mit Piktogrammen erkennen
▪
Vorsicht Augenmaß! - Flächen und Volumen
"Mit Statistiken kann
man leicht lügen. Ohne Statistiken ist es schwer, die Wahrheit zu
sagen.“ (Andrejs Dunkels)
Es kommt gar nicht
selten vor, dass statistische Daten, die uns als Bild in ▪
Bildstatistiken bzw. Diagrammen
oder komplexeren ▪
Infografiken und in Texten allerorten
begegnen, entweder auf einer fragwürdigen Datengrundlage stehen. Oft
kommt es dann dazu, dass "Fakten" präsentiert werden, die bei genauerer
Prüfung falsch sind.
Wenn Statistiken
"lügen", werden Äpfel und Birnen zusammengeworfen, Fragen
suggestiv gestellt, Trends fahrlässig fortgeschrieben, Raten, Quoten
oder Mittelwerte kunstwidrig berechnet, Wahrscheinlichkeiten
vergewaltigt oder Stichproben verzerrt", kein Wunder also, " dass Lüge
und Statistik für viele zusammengehören" (Krämer
2015, S.12)
Dabei ist im
Allgemeinen davon auszugehen, dass solche statistischen "Lügen" häufig
unabsichtlich erfolgen und die Personen, die sie weitergeben, oft nicht
wissen, dass sie falsch sind. Sie machen, einfach gesagt, unsachgemäß
Gebrauch von statistischen Daten und ziehen Rückschlüsse daraus,
die falsch sind. Vielen fehlt einfach auch das nötige Wissen und die
Kompetenzen, die ihnen helfen, statistische Daten kritisch zu
beurteilen. Dabei sind auch Kenntnisse und Kompetenzen gefragt, die
nicht zum Deutschunterricht zählen, sondern vor allem im Fach Mathematik
zu vermitteln sind.
Die wichtigsten
Missverständnisse, aber auch Quellen der
Manipulation, entstehen z. B. wenn
-
die Darstellung zu
komplex, überladen oder mehrdimensional ist, und damit die
Verständlichkeit beeinträchtigt ist
-
die gewählten Farben
suggestiv wirken
-
mit den Daten,
bewusst oder unbewusst, eine Scheingenauigkeit vorgetäuscht wird,
die z. B. auf einer Überinterpretation der Daten beruht
-
emotional aufgeladene
Begriffe (»loaded
terms), die bestimmte
Konnotationen hervorrufen können, werden
zur Beschriftung des Diagramms oder der komplexen Infografik oder in
deren Kontext verwendet
-
der Begleittext zur
Darstellung dem, was die Bildstatistik aussagt, inhaltlich nicht
entspricht,
-
die ▪
Elemente der ▪
Bildstatistik ungenügend beschriftet sind oder ganz fehlen
-
ein
Diagrammtitel oder
die Headline einer komplexeren Infografik als
Fazit-Titel
schon eine bestimmte Interpretation vorwegnimmt
-
ein unpassend
gewählter Maßstab der
▪ Achsen
bzw. in der Darstellungsgröße der
▪
Datenpunkte/Merkmale (zu klein, zu groß, uneinheitliche
Achs-Intervalle oder Klassenbreiten) gewählt wurde
-
der Bezugsrahmen für
die korrekte Interpretation des Dargestellten deshalb fehlt, weil
Basisgrößen (meist Absolutzahlen oder Basisjahre) weggelassen oder
unkorrekt gewählt wurden oder solche Größen unbekannt sind
(vgl.
Walla (2011,Vorwort)., leicht verändert und ergänzt).
Missverständnis oder Manipulation?
Was hier allgemein über
die Möglichkeit ausgesagt wird, wie Statistiken aller Art trügen und
täuschen können, gilt in besonderer Art und Weise für die ▪
Bildstatistiken, die besonders
effektiv "lügen" können. Sie verfügen nicht nur über besondere
Möglichkeiten zur Datenkosmetik, sondern können sich dabei auch noch auf
Besonderheiten bei der kognitiven Verarbeitung von Bildinformationen
durch unser Gehirn stützen.
Wenn der Autor einer ▪
Bildstatistik
weiß, dass wir ▪
bildliche Informationen holistisch, schnell und besonders effizient
verarbeiten, kann er dies für seine Kommunikationsziele nutzen. Ob
er dies im Sinne rationaler Verständigung und einer ▪
vernunftorientierten
Argumentation tut, oder andere Ziele verfolgt, um seine Rezipienten
für diese unbewusst beeinflussen will, macht dabei den eigentlichen
Unterschied.
Im ersten Fall dient
eine Bildstatistik dazu, auf einen Rezipienten dadurch Einfluss zu
nehmen, dass sie ihn über einen bestimmten Sachverhalt möglichst
"objektiv" informiert und/oder eine bestimmte Position mit nachprüfbaren
statistischen Angaben zu untermauert.
Im zweiten Fall will
sie den Rezipienten mit suggestiven Mitteln in eine bestimmte Richtung
drängen, ohne dass diesem die Art und Weise, mit der dies angestrebt
wird, bewusst werden soll. Daher werden die dargebotenen Daten so
"aufbereitet", dass sie eine klare Deutungsperspektive enthalten.
Diesen Vorgang
bezeichnet man auch als
Manipulation.
Sie ist dann erfolgreich, wenn es bei dieser Art der Einflussnahme auf
eine andere Person oder Personengruppe gelingt, diese auch gegen ihre
Überzeugungen und Interessen in bestimmte Richtungen des Denkens und des
Handels zu lenken. Wer im Zuge der Bildkommunikation manipuliert wird,
handelt dementsprechend nicht aus eigenen Einsichten oder Überzeugungen,
sondern fremdbestimmt.
In der
Alltagsargumentation gibt es zahlreiche ▪
Methoden
eristischer Argumentation aus dem sog. ▪
rhetorischen
Giftschrank (▪
Bonbons, ▪
Emotionalisieren, ▪
Andeuten, ▪
Scheinalternativen, ▪
Selbstbekehrung, ▪
rhetorische Fragen), die darauf abzielen, den anderen, ohne
ihn zu überzeugen, zu bestimmten Handlungen zu bewegen oder ihm die
Übernahme bestimmter Einstellungen zu suggerieren.
Die ▪
Bildkommunikation hat hierzu
ihre eigenen Mittel. ▪ Ihre
besonderen Vorzüge macht sie zugleich auch für die Manipulation
besonders anfällig. Mit ihrer ▪
hohen Kommunikationsgeschwindigkeit, der ▪
fast automatischen Aufnahme der Bilder, ihrer ▪
besonders effizienten Informationsverarbeitung, der ▪
subtilen Übermittlung von Einstellungen und Gefühlen und der
gemeinhin ▪
hohen Glaubwürdigkeit von Bildern macht sie uns als Rezipienten und
Rezipientinnen auch besonders anfällig dafür, auf Manipulation
"hereinzufallen". So nutzen wir Bildstatistiken eben auch oft "wie ein
Betrunkener einen Laternenpfahl: vor allem zur Stütze unseres
Standpunktes und weniger zum Beleuchten eines Sachverhalts." (Andrew
Lang, zit. n. Krämer
2015, S.12)
Dementsprechend
verarbeiten wir auch nicht jede Bildstatistik unvoreingenommen, sondern
lassen bei der gewöhnlich schnellen und automatischen Rezeption jene
Informationen gar nicht an uns heran, die nicht zu dem passen, was wir
sonst über Gott und die Welt denken. Das
▪
Meine-Seite-Denken (Myside-Bias)
spielt also auch bei der Rezeption von Bildstatistiken eine wichtige
Rolle.
Bei der Kritik an
Manipulation durch Bildstatistiken ist es im Übrigen grundsätzlich
unerheblich, ob sie eher Zielen dienen sollen, die sich im politischen
Spektrum links oder rechts finden. Dementsprechend ist es auch
prinzipiell gesehen egal, ob sie "Argumente" gegen die drohende
Klimakatastrophe präsentieren oder rechtspopulistische Propaganda gegen
die Einwanderung visualisieren.
Natürlich ist alles
auch eine Frage der Bewertung, ob wir die Ziele, die mit einer
trügerischen Bildstatistik verfolgt werden, eher teilen oder nicht. Wer
sich für das Klima einsetzt, ist - im Sinne des
▪
Meine-Seite-Denkens (Myside-Bias)
– angesichts des Tempos, das geboten ist, um einer
Klimakatastrophe zu entgehen, sieht sich u. U. als Klimaaktivist
legitimiert, die Daten und ihre Darstellung so zu manipulieren, dass
auch die anderen zum Handeln bewegt werden.
Daraus folgt natürlich: Wer Diagramme differenziert
beschreiben und auswerten kann, ist auch nicht so einfach zu
manipulieren.
So können Bildstatistiken täuschen
Hier werden nur
einige wenige Beispiele präsentiert, die mehr oder weniger
offensichtlich dafür sorgen, dass ein verzerrtes Bild der Daten
entsteht, die von einer Bildstatistik visualisiert werden.
Im Grunde genommen
fällt es dabei gar nicht so schwer, um zu erkennen, wie solche
Bildstatistiken uns beeinflussen sollen. Vorausgesetzt: Wir schauen
genau hin und rezipieren die Bildstatistik, das Diagramm oder die
komplexe Infografik nicht schnell, einfach so nebenbei, ohne dass
wir uns gedanklich damit wirklich beschäftigen.
Wenn wir wissen,
dass uns unsere ▪
Wahrnehmung und unsere eigene Voreingenommenheit (▪
Meine-Seite-Denkens (Myside-Bias)) in eine bestimmte
Richtung drängen, ist es notwendig, sich aus einer Position der
kritischen und selbstkritischen Distanz gerade mit jenen
Bildstatistiken zu beschäftigen, deren Aussage uns sofort
einleuchten. Beim Durchblättern einer Zeitung oder beim kurzen
Aufrufen einer Internetseite, die eine bestimmte Infografik zeigt,
bleibt nämlich, um es salopp zu sagen, einfach zu viel hängen, ohne
dass wir davon wissen. Und genau das wissen auch ihre Autorinnen und
Autoren, wenn sie uns mit "guten" oder "bösen" Absichten mit ihrer
Interpretation von Daten beeinflussen wollen.
Einen
ausgezeichneten Überblick mit zahlreichen Beispielen über die
verschiedenen Möglichkeiten, mit denen Bildstatistiken täuschen
können, hat
Walla(2011) zusammengestellt. Die Broschüre kann kostenlos als »pdf-Download
heruntergeladen werden.
Gestauchte y-Achse ohne Darstellung des Nullwertes auf der Skala
Ein immer wieder
verwendetes Mittel, um die Wahrnehmung und die Interpretation von
Daten in einer Bildstatistik zu beeinflussen, ist der Verzicht auf
die Angabe des Nullwertes in einem Rubrikendiagramm auf der ▪
y-Achse (Werte- bzw. Größenachse).
So beruhen beide
Diagramme in dem nachfolgenden Beispiel auf den gleichen Werten,
ergeben aber ein gänzlich anderes Bild beim ▪
Häufigkeitsvergleich.

Für
größere Ansicht bitte an*klicken*tippen1
Während die Zunahme
der Werte in dem Beispiel mit den abgeschnittenen Säulen signifikant
(über-)betont wird, vermitteln die normalen Säulen in einem
entsprechenden
▪
Säulendiagramm, das vom Nullwert ausgeht, im Vergleich damit den
Eindruck eines eher moderaten Anstiegs der Werte.
Bei den
abgeschnittenen Säulen kann man von
Manipulation
sprechen, ohne die inhaltlichen Absichten, die hinter einer solchen
Darstellung stehen, zu bewerten. Was es bedeuten kann, lässt sich
leicht ermessen, wenn man mit solchen Techniken die öffentliche
Meinung in kontroversen Fragen beeinflussen will, wie z. B. Wie
viele in Deutschland lebende Ausländer sind in einem bestimmten
Zeitraum strafffällig geworden?
Um den Vorwurf der
suggestiven Manipulation wenigstens etwas zu entkräften, sollte die
Art des y-Achsenbruchs verdeutlicht sein, für die es
unterschiedliche grafische Gestaltungsvarianten gibt.

Aber selbst dann,
wird man, angesichts der Tatsache, dass viele Bildstatistiken,
wie oben erwähnt,
schnell und fast automatisch ohne größere gedankliche Anstrengung
verarbeitet werden, solche Symbole beim ersten, schnellen Blick auf
die Bildstatistik nicht erkennen.
Das liegt auch
daran, dass bei der Wahrnehmung und Verarbeitung einer derartigen ▪
abbildenden Darstellung (depictive representations, depiktionale
Darstellungen) von uns erworbene ▪
kognitive
Diagrammschemata (graphic schemata)
in einem ▪
zweischrittigen Verfahren ins Spiel kommen, mit denen wir eine
bestimmte Zunahme oder Abnahme von Mengen in einem ▪
Säulen-
oder ▪ Balkendiagramm oder einen
bestimmten An- oder Abstieg von Linien in einem ▪
Linien-
oder Kurvendiagramm, mit gängigen Konventionen
übereinstimmend, als gravierend oder weniger gravierend einschätzen.
Kurz und gut:
Gestauchte y-Achsen ohne Darstellung des Nullwertes auf der Skala
spekulieren der intendierten Wirkung halber darauf, dass uns diese
Diagrammschemata bei der Rezeption so steuern, wie dies die
Macher*innen der Bildstatistik anstreben. Das gilt im Übrigen auch
für die nachfolgenden Beispiele.
Erweitern oder Verringern des y-Achsenmaximums
Ähnlich wie
gestauchten y-Achsen ohne Darstellung des Nullwertes auf der Skala
beeinflusst die Änderung der maximalen Länge der Werteachse das
Gesamtbild der Bildstatistik, indem es wie bei dem nachfolgenden
Lienendiagramm einen unterschiedlich starken Anstieg der Wertelinie
bewirkt.

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So werden z. B. mit
einem kleineren Maximum bei einem ▪
Zeitreihenvergleich in einem ▪
einfachen Vergleich der Grad des Anstiegs betont, um ggf. die
Vorstellung eines klaren und deutlichen Trends nahezulegen oder wenn
wechselnde Hoch- und Tiefpunkte gibt, diese als
Volatilität (lateinisch volatilis
= fliegend, flüchtig) bezeichneten Schwankungen
hervorzuheben. Bei einem ▪ doppelten
Vergleich oder ▪
Mehrfachvergleich können die Abstände zwischen den miteinander
zu vergleichenden Linien betont werden.
Vergrößern oder Verkleinern des Verhältnisses der
Diagrammflächenabmessungen
Es muss aber gar nicht der direkte Eingriff in die Rubriken sein,
mit denen eine ganz unterschiedliche Wirkung einer Bildstatistik
erzeugt werden kann. Eine, digital sehr einfach umzusetzende
Möglichkeit besteht darin, einfach die Abmessungen der
Diagrammfläche dadurch zu verändern, dass man sie in vertikaler oder
horizontaler Richtung "verzerrt".

Für größere Ansicht bitte an*klicken*tippen!
Das Ändern des
Verhältnisses der Abmessungen eines Diagramms wirkt sich auf die
Darstellung des Diagramms aus.
Rubrikendiagramme ohne detaillierte Skalen
Es kommt gar nicht so selten vor, dass Bildstatistiken ohne
detaillierte Skalen in der Form von Rubrikendiagrammen präsentiert
werden. Sie zielen eindeutig darauf ab, dass sie "gedankenlos" mit
ihrer Botschaft z. B. bei einem ▪
Häufigkeits-/Mengenvergleich
wie im folgenden Beispiel wahrgenommen und verarbeitet werden.

Letzten Endes wird
der Rezipient bzw. die Rezipientin dabei bewusst im Unklaren darüber
gelassen, ob die Säulen von einem Nullwert ausgehen, ob die
Säulen abgeschnitten sind oder nicht. Die Hilfslinien die von
der Wertachse zu den einzelnen Säulen gehen, dienen zudem der
Betonung des Unterschiedes.
Dass hier
manipuliert
werden soll, liegt auf der Hand. Und: Es ist auch hier, wie stets
bei der Bildkommunikation, schwer, sich der
Manipulation
zu entziehen. Steht darüber noch ein
Fazit-Titel,
dann ist davon auszugehen, dass auch bei einer flüchtigen Rezeption
des Diagramms hängenbleibt, was die Macher*innen bzw.
Verwender*innen der Darstellung beabsichtigen.
Unsachgemäße Skalierung von Piktogrammen
Ein immer wieder zu
beobachtender "Fehler" bei der Diagrammgestaltung ist die
unsachgemäße Skalierung von Piktogrammen, z. B. in ▪
Säulendiagrammen wie in dem
nebenstehenden Beispiel.

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Einem ganz ähnlichen Problem sieht man sich als Betrachter bzw. als
Betrachterin häufig Bildstatistiken gegenüber, statistische Daten als
Flächen- oder Volumenverhältnisse ohne umgebende Rubriken darstellt.
Schon
»Wiilard
C. Brinton (1880-1957)
(1919, S. 39) kam
zum Schluss, dass die nebenstehende Bildstatistik im Stil
»Michael George Mulhalls (1836-1900) die ihnen zugrunde liegenden Daten
und Mengenverhältnisse nicht korrekt visualisieren. So erscheine der größere
Mann von 1911 wegen nicht korrekter Proportionen mehr als nur 2 1/4-fach
bedeutsamer als der von 1899, wie dies eigentlich die angegebenen Daten
signalisieren. Ließe man die Daten gänzlich weg, hätte ein Betrachter nicht
einmal die Möglichkeit, diesen (suggestiven) visuellen Eindruck zu
überprüfen.
Auch »Otto
Neurath (1882-1945) und »Gerd
Arntz (1900-1988),
die die ▪ Isotype-Methode der ▪
Wiener Methode der Bildstatistik um
1924 begründet haben, schließen sich dieser Kritik an grundsätzlich
gestaltet sind. Isotype stellt, um "Gesellschaft und Ökonomie verständlich"
(Jansen/Scharfe
1999, S.36) auch für einen "Durchschnittsbetrachter" verständlich zu
machen, die statistischen Daten gerne als Flächen oder Volumen dar, die in
künstlichen oder natürlichen Dingen vorkommen. Allerdings verzichtet die
Isotypie auf unterschiedlich große Figuren/Piktogramme und verwendet
stattdessen eine Mehrzahl kleinerer Figuren, wie auch im mittleren Beispiel
der obigen Abbildung und vermeidet damit die ▪
Problematik, die mit Flächen- und Volumenvergleichen einhergeht. (vgl.
auch: ▪
Vorsicht Augenmaß! - Flächen und Volumen)
Das manipulative "Spiel" mit den Aussagen einer Bildstatistik
Schwieriger als solche Manipulationstechniken zu "enttarnen", die
auf der besonderen Art unserer visuellen Wahrnehmung und kognitiven
Verarbeitung von Bildern bzw. Bildstatistiken, Diagrammen und
Infografiken beruhen, sind Interpretationen, also Rückschlüsse, die
aus bestimmten Daten und ihren Relationen zueinander gezogen werden
und z. B. in einem Zusatztext (Kontext) oder im
Fazit-Titel
einer Infografik, vorgenommen werden, häufig schwieriger als
trugschlüssig zu erkennen.

Wenn jemand aus der Bildstatistik ▪
Ganztägige Fehltage in den Klassen 10 und 11 den Schluss, zieht,
dass Schülerinnen und Schüler immer stärker die Schule schwänzen,
dann lassen, die Daten, die diesem Diagramm zugrunde liegen, diesen
Rückschluss nicht zu. Aus welchem Grund die Fehltage zustande
kommen, gebt die Anzahl der Fehltage schließlich nicht an. Wenn man
die Fehltage miteinander in den verschiedenen Klassen miteinander
vergleicht, kann man zwar quantitative Unterschiede feststellen,
mehr aber auch nicht. Die Gründe dafür liegen auf jeden Fall
jenseits dieser statistischen Daten.

Und wenn eine
Lehrperson Eltern und Schüler*innen mit dem oben stehenden ▪
Spannen-Säulendiagramm rechtfertigen will, dass er keine zu
strengen Noten gibt, weil er bei seinen Klassenarbeiten das ganze
Notenspektrum ausschöpft und insgesamt einen Durchschnitt von 3,7
errechnet hat, ist eben auch dies nur die "halbe Wahrheit".
Denn, wenn lediglich die die jeweils schlechteste und die jeweils
beste Note einer Klassenarbeit erfasst, kann man nur die
Notenschwankungsbreite in einer Klasse ermitteln. So zeigt dieses
Diagramm eben auch nur, dass im Laufe eines Jahres eine
Notendifferenzierung eingetreten ist, die nahezu alle Noten
ausgeschöpft hat. Ferner zeigt die Übersicht, dass manche Arbeiten
eine größere Leistungsdifferenzierung ermöglichten als andere. Über
die Häufigkeitsverteilung von Noten sagt das Diagramm allerdings
nichts aus.
Darüber hinaus gibt es viele Fälle in die Irre führender
Bildstatistiken bzw. Diagramme, die bestimmte Relationen zwischen
Daten präsentieren, die, logisch betrachtet, nicht in dieser Weise
in Beziehung gesetzt werden können, um bestimmte Aussagen zu
ermöglichen.
So führt die Wahl der Bezugsgröße zu ganz unterschiedlichen
Ergebnissen und Visualisierungen in Bildstatistiken, die nicht wie
in den Beispielen oben durch Änderung ihrer Bestandteile in die Irre
führen, sondern, statistisch betrachtet, auf einer
"Milchmädchenrechnung" beruhen, die nur vordergründig aufgeht.
So kann man z.B. das Risiko eines tödlichen Unfalls beim Fliegen
oder Bahnfahren dadurch miteinander vergleichen, dass man die
entweder die die Anzahl der transportierten Personen (P) oder die
geflogenen (gefahrenen) Kilometer (= Strecke S) zur Bezugsgröße für
den (bild-)statistischen Vergleich macht. Oder man kann die
Behauptung, Frauen seien die besseren Autofahrer, durch Wahl der
Unfallhäufigkeit als Bezugsgröße "begründen", obwohl die
Fahrhäufigkeit bzw. die Anzahl der von beiden Geschlechtern
tatsächlich gefahrenen Kilometern die richtige Bezugsgröße darstellt
und im ersten Fall nur eine scheinbare Korrelation besteht.
Solche
Scheinkorrelationen, die vorgeben, als gebe es einen "Widerklang von
zwei Variablen", kann nämlich "auch andere Ursachen als eine
Abhängigkeit in der einen oder anderen Richtung haben" und "viele
Korrelationen sind auch ein reines Kind des Zufalls und haben mit
keiner Kausalität etwas zu tun, weder zwischen den jeweiligen
Variablen noch zwischen diesen und irgendeiner anderen." (Krämer
2015, S.178) Nur weil einige Jahrzehnte "Aktienkurse und
Rocksäume erstaunlich parallel (verliefen)" (ebd.,
S.179), besteht zwischen beiden Sachverhalten eben nicht der
geringste Zusammenhang.
Im Bereich der ▪
Grundstrukturen logischer Argumentation
der
▪
Rhetorik
kennt man diese Problematik im Zusammenhang mit ▪
induktiven
Argumenten (z. B.
▪
statistische Argumente, ▪
kausale Argumente)
Vor solchen "Fehlgriffen bei der Wahl der Bezugsmenge" (ebd.,
S.53) sind auch namhafte, seriöse Tageszeitungen nicht gefeit: So
hat die New York Times damit einer Theorie über die Ursachen des
Alkoholismus Vorschub geleistet, die den Grund, weshalb "Männer oft
zur Flasche greifen", in ihren Ehefrauen sieht: "Denn zwei Drittel
aller Säufer sind verheiratet, und so kombinierte man, dass die
Ehefrau den Drang zur Flasche fördern müsse. In Wahrheit besagt aber
der Anteil der Ehemänner unter den Alkoholikern für sich allein
genommen nicht das Mindeste. Dazu müssen wir den Anteil der
Ehemänner an der Risikogruppe (d.h. den Männer im heiratsfähigen
Alter) kennen, und sollte dieser zwei Drittel übersteigen, [...],
deutet obige Statistik sogar ganz im Gegenteil auf eine ernüchternde
Wirkung des Ehelebens hin." (ebd.,
S.53f.)
Eine Vielzahl solcher und ähnlich gelagerter Fälle komplexer
Sachverhalte hat Walla
(2011)aufgearbeitet. Die Beispiele, die er dafür gibt, wie man sich
durch statistische Größen täuschen lässt, sind allerdings zum Teil
ohne entsprechendes Vorwissen nicht ohne Weiteres nachvollziehbar
und dürften den hier vorgegebenen Zusammenhanf bei der ▪
Analyse diskontinuierlicher Sachtexte bzw. der ▪
Analyse und Beschreibung von
Infografiken, Bildstatistiken bzw. Diagrammen, aus didaktischer
Perspektive gesehen, sprengen.
Alles unter Manipulationsverdacht stellen?
Bei der ▪ Analyse und
Beschreibung von Infografiken, Bildstatistiken bzw. Diagrammen
in der Schule haben es die Schülerinnen und Schülern im Allgemeinen
nicht mit rein wissenschaftlichen Diagrammen zu tun. Im Umfeld der ▪
schulischen Infografikanalyse
sind es eher ▪
PR-Infografiken und
▪ journalistische Pressegrafiken
unterschiedlicher Art, die in der Kommunikation bestimmte Ziele
erreichen sollen. Sie werden von unterschiedlichen
gesellschaftlichen Akteuren produziert
und in Dienst ihrer
jeweiligen Ziele gestellt, seien es Parteien, Verbände, die
Wirtschaft allgemein oder einzelne Wirtschaftszweige oder auch die
Medien.
Mal scheuen sie, wie z. B. in diktatorischen Regimen oder dort,
wo sie die Meinungshoheit haben (z. B. in bestimmten privaten
Fernsehkanälen) glatte Lügen mit Bildstatistiken zu verbreiten. Aber
auch in einer pluralistischen demokratischen Gesellschaft, in der
sich heutzutage viele Menschen in bestimmten Informationsblasen
bewegen, die immer wieder die eigene Voreingenommenheit bestätigen,
bestehen mittlerweile große Einfallstore für (Bild)Statisken aller
Art, die im Grunde der Desinformation dienen und die Menschen, die
sie erreichen, manipulieren wollen.
Aus diesem Grund und den eingangs immer wieder erwähnten
Besonderheiten bei der Bildkommunikation ist bei der schulischen
Analyse von Bildstatistiken und Infografiken stets die Einnahme
einer Position kritischer Distanz erforderlich. Insbesondere ist
"eine gesunde Portion Skepsis gegen alle Zahlen" geboten, "deren
Produzenten auch die Nutznießer sind." (Krämer
1991, 2001, 7. Aufl. 2008, S.220) Pointiert zusammengefasst:
"Jede Statistik, die von einer interessierten Seite selbst erstellt
und verbreitet wird, ist
bis zum Beweis des Gegenteils als
manipuliert zu betrachten." (ebd.,
S.221)
Und: Ob das
vielfach verwendete Zitat: »"Ich
glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe…",
wirklich dem ehemaligen englischen
Premierminister »Winston
Churchill (1874-1965) zugeschrieben werden kann oder nicht oder
der evangelische Theologe »Otto
Dibelius (1880-1967) sein Urheber ist, ist hier weitgehend ohne
Belang: "Richtig bleibt der Rat des Misstrauens. Gegenüber
Statistiken — und Zitaten." (Churchill, Statistik und falsche
Zitate, in: »Westdt.Ztg.
v. 15.08.2018)
▪
Wolfgang Walla, Wie man sich durch statistische Grafiken täuschen
lasst, Statistisches Landesamt
Baden-Württemberg, 2. Auf. 2011 (pdf-Download)
▪
Unsachgemäße Gestaltung bei
Säulendiagrammen mit Piktogrammen erkennen ▪
Vorsicht Augenmaß! - Flächen und Volumen
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
28.08.2023
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