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Themabereich: LesEN »
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KOMPLEXE Lese- und Rezeptionsstrategien
▪
Primär- und Stützstrategien
▪
SQ3R-Technik
▪ PQ4R-Methode,
▪
MURDER-Schema
▪
Lesen und Textverstehen
(CI-Modell)
Von den ▪
Lesetechniken kommt die Technik des
sequenziellen Lesen wohl unserem Alltagsverständnis von Lesen am
nächsten. Dabei gehen wir meistens davon aus, dass wir einen Text
fortlaufend so lesen, wie er aufgebaut ist und dies in der üblichen ▪
Leserichtung von links
nach rechts und zeilenweise von oben nach unten.
In
Wirklichkeit lesen wir aber in weitaus unterschiedlichen Varianten und
wie wir es tatsächlich tun, hängt von vielem ab: dem Text, den
Erwartungen, die wir an den Text haben, unseren Leseerfahrungen und -motivationen
usw.
Das Lesen
▪
diskontinuierlicher Texte, das weiß jeder, der einen mit
Schaubildern, Tabellen o. ä. "gespickten" sonst eigentlich
kontinuierlich daherkommenden Text zur Hand nimmt oder auf einer
Internetseite einem Link (Hypertext) folgt, kann man gar nicht als
Ganzes sequenziell, eins nach dem anderen, lesen, sondern man muss immer
das sequenzielle Lesen immer wieder unterbrechen, muss wieder neu
ansetzen, vielleicht zum Ausgangspunkt zurückkehren usw. Die
verschiedenen ▪
Sehflächen
diskontinuierlicher Texte erzwingen nämlich, ob wir das wollen oder
nicht, eine Aufteilung der Aufmerksamkeit auf die textuellen und
bildlichen Zeichensysteme. (vgl.
Ballstaedt 2005, S.61)
Beim sequenziellen Lesen wird der Text
im Gegensatz zu anderen Lesetechniken wie z. B. dem ▪
orientierenden, dem ▪
diagonalen,
dem ▪
punktuellen
oder ▪ suchenden Lesen und
vollständig in einem
linearen Lesevorgang gelesen. Dabei wird die sogenannte ▪
Textbasis
erfasst, die aus Mikro- und
Makrostrukturen eines Textes besteht.
Bei
kontinuierlichen Texten ist es das Ziel dieser Lesetechnik, dem
Textfluss und ▪ dem darin dargestellten Inhalt
und/oder ▪ darin niedergelegten Gedankengang
zu folgen und dabei einen Sinnzusammenhang des Textes unter Heranziehung
des eigenen Wissens (z. B.
Weltwissen, Fachwissen,
Sprachwissen, Textmusterwissen,
Textstrukturwissen) zu ▪
konstruieren.
Dabei
werden zunächst die einzelnen Aussagen auf der lokalen Textebene (sog.
Mikroppropositionen) erfasst, die als bedeutungstragende Einheiten
in unterschiedlichem Maße miteinander verknüpft sind. Von großer
Bedeutung sind dabei, insbesondere bei Texten mit dominierender
argumentativer Themenentfaltung,
Verknüpfungswörter wie z. B.
▪ Konjunktionen und andere
Kohäsionsmittel,
die auf Textebene
Kohärenz zwischen verschiedenen Textelementen herstellen können
Die so
"erlesene" und "rekonstruierte"
Mikrostruktur des Textes wird dabei mit den sogenannten
Makrostrukturen des Textes in Beziehung gesetzt, die den Text
strukturieren und gliedern. (= Makrostruktur).
Beides zusammen stellt die Textbasis
dar, die das Ergebnis einer semantischen und syntaktischen Analyse des
Textes durch den Leser darstellt.
Solche
Makrostrukturen sind zum einen skripto- und typographischen Mittel
wie z. B. Absätze oder Überschriften, Zwischenüberschriften und
Aufzählungen, die im Text hervorgehoben sind. Solche makrostrukturellen
Signale können, wenn Lesetechniken wie das ▪
orientierende oder ▪
diagonale
Lesen vorangehen oder in einer komplexeren ▪
Strategie zur Organisation des ▪
Lese- und Rezeptionsprozesses
miteinander verbunden werden, schon vor dem sequenziellen Lesen erfasst
worden sein. Die Ergebnisse dieses Lesens werden, wenn das sequenzielle
Lesen als Anschlusstechnik fungiert, in den aktuellen Leseprozess
eingebracht. Sind diese Signale bis dahin noch nicht erfasst, kann ihre
Erfassung auch noch im Rahmen des sequenziell angelegten Lesens
erfolgen.
Zum
anderen rücken beim sequenziellen Lesen auch andere, explizite
Formulierungen als Makropropositionen ins Blickfeld. Das können
Formulierungen wie sein wie "zum Beispiel", "die Schlussfolgerung
lautet", "als Hauptargument ist anzusehen" etc. Sie haben, wie die
anderen Signale auch, die Aufgabe, die gefundenen Aussagen
(Mikropropositionen) in einen übergeordneten, die Aussagen als Ganzes
(inhaltlich, thematisch oder argumentativ) strukturierenden Zusammenhang
zu stellen.
Schwieriger wird es, wenn ein Text fast ohne skripto- und typographische
und explizite Formulierungen, , gestaltet ist wie z. B. in vielen
literarischen Texten. Dann muss man nämlich den Text als Ganzes oder in
bestimmten Teilen selbst gliedern und ordnen und dabei geeignete
Sinnabschnitte im Sinne von übergeordneten Bedeutungszusammenhängen
bilden. Und spätestens dann wird klar, dass bei der Bildung von
Makrostrukturen neben textseitigen Merkmalen auch leserseitige Aspekte,
die vor allem mit dem jeweiligen Vorwissen des Lesers zusammenhängen,
ins Spiel kommen.
Um den Text nämlich wirklich zu verstehen, muss der Leser die Textbasus
mit seinem eigenen Wissen "anreichern" (Philipp
2015b, S.218) Erst mit Hilfe dieses
Wissen kann ein Leser letztlich die im Text explizit enthaltenen Informationen
organisieren und text- und vorwissenbasierte Schlussfolgerungen (Inferenzen)
ziehen. Zugleich gelingt es ihm erst damit, "eine genaue Vorstellung
über die Textinhalte, die weit über das hinausgehen kann, was der Text
an konkreten Propositionen anbietet", (ebd.)
zu entwickeln. Als Ergebnis dieser Anreicherung, die über den
technischen Vollzug des sequenziellen Lesens hinausreicht, entsteht aus
der Textbasis das sogenannte ▪
Situationsmodell des Textes. Dies kann aber, selbst wenn die Grenzen
hier wieder einmal zwischen den Lesetechniken sehr fließend sind, auch
im Rahmen eines eventuell nachgelagerten ▪
intensiven Lesens geschehen.
Beim
sequenziellen Lesen wird der Text in der Regel analog oder digital ▪
annotiert. Dabei werden Hervorhebungen
und Markierungen verschiedenster Art im Text selbst vorgenommen oder
Randbemerkungen und Notizen am Seitenrand angebracht.
Ebenso
werden Konspekte
beim sequenziellen Lesen oder auch
Exzerpte
geschrieben.
Die
Annotationen, die beim sequenziellen Lesen vorgenommen werden,
dienen dabei der Herausarbeitung der oben dargestellten
Textbasis, dem Zusammenwirken von Mikro-
und Makropropositionen des Textes. Dafür kann man sich verschiedener
Methoden bedienen.
-
Als besonders hilfreich erweist sich, bei der Rekonstruktion von
Texten mit einer überwiegend
argumentativen Themenentfaltung, wenn z. B. auftauchende
Verknüpfungswörter "eingekringelt" werden.
-
Bei literarischen (fiktionalen) Texten, z. B. bei
Erzähltexten, kann man auf diese oder ähnliche Art und
Weise beim sequenziellen Lesen wichtige Erzählstrukturen
erfassen (vorkommende Figuren, Ortswechsel, Zeitsprünge etc.).
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SQ3R-Technik
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Lesen und Textverstehen
(CI-Modell)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
29.08.2020