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Themabereich: Lesen
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Lese- und Rezeptionsstrategien
▪
Primär- und Stützstrategien
▪
SQ3R-Technik
▪ PQ4R-Methode,
▪
MURDER-Schema
Was früher und
heute gelesen wurde und wie man da tut, ist dem Wandel der Zeiten
unterworfen. Und:
Ob man heute überhaupt liest, wie und was man liest, ändert sich auch im Laufe eines
menschlichen Lebens. Dabei ist die Altersentwicklung natürlich nur ein Aspekt
des Ganzen.
Hinzu kommen natürlich noch eine Vielzahl anderer Gesichtspunkte,
die nur indirekt in einem Zusammenhang mit dem ▪
Lesen stehen, wie
Bildung, soziale Schichtzugehörigkeit usw. Aber meisten hat wohl die ▪
Digitalisierung das Lesen verändert, das über viele Jahrhunderte hinweg
an die Rezeption gedruckter oder handschriftlich angefertigter Texte
gebunden war.
Lesetechniken müssen unter dem Blickwinkel ihres Beitrags zum
▪ sinnkonstruierenden Lesen betrachtet werden, das den
Leseprozess als Text-Leser-Interaktion auffasst. Dabei entsteht
Textverständnis in Wechselwirkungen von textgeleiteten und konzept- bzw.
erwartungsgeleiteten Prozessen bei seiner kognitiven Verarbeitung.
Aus diesem Grunde können Lesetechniken, die darauf abzielen,
effektiv, ziel- und interessengeleitet Textverstehen zu ermöglichen,
auch an ganz verschiedenen Punkten der stattfindenden Wechselwirkungsprozesse
ansetzen.
Nicht immer sind von den Rahmenbedingungen weitgehend losgelöste
Lesetechniken im engeren Sinne, wie wir sie unten tabellarisch
aufgelistet haben, also der geeignete Zugang, um Lesen und Verstehen
erfolgreich miteinander zu verbinden. Häufig bedarf es auch einer
Kombination verschiedener Techniken, um dies zu erreichen. Dann
spätestens schlägt die Stunde ▪
komplexer Lese- und Rezeptionsstrategien (▪
Primär- und Stützstrategien, ▪
SQ3R-Technik, ▪
PQ4R-Methode,
▪
MURDER-Schema)
Die Leserichtung: von
links nach rechts und zeilenweise von oben nach unten in einer
zeitlichen Dimension
Wenn wir lesen,
dann tun wir dies im abendländischen Kulturkreis, in dem sich schon
seit der griechischen Antike die phonographische Alphabetschrift
durchgesetzt hat, in einer bestimmten Leserichtung, die der Abfolge
der Buchstaben und der grammatischen Einheiten folgt. Dabei verläuft
die Leserichtung von links nach rechts und den Zeilen folgend von
oben nach unten. Dabei folgen wir beim Lesen aber nicht nur der
räumlichen Anordnung bzw. Reihenfolge der Textelemente und müssen
das auch nicht zwingend tun, um einen Text zu erfassen. Wir springen
häufiger mal hin und her, überspringen etwas oder springen zurück,
und folgen beim Lesen also keineswegs sklavisch der vorgegebenen
Textstruktur, sondern bilden u. U. durchaus räumlich auseinander
liegende "Lesepakete"
(Rautenberg 2015,
S.294), die wir in einem ▪
sinnkonstruierenden
Lesevorgang so zusammenfügen, dass sich uns die Bedeutung des
Ganzen erschließt.
Wenn man im
Zusammenhang mit dem Lesevorgang vom
linearen Lesen spricht, so versteht man strenggenommen
darunter also nicht, dass der ganze Text Wort für Wort
hintereinander gelesen wird, wie dies bei der Technik des
sequenziellen Lesens angenommen
wird, sondern dass jedes Stück, das gelesen wird, in einer
unumkehrbaren zeitlichen Abfolge erfasst und verarbeitet wird,
egal wie oft und wie häufig man im Text als Ganzem hin- und
herspringt.
(vgl. ebd.)
Für
größere Darstellung bitte an*klicken*tippen!
Es gibt eine Fülle von Lesetechniken
Wie man auch immer einzeln für sich, in der Kommunikation mit
anderen, genussvoll, kreativ oder intensiv am Text arbeitend mit
einem Text umgeht, für alles gibt es Lesetechniken, zum Teil mit
schillernden Bezeichnungen, die sich oft überschneiden, und trotzdem
den Anspruch haben, jeweils eine, zumindest in dem einen oder
anderen Merkmal unterschiedliche Technik bei der Lektüre von Texten
zu repräsentieren.
Da ▪
Lesen als elementare Kulturtechnik auch zur Ware gemacht werden
kann, sprießen allerorten Konzepte wie z. B. das ▪
Speed Reading aus dem Boden, die vor allem
eines versprechen, schneller zu lesen, um so im Dschungel
allgemeiner Informationsüberflutung (information overload) nicht
deshalb unter die Räder zu kommen, weil man nicht alles gelesen hat,
was zur beruflichen Qualifikation und zur gesellschaftlichen
Teilhabe notwendig zu sein scheint.
In der Regel werden
Lesetechniken entlang der Parameter von stimmlicher oder
nichtstimmlicher Repräsentation von Texten und ihren historischen
Formen wie lautes und leises Lesen, von Intensität des Lesens und
seiner Schnelligkeit, "die teilweise mit laut oder leise
korrelieren, seiner Selektivität und Iterativität als
einfache oder mehrfach zu durchlaufende Lektüre voneinander
unterschieden (vgl.
Rautenberg/Schneider
2015, S.97) Darüber hinaus stehen die Begriffe ▪
Lesemodus
oder auch Lesehaltungen zur Verfügung, wenn es darum geht,
unterschiedliche unterschiedliche Funktionen des Lesens, entsprechend
der individuellen Informationsbedürfnisse der Leser zu verstehen."
(ebd.)
Die nachfolgende Auflistung fasst wichtige
einzelne ▪ Leseweisen bzw. Lesetechniken in einer
tabellarischen Übersicht zusammen. Dabei ist diese Liste nicht auf
Vollständigkeit ausgelegt, sondern will wichtige, auch in der ▪
Geschichte des Lesen
bedeutsame Lesetechniken, die heute im Prinzip keine Rolle mehr
spielen, mit knappen Bemerkungen vorstellen. Dabei stehen sie immer
wieder in Verbindung mit ▪
Lesemodi bzw. Lesehaltungen, mit denen man die vorhandenen
Handlungsdispositionen bezeichnet, die eine spezifische, an
Informationsbedürfnissen des Lesers orientierte ▪
Leseweise ermöglichen, um Texte
individuell und subjektbezogen für den Aufbau von Wissen, zur
Unterhaltung usw. nutzen zu können. (vgl.
Graf 2015, S.196, vgl.
Rautenberg/Schneider 2015, S.97 )
Nicht immer lassen
sich die hier dargestellten Lesetechniken klar voneinander abgrenzen
und in der Praxis des Lesens durchdringen und überformen sie sich
ohnehin immer wieder oder werden in den verschiedenen Lesemodi und ▪
komplexen Lese- und Rezeptionsstrategien
miteinander verbunden.
▪
Grundlegende Lesetechniken für Schule und
Unterricht
Inspiratives Lesen |
-
in
gewisser Hinsicht zielloses Herumlesen kreuz und
quer in einem Text oder mehreren Texten
-
Lesen, das hauptsächlich dazu dient, auf assoziative
Weise Ideen zu einem Thema zu erhalten, ohne den
jeweiligen Text als Ganzes zu lesen
|
Lautes
Lesen |
|
Stummes
Lesen |
-
heute
die gängige Form des individuellen Lesens
-
schafft ein Verhaltensmuster persönlicher Intimität
bei Lesen, das nur vom Leser oder der Leserin
kontrolliert wird
-
historisch gesehen ein längerer Prozess, bis diese
Form des Lesen, die der sozialen Kontrolle durch das
soziale Umfeld von Familien-, Haus- oder
Religionsgemeinschaften entzogen war, sich
durchsetzen konnte
-
besondere Bedeutung für die Entwicklung des ▪
(weibliches) Lesens in
der ▪
Geschichte des Lesen
|
Vorlesen |
-
lautes Lesen in einer
Kommunikationssituation, bei der ein einzelner oder
mehrere laut lesende Personen anderen, die als
Zuhörer anwesend sind oder den gesprochenen Text
über ein Medium zeitversetzt hören (z. B. Hörbuch),
einen Text vortragen
-
in der Kindheit ganz wesentlicher Faktor: Kinder,
denen häufig vorgelesen wurde, entwickeln eine
deutliche engere Beziehung zum Lesen als Kinder, bei
denen dies nicht der Fall gewesen ist
-
im
literaturdidaktischen Umfeld als Leseübung
verbreitet
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Sprechgestaltendes Lesen |
|
Anlesen |
-
Lesen
intuitiv oder bewusst ausgewählter Textstellen, mit
denen man einen Eindruck über die thematische und
sprachlich-stilistische Entfaltung eines Themas in
einem Text gewinnen will
-
meistens Teil anderer Lesetechniken wie z. B. dem
orientierenden Lesen oder dem
Probelesen
|
Probelesen |
-
auszugsweises Anlesen eines
Textes, um einen Eindruck davon zu gewinnen, welches
Vorwissen das Verstehen eines bestimmten Textes
erfordert
-
grobe
Abschätzung des fachlichen oder
sprachlich-stilistischen Schwierigkeitsgrades eines
Textes
-
erste
Annäherung an einen Text unter dem Blickwinkel, ob
er einen emotional anspricht oder interessieren
könnte
|
Orientierendes Lesen (Skimming) (vgl. diagonales Lesen) |
|
Hyperreading |
-
möglichst rasches Erfassen von relevanten
Informationen eines Textes
-
lesen
einzelner Textstellen, ohne den gesamten Text zu
lesen
|
Diagonales
Lesen (auch: Querlesen) (vgl.
Orientierendes
Lesen) |
-
rasches Überfliegen des Textes
-
Erfassen der wichtigsten
Textinhalte und -strukturen, greift dabei auf unser ▪
Textmusterwissen zurück
-
eventuell stichprobenartiges
sequenzielles Lesen (= Anlesen)
|
Strategisches Quer- und Stellenlesen |
-
schnelles und effektives Auswählen von Textstellen,
die sich für gründlicheres Lesen lohnen
(▪
Textmusterwissen)
-
Lesepraxis beim Surfen und Recherchieren im Internet
|
Selektives Lesen |
-
Lesen, das auf ein vollständige sequenzielle und
intensive Lektüre eines Textes bewusst verzichtet
-
Sammelbegriff für sämtliche Leseweisen
(Lesetechniken), die einen Text nicht vollständig
lesen vom diagonalen
Lesen bis hin zum
suchenden Lesen
-
Lesen
wird auf bestimmte Textstellen beschränkt, die nach
vorgegebenen oder selbstgesetzten Relevanzkriterien
ausgewählt werden (auch:
▪
Textmusterwissen)
|
Punktuelles
Lesen
(vgl. auch selektives Lesen, Hyperreading) |
-
Form des selektiven
Lesens
-
nur teilweises Lesen des Textes
-
Lektürevorgang wird
unterbrochen und an anderer Stelle fortgesetzt
-
Herstellen des Sinnzusammenhangs
erfolgt mosaikartig
-
besonders geeignet für
▪
diskontinuierliche Hypertexte mit ihrer nicht-linearen Textstruktur
|
Suchendes Lesen (Scanning) |
-
Scanning (englisch to scan‚ abtasten, absuchen,
durchsuchen‘)
-
Ziel: bestimmte
Informationen erfassen
-
gezieltes
Durchsuchen des Textes nach bestimmten Aspekten (
z.B. bestimmte Schlagwörter,
Schlüsselbegriffe
oder Gedanken)
|
Navigierendes Lesen
(auch: ▪ digitales Lesen) |
|
Sinnentnehmendes Lesen |
-
Lesetechnik, die vorgibt, dass einem Text mit
Hilfe verschiedener Techniken quasi seinen
"objektiven" Textsinn abringen kann
-
Leser dekodiert in einem quasi spiegelbildlich
verlaufenden Prozess beim Lesen die Bedeutungen, die
der Autor bzw. die Autorin im Text enkodiert hat.
-
als deterministisches Modell veraltet (vgl.
sinnkonstruierendes Lesen)
|
Sequenzielles
Lesen |
-
in der Regel vollständige
Lektüre des Textes
-
Lesevorgang folgt dem linearen
Textfluss (vgl. lineares Lesen)
-
Erstleseeindrücke erfassen
-
Voraussetzung für kursorisches
und intensives Lesen
|
Kursorisches
Lesen |
-
vollständige Lektüre des
Textes, meist auf der Basis sequenziellen Lesens
-
Anbringen von Hervorhebungen
(Markierungen usw.) am Text
|
Intensives
Lesen
(auch: detailliertes Lesen) |
-
Ideal des akribisch genauen Lesens mit langsamer und
sorgfältiger Lektüre
-
genaues und vollständiges
Erfassen des Textes auf der Basis des
sequenziellen Lesens
-
textsortenspezifische
Untersuchungsgesichtspunkte, z.B. Aussageabsicht, rhetorische
Figuren, Argumentationsstrukturen
|
Rekapitulierendes Lesen |
-
abschließendes "Überfliegen" des
Textes (z. B. diagonal,
punktuell) in Hinblick auf
inhaltlichen und/oder argumentativen Gesamtzusammenhang
-
am roten Faden entlang lesen
-
zur Ergänzung und Überprüfung
der gemachten
Annotationen,
Exzerpte,
Skizzen, Kommentare, Anmerkungen und sonstiger Notizen
-
zur
Wiederaufnahme der Textarbeit nach einer Unterbrechung, um
wieder in den Text hineinzufinden (= wieder einlesen)
-
zur
partiellen oder vollständigen Aktivierung des vorhandenen
Vorwissens über den Text
|
Korrekturlesen (redigierendes Lesen) |
-
Lesen
eines meist selbst gefertigten Schreibproduktes mit
dem Ziel sprachliche Fehler und Mängel und
Kohärenzlücken vor seiner Endfassung, in
einem Text, z. B. in einem Konzept, aufzuspüren und
zu beseitigen
-
vollständiges Lesen Wort für Wort, Satz für Satz, um
Rechtschreibfehler, Verstöße gegen die Regeln der
Zeichensetzung oder gegen die grammatische
Sprachrichtigkeit sowie sprachlich-stilistische
Mängel zu korrigieren
-
auch Teil komplexer
▪
Überarbeitungsstrategien;
dabei: Erkennen von Kohärenzbrüchen daraus folgend
entsprechende Überarbeitung eines Textes und den
Text entsprechend umzuformulieren (=
konzeptionelle Textrevision (Überarbeitung) von
Texten);
▪
Revisionshandlungen
beziehen sich überwiegend auf die Textebene und
können dabei auch noch zu Umsetzungen einzelner
Textteile sowie Veränderungen in der Gedankenführung
oder beim Textaufbau (Streichungen, Ergänzungen) mit
dem Ziel optimierter
Textverständlichkeit führen - vgl.
Lesen,
Leseweisen,
Lesetechnik,
Redigierung,
Revision,
Textrevision,
sequenzielle Revision,
Revisionsklasse,
Revisionsebene,
Revisionshandlungen,
Schreibprozess
|
Verzögertes Lesen |
- lese- bzw.
literaturdidaktisches Prinzip (Frommer
1981a), das auf eine "Entautomatisierung" von
Lesegewohnheiten zielt
- Lesevorgang wird im
Zusammenhang mit literarischen Texten bewusst
verzögert durch den Einbau von "Textlücken" oder
anderer "Stolperfallen", um den Fokus über
den Inhalt hinaus auf sprachliche Formulierungen,
auf den Aufbau von Argumentationen oder auf
ästhetische Qualitäten eines Textes zu lenken
- z. B. bewusster
Einbau von "Leerstellen" (Lücken), für deren
Schließung verschiedene Textvarianten vorgeschlagen
werden; diese Varianten müssen reflektiert und die
Entscheidung für eine der Varianten begründet
werden, ohne dass die Originalfassung als die
"richtige" Lösung betrachtet wird
- vgl.
textnahes Lesen
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Lernendes Lesen |
|
Schnelllesen (Speed Reading) |
-
rein
leseökonomisch ausgerichtetes Konzept, das darauf
abzielt, möglichst viel Text in einer bestimmten
Zeitspanne zu erfassen (»Schnelllesen/Speed Reading).
-
auch
als "Power Reading", "Turbolesen", "Scan Reading", "Alpha Reading" oder
"Improved Reading bezeichnet
-
dabei
können durch Training die Anzahl der neurobiologisch
möglichen Fixationen beim Lesen eines Textes so
erhöht werden, dass geschulte Schnellleser etwa
doppelt bis dreimal so schnell lesen wie ein
durchschnittlicher Leser
-
allerdings geringe
▪ Inferenztätigkeit beim Lesen, d. h. es werden
weder auf der lokalen Textebene noch darüber hinaus
gehend Schlussfolgerungen gezogen, die über die
unmittelbar im Text enthaltenen Informationen
hinausreichen und als "Motor der Sinnkonstruktion
beim Lesen" (Christmann
2015, S.174) fungieren
-
nicht
geeignet für literarische Texte; Effektivität von
der Komplexität der Textstrukturen und seiner
Schwierigkeit abhängig
-
gegenüber anderen Lesetechniken, bei denen man den Text von vornherein nicht als Ganzes
▪
sequenziell oder
▪ intensiv lesen will kaum im Vorteil, zumal es
als isolierte Lesetechnik die Konstruktivität des
Leseprozesses (=
sinnkonstruierendes Lesen) weitgehend zugunsten
eines neurobiologischen "Tunings" der
Lesegeschwindigkeit ausblendet
-
ungeeignet als lesedidaktisches Konzept zum Erwerb
von ▪
Lesekompetenz,
wie sie schulische Bildungsprozesse anstreben.
|
▪
Themabereich: Lesen
▪
Lese- und Rezeptionsstrategien
▪
Primär- und Stützstrategien
▪
SQ3R-Technik
▪ PQ4R-Methode,
▪
MURDER-Schema
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.01.2024
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