Peter Bichsels
Kurzgeschichte »San
Salvador« kann auch mit den folgenden Arbeitsanregungen
analysiert und interpretiert werden.
Dabei sind die Arbeitsanregungen an bestimmten Deutungsperspektiven bzw.
Lesearten des Textes orientiert, die sich grob in zwei Richtungen
unterscheiden lassen.
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Eine Leseart,
die wir hier die
traditionelle Leseart der Geschichte nennen, weil sie
sämtliche schulischen Interpretationen der Geschichte dominiert,
sieht den thematischen Kern der Geschichte in der aus der
erkalteten und in Alltagsroutinen erstarrten Beziehungen von
Paul und Hildegard, die es nicht schaffen, darüber zu
kommunizieren. Stattdessen spielt Paul eskapistisch mit seiner
Flucht aus diesem und dem Neuanfang mit einem anderen Leben,
ohne dies aber auch nur ansatzweise in Angriff nehmen zu können.
(vgl. dazu auch:
Zobel
1985a)
-
Eine
andere Leseart, die Rolf
Jucker
(2004) ins Spiel gebracht hat, stemmt sich gegen die These
der "Ehekrise" (ebd.,
S.271) und eine Tendenz zur "Überinterpretation" (ebd.,
S.270) des Textes, wenn das dargestellte sprunghafte Denken, das
Situationen wie der dargestellten eigen sei, sofort zum
Psychologisieren veranlasse. Wer nämlich nur das nehme, was im
Text tatsächlich stehe, müsse von der offensichtlichen
Langeweile des Mannes ausgehen, die sein Warten auf Hildegard
kennzeichne. Dementsprechend sieht Jucker auch im Text "mehr
Indizien dafür, dass sich diese Sehnsucht auf seine Frau,
Hildegard bezieht, als auf die Flucht nach Südamerika." (ebd.,
S.271) Und selbst der Schluss der Geschichte, der meist negativ
und als Indiz für die unterstellte Ehekrise gelesen werde, "weil
die Frau sich nicht nach den Kindern und nicht nach seinem
Wohlbefinden [Pauls. d. Verf.] erkundigt" (ebd.),
könne man genausogut anders lesen: Der Mann sei einfach froh,
dass Hildegard wieder nach Hause komme, die Frage nach den
Kindern zeuge "von einem innigen familiären Zusammenhalt" und
dass Paul genau wisse, wann Hildegard die Haare aus dem Gesicht
streiche, zeuge von der intimen Vertrautheit der Ehepartner.
Dazu komme, dass der Verzicht des Mannes, seine Fluchtfantasien
auszuleben, keineswegs als Resignation, sondern als "kluge
Einsicht" dafür verstanden werden könne, dass Flucht die
allfälligen Probleme nicht löse, sondern nur verschiebe (vgl.
ebd.,
S.272).
Arbeitsanregungen auf der Basis der
traditionellen Leseart der Geschichte
Die nachfolgenden Arbeitsanregungen gehen von
der traditionellen Leseart aus, dass der thematische Kern in Bichsels
Kurzgeschichte in der Entfremdung der Ehepartner Paul und Hildegard liegt,
die Paul eines abends, während der Abwesenheit seiner Frau, zum Spiel mit
Wünschen und Fantasien führt, diesem Leben zu entkommen und irgendwo anders
einen Neuanfang zu gestalten.
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Untersuchen Sie dabei die Situation, das Verhalten und die
Wunschvorstellungen der männlichen Hauptfigur.
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Arbeiten Sie heraus, wie die Beziehung der Ehepartner gestaltet ist
und stellen Sie deren Wahrnehmung durch Paul in den Zusammenhang seines
Denkens und Tuns.
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Zeigen Sie, mit welchen
erzähltechnischen und
sprachlichen Mitteln der Autor seine Geschichte gestaltet.
Bestimmen Sie die
Textsorte.
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Beschreiben Sie, welcher Geschehens- und Bewusstseinsablauf sich aus
der alltäglichen Ausgangssituation der Geschichte entwickelt.
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Zeigen Sie an besonders aufschlussreichen Beispielen, auf welche Weise
der Erzähler diesen Ablauf für den Leser darstellt.
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Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang der pointierte Schluss?
Untersuchen Sie die Situation und das Verhalten der Ehepartner und setzen
Sie sich damit auseinander.
-
Legen Sie dar, welche Gründe für das Entstehen einer derartigen
Situation in einer Beziehung verantwortlich sein könnten. (→
Ergänzender Text:
Warum kriselt es in vielen Ehen?)
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Zeigen Sie auf, welche Möglichkeiten es für die beiden Partner gäbe,
ihre Beziehung wieder zu verbessern.
Arbeitsanregung 4: (Kreatives
Schreiben:
Produktive Textarbeit -
literarisches Rollenspiel)
Verfassen Sie einen Abschiedsbrief, den Paul seiner Frau Hildegard
hinterlassen will.
Verfassen Sie einen Eintrag Hildegards in ihr persönliches
Tagebuch, in
dem sie über die Entwicklung ihrer Beziehung mit Paul reflektiert.
In einem Gespräch, das von einem guten Freund beider geleitet wird,
sprechen sich Paul und Hildegard über ihre Beziehung, ihre Enttäuschungen
und Erwartungen aus.
Arbeitsanregung 7: (Kreatives
Schreiben:
Produktive Textarbeit -
literarisches Rollenspiel)
Schreiben Sie einen lösungsorientierten Dialog per Telefon zwischen
Hildegard (H) und ihrer Mutter (M), die Pauls Abschiedsbrief findet
und mit ihr darüber spricht - und besonders über ihre Beziehung
zu Paul.
Verfilmen Sie die Geschichte »San Salvador« von Peter Bichsel.
Gestalten Sie eine Collage mit Elementen der Wirklichkeit von Paul
und seinen Traumvorstellungen.
Nutzen Sie zur Sammlung von entsprechenden Materialien das Internet in Form
einer
Internet-Recherche.
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»San Salvador« (span. Salvador = der Erlöser, Erretter;
adjektivisch: erlösend, errettend) ist das erste Festland, das Kolumbus
bei seiner Seefahrt über den Atlantik 1492 erreicht.
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»Salvus sum« ist eine bekannte lateinische Wendung und bedeutet "ich
bin geborgen".
Interpretieren Sie von diesen Erläuterungen zum begrifflichen Hintergrund
des Titels die Geschichte von Peter Bichsel.
Hildegard kehrt nicht vom Kirchenchor zurück. Paul findet ihren
Abschiedsbrief. Gestalten Sie eine der beiden folgenden Varianten
Arbeitsanregung 11:
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Verfassen Sie eine
Inhaltsangabe
zum Text.
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Arbeiten Sie die Beziehung zwischen Paul und Hildegard
heraus.
Beantworten Sie dabei unter anderem die folgenden Fragen:
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Welche Bedeutung hat der Titel der Geschichte?
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Welcher Zusammenhang besteht zwischen den Sätzen "Mir ist es hier
zu kalt" und "ich gehe nach Südamerika" einerseits und der Situation
Pauls andererseits?
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Wie wird das Warten des Mannes auf Hildegard dargestellt?
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Wie verstehen Sie den Schluss der Geschichte?
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Untersuchen Sie, mit welchen
erzähltechnischen und
sprachlichen Mitteln der Autor seine Geschichte gestaltet.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.12.2023
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