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Der Geier

Text

Franz Kafka (1883 - 1924)

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur
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Franz Kafka, Der Geier

Es war ein Geier, der hackte in meine Füße. Stiefel und Strümpfe hatte er schon aufgerissen, nun hackte er schon in die Füße selbst. Immer schlug er zu, flog dann unruhig mehrmals um mich und setzte dann die Arbeit fort. Es kam ein Herr vorüber, sah ein Weilchen zu und fragte dann, warum ich den Geier dulde. »Ich bin ja wehrlos«, sagte ich, »er kam und fing zu hacken an, da wollte ich ihn natürlich wegtreiben, versuchte ihn sogar zu würgen, aber ein solches Tier hat große Kräfte, auch wollte er mir schon ins Gesicht springen, da opferte ich lieber die Füße. Nun sind sie schon fast zerrissen.« »Daß Sie sich so quälen lassen«, sagte der Herr, »ein Schuß und der Geier ist erledigt.« »Ist das so?« fragte ich, »und wollen Sie das besorgen?« »Gern«, sagte der Herr, »ich muß nur nach Hause gehn und mein Gewehr holen. Können Sie noch eine halbe Stunde warten?« »Das weiß ich nicht«, sagte ich und stand eine Weile starr vor Schmerz, dann sagte ich: »Bitte, versuchen Sie es für jeden Fall.« »Gut«, sagte der Herr, »ich werde mich beeilen.« Der Geier hatte während des Gespräches ruhig zugehört und die Blicke zwischen mir und dem Herrn wandern lassen. Jetzt sah ich, daß er alles verstanden hatte, er flog auf, weit beugte er sich zurück, um genug Schwung zu bekommen und stieß dann wie ein Speerwerfer den Schnabel durch meinen Mund tief in mich. Zurückfallend fühlte ich befreit, wie er in meinem alle Tiefen füllenden, alle Ufer überfließenden Blut unrettbar ertrank.

(Franz Kafka, Sämtliche Erzählungen,. hg. v. Paul Raabe, Fischer Taschenbuch 1078, Frankfurt/M. 1970, S.366)

 

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Dieses Werk (Der Geier, von Franz Kafka), das durch Gert Egle gekennzeichnet wurde, unterliegt keinen bekannten urheberrechtlichen Beschränkungen.

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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 11.10.2024

     

   Arbeitsanregung 1
Textinterpretation)

   Interpretieren Sie den Text.

  1. Geben Sie den Inhalt des Textes wieder, indem Sie von den (Sprech-)Handlungen der beiden Personen ausgehen.

  2. Analysieren Sie den Text.
    Berücksichtigen Sie dabei  u. a. die in den folgenden Fragen enthaltenen Aspekte.

    • Welche Situationen durchläuft der Ich-Erzähler in dieser Geschichte?

    • Welche Schlüsselbegriffe im Bildbereich haben eine offenbar tiefere Bedeutung? Wie könnten diese Begriffe gedeutet werden? (=Konstruktion eines Sachbereichs)

    • Welche Erzählperspektive enthält der Text?

    • Welche Rolle spielen Zeit und Raum in dieser Erzählung?

    • Welche Aussage hat Ihrer Ansicht nach der Text?

    • Wie unterstützen sprachliche Mittel der Wortwahl (Semantik) und des Satzbaus (Syntax) die Aussageabsicht des Textes?

  3. Zeigen Sie, um welche Textsorte es sich bei dem vorliegenden Text handelt.

  4. Fassen Sie abschließend Ihr Gesamtverständnis des Textes zusammen, indem Sie Rückschlüsse auf die dem Text zugrunde liegende Weltsicht Kafkas ziehen.
    Beziehen Sie dabei die folgende Äußerung mit ein:
    "Kafkas durchgehendes Thema, die misslingende Ankunft oder das verfehlte Ziel, resultiert aus der Grunderfahrung einer ausweglosen Einsamkeit." (F. Beißner, Kafka der Dichter, 1983)

 

 

 

 
 

 
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