Die Erfindung des »Buchdrucks
im Jahre 1440 durch
»Johannes Gutenberg
(1400-1468) und die dadurch mögliche, nach damaligen Verhältnissen »große
Verbreitung der zwischen 1452 und 1454 entstandenen »Lutherbibel,
dem ersten mit beweglichen Lettern gedruckten Buch in der westlichen
Welt, war nicht nur eines der wesentlichen Elemente für den Erfolg von »Martin Luthers
(1483-1546) »Reformation
im 16. Jahrhundert, sondern brachte auch das Lesen als Kulturtechnik
breiterer Schichten der Bevölkerung langsam aber sicher voran. Die
prachtvoll gestalteten Bibeln waren allerdings nicht für den
Hausgebrauch einfacher Leute gedacht, die noch lange ▪
Analphabeten
blieben.
Dennoch war damit, insbesondere auch durch Luthers Übersetzung des »Alten
Testaments aus der »althebräischen
und der »aramäischen
Sprache und des »Neuen
Testaments aus der »altgriechischen
Sprache in die »frühneuhochdeutsche
Sprache wohl der Bann gebrochen und so gingen auch achtzehn
verschiedene, vorlutherische deutsche Bibeln zwischen 1466 und 1522 in
Druck, die wie z. B. die »Mentelin-Bibel
(1466), welche die Bibel in Volkssprache so präsentierten, dass die »biblischen
Geschichten auch von einfachen Klerikern, die der lateinischen
Sprache nicht so mächtig waren und von lesekundigen Bürgern gelesen und
verstanden werden konnten.
Im Unterschied zum
Humanismus, der sich mit seinen Publikationen nahezu ausschließlich an
ein gelehrtes Publikum richtete, wollten die Reformatoren mit ihren
Schriften aber auch das Laienpublikum erreichen. Dieser Adressat konnte
allerdings, da Bücher bis weit ins 18. Jahrhundert hinein ein teurer
Luxus waren (vgl.
Kiesel/Münch 1977, S.161) nur dann erreicht werden, wenn das Angebot
an Medien und ihren Publikationsformen, von Lesestoffen und dem Vertrieb
des Ganzen sich wandelte und neu organisiert wurde.
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Auch wenn Luthers
Übersetzung der Bibel ein regelrechter Bestseller wurde, war die
Flugschrift das eigentliche "Leitmedium der Reformation (...), die zum
Massenkommunikationsmittel in der reformatorischen Öffentlichkeit
avancierte und im Vergleich mit Büchern schnell hergestellt werden und
dementsprechend aktuell sein konnte." (Schneider
2015, S. 741) Flugschriften kamen sowohl im Diskurs der Gelehrten
zum Einsatz, aber sie waren, wenn sie in deutscher Sprache verfasst
waren, auch eine Möglichkeit für Lesekundige Nicht-Gelehrte Näheres über
die reformatorischen Ideen und ihre Entwicklung zu erfahren. (vgl.
ebd.)
Allerdings waren die
Flugschriften - man geht davon aus, dass in der Hochphase der
Reformation zwischen 1520 und 1526 mehr als 10.000 Flugschriften in
einer Gesamtauflage von 10 bis 11 Millionen Exemplaren gedruckt wurden,
darunter fast drei Viertel in deutscher Sprache (vgl.
ebd.) - wohl das
am meisten verbreitete Printmedium. Trotzdem zeigte auch der Erfolg von
Luthers Bestseller-Bibel, dass es zumindest in den Städten schon ein
Lesepublikum gab, das wenigstens rudimentär lesen konnte. Was von
Luthers Bildübersetzung über den Ladentisch ging, war nämlich mehr als
beachtlich: Schon die Erstausgabe aus dem Jahr 1522 brachte es auf 3.000
Exemplare, die schnell vergriffen waren und nachgedruckt wurden. Bis zum
Tode Luthers 1546 hatten die zahlreichen verschiedenen Editionen wohl
eine Millionenauflage erreicht. (vgl.
ebd., S.743) Ob
sie allerdings auch überall da landeten, wo sie auch gelesen und
verstanden werden konnte, ist zumindest zweifelhaft.
Flugschriften,
Broschüren und Einblattdrucke und Luthers Bibelübersetzungen waren
allerdings nicht alles, was die Reformationszeit an Medienvielfalt zu
bieten hatte, zumal "nicht nur die Schrift, sondern auch das Visuelle,
das Bild und die Druckgraphik wichtige Funktionen in der Rezeption
übernahmen" (ebd.,
S.741) Kein Wunder, wenn die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung
nach lange Zeit Analphabeten blieben.
Zum
Buchangebot der
Zeit gehörten aber neben der Luthers Bibelübersetzung und anderen Werken
von Reformatoren natürlich auch das traditionelle Angebot an gelehrter,
in Latein abgefasster Werke, die sich mit Fragen der Theologie, des
Rechts und anderen Wissenschaften befassten.
Auch wenn sich die
Buchproduktion der Zeit vor allem an dem Herstellen von Werken für den
zeitgenössischen gelehrten Diskurs orientierte, gab es doch auch eine
ganze
Reihe volksmedizinischer Schriften mit Anleitungen für Diäten oder
sonstigen Therapieanleitungen, Arznei- und Kräuterbücher und sogar
Kochbücher, in denen es um Gesundheitsfragen und die Heilung von
Krankheiten ging. Diese Bücher in deutscher Sprache waren offenbar für
einen größeren städtischen Leserkreis gedacht. (vgl.
ebd., S.743)
Und
sogar
Unterhaltungsliteratur war schon im Angebot. Man vertrieb die "schöne
Literatur" (Epen, Prosabearbeitungen antiker Dramen, Schwank- und
Legendensammlungen) und mit Prosaromanen mittelalterlicher Stoffe (z. B.
»Herzog Ernst, Die schöne
»Melusine
von
Thüring von Ringoltingen (1415-1483), Historien und Schwankromanen
und -sammlungen (z. B. die »Eulenspiegel-Ausgabe
(1510/12) von
Johannes Grüninger (1455-1532) oder »"Schimpf und Ernst"
(1515) von »Johannes
Pauli (1455-ca.1530)) erreichte
man in den Städten lesende Frauen, die im Übrigen auf
»Erbauungsliteratur
und den »Katechismus zur Lektüre zurückgreifen konnten.
Dazu kamen noch mehr und mehr weltliche Lieder, die zunächst auf
▪ Einblattdrucken von fahrenden Händlern auf Märkten, Jahrmärkten,
Wirtshäusern und vor der Kirche im Auftrag ihrer Verleger oder auf
eigene Rechnung verkauft wurden. Und auch erste Sammlungen in Form von ▪
Liederbüchern sicherten nicht nur das populäre Liedgut, sondern
trugen auch dazu bei, dass sich neben dem geistlichen Lied bzw. den
Kirchenliedern das volkstümliche Lied als Teil der ▪
deutschsprachigen Popularliteratur
jenseits konfessioneller Orientierung behaupten konnte.
Unter den
Unterhaltungsbüchern waren die so genannten »Teufelsbücher
besonders beliebt und sollen zwischen
1560 und 1590 eine Auflage von mehr als 200.000 Exemplaren erreicht
haben. (vgl. ebd.,
S.744). Dazu zählten z. B.
Wider den Sauffteufel ... von »Matthäus
Friderich (geb. im 16. Jh.–1559) oder die »Teufelsbücher
von »Andreas
Musculus (1514-1581) wie Vom Hosen-Teuffel (1555) oder
Wider den Eheteuffel (1556). Während er in jenem über die Mode der »Pluder-
und Pumphosen herzieht, prangert er im Eheteuffel die den Ehefrieden
störende Laster an, mit denen sich Eheleute gegenseitig das Leben schwer
machen.
Vielleicht waren es auch solche Werke, die den englischen Dichter »Barnabe
Rich (ca. 1514-1617) schon 1613 zur Bemerkung veranlasste, dass eine
der größten Krankheiten seiner Zeit "die Überzahl an Büchern" sei, von
denen die Welt so überladen sei, "dass es unmöglich ist, den Wust an
unnützem Zeug zu verdauen, der täglich ausgebrütet und in die Welt
geworfen wird."
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Durchaus eine
kritische Komponente kann auch aus manchen der sogenannten »Bücherstillleben
in der frühen Neuzeit herausgelesen werden. Die Bilder zeigen
immer wieder, wie die Bücher dem Zahn der Zeit genauso unterworfen sind
wie alles andere auch: "Oft sind die Bücher in den Stillleben selbst
bereits arg in Mitleidenschaft gezogen, und man weiß, dass das Papier
bald zerfallen wird." (van Lil
2007, S.470) So ist eben auch alles Wissen letzten Endes hinfällig
und besitzt vor allem im Rahmen der christlichen Eschatologie ein
Zerfallsdatum, dessen Zeitpunkt zwar nicht vorhersehbar, aber dessen
ungeachtet vollkommen gewiss ist.
Mit solchen
Vanitas-Bücherstillleben,
in denen die Bücher selbstverständlich auch Symbole für Gelehrsamkeit
waren, "führten sich die Gelehrten die Grenzen ihres
wissenschaftlichen Strebens vor Augen und mahnten sich selbst zur
Bescheidenheit." (ebd.)
Dabei waren derartige Darstellungen an die Gelehrten adressiert, die
über den gemeinsamen Code verfügten, mit denen solche Bilder
verständlich waren. (vgl. auch:
Bergström 1956)
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Motive der Vergänglichkeit (Vanitas) gehörten
aber auch oft zur Selbstdarstellung der belesenen Gelehrten und ihre
Symbole tauchten daher auch immer wieder in Porträts auf, die als
Auftragsmalerei entstanden sind. Bei aller Mahnung der Symbolik vor
gelehrtem Hochmut, die den oft auftauchenden Totenschädeln innewohnt,
kann doch nicht übersehen werden, dass solche Requisiten auch
einem "modischen" Zeitgeist entsprachen, gelehrte Selbstdarstellung ohne
ein solches Requisit offenbar kaum vorstellbar war und in den Kreisen,
in denen sie präsentiert wurde, auch erwartet worden ist.
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Trotz des
beginnenden literarischen Lesens las man aber vor allem aus beruflichen
Gründen und zu religiös-liturgischen Anlässen etwa beim Gottesdienst,
bei Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen,
für den gelehrten Disput, für administrative oder kaufmännische Zwecke.
Privater Bücherbesitz in größerem Umfang war zwar auch weiterhin eher
selten, aber es kam schon vor, dass sich
wohlhabende Kaufleute, manchmal
sogar Handwerker und kleinere Gewerbetreibende eine größere Anzahl von Büchern
leisteten. Privater, nicht aus professionellen Gründen motivierter
Bücherbesitz fußte dabei vor allem, wie im »pietistischen
Umfeld mit seiner häuslichen Bibellektüre, auf religiösen Motiven.
Das, was Adelige im »Barockzeitalter
(Ende des 16. Jh. bis gegen 1750/50) in ihren Sammlungen an prächtig
ausgestatteten Büchern und Folianten zusammentrugen, waren hingegen
Statussymbole und Prestigeobjekte, die vor allem repräsentative Funktion
besaßen.
Was an Lesestoffen in einem
meist städtischen Haushalt verfügbar war, war, ob Bücher
oder andere gedruckte Produkte, also mehr als überschaubar. Was es gab, wurde
von den Familienmitgliedern meistens "mehrfach gelesen, und die Texte
verloren so auch über Generationen hinweg nicht an Autorität. Ein Buch
bot oft Lesestoff für ein ganzes Leben, da einzelne Abschnitte oder
Kapitel an bestimmte Zeiten des Tages oder des Kirchenjahres gebunden
waren, wie z.B. Advent, Fastenzeit und Ostern." (Limmroth-Kranz
1997,
Hervorh. d. Verf.)
Im Übrigen musste man zu
dieser Zeit auch nicht unbedingt selbst lesen können, um am allgemeinen
Lesen von Büchern teilzuhaben. Lesen war nämlich meistens an die soziale
Praxis des Vorlesen gebunden, ▪ stilles Lesen, wie wir es heute kennen,
noch kaum verbreitet.
Wer also nicht lesen konnte und sich auch kein
Buch leisten konnte, wurde Rezipient der
frühneuzeitlichen sozialen
Hörbuchpraxis: Er oder sie hörte einfach zu, wenn, wie üblich vorgelesen
wurde. Das war keine Schande, "denn Lesen, Vorlesen und Zuhören standen
als Rezeptionsweisen relativ gleichberechtigt nebeneinander." (vgl.
Schneider 2015,
S.745) Im Übrigen blieb vielen potentiellen Leserinnen und Lesern, die
jeden Tag in einem harten Arbeitstag von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang
ihren oft kümmerlichen Lebensunterhalt sichern mussten,
kaum Gelegenheit,
bei Tageslicht Zeit mit Lesen zu verbringen. Wenn, dann war dies am
ehesten in den Wintermonaten der Fall, in denen gerne in der Familie
vorgelesen wurde
Lesen war in dieser
Zeit aber stets ein Vorgang, der mit Sorgfalt praktiziert wurde und
verlief im Gegensatz zu unserem heutigen Lesen langsam. Das veränderte
sich erst im 18. Jahrhundert. (vgl.
Bickenbach 2015,
S. 403)
Während des ▪
Dreißigjährigen Krieges
(1618-48), von dem
Friedell (1928/1969, S.414) sagte, dass er "unter den vielen langen und sinnlosen Kriegen, von denen die
Weltgeschichte zu berichten weiß, (...) einer der
längsten und sinnlosesten (war)", ging die Buchproduktion von
vorher etwa 1600 Neuerscheinungen pro Jahr auf knapp 600 Titel zurück
und es dauerte fast 150 Jahre, bis sich die Buchproduktion von diesem
Einbruch erholte.
Was im »Barockzeitalter
(Ende des 16. Jh. bis gegen 1750/50) an Büchern, meistens ins
lateinischer Sprache herauskam und vertrieben wurde, richtete sich vor
allem an das gelehrte Publikum, das diese Bücher aus professionellen
Gründen gelesen hat. Eine weitaus höhere Verbreitung als das Buch hatten
aber im 17. Jahrhundert periodische erscheinende Zeitungen, die mit über
250.000 Lesern eine weitaus größere Leserzahl hatten. (vgl.
ebd., S.746)