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Auswahl zeitgenössischer Liederbücher (externe Links)
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Barock (1600-1720)
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Lyrik des Barock
Die ▪ Lyrik des Barock umfasst neben
der sogenannten neuen ▪ "Kunstdichtung",
die sich mit ihren Themen und Formen an die geistige und soziale Elite der
Zeit richtete, auch umfangreiche ▪
deutschsprachige Popularliteratur,
die sich auch in der zeitgenössischen "volkstümlichen" ▪ Lieddichtung
niederschlug, die unterschiedliche Funktionen im Alltagsleben der Menschen
besaß.
Lieder waren nach dem zeitgenössischen Alltagsverständnis zunächst einmal
Texte in Strophenform, deren Verse und Betonung sich an bekannten Melodien
orientierten, die den Menschen als "Modellweisen" bekannt waren.
Die Überlieferung der Lieder aus dem 17. Jahrhundert erfolgt dabei auf
unterschiedlichen Wegen und zwar "über hundert gedruckte Bücher, eine
Fülle handschriftlicher Sammlungen, Tausende von Flugblättern." (Richter 2010,
S.18).
Viele der in den Liedsammlungen enthaltenen Lieder wurden von Generation zu Generation mit ihren
Texten und ihren Melodien überliefert und wurden daher nicht wie geistliche
Lieder schriftlich fixiert. (vgl.
ebd.)
Als sie nach Erfindung des Buchdrucks auch in
Einblattdrucken in Umlauf kamen, wurde ihre Verbreitung zwar noch größer,
aber Sammlungen von Liedern, Ständeliedern, gab es zunächst nicht. Was auf
diesen "Liedflugblättern" in Umlauf kam, war nicht von dem Bemühen getragen,
mündlich überliefertes Volksliedgut zu bewahren, sondern diese
"Liedpublizistik, wie man die »gereimte« oder »gesungene Kommunikation«
genannt hat", (ebd.,
S.21) diente vor allem, wenn es historisch-politische Lieder waren, zur
Information, Agitation und Gewinnung von Parteigängern in einer bestimmten
Sache (vgl. ebd.).
Während die ▪
neulateinische Gelehrtendichtung und die neue ▪ "Kunstdichtung"
nur in hoch gebildeten bzw. höfischen Kreisen rezipiert wurde, konnten
Lieder wie auch andere Genres der ▪
deutschsprachigen Popularliteratur der Zeit wie z. B. der ▪
Meistergesang, aber auch Bibeldramen oder Prosaromane ein weitaus
breiteres Publikum erreichen. Gesungene Lieder verbreiteten sich vor allem
auch deshalb so gut, weil sie wie die übrige Popularliteratur mit ihren
Melodien "auf Einblattdrucken, die für wenig Geld an den Straßenecken zu
haben waren, angeboten" wurden. (Wels
2018.,
S.317)

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Die ▪
Einblattdrucke, die auf Märkten und Jahrmärkten, vor Kirchen, in
Wirtshäusern wandernden Händlern, die von Verlegern beauftragt oder
auf eigene Rechnung verkauft wurden, waren oftmals auch mit aufwändigen
Kupferstichen versehen, die das Interesse potentieller Käufer erregen
sollten und bestimmte Szenen oder Figuren darstellten, die in den Liedern
eine Rolle spielten. Melodien enthielten sie aber nicht. Stattdessen gab man
den "Ton" an, der die Weise bezeichnete, nach der ein bestimmter Text
gesungen werden sollte. Der Notendruck wäre für die Einblattdrucke zu teuer
gekommen und wer sie kaufte, konnte in der Regel ohnehin keine Noten lesen.
Die Melodien aber hatten offenbar die meisten Menschen "im Kopf" und viele
Melodien taugten für etliche Texte.
Und dies weil sie eben
nicht nur einem kleinen Kreis zugänglich waren, sondern weil diese Lieder aller Orten gesungen wurden.
Mitunter wurden sie auch wie in der Sammlung das ▪ "Venusgärtlein" aus dem Jahre 1656
(Waldberg
1890) schriftlich fixiert. Sammlungen weltlicher Lieder dieser Art
wurden, auch wenn es sich eigentlich um Verlegerware handelte, die auf
Buchmessen gehandelt und durch Buchhändler vertrieben wurde, wohl auch von
wandernden Händler verbreitet. Sie waren "billig gemachte und deswegen
zweifellos auch billig verkaufte Anthologien ohne Noten, nur mit
Melodie-Angaben versehen, ohne planvolle Anordnung und künstlerischen
Anspruch. Sie sammeln das Bekannteste und Beliebteste, offenbar ganz wahllos
aus mündlicher Überlieferung, Handschriften, Flugschriften oder
Buchausgaben." (Lohmeier
1979 S. 55)
Liederbücher im "Schatten des Barock" und die
Literaturdidaktik
Liederbücher als Sammlungen von Liedern gab es schon seit dem 15.
Jahrhundert, haben aber in der literaturwissenschaftlichen Forschung lange
nur wenig Aufmerksamkeit auf sich gezogen. So fehlte auch ein Überblick,
welche Texte bzw. welche Inhalte oder Themen in diesen Liederbüchern
überhaupt enthalten sind. (vgl.
Classen 2010,
S.144) Wenigstens wurde inzwischen erkannt, dass die Personen, die solche
Liederbücher zusammengestellt haben, "ohne Zweifel die Landschaft der
deutschsprachigen Lieddichtung im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert
enorm bereichert" haben. (ebd.).
Ihr Verdienst war es nicht nur "viele ungemein wichtige Liedercorpora für
die Nachwelt gerettet" zu haben. Etliche Sammler haben nämlich zum selbst
Lieder gedichtet oder Melodien zu altbekannten Texten komponiert.
Feststeht jedenfalls, dass sich "im Schatten des Barock" eine populäre Lyrik
entwickelte, die aus dem normativen Raster der Merkmale fällt,
die für die Literaturepoche des Barock gemeinhin genannt werden. (vgl.
Classen 2010,
S.143) Diese Lieddichtung einfach als "Marginalerscheinung" neben der
sogenannten neuen ▪ "Kunstdichtung"
abzutun, über deren wichtigsten Protagonisten, Konzeptionen und Werken der
Epochenbegriff Barock konstruiert wird, dürfte zumindest in Zweifel gezogen
werden. (vgl.
ebd. 2010,
S.163)
Wer sich bei der Analyse von Liederbüchern nur mit literarästhetischen
Kriterien auf die Suche nach "Perlen deutscher Lyrik" macht (vgl.
ebd. 2010,
S.143), wird der Bedeutung der Liederbücher "hinter de(m) grautönenden
Schleier der Kategorie »Volkslieder«" also kaum erkennen und sie
dementsprechend auch nicht "als wertvolle, eigenständige und zugleich die
mittelalterliche Tradition weitertragende Werke" (ebd.)
erkennen und wahrnehmen können.
Unter dem Blickwinkel der
Literaturdidaktik betrachtet, werden es Liederbücher und die populäre
Lieddichtung der Barockzeit sicherlich schwer haben. Schließlich werden
Liederbücher als Ganze kaum Gegenstand des Literaturunterrichts werden
können. Eine Auswahl von Liedern daraus aber und ihre mentalitäts- und
sozialgeschichtliche Einordnung kann das starre Festhalten an den
herkömmlichen Epochenkriterien aber verringern und einen umfassenderen Blick
auf die Literatur dieser Zeit ermöglichen. An der Zeit scheint es in jedem
Fall zu sein, dass die populäre Lieddichtung ebenso wie die gesamte ▪
deutschsprachigen Popularliteratur
der Zeit aus dem Schatten dieses Epochenkorsetts heraustreten kann. Es ist
zugleich eine Chance, einen Schlussstrich unter den oft allzu schematisch
dargestellten ▪ Dualismus von Carpe diem und
Memento mori als das
Lebensgefühl des sogenannten barocken Menschen zu ziehen und den Blick
wieder auf die Vielfalt zu lenken.
Die Vielfalt des in Liederbüchern zusammengestellten Liedguts kann dabei
natürlich nur mit einer mehr oder weniger beliebigen Auswahl von Texten in
den Literaturunterricht eingehen, die aber stets mit dem Anspruch erfolgen
sollte, dass damit vor allem
sozial- und
mentalitätsgeschichtliche Momente sichtbar werden, die die Vielfalt von
Lebensäußerungen in einer insgesamt von Krisen, Kriegen und sonstigen
Gefahren gekennzeichneten Welt aufzeigen können. (vgl.
Classen 2010, S.291)
Liederbücher sagen eine Menge über die Mentalität und
den Alltag der Zeit aus
Die zu Beginn des 17. Jahrhunderts vermehr aufkommenden Sammlungen von "Liedern"
enthielten nicht nur sangbare Lieder im eigentlichen Sinne, sondern auch
andere Gedichte und üblicherweise auch zahlreiche Epigramme (Beispiel: »David Schirmer
(1623-1686) »Singende Rosen
(1654) (Harper
2003, S.5).
Das war durchaus auch bei
anderen Werkanthologien der Fall. Auch die Werkausgaben von ▪
Martin Opitz
(1597-1639)
(1624,1625) präsentierten unterschiedliche Texte und Textsorten
nebeneinander, wobei er allerdings die Lieder als Gruppe zusammenstellte.
Während die Liederbücher mit ihren Sammlungen nach und nach immer
umfangreicher wurden, blieb die gattungsmäßige Einordnung darin enthaltenen
Lieder meistens auf der Strecke.
Ein Liederbuch war in dieser Zeit also eine von den Autoren und Herausgebern
selbst gewählte Bezeichnung, die ein gattungsmäßiges Sammelsurium
unterschiedlicher Textsorten anbot, das im Kontrast zur Erbauungsliteratur
und zu anderen Formen der in dieser Zeit gelesenen literarischen Texte
stand. Als Beispiel kann dafür wie z. B. »Gottfried Finckelthaus'
(1614-1648) »Deutsche Gesänge (1640)
dienen.
Im
Allgemeinen begannen die Liederbücher mit einer Reihe von Liedern, an
die sich eine beliebige Anzahl von Texten anschloss, die nicht für das
Singen gedacht waren. Ihre Lieder wurden zu verschiedenen gesellschaftlichen
Anlässen gemeinsam gesungen oder auch von einem einzelnen Sänger vorgetragen
und dabei mal mit, mal ohne Lautenmusik begleitet.
Liederbücher
orientieren sich gewöhnlich ziemlich klar am Publikumsgeschmack und
nehmen das auf, was eben gern gehört und gesungen wurde. Das
bedeutet auch, dass Liederbücher, ihre Gestaltung ebenso wie die
Auswahl der darin enthaltenen Lieder stets die "musikoliterarischen
Vorlieben eines bestimmten Rezipientenkreises in der Mitte des 17.
Jahrhunderts" (Dröse
2014, S.11) im Auge hatten. Dies gilt für die entwickelte ▪
Liederbuchkultur der Niederlande,
wo sie sich eng mit einer sich entwickelnden Jugendkultur verzahnte,
ebenso wie für die deutsche.

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So einfach und
vielleicht auch naiv die Weltsicht mancher der in solchen Sammlungen
enthaltenen Lieder auch gewesen sein mag, so richteten sich viele
Liederbücher an das gebildete und zahlungskräftige Publikum, das die
Leistungen des Sängers und oftmals gleichzeitig Sammlers der Texte
zu goutieren wusste.
Dies wird auch
am Beispiel »Georg
Greflingers (1620-1677) Liederbuch
»Seladons
Weltliche Lieder (1651, mit beigefügtem Notenmaterial) deutlich, dessen
Frontispiz (Titelkupfer) sich an einen kompetenten Rezipienten
richtet,
der die dargestellten Elemente
allegorisch zu
deuten und verstehen weiß. Dass die Sammlung dann aber auch durchaus
derbe Lieder enthielt, zeigt, dass das gebildete und höfische
Publikum, dem die Lieder vorgetragen wurden, sich durchaus auch an
solchen Liedern zu erfreuen wusste.
Dabei wird die Leistung und Bedeutung
Georg Greflingers sehr unterschiedlich gesehen. Günther
Müller (1925,
S.76) betont vor allem, dass es Greflinger zwar mit seinem besonderen Stil gelungen sei, das Volkslied bei
Strophenbau und "mit scharf gemeißelter rhythmischer Prägnanz" mit den Neuerungen der
▪ metrischen Reform
von ▪
Martin Opitz
(1597-1639)
zu verbinden, zugleich habe er aber auch mit dafür
gesorgt, dass es sich danach nicht auf der Höhe des Opitzschen
Kunstliedes bewegte. Seine "Späße und Persiflagen" hätten dabei das
"Mythologische auf ein ganz geringes Maß (eingeschränkt)" und damit
dazu beigetragen, dass "das Opitzsche Kunstlied in
Nordwestdeutschland in starkem Maße banalisiert und verflacht"
worden sei. (vgl. dazu auch:
Dröse 2014, S.27)
Singen und die Ausbildung einer Jugendkultur
Welche Bedeutung die neuen auf dem Prinzip der Alternation beruhenden Kunstlieder
und die älteren deutschen Volkslieder, die "besonders anfänglich für
dialektale Einsprengsel, für Tonbeugungen und überhaupt eine regellose
Sprache" (Aurnhammer/Detering
2019, S.159) standen, im Alltagsleben haben konnten, dürfte unterschiedlich gewesen sein.
Die
Leipziger Dichter scheinen jedenfalls sehr oft "in gemischt-geschlechtlichen
Gesellschaften"
singend und alkoholisiert vor den Toren der Stadt
herumgezogen zu sein und dabei das andere Geschlecht umworben zu haben.
Gerade für die ▪
Annäherung der Geschlechter in der Öffentlichkeit und in den
Ritualen der Eheanbahnung spielte das Singen und Tanzen eine äußerst
wichtige Rolle. (vgl.
ebd., S.322)
Singen war Teil der
damaligen Jugendkultur. Insbesondere die
Liebeslieder oder wie man in dieser Zeit auch sagte, die "Buhlereyen", von
denen es auch in den »Teutschen
Poemeta von ▪ Martin Opitz
(1597-1639) zahlreiche gibt, kursierten als Einblattdrucke unter jungen
Leuten, die lesen konnten. Daneben gab es auch Liederbücher und
volkssprachliche Liedanthologien wie z.B. »Theobald
Hocks (1573-1624) »Schönes
Blumenfeldt
aus dem Jahr 1601, die sich in Deutschland vorwiegend an italienischen
Vorbildern orientierten, aber wohl keine sonderlich große Verbreitung
fanden. (vgl. Meid
2009, S.105)
▪ In den Niederlanden hatte sich die Gesangskultur im Zuge der von der
Reformation inspirierten Psalmproduktion (vgl.
Roberts 2012
S. 194) besonders stark entwickelt. Über Produktion von geistlichen Liedern
hinaus, wurden für alle möglichen gesellschaftlichen Anlässe eigens Lieder
verfasst und gesungen. Das Sprechen in Reimen und das eigenständige Reimen
war ebenso gängiger Unterrichtsgegenstand wie das Kontrafazieren, d. h.
schon bekannte Melodien mit neuen Reimen zu versehen.
Dort kursierten
geistliche Liederbücher ebenso wie rein weltliche und eine ganze
Reihe von Liederbüchern, die sich zwar den Anstrich gaben,
hauptsächlich der Unterhaltung zu dienen, aber doch hauptsächlich
didaktische Funktion besaßen und religiöse und moralische Inhalte
verbreiten sollten.
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Barock (1600-1720)
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Lyrik des Barock
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
27.03.2022
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