Ungeachtet
der Einschränkungen, die einer an der ▪ "Gründungslegende"
orientierten "Überbewertung" (vgl.
Niefanger
2006, S.17) von ▪ Martin
Opitz (1597-1639) entgegenstehen, hat seine eine Poetik (»Buch
von der Deutschen Poeterey" (1602) - andere werden z.
B. von »August
Buchner (1591-1661), »Georg
Friedrich Harsdörffer (1607-1658) oder Albrecht Christian Rotth
(1651-1701) verfasst (vgl.
Meid 2000, S.21-23) - einen nachhaltigen Einfluss.
Sie schließt mehr oder weniger nahtlos an das
an, was schon in Poetiken der Renaissance steht. Dazu fügt Opitz noch einige
Vorschriften über die Anwendung der deutschen Sprache in der neuen
▪"Kunstdichtung" an, gibt einen Überblick über die wichtigsten anerkannten
literarischen Gattungen und illustriert mit zahlreichen Beispielen, wie die
"neuen" Gedichte formal zu gestalten sind.
Der wichtigste Impuls aber, der
von Opitz im Rahmen seiner ▪ Literaturreform für die deutsche Literatur, insbesondere die Lyrik, ausgeht, ist
seine ▪ metrische Reform mit der Einführung des
Betonungsgesetzes
für die
metrische Gestaltung von Gedichten. Fortan sollte für die deutsche
Verskunst nicht mehr die so genannte
quantifizierende Metrik
bzw. Quantitätenmetrik. (vgl.
Elit 2008, S.71) (auch: quantitierendes Verfahren) der
antiken Metrik gelten, sondern eine Metrik, die dem
prosodischen Merkmal des "natürlichen" Wortakzents folgt, wie er auch im
Alltag gesprochen wird (Prosaakzent).
Barocklyrik ist in der Regel keine Erlebnislyrik
Wer sich heutzutage mit der Literatur des 17. Jahrhunderts beschäftigt, muss
die aus der klassisch-romantischen Dichtungsauffassung rührende
Erlebnisästhetik hinter sich lassen. Dies
gilt in besonderem Maße für die ▪ barocke
Liebeslyrik, die weder an den Vorstellungen dieser Zeit über Liebe und
Erotik noch an dem darin gestalteten petrarkistischen System gemessen wird,
sondern mit psychologisierenden Kategorien unserer Zeit betrachtet wird. Was
dabei vermeintlich den Blick auf das Eigene im Fremden möglich machen soll,
verstellt aber letzten Endes genau diese Perspektive, in dem eingeebnet
wird, was sich, auch wenn man unterschiedliche Zugänge und Lesarten zulässt
und begrüßt, so eben nicht "glätten" lässt.
So stellt auch ein barockes Gedicht keine
Erlebnislyrik dar, die Persönliches und Individuelles thematisiert und "das
Private" erscheint dem barocken Dichter auch "unwesentlich, das Individuelle
zufällig und nichtig, das Persönlich-Intime belanglos, ja läppisch." (Schöne
1963, S. IXf. zit. n.
Braak 1979, Teil IIb, S.14)
Ein barockes Gedicht ist,
wie barocke Dichtung insgesamt, "dem Subjektiven entzogen" (Meid 31989, S.97,
Meid 2000, S. 31). Ihr Dichter verharrt in einer Distanz zu den zur
Darstellung gebrachten Sachverhalten wie auch zu der verwendeten Sprache und
nimmt eine rein künstlerische Einstellung zu Sache und Wort ein, die von
einer rhetorischen Grundhaltung geprägt ist. Für ihn "(sind) die Worte (...)
bewusst eingesetzte Mittel, die das Thema, den Gegenstand kunstreich zeigend
bewältigen sollen." (Conrady
1962, S.47 zit. n.
Meid 2000, S. 31)
Im Barock verewigte man eben weniger den "individuell erlebte(n) Augenblick
in Versen", sondern umspielte mit "kunstvoll geformte(n) Verse(n) allgemeine
– wenngleich oft sehr konkrete – Situationen und Vorstellungen mit der an
Regeln geschulten Prachtfülle barocker Sprachbilder und Klangformen."(Jentzsch
1993, S.14)
Statt "Subjektivität oder Gefühlsorginalität" (ebd.,
S.15) geht es um die Zurschaustellung von
▪"Einfallsreichtum, Gedankenschärfe
und Kunstfertigkeit" (ebd.)
bei der Anwendung überlieferter Traditionen (▪
Imitatio-Poetik), die aus dem
von den Humanisten sorgsam gepflegten Fundus
topischer "Allgemeinpätze" in
Bildsprache und Rhetorik möglichst virtuos, aber insgesamt eben nachahmend
schöpfen sollte. (vgl.
Willems 2012,
Bd. I, S.208)
Was barocke Dichtung also insbesondere von der Genieästhetik späterer
Literaturepochen, wie z. B. dem Sturm und Drang unterscheidet, ist die
Vorstellung das Dichten grundsätzlich
"lehr- und lernbar" (Braak 1979, Teil IIb,
S.13) ist und die ▪ Rhetorik
dabei an erster Stelle steht.
Dennoch:
Der, wenngleich vielleicht zu sehr aus der damaligen Zeit fallende, Vorwurf
der
"Bildungshuberei"
(Herzog 1979,
S.39-52) ist dabei nicht von der Hand zu weisen, auch wenn diese nicht nur
der Selbstdarstellung der Autoren diente, sondern auch den Erwartungen der
Leser*innen und Hörer*innen in dem international vernetzten humanistischen
Gelehrtenzirkel und und im vorwiegend höfischen Umfeld das lieferte, was die
dort präsentierten
Werke oft als ▪
Gelegenheitsdichtung zur öffentlichen Unterhaltung und Belehrung
beitragen sollten.
Das Repertoire dieser Dichtung war, das allein ermöglicht einem die
Überwindung der historischen Distanz und ebnet den Weg zu einem vertiefteren
Verständnis der Texte, "ein durch und durch konventionalisiertes, gesellschaftliches Geschehen" (Binneberg
2009, S.121), das in der Öffentlichkeit kommuniziert, "(...) nicht dem
poetischen Bekenntnis wirklich erlebter Liebe" diente." (ebd.
S.122)
Jedenfalls macht es keinen Sinn, das
vermeintliche Vorhandensein oder
Fehlen einer inneren Beteiligung des
Dichters als Kategorie zur Differenzierung von Gattungen oder Untergattungen
der barocken Lyrik heranzuziehen. (vgl. van Ingen 1966, S. 49, zit. n.
Meid 2000, S. 32)
Barocke Lyrik als Gelegenheitsdichtung
Barocke Dichtung der gelehrten Art ist auf eine zweckbestimmte Wirkung aus,
ist meist als ▪
Gelegenheitsdichtung, die sich an den Wünschen, Vorstellungen und
Konventionen ihrer Auftraggeber und Adressaten orientiert.
Insoweit
unterscheidet sie sich nicht von den weniger ambitionierten
Gelegenheitsgedichten (Casualcarmina), die gerade in dieser Zeit zu einem
"Massenphänomen" (Meid 2000,
S. 35, vgl.
Herzog 1979, S.39-52 ) werden, da offenbar immer mehr Menschen das Bedürfnis entwickeln,
bestimmte Anlässe und Gelegenheiten dichterisch zu würdigen. Das geht
soweit, dass ein regelrechter Markt für Casuallyrik entsteht, für den
sogar "Miethpoeten" gegen Honorar arbeiten.
Gegen diese "Vielschreiberei"
und ihre Tendenz zu "geist- und reizlose(r) Handwerklichkeit" (Herzog 1979,
S.39-52) wird von Seiten der "ambitionierten, elitär gestimmten Autoren, die sich aus
der Masse herauszuheben suchen" (Meid 2000,
S. 36) zwar heftig zu Felde gezogen, aber alle Polemik kann nicht
übertünchen, dass solche Gelegenheitsgedichte häufig auf den gleichen
gesellschaftlichen und poetologischen Voraussetzungen beruhen, wie die der
sich selbst zur Dichterelite erklärenden Gelehrtendichter.
Dazu kommt noch,
dass Gelegenheitsdichter aller Art im 17. Jahrhundert auf die gleichen
Hilfsmittel zurückgreifen: "Reimlexika, die so genannten Schatzkammern und
vor allem die Poetiken, in denen Punkt für Punkt geregelt wird, wie zu einem
bestimmten Anlass das passende Gedicht zu machen ist." (Herzog 1979,
S.39-52)
Weltliche Lyrik, Kasuallyrik und geistliche Lyrik
In der Lyrik des Barock, die sich in drei Themenbereich einteilen lässt,
spiegelt sich das lyrische Schaffen der Epoche. Man unterscheidet
voneinander:
-
weltliche
Lyrik
-
Kasuallyrik
-
geistliche
Lyrik
Zum Themenkreis der weltlichen
Lyrik zählen jene Werke, die sich um den "Zusammenhang von "vanitas
(Eitelkeit), Vergänglichkeit,
memento mori (Gedenke des
Todes) und carpe diem (Nutze
den Tag)", (Niefanger
2006, S.104) drehen, wobei sich auch in weltlichen Gedichten häufig religiöse
Anklänge finden, wie sie das geistliche Lied des 17. Jahrhunderts
kennzeichnen. Die wichtigsten
Themen der weltlichen Lyrik sind politische oder historische
Ereignisse, Huldigung und die
Liebe,
sowie das Land- und Hirtenleben (Pegnitz-Schäfer). Dabei gerät in Gedichten
mit politischer Thematik häufig das Leben am Hof und dessen Laster in die
Kritik. (vgl.
ebd.)
Aber auch
Gedichte mit einer stark religiösen Ausrichtung, wie z. B. die ▪
Vanitas-Dichtung mit ihren
heilsgeschichtlich-eschatologischen Bezügen etablieren sich in diesem
literarischen Feld, weil ihre Werke im Vergleich zum geistlichen Lied
"nicht mehr in einem kirchlichen Funktionszusammenhang" (Meid
2015, S.80) standen, sondern "sich als
Sprech- und Leselyrik durch einen
individuellen stilistischen und inhaltlichen Charakter" (ebd.)
auszeichneten, der "sich an dem stilistischen und formalen Repertoire
der weltlichen Kunstdichtung deutscher Sprache (orientierte)." (ebd.)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
23.12.2023
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