Der Begriff Barock als
Nomen oder als Adjektiv taucht heute zur Bezeichnung oder als Attribut
zahlreicher Erscheinungen dieser Zeit auf: Man spricht von barocken
Schlössern und Kirchen,
barocken Ornamenten, dem barocken Garten- und
Landschaftsbau oder auch dem barocken Lebensgefühl. Und nahezu jeder hat
schon einmal einen dieser kindlich "putzigen"
»Barockengel
(Putten) gesehen, als Skulpturen oder in Gemälden, die meist wenig bekleidet
oder nackt auftreten, mit oder ohne Flügel, manchmal in besonders manieristisch-überladen gestalteten Kirchen zu
(gefühlt) Hunderten von Altären,
Orgeln, Geländern, Gesimsen, Plastiken und Fresken auf ihre Betrachterinnen*
herabblicken.
Wenn sie auch meistens nur
zu Dekozwecken in solchen Gebäuden verwendet wurden, stehen sie doch in
einem engen Bezug zum christlichen Engelsglauben und gemahnen damit auch auf
ihre eigene Art und Weise an die Endlichkeit allen irdischen Daseins und die
himmlische Erlösung. Allerdings gab es auch Putten, die eine andere Funktion
hatten und sich im Barock und im Rokoko großer Beliebtheit erfreut haben.
Diese Putten in einer Kindsgestalt des antiken Liebesgottes »Amor
werden »Amoretten genannt
und verweisen auf die Freuen der diesseitigen Liebe und Erotik. Sie zeugen
damit von dem Streben nach Lebensgenuss (▪
carpe diem) in einem
ansonsten von Vergänglichkeit und Nichtigkeit und nur über seinen
Jenseitsbezug sinnvoll zu lebenden Lebens. Allerdings stehten
die kleinen Barockengel im Ensemble oft auch im Kontext anderer Abbildungen wie z.
B. Totenköpfen, Abbildungen des Gevatters Tod als
Sensenmann im Gerippe (auch: Schnitter Tod genannt) platziert sind, die
dem/der Betrachterin auch schnell die Mahnung ▪
memento mori (Gedenke des
Todes!) zu Bewusstsein bringen.
Dem Barockzeitalter als
historische Epoche kann man heutzutage auf vielfältige Weise auf die Spur
kommen. Wer an barockem Baustil interessiert ist, kann sich z. B. auf eine
Fahrt entlang der »Oberschwäbischen
Barockstraße machen, einer über verschiedene Routen erschlossenen
Ferienstraße in »Oberschwaben,
die einen an zahlreichen weltlichen und sakralen Bauwerken der Barockzeit
entlang, und bei Lust auf mehr, dazu noch »in
den Bodenseeraum, die »Ostschweiz
und das österreichische Bundesland »Vorarlberg
führt. Die »Basilika
in Birnau am Bodensee und viele andere Sehenswürdigkeiten harren auf
einen Besuch interessierter Reisender.
Aber natürlich kann man
sich auch in anderen Regionen Deutschlands auf die Spur des Barock begeben
und zum Beispiel die Zeugnisse des sogenannten »Dresdner
Barocks bewundern. Wer nach »Ludwigsburg
kommt, kann sich im dortigen »Residenzschloss
einen für deutsche Verhältnisse fast einzigartigen Eindruck vom ▪
gesellschaftlichen Leben in einer Residenzstadt, der ▪
höfischen Festkultur zur Zeit ▪
Carl Eugens von Württemberg (1738-1793) verschaffen.
Und in »Bayreuth
steht bis heute das barocke »markgräfliche
Opernhaus (seit 2012 UNESCO-Welterbe),
das allen Besucherinnen bis heute einen lebendigen Eindruck von der barocken
Theater- und Festkultur gibt.
Und wer im benachbarten
europäischen Ausland unterwegs ist, kann z. B. in Frankreich mit dem »Schloss
von Versailles das stilbildende Bauwerk seiner Art für diese Zeit
einschließlich der barocken französischen Gartenanlage besuchen. Dort kann
man der Prasserei des Sonnenkönigs
Ludwig
XIV. (1638-1715) und seiner Nachfolger bis ins Schlafzimmer folgen und
hautnah erleben, welchen Lebensstil die Gier nach Reichtum und Macht in der
Konkurrenz mit anderen Mächtigen der Zeit nach sich gezogen hat. Ein stets
auch voyeristischer Blick führt den Besucher durch die prachtvoll
gestalteten Repräsentationsräume des Schlosses, lässt ihn zwischen Erstaunen
und Bewunderung schwanken. Sie gewähren Einblicke in ein Leben, das die
Mächtigen von heute, auch mit ihren in den Medien sorgfältig inszenierten »Homestories
ungern geben. Statt hinter Eisengittern, Mauern und von Palastwachen
geschützt, immer aber weithin sichtbar, haben sie sich hinter ihre
hochgezogenen Elektrozäune, oft ganz and gar uneinsehbar von außen und
bewacht von eigener »Security,
in ihren Villen verbarrikadiert, sich auf Hochseeyachten oder privaten
Inseln zurückgezogen, um sich ihrem Luxus vor den Augen der Öffentlichkeit
verborgen hingeben zu können. Dieser kann man sich dann auch ohne
Gefahr, dafür gescholten zu werden, als »"Weltraumtourist"
im Wettlauf mit anderen Superreichen, die sich dies leisten können,
öffentlich präsentieren.
Eine Vielzahl solcher
Vergleiche drängen sich auf, wenn man die fremde Welt des Barock an sich
herankommen lässt, und das Fremde mit vielleicht nicht immer passenden,
allerdings durchaus nachvollziehbaren Maßstäben von heute betrachtet. Und
nicht immer lassen sich die Gefühle von Fremdheit, die einem in der
Begegnung mit dem Barock ergreifen können, ohne weiteres überwunden werden,
wenn man auf seine Zeugnisse in Architektur, Kunst und Literatur trifft.
Wo man auch immer
hinschaut, überall in Europa, in unzähligen Bereichen und Dingen haben
barocke Stil- und Lebensvorstellungen ihren Stempel aufgedrückt: der »Bildenden
Kunst ( »Baukunst,
»Innendekoration
und Möbelkunst,
»Gartenbau,
»Skulptur,
»Malerei),
der»
Musik und
dem »Theater.
Das Zeitalter hat eine eigene »Festkultur
ausgebildet und eine besondere Literatur hervorgebracht, die in ihrer Zeit
so dominierend wurde, dass sie als eine eigene ▪
Literaturepoche
▪ Barock (1600-1720)
aufgefasst wird. Es gibt eine barocke »Natur-
und aufkommende Gesellschaftsphilosophie, eine spezifische »Schiffsbau-
und »Wagenbaukunst,
eine barocke
Mode u. v. a. m.
Wer
also mit Barockem in Berührung gerät und es an sich herankommen lässt, wird
sich vielleicht auch beim Betrachten zahlreicher großformatiger Wandgemälde
des niederländischen Malers »Peter
Paul Rubens
(1577-1640) die Augen über eine Zeit reiben, in der die barocke
"Fülle" des weiblichen Körpers zur Schau gestellt werden konnte. Das barocke
Schönheitsideal, zugegeben ein rein männlicher Blick auf Frau, kontrastiert
dabei mit den Bildern, die die oft vom Hungerast gezeichneten, abgemagerten
Models von heute, kultiviert in etlichen Medienformaten, erzeugen.
Vielleicht verhilft es aber auch zur Erkenntnis, dass erotische
Attraktivität eben auch gesellschaftlich und kulturell "gemacht" wird, wenn
man sich dem Fremden, und das sind uns heute nahezu alle Zeugnisse der
Barockzeit ohne Vorurteile nähert und seine Manifestationen auf sich wirken
lässt.
Und
dies gilt auch für die literarischen Zeugnisse der Zeit, die einem Leser
bzw. einer Leserin von heute in vielerlei Hinsicht fremd und unverständlich
erscheinen können. Wer sich erstmals der frühneuzeitlichen und barocken
Textwelt annähert, wird nämlich oft feststellen, "dass sie es einem modernen
Leser nicht gerade leicht macht, ja dass sie ihm ein besonderes Maß an
Leserfleiß, Neugier, Konzentration und Ausdauer abverlangt. Die Probleme
beginnen bereits mit der Sprache, mit der sie auf den Leser zukommt, einem
deutlich veralteten, in manchem fast unverständlich gewordenen Deutsch
zwischen Mittel- und Neuhochdeutsch, dem sogenannten »Frühhochdeutsch."
(Willems 2012,
Bd. I, S.28, verlinkt v. Verf.). Diese Sprachstufe des Deutschen zeigt
zwar schon viele Kennzeichen des Neuhochdeutschen auf, prägt diese aber
regional und auch zeitlich in unterschiedlichem Maße aus. Dabei hatte das
Meißnisch-sächsische Deutsch in dieser Zeit den besten Ruf, kaum
vorstellbar, wenn man sieht, wie der sächsische Dialekt heutzutage bewertet
wird.