Dramatische Texte setzen zur
Konkretisierung des chronologischen Ablaufs des Geschehens
verschiedene Mittel ein und schaffen mit ihnen einen zeitlichen
Zusammenhang.
Gewöhnlich ▪ korreliert dabei der
Ablauf der Geschichte auch mit dem Textablauf. Allerdings
werden durch dieses Verhältnis dieser Ebenen noch die
Zeitverhältnisse nicht konkret, sondern nur relativ fixiert.
Wann also eine Szene genau spielt und wie lange sie dauert und
wie lange Szenen zeitlich auseinander liegen, kann damit nicht
dargestellt werden.
Um die Zeit, Zeitstrukturen, mithin die Chronologie, genauer
festzulegen, verfügt der ▪ plurimediale
dramatische Text mit seinen verschiedenen ▪
Codes und Kanälen über
verschiedene Möglichkeiten. (vgl. auch im Folgenden
Pfister 1977, S.359-369)
Möglichkeiten, um Informationen über den Zeitablauf im
dramatischen Text zu gestalten
Der dramatische Text hat etliche Möglichkeiten, um einen
bestimmten Zeitablauf zu fixieren und/oder bestimmte Ereignisse
zu datieren.
-
Im ▪
Nebentext
können Angaben gemacht werden, die einen bestimmten
Zeitpunkt fixieren. Projektionen, Anzeigetafeln oder auch
eine Kommentatorfigur können Informationen darüber geben.
-
Im ▪
Haupttext
können in der dramatischen Rede i. e.
Sinne, den Repliken der Figuren, dazu genaue Angaben gemacht
werden. Solche Informationen können aber auch durch die auf eine
Tageszeit bezogenen Grußformeln ausgedrückt werden, die die
Figuren verwenden.
-
Auch bestimmte Aspekte
des Sprechens, die ansonsten bei der ▪
implizit-figuralen Charakterisierung von dramatischen Figuren
eine Rolle spielen, wie z. B. das allgemeine sprachliche Verhalten
oder ein bestimmter zeitgebundener Sprachstil etwa können
Hinweise auf die Zeit sein, die im Drama gestaltet wird.
-
Aber auch außersprachliche
Elemente wie das Bühnenbild, bestimmte Requisiten, Beleuchtung, akustische
Signale (z. B. das Schlagen einer Glocke) oder historisierende Kostüme
können das Geschehen historisch und/oder jahres- bzw. tageszeitlich
einordnen.
Verschiedene Grade
der zeitlichen Konkretisierung
Die Genauigkeit, mit der zeitliche Vorgaben in einem Drama
gemacht werden, kann sehr unterschiedlich sein.
Sie können die Ereignisse
-
zeitlich
vergleichsweise unbestimmt aneinanderreihen
-
ganz präzise
angeben
-
im zeitlichen
Verhältnis der Szenen so darstellen, dass ihre kalendarisch
oder tageszeitliche Bestimmung vom Leser/Zuschauer ermittelt
werden kann
Die
verschiedenen ▪
Formtypen
des Dramas bevorzugen dabei bestimmte Grade der
Konkretisierung.
Über die Terminierung
und Datierung hinausgehende Funktionen der Zeitgestaltung
Informationen über
Zeit und Chronologie haben im Drama oft über die temporale
Konkretisierung hinausgehende Bedeutungen, denn mit ihnen können
beim Autor wie den Rezipienten bestimmte Vorstellungen und
Gefühle verbunden sein. Dabei geht es nicht um individuelle
Assoziationen,
die bestimmte Zeitgrößen beim einzelnen Leser auslösen, sondern
um Konnotationen,
die in der Regel von vielen Menschen einer bestimmten Zeit
gemeinsam geteilt werden.
-
Ein Drama,
dessen Handlung in eine bestimmte Zeit gelegt wird,
aktiviert dementsprechend Vorwissen und Gefühle, die der
Leser/Zuschauer mit dieser historischen Zeit verbindet. Was
in der mythischen Vorzeit, z. B. beim antiken Drama,
passiert, wird u. U. schon aus dem Grund der zeitlichen
Distanz, anders wahrgenommen wie ein Stück, das in der
Jetzt-Zeit der Rezipienten spielt. Und wenn das Stück in
einem bloß imaginierten überzeitlichen Rahmen erscheint,
kann dies, allerdings wie bei allen anderen Varianten nicht
zwingend, dazu führen, dass die Rezipienten das dramatische
Geschehen nicht so ohne Weiteres auf ihre eigene
Wirklichkeit beziehen. Aus der Spannung zwischen
Historisierung und Aktualisierung in ihrer jeweiligen
Gestalt schöpft der dramatische Text also Bedeutung.
-
Aber auch
andere mehr oder weniger konkreten Zeitangaben können die
Zeit "semantisieren", d. h. den Zeitangaben über die
temporale Konkretisierung hinausgehende Bedeutungen
verleihen. Dabei greifen sie auch auf archetypische
Vorstellungen zurück, die auch in herkömmlichen ▪
literarischen
Motiven und Motivgegensätzen von Hell und Dunkel z. B.
zum Ausdruck kommen.
Das lässt sich
an einem Vergleich von Tragödie und Komödie zeigen.
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In ▪
Tragödien
spielt das Stück meistens im Herbst und Winter und "die
Nacht, und vor allem die Mitternacht, (erscheint) häufig
als Zeit bedrohlichen Dunkels und der Morgen als Zeit
desillusionierter Erinnerung" (Pfister
1977, S.368) spielen.
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In
Komödien hingegen wird "die Abfolge von Morgen, Mittag
und Abend im Sinne eines Ablaufs der Neugeburt, des
Reifens und der Erfüllung semantisiert." (ebd.)
Die
Konkretisierung der Zeit als Spannungselement
Werden in einem
dramatischen Text, vor allem zu Beginn des Geschehens, zeitliche
Angaben zu einem Geschehen gemacht, das noch in der Zukunft der
Handlung liegt, dient diese temporale Konkretisierung auch
häufig dazu Spannung zu erzeugen, wenn die Figuren damit unter
den Zeitdruck eines gesetzten Termins gestellt werden, der
unausweichlich auf sie zukommt. Ist von diesem Termin dann noch
häufiger die Rede, wird damit noch der Eindruck erweckt, dass
die Zeit bis dahin besonders schnell verfliegt.
Die verschiedenen ▪
Formtypen
des Dramas machen sich diese Spannungsdynamik für das
Tempo des Geschehens in unterschiedlicher Art und Weise zunutze.
Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
19.12.2023
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